Hans Böckler (1875-1951) - mit Leib und Seele Gewerkschafter
„Der hoch aufragende alte Mann […] war eine mächtige, achtunggebietende Erscheinung. Schon rein äußerlich beherrschte dieser Riese […] seine Umgebung. Im Gespräch war es schwer, sich seiner natürlichen Würde, die er mit Adenauer gemein hatte, zu entziehen; sie ersetzte Argumente, weil sie heftigen Widerspruch ausschloss. Böckler teilte Adenauers Skepsis gegenüber den Menschen, obwohl er milder, vielleicht auch weiser war. Jedenfalls ging er toleranter und auch demokratischer, bei Auseinandersetzungen offener als der Bundeskanzler mit den Menschen seiner Umgebung, insbesondere seinen Vorstandskollegen, um. Adenauers Listen waren ihm fremd, Täuschungen zuwider - vielleicht war dergleichen auch im DGB leichter zu entbehren als in der zusammengewürfelten Regierungskoalition oder im Machtzentrum des Bundeskanzleramtes. Böcklers Ruhe, Ausgeglichenheit und Geduld waren sprichwörtlich. Wenn es ihm allerdings notwendig erschien, seine Auffassung durchzusetzen, konnte er von urbayerischer Gradheit und Grobheit sein; aus anderem Holze geschnitzt als der Regierungschef, konnte der gelernte Metallschläger in solchen Augenblicken durchaus mit der Faust auf den Tisch hauen.“
So beschrieb der konservative Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Arnulf Baring 1982 in „Im Anfang war Adenauer“ Hans Böckler als einen Mann mit Ecken und Kanten, kleinen Fehlern und Schwächen. Das Wirken in Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Bundesrepublik ließ ihn seine Menschlichkeit nie aus den Augen verlieren.
Frühe Jahre eines Gewerkschafters
Am 26. Februar 1875 in Trautskirchen (Franken) geboren, wuchs Böckler in ärmlichen Verhältnissen auf. Im Todesjahr seines Vaters 1888 begann er die dreijährige Lehre als Silber- und Goldschläger in Fürth, seit 1876 Wohnort der Familie Böckler. Bereits 1894 trat Böckler in den Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV) und in die SPD ein. Später arbeitete er als Gewerkschaftsvertreter in Fürth (1899-1902), im Saarland (1903-1908), Frankfurt am Main (1908-1910) und in Schlesien (1910-1912). Neben seiner Gewerkschaftsarbeit engagierte er sich in Fürth auch in der Kommunalpolitik.
1914 wurde auch Böckler Teil des deutschen Millionenheeres, das wie seine Gegner in den Schützengräben einen hohen Blutzoll leisten musste. Hans Böckler wurde 1916 verwundet und war nicht mehr felddienstverwendungsfähig. Zurück im Deutschen Reich setzte Böckler seine gewerkschaftliche Arbeit in Danzig, Kattowitz und Siegen fort.
Nach dem Krieg wirkte Böckler an der Konsolidierung der Gewerkschaftsbewegung mit, ohne dass eines seiner Hauptziele, die Arbeiter, Angestellten und Beamten unter einem gewerkschaftlichen Dach zu organisieren, realisiert werden konnte. Seine Arbeit als Gewerkschaftssekretär in der Zentralarbeitsgemeinschaft 1918/19, in der Gewerkschaften und Arbeitgeber sozial- und wirtschaftspolitische Themen aushandelten, gab Böckler wieder auf, da dort für ihn wichtige sozialpolitische Forderungen nicht umgesetzt werden konnten. 1920 wurde er Bevollmächtigter des DMV in Köln, wo Konrad Adenauer seit 1917 Oberbürgermeister war. In Böcklers Zeit als Kölner Stadtverordneter von 1924 bis 1928 lernten sich beide Männer kennen und auch achten, unter Berücksichtigung des jeweiligen politischen Umfeldes. 1927 wurde Böckler Bezirkssekretär des „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (ADGB) - dem Dachverband der sozialdemokratisch orientierten Freien Gewerkschaften - für Rheinland-Westfalen-Lippe in Düsseldorf und auch Mitglied des ADGB-Bundesausschusses. Ein Jahr später wählte man ihn im Wahlkreis Köln-Aachen zum Reichstagsabgeordneten, weswegen er die Kölner Arena zunächst verließ.
Verfolgung im "Dritten Reich"
Anfang Mai 1933 wurde Hans Böckler beim Betreten seines Düsseldorfer Büros verhaftet, kam jedoch nach einigen Tagen wieder frei. Leib und Leben blieben aber ständig bedroht, wie der versuchte Überfall eines SA-Trupps auf das Haus der Böcklers zeigte. Nachdem Böckler erneut durch die Gestapo ab Oktober 1933 in ,,Schutzhaft“ genommen worden war, folgte ein Prozess gegen ihn wegen der Vernichtung von Gewerkschaftsakten, der jedoch mit einem Freispruch endete. Böckler, der bis 1943 unter ständiger polizeilicher Überwachung stand, verbrachte die Jahre 1943 bis 1945 in einem Versteck in Ottoherscheidt im Bergischen Land. Kontakte zu gewerkschaftlichen Mitgliedern des Widerstandes, zum Beispiel zu Wilhelm Leuschner und Jakob Kaiser, hätten ihn zusätzlich in Gefahr gebracht.
Gewerkschaftsneuanfang in Westdeutschland
Nachdem Böckler im April 1945 an der Gründung eines Ausschusses für eine Einheitsgewerkschaft in Köln federführend teilgenommen hatte und im vorläufigen Zonenvorstand der Gewerkschaften in der britischen Zone saß, nahm er 1945/ 46 durch seine Mitgliedschaft in der Kölner Stadtverordnetenversammlung, im rheinischen Provinzialrat und im Zonenbeirat der britischen Besatzungszone am Aufbau des sonstigen politischen Lebens in Westdeutschland teil. 1947 wurde Böckler Vorsitzender des „Deutschen Gewerkschaftsbundes für die Britische Zone“, wenig später auch des „Gewerkschaftsrates der Vereinten Zonen“. Er bemühte sich um die Wiederaufnahme internationaler Gewerkschaftskontakte und fuhr beispielsweise 1948 als deutscher Vertreter auf den internationalen Kongress der Gewerkschaften zum Marshall-Plan nach London.
Am 13. Oktober 1949 wurde Hans Böckler auf dem Gründungskongress in München zum 1. Vorsitzenden des DGB gewählt. Was Böckler und Tausende von Gewerkschaftern sich wünschten, war erreicht: eine deutsche Einheitsgewerkschaft, mit der die bisherige weltanschauliche Trennung zwischen freien, christlichen und liberalen Gewerkschaften aufgehoben wurde. Böckler, der seine Arbeit Anfang Januar 1950 aufnahm, hatte bereits gesundheitliche Probleme, wie sein erster Herzinfarkt im Mai 1950 zeigte.
Das zweite große gewerkschaftliche Ziel, die Unternehmensmitbestimmung zum Bestandteil des westdeutschen Wirtschaftslebens zu machen, trieb Böckler dennoch bereits kurz darauf als Verhandlungsführer des DGB in den Verhandlungen zurück ins politische Geschehen. Um die Mitbestimmung realisieren zu können, ging Böckler auch Bündnisse auf Zeit mit der Bundesregierung unter Konrad Adenauer ein, obwohl die wirtschafts- und sozialpolitischen Grundziele den DGB in größere Nähe zur Sozialdemokratie stellten.
Durchsetzung der Montanmitbestimmung
Durch die Zustimmung zum Ruhrstatut Ende Oktober 1949 - gegen die Position Kurt Schumachers - gewann der DGB durch Berufung eines Gewerkschafters in die Ruhrbehörde an Einfluss auf diesen Wirtschaftsprozess. Für die ebenfalls nüchterne und pragmatische Stellung des DGB zur Wiederbewaffnung konnte Böckler den Kanzler im August 1950 wohl für die Unterstützung in der Mitbestimmungsfrage gewinnen. Dennoch bedurfte es neben dem Dringen Böcklers der Streikdrohung von IG Metall und IG Bergbau, die in Urabstimmungen Kampfmaßnahmen ab dem 1. Februar 1951 beschlossen. Nach einer Besprechung zwischen Adenauer und Böckler am 11. Januar 1951 kam es zu regelmäßigen, aber ergebnislosen Gesprächen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, teils unter Vermittlung des Bundeskanzlers. Der Durchbruch gelang bei einer Sitzung am 25. Januar, in der der von immer größerer Ungeduld erfüllte Kanzler den Vorsitz führte. Die Vereinbarungen zur Mitbestimmung in der Montanindustrie, die die paritätische Besetzung von Vorständen und Aufsichtsräten von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite in größeren Unternehmen des Bergbaus und der eisen- und stahlerzeugenden Industrie regelte, fanden vier Tage später auch die Zustimmung des Bundesausschusses des DGB.
Böckler, der am 16. Februar 1951 an den Folgen seines zweiten Herzinfarkts starb, erlebte das In-Kraft-Treten des Gesetzes über die Montanmitbestimmung nicht mehr. Theo Pirker, deutscher Gewerkschaftshistoriker, beschrieb 1960 in „Die blinde Macht“ Böckler im Spannungsgefüge dieser Zeit:
„Hans Böckler war vom Machiavellisten vom Schlage Adenauers wie vom Volkstribun vom Schlage Schumachers gleich weit entfernt. Wenn er auch im innergewerkschaftlichen Kampf nicht ohne Schlauheit und Härte war: Es fehlte ihm die Verachtung des Menschen wie der Ideen, um ihn zum Machiavellisten werden zu lassen. Es fehlte ihm aber auch die an Fanatismus grenzende Überzeugung und die zündende Rede, um zu einem Tribun im Stile Schumachers zu werden. Seine Autorität, von der auch er ganz erfüllt war, gründete sich auf die Unerschütterlichkeit seiner Ansichten und die Unmittelbarkeit, mit der er diese Ansicht vertrat.“
Hubert Woltering
Aus dem Archiv
Der Nachlass Hans Böcklers (1/HBAH; 4,90 laufende Meter [lfm]) befindet sich im DGB-Archiv, das sich seit 30 Jahren als Sonderarchiv im Archiv der sozialen Demokratie befindet. Persönliche Unterlagen, Korrespondenzen und Material aus dem Sekretariat Hans Böckler bilden den Bestand. Hinzu kommt das Material der Bestände „Deutscher Gewerkschaftsbund (Britische Zone)“ (5/DGAC; 18,86 lfm) und „Gewerkschaftsrat der vereinten Zonen“ (5/DGAB; 4,14 lfm), aus denen Vieles zur Gewerkschaftspolitik der Jahre 1946 bis 1949 herausgearbeitet werden kann. Andere Bestände des DGB-Archivs beinhalten zahlreichen Verzeichnungseinheiten (z.B. im Bestand „DGB-Bundesvorstand, Abt. Vorsitzender“ über 100), in denen Material für die Jahre 1950/ 1951 gefunden werden kann.
Literatur
Borsdorf, Ulrich: Hans Böckler. Erfahrungen eines Gewerkschafters 1875-1945. Köln, 2. erw. Aufl. 2005.
Lauschke, Karl: Hans Böckler. Gewerkschaftlicher Neubeginn 1945-1951. Köln, 2005.
Hemmer, Hans O.: Hans Böckler und die Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 26 (1975), Heft 7, S. 435-447.
Vetter, Heinz Oskar (Hg.): Vom Sozialistengesetz zur Mitbestimmung. Zum 100. Geburtstag von Hans Böckler. Köln, 1975.
Woltering, Hubert: Hans Böckler - mit Leib und Seele Gewerkschafter, in: Die Mitbestimmung 47 (2001), Heft 1 u. 2, S. 68 – 71.