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Die europäische Migrationspolitik kommt nicht voran. Kommunen könnten den Stillstand durchbrechen, wenn man sie lässt, so Gesine Schwan und Malisa Zobel.
Städte und Kommunen sind nicht nur zentrale Akteure, wenn es um die Gewährung von Schutz, Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt geht, sie sind auch Zentren für Wirtschaft und Entwicklung. Gleichzeitig müssen sie für die Auswirkungen transnationaler Herausforderungen vor Ort wirksame Lösungsansätze finden und tragen damit einen wichtigen Teil zu globalen Problemlösungen bei. Dies gilt aktuell bei den Auswirkungen der globalen COVID-19-Pandemie genauso wie noch vor einigen Jahren, als insbesondere die Städte und Kommunen vor Ort verstärkt Schutzsuchende aufgenommen, versorgt und integriert haben. Um zufriedenstellende und gerechte Lösungen für diese komplexen Herausforderungen auf lokaler Ebene zu finden, reichen kurzfristige ad-hoc Strategien nicht aus. Stattdessen braucht es eine gemeinsame, partizipative Gestaltung von Integration und kommunaler Entwicklung, um diese nachhaltig, demokratisch und effektiv zu gestalten.
Das Ziel der Kommunalen Integrations- und Entwicklungsinitiative ist die Förderung einer dezentralen EU-Flüchtlings- und Entwicklungspolitik. Dies soll durch einen Europäischen Fonds zur Unterstützung der Städte und Gemeinden, ein Matching-Verfahren von Städten und Geflüchteten, Kommunale Entwicklungsbeiräte und eine Vernetzung Europäischer Städte und Gemeinden geschehen.
Europa sollte die freiwillige Aufnahme von Geflüchteten durch Städte und Gemeinden mit einer Investitionsinitiative stärken. Durch zusätzliche Mittel soll den Kommunen dadurch mehr Gestaltungsspielraum ermöglicht werden. Denjenigen Kommunen, die zur Aufnahme bereit sind, sollten die Kosten der Aufnahme und Integration direkt aus einem EU-Fonds erstattet werden. Als zusätzlichen Anreiz darüber hinaus sollten sie Mittel in gleicher Höhe für die eigene kommunale Entwicklung erhalten. Die Kommunen, welche mehr Verantwortung übernehmen, hätten somit die finanziellen Mittel dafür. Zudem würden die Städte und Gemeinden nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell eine Wiederbelebung erfahren, da z.B. Mittel für Kulturprojekte zur Verfügung stünden. In vielen europäischen Regionen, aus denen die Menschen abwandern, würde somit außerdem eine positive Dynamik auslöst werden. Sobald einige Städte mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass die gesamte Gemeinde – also Einheimische und Neuankommende – profitiert, ziehen andere Städte eher nach, oder üben Druck auf Ihre Regierung aus, ihnen auch eine Aufnahme und damit Zugang zu EU-Mitteln zu ermöglichen. Anstatt Angst vor dem Verlust von nationalstaatlicher Souveränität und Kompetenz zu haben, könnten die Mitgliedstaaten das freiwillige Angebot der Städte und Gemeinden als möglichen Weg aus der Reformblockade annehmen. Wichtig ist dabei auch, dass gleichzeitig Mittel für die personelle Unterstützung der Gemeindeverwaltung vorgesehen werden, damit die Gemeinden sich überhaupt erst an einer solchen Bewerbung um EU-Fonds-Mittel beteiligen können.
Bei einer freiwilligen Ansiedlung in aufnahmewilligen Kommunen könnten durch ein Matching-Verfahren sowohl die Interessen der Kommunen als auch der Geflüchteten respektiert und fruchtbar zusammengebracht werden. Städte könnten sich bei potenziellen neuankommenden Geflüchteten mit ihren Bedarfen und Angeboten auf einer Plattform vorstellen. Geflüchtete wissen oft nicht, was sie in den aufnehmenden Gemeinden erwartet. Das betrifft sowohl konkrete Bedürfnisse wie Wohnraum, Arbeitsmöglichkeiten und Kinderbetreuung, als auch allgemeinere Faktoren wie die Größe der Stadt, die umgebende Landschaft und die Infrastruktur einer Stadt. Um sich willkommen zu fühlen, sind aber vor allem die Menschen wichtig, die die Neuankommenden in ihre Stadt aufnehmen. Eine „Matching- Plattform“ bietet zivilgesellschaftlichen Initiativen die Möglichkeit direkt mit den Geflüchteten in Kontakt zu treten. Zudem hilft eine solche Plattform die Erwartungen beider Seiten – der Stadt und der Geflüchteten – zu konkretisieren und zu kommunizieren.
Um die freiwillige Aufnahme von Geflüchteten nachhaltig zu organisieren und auf eine breite Basis zu stellen, sollten in den Kommunen Entwicklungsbeiräte aus politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Repräsentant*innen gebildet werden, die die Ausrichtung und Ausgestaltung der zukünftigen Politik beraten und deren Umsetzung vorbereiten. Hier ist der Ort, sich gemeinsam Gedanken über die demographische Entwicklung der Kommune zu machen: über Bedarfe und mögliche Angebote in der Wirtschaft und in Bezug auf Arbeitskräfte und deren Ausbildung, über den Ausbau der dazu nötigen Infrastruktur, über Bildung und Weiterbildung, über Angebote an Wohnraum, über Perspektiven der kulturellen Weiterentwicklung und der sozialen Integration aller Bürgerinnen und Bürger des Ortes. Denn Integration ist in einer pluralistischen demokratischen Gesellschaft grundsätzlich eine dauernde allgemein-gesellschaftliche Herausforderung und Aufgabe, nicht nur im Zusammenhang mit Geflüchteten, sondern auch im Hinblick auf alle, aus welchen Gründen auch immer, marginalisierten Personen, wie beispielsweise von Armut betroffenen Personen.
Gemeinden können sich aufgrund ihrer demografischen, aber auch wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung dafür entscheiden, Geflüchtete aufzunehmen. Einen zusätzlichen Anreiz dafür erhalten sie, wenn sie die Kosten der diesbezüglichen Integration von einem europäischen Integrations- und Entwicklungsfonds erstattet bekommen und zusätzlich in derselben Höhe finanzielle Mittel zur eigenen Entwicklung erhalten.
Und schließlich ist auch die Vernetzung Europäischer Städte und Gemeinden untereinander unabdingbar. Bereits jetzt existieren zahlreiche Städtenetzwerke und kommunale Vertreter*innen verlangen selbstbewusst mehr Mitspracherecht. Zugleich fordert die Zivilgesellschaft der Städte und Gemeinden in Europa, sich stärker für die Rechte von Geflüchteten einzusetzen. Daher soll die Kommunale Integrations- und Entwicklungsinitiative auch als Plattform den Austausch und die Vernetzung kommunaler Akteure beleben und fördern.
Europa braucht dringend eine mittel- und langfristige Strategie, die die Aufnahme von Schutzsuchenden nicht als Bedrohung versteht, sondern Grundrechte schützt. Ein dezentraler und partizipativer Ansatz vernetzter Kommunen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik könnte der EU den Anstoß zu einem positiven Neubeginn geben, indem die Aufnahme von Geflüchteten nicht als Belastung empfunden wird, sondern ihre Integration als Impuls für eine nachhaltige Entwicklung genutzt wird.
Gemeinsam könnten Städte und Kommunen als Europäische Akteure somit nicht nur für demokratische und nachhaltige Strategien zur Aufnahme von Schutzsuchenden und kommunaler Entwicklung eintreten, sondern mit ihrem Handeln ein klares Zeichen Europäischer Solidarität setzen.Über die Autorinnen
Prof. Dr. Gesine Schwan
ist Politikwissenschaftlerin, war Professorin und Dekanin für Politikwissenschaft an der FU Berlin und Präsidentin der Europa-Universität Viadrina. Sie ist Mitbegründerin und Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Platform.
Dr. Malisa Zobel
ist Politikwissenschaftlerin und Leiterin der Kommunalen Integrations- und Entwicklungsinitiative (MIDI) der Humboldt-Viadrina Governance Platfrom. Sie engagiert sich im „From the Sea to the City“ Netzwerk und koordiniert das Projekt „Europäische Flüchtlingsintegration als kommunale Entwicklung“.
Am 22. April werden beide von 15:00 – 16:30 Uhr bei der vom FES Büro in Brüssel organisierten Veranstaltung „The European Integration and Development Fund – A progressive approach towards European solidarity“ diskutieren. Die Veranstaltung findet auf Englisch statt.
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