FES: Gemeinsam mit Ihrer Kollegin Isabelle Wiedemeier haben Sie die Initiative entwickelt, zwölf Podcastfolgen mit Migrant_innen zu erstellen, die ihre Geschichte des Einlebens in Deutschland erzählen. Was hat Sie beide zu diesem Projekt motiviert und was möchten Sie damit erreichen?
Johanna Bender: Isabelle und ich arbeiten als Dozent_innen in Integrationskursen mit Menschen aus allen Teilen der Welt. Um das Ziel des Kurses zu erreichen und die Motivation der Teilnehmenden sowie deren Austausch zu fördern, arbeiten wir mit Alltagsthemen und beschäftigen uns mit ihren persönlichen Erlebnissen und ihrer Lebenswelt. Oft bekommen wir tiefe Einblicke in die Familien, Interessen, die Situation in den Heimatländern, sowie die Probleme beim Ankommen in Deutschland und die strukturellen Herausforderungen, die durch Migration entstehen. So begegnen wir täglich einer Vielfalt an interessanten Geschichten und Realitäten, von denen wir viel lernen können. Doch vielen Leuten in den Kursen fehlen die Kontakte zu Muttersprachler_innen, während den Nicht-Zugewanderten der Kontakt zu diesen tollen und lehrreichen Geschichten und Informationen oft verborgen bleibt. Das Potential für einen interkulturellen Austauschs, den wir uns für unsere Gesellschaft wünschen, wird damit nicht ausgeschöpft.
Wir wollen das ändern und denen eine Stimmen geben, die von der deutschen Mehrheitsbevölkerung nicht so oft gehört werden. Auch wollen wir damit ein Bild der Vielfalt in Deutschland zeigen. Dabei ist es uns wichtig, die Geschichten im Sinne der Gesprächspartner_innen zu erzählen, ihnen mit offenem Ohr zu begegnen, Fragen zu stellen und uns einzulassen. Darüber hinaus glauben wir, dass jede persönliche Geschichte immer mit gesellschaftlichen und politischen Ereignissen verbunden ist und jede Entscheidung durch Sozialisation und Lebensbedingungen geprägt ist. Deshalb ist es uns in unserem Projekt wichtig, die Geschichten, in einem größeren Rahmen zu verstehen. Wir bieten daher auf unserer Projektwebseite zu jedem Gespräch Hintergrundmaterial, welches dabei helfen soll, die persönliche Geschichte im Zusammenhang zu begreifen.
Im besten Fall empowern wie unsere Gesprächspartner_innen als Stellvertreter_innen migrantischer Perspektiven und zeigen, dass ihre Stimme wichtig ist. Nicht-Migranten_innen mit wenig Kontakt zu Eingewanderten hoffen wir durch unseren Podcast zu ermutigen, Hemmnisse abzubauen und sich anderen Perspektiven zu öffnen. Vielleicht können wir so dazu beitragen, dass öfter vorurteilsfrei miteinander gesprochen wird und Unterschiedlichkeiten im positiven Sinne „ausgehalten“ werden.
Das Thema Sprache, konkret der Erwerb von Deutschsprachkenntnissen, ist eines der zentralen Themen in den Podcasts. Als Lehrerinnen für Deutsch als Fremdsprache haben Sie fachliche Expertise und berufliche Erfahrung in dieser Thematik. Vor diesem Hintergrund: Welchen Stellenwert nimmt dieses Thema im Prozess des Einlebens und Heimischwerdens für Migrant_innen ein?
Sprache ist ein Schlüssel, darüber sind sich unsere Gesprächspartner_innen und wir einig. Natürlich bemerken wir als Dozent_innen, dass ein Zuwachs an sprachlicher Kompetenz das Selbstvertrauen und die Eigenständigkeit fördert, sowie Möglichkeitsräume erweitert. Doch dieses Thema ist sehr komplex. So unterschiedlich die Personen in den Kursen, so unterschiedlich sind die Zugänge zur Sprache und die Motivation diese zu lernen. Sie hängen von so unterschiedlichen Faktoren wie Alter, familiärer Situation, Leidensdruck, Gesundheit, Bildungserfahrung oder Bleibeperspektive ab. Der Großteil der Teilnehmenden in unseren Kursen empfindet es als notwendig und wichtig Deutsch zu lernen, während andere in der globalisierten Welt auch mit Englisch gut zurechtkommen, ihre familiären Aufgaben priorisieren oder mit Kontakten innerhalb ihrer Herkunftskultur zufrieden sind. Was bedeutet also Heimischwerden im Einzelfall? Dazu müsste man die Betroffenen befragen. Strukturell und im Sinne einer gelungenen Integration gedacht, sind es Aspekte wie gute Beschäftigungsaussichten, Sicherheit, hohe Bleibeperspektive, adäquate Unterstützungsangebote und soziale Kontakte, welche das Einleben begünstigen. Dabei ist Sprache ein Vehikel und ein wichtiger Baustein.
Welche Handlungsbedarfe beim Deutscherwerb für Migrant_innen sehen Sie derzeit in Deutschland?
Sprache kann nicht losgelöst betrachtet werden. Sprache wird durch Kommunikation lebendig und Kommunikation nährt sich vom Austausch. Diese Lebendigkeit wünschen wir uns auch für die Sprachkurse, z.B. durch Einbeziehung von Akteur_innen im Stadtteil oder potentiellen Arbeitgeber_innen oder durch projektorientiertes Sprachenlernen, welches Sprache und Handeln noch mehr verknüpft und Ergebnisse erschafft, die auch außerhalb des Kursraumes sichtbar und wahrnehmbar sind. Das wäre dann Sprachenlernen zum Anfassen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der Europäische Sozial Fonds (ESF) fördern bereits eine Reihe alternativer Kursformate, von Frauenkursen über Jugendintegrationskurse, Kurse für Mediziner_innen oder Kurse mit beruflicher Ausrichtung, welche verschiedenen Zielgruppen und Bedürfnissen gerecht zu werden versuchen. Das ist von der Idee her gut, jedoch noch nicht überall zu Ende gedacht. Ein Austausch mit Dozent_innen wäre daher wünschenswert und könnte zur Optimierung beitragen.
Bedarf sehen wir in Integrationskursen mit Alphabetisierung, wo wir uns eine grundlegende Veränderung der Prüfungen wünschen und eine Rückkehr zu kleineren Gruppen. Des Weiteren finden wir, dass Familie als Potential noch nicht erkannt wurde, also der systemische Blick fehlt. Wir wünschen uns beispielsweise eine Beschäftigung mit der Frage, wie das Potential der Kinder beim Spracherwerb der Eltern genutzt werden kann. Wir wünschen uns dringend eine Weiterentwicklung im Bereich Digitalisierung und dabei vor allem von öffentlichen Institutionen eine Vorreiter_innenfunktion und natürlich eine Verbesserung der technischen Ausstattung der Schulen. Dazu müsste den Schulen mehr Geld zur Verfügung gestellt werden. Nicht zuletzt auch um endlich sichere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung und regelmäßige Weiterbildungen für die Dozent_innen zu garantieren.
Die Podcasts lassen zwölf Leben konkret und plastisch werden. Was wünschen Sie sich für Ihr Projekt und wie werden Sie mit diesen Podcasts weiterarbeiten?
Wir wünschen uns, dass wir einen Beitrag zu mehr Offenheit und Verständnis leisten können.
Wir wünschen uns eine Beschäftigung mit der Frage, was Menschen ohne Migrationserfahrung zum Integrationsprozess beitragen können.
Wir wünschen uns ein Voneinander-Lernen. Und wir verstehen unseren Podcast als Einladung miteinander in Gespräch zu kommen und einander fragend zu begegnen, statt urteilend.
Wir wünschen uns, dass migrantische Perspektiven lauter und präsenter werden.
Wir wünschen uns mehr Wertschätzung unserer dozierenden und begleitenden Arbeit.
Und natürlich wünschen wir uns eine Fortsetzung der Arbeit am Podcast oder ähnlicher Projekte, für die wir genug Ideen und Tatendrang haben, es aber noch an der Finanzierung mangelt.