Was sind die wichtigsten landespolitischen Baustellen der Migrations- und Integrationspolitik? Worin bestehen im Alltag Hürden für die Teilhabe von Menschen mit Einwanderungsgeschichte und deren Nachkommen am politischen und gesellschaftlichen Leben? Welche umsetzbaren Maßnahmen könnten die Situation verbessern? Antworten auf diese Fragen haben rund 20 Expert_innen der schleswig-holsteinischen Zivilgesellschaft in vier Fachgesprächen erarbeitet, aus denen die Friedrich-Ebert-Stiftung Impulse für die Migrations- und Integrationspolitik in Schleswig-Holstein erarbeitet hat. Diese Vorschläge basieren auf den Praxiserfahrungen der Expert_innen und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Flüchtlingspolitik
Die Pandemie hat viele Fortschritte in den Teilhabebereichen Bildung, Arbeit, Gesundheit gefährdet und strukturelle Benachteiligungen verdeutlicht. Bei Geflüchteten ist hier insbesondere die Unterbringung in Sammelunterkünften erneut in den Blick geraten. Neben dem Mangel an Möglichkeiten, Hygieneschutzmaßnahmen einzuhalten, kam es zu einer erhöhten Isolation durch SocialDistancing und fehlender Internetanbindung. Hier braucht es neben technischer Verbesserung eine krisensichere Implementierung von Schutzkonzepten inklusive eines transparenten Beschwerdemanagements, Schulungen von Mitarbeiter_innen zum Erkennen besonderer Belastungen sowie zu Gewaltschutz, Diversität und interkultureller Kompetenz. Insgesamt sollten dezentrale Unterbringungen gefördert werden.
Der Expert_innenkreis empfiehlt zudem, dass Integrations- und Sprachkurse für Geflüchtete und Migrant_innen durch eine kostendeckende (und nicht pauschale) Fahrtkostenerstattung und durch qualitative und flexible Kinderbetreuungsangebote verbessert werden. Statt Parallelkurse anzubieten, sollte das Land zusätzliche Plätze in Sprach- und Integrationskursen des Bundes für Personen finanzieren, die derzeit keinen Zugang dazu haben. Des Weiteren sollten Beratungsangebote (Verfahrens-, Sozial- und Rechtsberatung) mehrsprachig und behördenunabhängig sein und in eine Regelfinanzierung übergehen. Denn eine gute aufenthaltsrechtsspezifische Beratung Geflüchteter ist geeignet, Fehleinschätzungen und -verhalten abzuhelfen und spätere Verwaltungs- und Verfahrenskosten zu vermeiden.
Die Aufnahme politisch Verfolgter und vor Krieg fliehender Menschen ist eine grund- und völkerrechtliche Verpflichtung. Der Expert_innenkreis spricht sich dafür aus, dass insbesondere Familienzusammenführungen wieder aufgenommen und pandemiebedingte Botschaftsschließungen oder Gehaltsausfälle diese nicht verhindern. Landesaufnahmeprogramme könnten zusätzlich Menschen aus Lagern an den europäischen Außengrenzen aufnehmen. Auch der sogenannte „Spurwechsel“ sollte eingeführt werden, der für Geflüchtete und Geduldete im Falle von einer begonnenen Ausbildung oder einem bestehenden Arbeitsverhältnis den Wechsel von Asylverfahren in Arbeitsmigration ermöglicht. Schließlich spricht sich der Kreis für eine Schließung des Abschiebegefängnisses in Glückstadt aus.
Zugang zu Bildung
Der Expert_innenkreis empfiehlt ein Recht auf einen Schulabschluss für alle zu schaffen. Da eine Berufsbiografie ohne Schulabschluss nahezu unmöglich ist, wäre dies im gesamtgesellschaftlichen und zugleich im volkswirtschaftlichen Interesse. Hierzu zählen auch spezifische Förderungsangebote wie beispielsweise in den MINT Fächern, eine strukturelle Unterstützung bei der Ausbildungsaufnahme und der Ausbau von Einstiegsprogrammen für zukünftige Fachkräfte.
Gerade in Bildungseinrichtungen müssen Diversität sowie Antidiskriminierungsmaßnahmen ausgebaut werden. Dazu zählen unter anderem Schulungen aber auch vermehrte Einstellungen von Lehrer_innen mit Migrationshintergrund, beispielsweise durch eine Vereinfachung der Anerkennung und Nachqualifizierung von ausländischen Lehrkräften.
Zugang zu Arbeit
Die Covid-19-Pandemie hat verdeutlicht, dass Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte vielfach in Berufen, die keine Heimarbeit erlauben, sowie in systemrelevanten Berufen tätig sind.