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Dr. Dina Esfandiary von der International Crisis Group erklärt im Interview das ambivalente Verhältnis zwischen China und den Ländern des Nahen Ostens. Diese nehmen Chinas als unzuverlässigen, aber wichtigen Partner wahr. Ausgehend von dieser Beobachtung skizziert Esfandiary die unterschiedlichen Ansätze der Staaten der Region und unterstreicht Chinas wachsende Bedeutung.
Das Interview steht hier auch im englischen Original zur Verfügung. Die Fragen stellte Hanna Voß.
Von einem guten Verhältnis kann keine Rede sein. Chinas Engagement in der Region war unbeständig und von Eigeninteresse geprägt, daher gilt es nicht als verlässlicher Partner. Aber, es gilt trotzdem als wichtiger Partner.
Die Länder der Region, auch der Iran, nahmen China bisher selbst in wirtschaftlicher Hinsicht als unzuverlässig wahr: Geschäfte und Investitionen kamen nicht zustande, und bis Projekte zu Ende gebracht wurden, dauerte es zu lange – oder sie wurden überhaupt nicht zu Ende gebracht. Iraner_innen mögen chinesische Produkte nicht, weil sie sie für minderwertig halten. Dennoch beteiligt sich eine beträchtliche Anzahl der Staaten des Nahen Ostens an Chinas „One Belt One Road“ Initiative (OBOR), in deren Rahmen chinesische Banken und Unternehmen weltweit Infrastruktur wie Straßen, Kraftwerke, Häfen, Eisenbahnen, 5G-Mobilfunknetze und Glasfaserkabel-Systeme finanzieren und bauen. Zu diesen Ländern gehören auch der Iran und die arabischen Golfstaaten, die sich damit brüsten, die „Schnalle des Gürtels“ zu sein. China ist ein energiehungriges wirtschaftliches Kraftzentrum, und das macht es zu einem wichtigen Handelspartner für die Region.
China ist außerdem ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat mit Vetorecht und für die Länder des Nahen Ostens somit ein ernst zu nehmendes globales Schwergewicht. Man hat den Eindruck, dass die USA der Region derzeit den Rücken kehren, und will deshalb seine Partnerschaften und Beziehungen diversifizieren. China hat zudem ein alternatives Regierungsmodell zu bieten: eines, das durch wirtschaftliche Liberalisierung eine bedeutende wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht, ohne dabei die politische Kontrolle aufgeben zu müssen. Ein Regierungsmodell mit einem anderen Blick auf die Welt – nicht an westliche Werte gebunden und darauf gepolt, sich aus den inneren Angelegenheiten anderer Staaten herauszuhalten. Das kommt den Ländern des Nahen Ostens entgegen.
Die arabischen Golfstaaten beispielsweise gehen aktiv auf Länder wie China zu und pflegen seit einigen Jahren intensive und vielschichtige Beziehungen zu diesem Land, teilweise auch um die Auswirkungen des gefühlten Rückzugs der USA aus dem Nahen Osten zu kompensieren. Auch wenn China in ihren Augen kein Ersatz für die USA ist, bleibt es doch ein wichtiger politischer und sicherheitspolitischer Akteur, den sie stärker in ihrer Region einbinden wollen. Den Anfang machten zunächst bilaterale Geschäfte im militärischen und sicherheitspolitischen Bereich, wie der Kauf chinesischer Wing-Loong-Drohnen durch die VAE, die im Jemenkonflikt eingesetzt wurden. Heute hat sich dies dahingehend weiterentwickelt, dass Riad Peking um Vermittlung bittet, wie wir es bei der iranisch-saudi-arabischen Übereinkunft vom 10. März 2023 gesehen haben. Riad hofft, dass China deren Umsetzung überwachen und mit der Zeit ein Interesse an der Sicherheit in der Region entwickeln wird.
Für den Iran war China in einer Zeit, in der die internationale Gemeinschaft das Land durch Sanktionen zu isolieren versuchte, ein entscheidender Partner, nicht zuletzt, weil China seine Missbilligung von Sanktionen teilte wie auch seine Ansicht, dass die USA mit ihrem Rückzug aus dem Atomabkommen im Unrecht waren.
Aufgrund der internationalen Bemühungen, die Islamische Republik Iran zu isolieren, war sie besonders daran interessiert, Beziehungen zu Ländern wie China aufzubauen. Obwohl der Iran und China einander nach wie vor misstrauen und nicht besonders gern zusammenarbeiten, war China für den Iran ein Rettungsanker, als nur wenige andere bereit waren, ihm zu helfen. Doch die Beziehungen waren einerseits schwierig und unbeständig, andererseits pragmatisch und kleinteilig, das heißt, in Bereichen, in denen sich die Interessen überschneiden, kooperiert man, und wo dies nicht der Fall ist, ignoriert man sich.
Als US-Präsident Trump 2018 aus dem Atomabkommen ausstieg, war klar, dass der Iran nicht in der Lage sein würde, sich durch Beziehungen zu westlichen Mächten aus der Isolation zu befreien. Infolgedessen richtete Teheran seine Aufmerksamkeit erneut nach Osten, auf China, das es seit der Unterzeichnung des Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplans (JCPoA) 2015 mehrere Jahre lang etwas vernachlässigt hatte, um seine Beziehungen insbesondere zu Europa zu intensivieren.
Inzwischen haben die beiden Länder ein Kooperationsabkommen über 25 Jahre unterzeichnet, das eine verstärkte Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen vorsieht, von der Wirtschaft über die Politik bis hin zu Militär und Sicherheit. Auch wenn der Iran angesichts des Überfalls auf die Ukraine seine Beziehungen zu Russland ausbaut, wird er sein Interesse an China nicht aus den Augen verlieren und sich weiterhin um chinesische Investitionen und Handel bemühen, um seine wirtschaftlichen Probleme zu überwinden.
Auch Saudi-Arabien blickt nach Osten und war darauf erpicht, Beziehungen zu China aufzubauen. Saudi-Arabien hat genau wie andere arabische Golfstaaten sein Verhältnis zu den Chinesen ganz gezielt gepflegt – im Gegensatz zu den Iranern, die eher sporadisch waren. Die chinesisch-saudi-arabischen Beziehungen wurden in den Neunzigerjahren aufgenommen und wurden desto intensiver, je mehr Energie China für seine wachsende Wirtschaft benötigte. Hinzu kommt, dass die chinesischen Energieimporte und Exporte zwei Nadelöhre in der Golfregion passieren: Fast die Hälfte der von China importierten Öl- und Gasmengen wird durch die Straße von Hormus transportiert, während ein Fünftel der chinesischen Exporte in den Nahen Osten, nach Nordafrika und Europa durch den Bab al-Mandab [Meerenge zwischen Rotem Meer und dem Golf von Aden] geleitet wird. Die arabischen Golfstaaten sind für China also wichtig und China ist insbesondere als energiehungriger Riese von essenzieller Bedeutung für sie.
Keineswegs. Da in den Golfstaaten der Bedarf an Konsumgütern für die florierende Mittelschicht gewachsen ist, sind auch die chinesischen Exporte dorthin exponentiell angestiegen. In jüngster Zeit sind die arabischen Golfstaaten bestrebt, China politisch stärker in der Region einzubinden. Nach dem gefühlten Rückzug der USA aus dem Nahen Osten suchen sie nach alternativen ausländischen Mächten mit Einfluss, die ein Interesse an der Sicherheit in der Region haben. Auch wenn Peking sich in der Vergangenheit dagegen gesträubt hat, könnte es sein, dass es aufgrund seiner bedeutenden ökonomischen Interessen in der Region unweigerlich in die Politik hineingezogen wird. In jüngster Zeit hat Chinas überraschende Vermittlerrolle bei der iranisch-saudi-arabischen Übereinkunft vom März 2023 gezeigt, dass Peking offenbar darauf aus ist, sein Vermittlungspotenzial in der Region auszuloten.
Die USA sind der wichtigste Sicherheitsgarant für die arabischen Golfstaaten. Daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern, auch wenn sich der Charakter der gegenseitigen Beziehungen bereits wandelt. Die führenden Politiker der arabischen Golfstaaten würden die USA gern als ihren wichtigsten Sicherheitsgaranten beibehalten, wollen aber nicht länger gezwungen sein, sich den Forderungen und Interessen der USA zu beugen und ihre eigenen Interessen hintanzustellen.
Heute sind sie selbstbewusster und verfolgen außenpolitische Ziele, die sich nicht unbedingt mit denen der USA und ihrer Verbündeten decken. Das macht die Beziehungen schwieriger und ist eine neue Realität, auf die sich alle Beteiligten einstellen müssen. In Verbindung mit der Wahrnehmung der USA als unzuverlässig, weil sie sich aus der Region zurückziehen und weniger an ihrer Sicherheit interessiert sind, hat dies die arabischen Golfstaaten ermutigt, anderswo nach Partnern Ausschau zu halten.
Die arabischen Staaten und andere in der Region betrachten China als weitere Großmacht mit bedeutendem Potenzial und realer Wirtschaftsmacht. Besonders attraktiv ist für sie, dass China eine Alternative zu den USA bietet, ohne dass die Partnerschaft mit westlichen Werten wie den Menschenrechten oder der Einmischung in innere Angelegenheiten einhergeht. Letzteres lehnt Peking konsequent ab, was China zusätzliche Glaubwürdigkeit und Einfluss in der Region verleiht.
Das ist sehr unwahrscheinlich, da sich Peking prinzipiell nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischt und im Gegenzug dasselbe erwartet.
Man kann insofern nicht von einem Wendepunkt sprechen, als die USA der wichtigste Sicherheitsgarant im Nahen Osten bleiben – jedenfalls bisher, und die Länder der Region wünschen sich, dass das auf absehbare Zeit auch so bleibt. Aber sie wollen nicht länger nur mit diesem einen Staat verhandeln, sie wollen ihre Partnerschaften und Beziehungen diversifizieren, und hier kommt China ins Spiel. Daran wird sich nichts ändern. Chinas Bedeutung für die Region wird noch weiter zunehmen.
Europa und seine Verbündeten werden Chinas Einfluss deutlich spüren. China bietet diesen Ländern eine Alternative, was bedeutet, dass sie nicht mehr nur auf die USA und Europa angewiesen sind, sondern einen Partner haben, der groß, wirtschaftlich und politisch bedeutend und einflussreich ist. Dadurch verliert Europa in der Region möglicherweise an Einfluss, vor allem, wenn es sich auf Themen wie Menschenrechte und westliche Werte fokussiert und die Länder der Region damit frustriert. Chinas wachsendes Engagement im Nahen Osten bedeutet, dass es für Europa schwieriger sein wird, einzelne Länder dort zu isolieren, um sie zu bestrafen oder eine Verhaltensänderung zu erreichen. Sanktionen zum Beispiel werden nicht mehr die gleiche Wirkung haben, wenn ein Land wie China nicht mitmacht. Somit wird die Politikgestaltung in der Region schwieriger und komplizierter.
Aus dem Englischen von Ilse Layer.
Dr. Dina Esfandiary ist Senior Advisor für den Nahen Osten und Nordafrika bei der International Crisis Group. Zuvor war sie Fellow in der Nahost-Abteilung der Century Foundation und Forschungsstipendiatin des International Security Program am Belfer Center for Science and International Affairs der Harvard Kennedy School. Esfandiary hat auch im Programm für Nichtverbreitung und Abrüstung des Internationalen Instituts für Strategische Studien in London gearbeitet.
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