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Thomas Greven

Nach dem Coup d’État: Hoffnungen und Herausforderungen in Mali

In Mali hat eine Übergangsregierung die Arbeit aufgenommen. Zur Bewertung der Lage hat Christian Klatt eine Perspektive verfasst.

Mit einer militärisch geprägten Übergangsregierung nach dem Putsch vom August 2020 steht Mali – wieder einmal – am Scheideweg. Die Hoffnungen sind groß, doch die Herausforderungen sind noch größer: Bewaffnete Konflikte im Norden und im Zentrum sowie Druck auf einen inklusiven Prozess für innenpolitische Reformen. Einfache Lösungen gibt es weder innenpolitisch noch für das internationale Engagement. Gebraucht werden: Zeit und politischer Wille.

Die „Ruecratie“ und der Militärputsch

Seit Mitte des Jahres 2020 waren viele Menschen in Bamako gegen die Regierung von Präsident Ibrahim Boubacar Keïta (genannt IBK) auf die Straße gegangen und hatten seinen Rücktritt gefordert. Mitte Juli war es nach einer der Massenkundgebungen zunächst zu Akten des „zivilen Ungehorsams“ durch die Protestierenden gekommen – in Form von gezielten Aktionen bei der Nationalversammlung, dem Flughafen und dem staatlichen Fernsehsender ORTM – und später zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit malischen Sicherheitskräften, bei denen mindestens elf Menschen ihr Leben verloren. Die Demonstrationen des von Imam Mahmoud Dicko angeführten Bündnisses „Bewegung des 5. Juni – Vereinigung der patriotischen Kräfte“ (Mouvement du 5 Juin 2020 – Rassemblement des forces patriotiques, M5RFP) waren ein Ausdruck der großen Unzufriedenheit mit der Regierung und vor allem mit IBK.

Am 18. August 2020 kam es in der malischen Hauptstadt Bamako dann zu einem Militärputsch, nach 1968, 1991 und 2012 dem vierten in den 60 Jahren seit Malis Unabhängigkeit von Frankreich. Als Begründung für den Putsch führten Assimi Goïta, Kommandeur einer mit internationaler Hilfe ausgebildeten Sondereinheit, und das von ihm geführte nationale Komitee zur Rettung des Volkes (Comité national pour le salut du peuple, CNSP) die Untragbarkeit der Regierung von IBK an, brachten ihre Handlungen jedoch nie in einen direkten Zusammenhang zur zivilgesellschaftlichen Bewegung von M5RFP. Wenn es auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass es im Vorfeld des Putsches zu Absprachen kam, so hat sich dies bisher nicht in einem gemeinsamen Vorgehen manifestiert. Seit dem Putsch ist es im Gegenteil zu deutlichen Brüchen zwischen CNSP und M5RFP gekommen.

Fragwürdige Legitimität, aber kein einfacher Weg zurück zur Demokratie

Viele nationale und selbst einige internationale Kommentator_innen gewinnen dem Putsch etwas Gutes ab. Für sie stellt der Bruch mit dem System IBK einen Akt der Mündigkeit der malischen Bevölkerung gegenüber aus Europa gesteuerten Eliten dar. Dennoch: Das CNSP mochte die moralische Autorität für sich beanspruchen, stand dabei aber sprichwörtlich auf dünnem Eis. IBK war erst 2018 erneut ins Amt gewählt worden, in Wahlen, die von der internationalen Gemeinschaft als größtenteils fair eingeschätzt wurden. Weder strebte er zum Zeitpunkt des Putsches eine verfassungswidrige dritte Amtszeit an, noch verstieß er nachweislich gegen geltende malische Gesetze. So angebracht die Vorwürfe bezüglich des politischen Nichthandelns, der fehlenden Lösung der Sicherheitskrise sowie hinsichtlich Korruption und Nepotismus sein mögen, verlangten diese Verfehlungen eine demokratische und/oder gegebenenfalls eine juristische Lösung. Politische Inkompetenz ist kein legitimer Grund für einen Coup d’État – in Demokratien dienen Wahlen zur Ablösung von Regierungen, mit denen die Bürger_innen nicht länger zufrieden sind.

Um die notwendigen Veränderungen anzustoßen und den hohen Erwartungen gerecht zu werden, braucht die Übergangsregierung um Präsident Bah N’Daou und Vizepräsident Assimi Goïta Zeit und vor allem den Willen, Reformen anzugehen. Jedoch wird die geplante Übergangszeit von 18 Monaten trotz eines zivilen Präsidenten einen deutlich militärischen Charakter haben, weil Putschisten und andere Militärs die Schlüsselministerien besetzen.

Für den notwendigen Übergang zu einer demokratisch legitimierten Ordnung sollte dabei weniger der Prozess von 2012 als der von 1991 als Vorbild dienen. Nach dem Sturz des diktatorischen Regimes von Moussa Traoré setze ein längerer Dialogprozess ein, der von vielen als beispielhaft für einen funktionierenden Transitionsprozess gesehen wurde und der Mali für lange Zeit als Musterland gelten ließ. Entscheidend für die Reformen ist es, den Prozess wie damals so inklusiv wie möglich zu gestalten. Dies bedeutet, dass alle Teile des Landes und möglichst viele Gruppen, insbesondere aus dem Norden, an Entscheidungen beteiligt werden müssen.

Das internationale Engagement neu denken!

Auch unter Malis internationalen Partnern war die Unzufriedenheit mit der Regierung von IBK und dem malischen Establishment in den letzten Jahren größer geworden. Doch wenn dessen Absetzung auch für das internationale Engagement im Land ein Wendepunkt sein kann, gibt es für eine Neuausrichtung keine einfachen Lösungen. Wer jetzt von einem Abzug ausländischer Truppen und dem Stopp der Ausbildungs- und Ertüchtigungsprogramme spricht, verkennt die Sicherheitslage im Land. Kurz- und mittelfristig ist die Präsenz ausländischer Einsatzkräfte in Mali ein essenzieller Bestandteil der Sicherheitsarchitektur des Landes. Selbst auf lange Sicht muss die Frage gestellt werden, ob Mali in der bestehenden Situation den Schutz seines Staatsgebietes alleine übernehmen kann. Die Größe des Landes, fehlende finanzielle Ressourcen und die Kampfunwilligkeit und -unfähigkeit der malischen Streitkräfte und Sicherheitsorgane bieten zum jetzigen Zeitpunkt ein ernüchterndes Bild.

Für die internationalen Akteure muss der Putsch als Weckruf gesehen werden, um das Engagement in Mali zu überdenken. Es hat sich gezeigt, dass der reine Fokus auf Sicherheitspolitik bei der nachhaltigen Stabilisierung des Landes nicht erfolgreich ist. Nun gilt es, die eigenen Strategien zu überdenken und umfassendere Ansätze zu finden. Die Koordinierung unter Partnern und mit Mali ist dabei ebenso wichtig wie klare Strategien.

Klatt, Christian

Nach dem Coup d'État

Hoffnungen und Herausforderungen in Mali
Berlin, 2020

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Dr. Thomas Greven
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