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In der Verwaltung soll es anteilig so viele Menschen mit ausländischen Wurzeln geben wie in der Bevölkerung der Hauptstadt, so lautet das Ziel des Berliner Senats.
Die Vielfalt Berlins soll sich in Zukunft im Öffentlichen Dienst und in den Landesunternehmen widerspiegeln. Der Berliner Senat hat Anfang März 2021 den Entwurf zum „Gesetz zur Förderung der Partizipation in der Migrationsgesellschaft“ beschlossen. Ziel ist es, mehr Sichtbarkeit und Repräsentanz von Menschen mit Migrationsgeschichte in den Behörden zu schaffen. Noch im Januar war in verschiedenen Medien, auch weil Elke Breitenbach, Berliner Senatorin für Arbeit, Integration und Soziales dies ursprünglich befürwortet hatte, von einer „Migrantenquote“ berichtet worden, die für die Berliner Behörden gelten solle. Eine solche Quote ist im Gesetzesvorschlag, der noch vor der Wahl im September vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen werden soll, jedoch nicht vorgesehen.
Dennoch rückte die Quote ins Zentrum der Berichterstattung und der öffentlichen Debatte. Als „Verhinderer“ bezeichnet zu werden, stört Berlins Innensenator Andreas Geisel, wie er auf der digitalen Podiumsdiskussion „Mit Migrationsgeschichte in den öffentlichen Dienst“, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung am 15. April 2021 veranstaltet wurde, zum Ausdruck brachte.
„Ich bin ausdrücklich für Vielfalt im öffentlichen Dienst. Dafür stehe ich. Dafür steht meine Partei. Unser Grundgesetz sagt, niemand darf bevorteilt oder benachteiligt werden aufgrund von Herkunft, Geschlechts, Ethnie, Sexualität. Der Migrationshintergrund ist – wenn überhaupt – eine freiwillige Angabe – wir kommen da über eine Orientierungsgröße nicht hinaus. Gut gemeint ist leider nicht gut gemacht.“ Über die Zielsetzung, den Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in der Berliner Verwaltung zu erhöhen, bestehe Einigkeit in der Berliner Regierungskoalition. Der Senat will erreichen, dass es in der Verwaltung anteilig so viele Menschen mit ausländischen Wurzeln gibt wie in der Bevölkerung der Hauptstadt, also derzeit etwa 35 Prozent. „Wir müssen Vorbild sein!“, fordert Geisel.
Ferda Ataman, Mitbegründerin der Initiative „neue deutsche organisationen – das postmigrantische Netzwerk“, hätte sich eine verbindliche Quote im Gesetzesentwurf gewünscht. Der Staat müsse klare Signale setzen: „Wir wollen sehen, dass unsere Kinder Chancengleichheit haben“, stellte sie klar. Es gehe bei dem neuen Gesetz keineswegs um Identitätspolitik, sondern um den Ausgleich sozialer Ungerechtigkeiten.
Das Partizipations- und Integrationsgesetz aus dem Jahr 2010 habe nur überschaubare Erfolge geliefert. Ataman befürchtet nun, auch das neue Gesetz werde zu langsam wirken. „Wenn Organisationen sich verändern sollen, liegt die kritische Masse bei 30 Prozent“, gab sie in der Diskussion zu bedenken.
Die kritische Masse ist ein Schwellenwert, der ausreicht, damit sich eine neue Strategie oder eine neue Unternehmenskultur selbsttragend durchsetzen. Derzeit liegen keine gesicherten Daten darüber vor, wie hoch der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in den Berliner Behörden tatsächlich ist. Deswegen ist zunächst eine Bestandsaufnahme geplant, mit der die Beschäftigtenstruktur ermittelt werden soll – allerdings erfolgen die Angaben der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freiwillig. Bei der Berliner Polizei liege der Anteil der Auszubildenden mit Migrationsgeschichte schon jetzt bei knapp 40 Prozent.
Thilo Cablitz, Pressesprecher der Berliner Polizei und selbst „mit Migrationshintergrund“, verwies in der Diskussion darauf, dass bereits in den 1990er Jahren der Versuch unternommen worden war, innerhalb der Behörde die gesellschaftliche Realität abzubilden. Über Kampagnen, Berufsmessen, Vorbilder und Kampagnen mit NGOs habe man mehr Vielfalt in die Polizei bekommen. „Wenn man genug junge Menschen mit Migrationshintergrund für den Beruf findet, werden diese mit der Zeit auch in Führungspositionen wachsen – entweder weil die Organisation für Chancengleichheit eintritt oder man einfach nicht mehr an uns vorbeikommt.“ Cablitz ist überzeugt, die Behörden verlieren an Authentizität, wenn sie die gesellschaftliche Realität nicht widerspiegeln.
Schon seit Jahren, erzählt Cablitz, gäbe es in der Berliner Polizei ein Netzwerk für Menschen mit Migrationshintergrund, ein aktives Diversity-Büro und Ansprechpersonen, die sich mit Facetten der Vielfalt auseinandersetzen und aktiv für sie eintreten.
Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationsgeschichte deutlich erhöhen – das ist auch der Wunsch von Senator Geisel. „Bei dem Gesetzesvorschlag geht es nicht um Formalismus. Wir müssen unser aller Engagement erhöhen und das Thema in den Behörden bewerben.“ In Zukunft sollen Stellenausschreibungen gezielt Menschen mit Migrationsgeschichte ansprechen, Bildgestaltung und Sprachen sollen entsprechend verständlich, offen und vielfältig sein, außerdem soll darauf hingewiesen werden, dass Bewerbungen von Personen mit Migrationsgeschichte ausdrücklich erwünscht sind. Überdies soll transparent dokumentiert werden, warum welche Personalentscheidung getroffen worden ist.
Synnöve Nüchter vom „dbb beamtenbund und tarifunion“ plädiert für anonymisierte Bewerbungs- und Einstellungsverfahren, denn bislang gehe die Chancengleichheit häufig in den Bewerbungsprozessen verloren. Die Diversity-Kompetenzen der aktuellen Führungskräfte müssten gefördert werden, damit die Auswahlprozesse künftig unvoreingenommen ablaufen können. Zugleich weist sie daraufhin, dass viele Plätze, vor allem in den Führungspositionen, aktuell noch von ihrer Generation besetzt seien und sich damit Veränderungen erst im längeren Zeitverlauf deutlich abzeichnen. „Wir können nur über Nachwuchs und über Einstellungsverfahren Vielfalt besser abbilden“, fasst sie die Situation zusammen. Tatsächlich wird deutschlandweit bis 2036 mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung in den Ruhestand gehen, wie auch eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von Ende 2019 aufgezeigt hat.
Der in vielen Arbeitsbereichen bestehende Fachkräftemangel wird sich dadurch perspektivisch noch einmal deutlich verschärfen. Das Zeitfenster für mehr Vielfalt in der öffentlichen Verwaltung ist also geöffnet – in Berlin könnte es Dank des neuen Gesetzes bald schon genutzt werden. Der Erfolg des Gesetzes, ist sich Andreas Geisel sicher, wird sich nicht nach dessen Beschluss, „sondern auf der Strecke und im Mentalitätswandel“ zeigen.
Über den Autor
Christoph Söller hat eine Ausbildung zum Industriekaufmann gemacht und die Fächer Geschichte, Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg studiert. Im Oktober 2019 begann er den Master in Geschichte an der Universität Heidelberg.
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