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Trotz eines starken Leitmotivs der „Integrierten Sicherheit“ bleibt die Nationale Sicherheitsstrategie hinter den Erwartungen zurück. Dem Dokument fehle es an analytischer Klarheit, einem transparenten Prozess und einer Koppelung von Prioritäten und Ressourcen, kommentiert Marius Müller-Henning.
Die Nationale Sicherheitsstrategie setzt mit der „Integrierten Sicherheit“ ein starkes Leitmotiv. Sie widmet sich den wesentlichen Sicherheitsherausforderungen unserer Zeit und enthält viele wichtige und kluge Punkte im Detail. In einzelnen Passagen entwickelt sie überzeugende, gut lesbare Ansätze für ein Narrativ. Als Gesamtdokument bietet sie der deutschen Sicherheitspolitik jedoch nur wenig Orientierung: Hierfür fehlt es 1) an analytischer Klarheit, 2) an einem methodisch angelegten, transparenten Prozess rund um die Entwicklung der Strategie und schließlich 3) an der Formulierung klarer strategischer Prioritäten einerseits, verbunden mit einer Unterfütterung durch die erforderlichen Ressourcen andererseits.
Die Nationale Sicherheitsstrategie als Wegweiser und Kompass?
Beginnen wir mit dem Dokument selbst. Es wird wahlweise als Grundlage, Wegweiser oder Kompass bezeichnet. Diesem Anspruch wird es allerdings in weiten Teilen nicht gerecht. Die 76 Seiten Text werden im Inhaltsverzeichnis gerade einmal durch zwei Haupteile mit jeweils drei Unterkapiteln strukturiert. Zwar findet man hierüber immerhin zielsicher die Zusammenfassung, darüber hinaus ist die Navigation des langen Fließtextes aber sehr mühsam. Ein selektives, gezieltes Lesen wird dem/der Leser_in nicht ermöglicht. Im Text selbst werden zentrale und keineswegs selbsterklärende Begriffe nicht oder nur unzureichend definiert (was genau versteht die Bundesregierung bspw. unter „Nationaler Sicherheit“, „Strategie“, „Gefahr“, „Risiko“ oder „Bedrohung“). Einzig das Leitmotiv der integrierten Sicherheit wird auf S. 30 in einem dezidierten Erklärkasten erläutert, vieles andere bleibt indes zu vage. Die dadurch bedingte begriffliche Unschärfe des Dokumentes dürfte es verkomplizieren, die Strategie als „Ausgangspunkt für eine gesellschaftliche Debatte“ (so der selbst formulierte Anspruch) zu nutzen.
Aber selbst, wenn ein einheitliches Verständnis von zentralen Begriffen unter den Leser_innen vorausgesetzt werden könnte, bringt die Lektüre des Textes vergleichsweise wenig neue strategische Orientierung. In weiten Teilen versucht der Text erst gar nicht, die Herausforderungen für integrierte Sicherheit für den/die Leser_in so einzuordnen und gegeneinander abzuwägen, dass sich die Komplexität reduziert und konkrete Anhaltspunkte für eine Priorisierung knapper Ressourcen sichtbar würden. Stattdessen wird die ganze Litanei des aktuellen Sicherheitsumfeldes aneinandergereiht und allenfalls unter knappen Überschriften grob sortiert. Es fehlt dem Dokument daher vor allem an analytischer Klarheit. Die Strategie gleicht in weiten Teilen einer Art langer Waschzettel, auf dem sich alles Wichtige irgendwie wiederfindet.
Nicht zu Unrecht wird oftmals argumentiert, dass die Bezeichnung „Strategie“ auch nicht überbewertet werden dürfe: ein politisches Leitliniendokument sollte nicht an den methodisch strengen Maßstäben eines anspruchsvollen Strategieverständnisses gemessen werden. Das ist durchaus plausibel und schließlich bleiben auch andere Nationale Sicherheitsstrategien gemessen an solch anspruchsvollen Maßstäben hinter den Erwartungen zurück. So zog bspw. auch die jüngste US-Strategie seitens mancher Beobachter recht schonungslose Kritik auf sich. Zum Glück gibt es aber auch Positivbeispiele, wie die aktuelle Strategie der Niederlande. Sie zeigt, dass man methodisch anspruchsvolle Strategiedokumente entwickeln kann, die trotzdem – oder vielleicht doch gerade deswegen ? – für die politische Kommunikation taugen. Im Endeffekt muss ein solches Dokument helfen, die komplexe Realität so zu ordnen, dass man einen zielgerichteten Diskurs darüber führen und politische Entscheidungen daraus ableiten bzw. daran nachvollziehen kann. Ein Strategiedokument muss verständlich sein, wenn es Orientierung bieten soll. Im Falle der deutschen Strategie ist hier noch Luft nach oben.
Dabei ist es nicht so, dass hier keinerlei strategische Weichenstellungen enthalten wären. So wird zumindest unmissverständlich klar, dass sich der Landes- und Bündnisverteidigung, als Kernauftrag der Bundeswehr, nun alle anderen Aufgaben der Truppe unterordnen müssen (S. 32). Über diesen einen Punkt hinaus fehlte aber offensichtlich der Anspruch, die strategisch entscheidenden Punkte deutlicher aus dem Konvolut an Fließtext herauszuarbeiten und entsprechend anschaulich zu kommunizieren. Dies wird auch an der visuellen Gestaltung der Strategie deutlich: Eine Vielzahl an Fotos aber keine einzige Tabelle oder Grafik die der/dem Leser_in helfen würde, sich ein Gesamtbild zu machen. Auch hier zeigt ein Blick in die niederländische Strategie, welches Potential bei uns noch nicht ausgeschöpft ist.
Der Prozess rund um die Strategie
Doch nicht nur die Strategie selbst bleibt hinter den Erwartungen zurück; vor allem der Prozess ihrer Erstellung verlief enttäuschend. So sollte eine Sicherheitsstrategie auf Basis einer systematischen Bedrohungs- bzw. Risikoanalyse entwickelt werden und sich dann auf diese beziehen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Strategie die zuvor geforderte analytische Klarheit für einen politischen Kurs schafft. In den Niederlanden wurde eine solche Risiko- und Bedrohungsanalyse durch ein unabhängiges Analyst_innennetzwerk erstellt und veröffentlicht, bevor die Strategie durch die Regierung formuliert wurde. Im Falle Deutschlands finden sich hingegen lediglich in der Strategie selbst eine Reihe von allgemeinen Einschätzungen zu Risiken und Bedrohungen, die in weiten Teilen bekannt sind bzw. kaum über Gemeinplätze hinausgehen. Sie werden auch nicht systematisch zueinander in Verbindung gesetzt oder gar gegeneinander abgewogen. Genau darauf käme es aber an, wenn man im Zuge einer Sicherheitsstrategie Prioritäten setzen und Ressourcen zuweisen will.
Zudem spielt bei einem solchen Prozess immer auch die Frage eine wichtige Rolle, welche Akteur_innen in die Erstellung einer Strategie eingebunden sind. Nachdem die Auftaktrede der Außenministerin und das früh sich abzeichnende Leitbild der Integrierten Sicherheit die Erwartung weckten, dass tatsächlich innere Sicherheit gleichrangig mitgedacht werden könnte, verflog diese Hoffnung im Laufe des Prozesses. Denn dazu hätte es auch die systematische Einbeziehung der Bundesländer gebraucht, die für Fragen der Gefahrenabwehr im deutschen Föderalismus primär zuständig sind. Dies fand nicht statt und führte zum offenen Konflikt, den die Innenministerkonferenz entsprechend deutlich kommunizierte. Wahrscheinlich auch als Reaktion auf die Proteste der Länder heißt es nun in der finalen Strategie: „Sie richtet sich primär auf Bedrohungen von außen, jedoch in dem Bewusstsein, dass äußere und innere Sicherheit immer weniger zu trennen sind“. Ein unbefriedigendes Ergebnis, wenn man sich das Momentum vom Beginn des Prozesses vor Augen führt. Es ist daher vielleicht auch gar keine schlechte Nachricht, dass grade im Kapitel „Schutz und Stärkung unserer Demokratie“ neben den Maßnahmen, die die Bundesregierung in ihrem Geschäftsbereich konkret vorsieht, die Entwicklung von drei weiteren Strategien angekündigt wird. Somit könnten die Länder an dieser Stelle noch substantiell einbezogen werden.
Schließlich stellt sich die Frage, ob der Strategieprozess für die Bundesregierung mit der Veröffentlichung nun weitestgehend abgeschlossen ist, oder ob deren Umsetzung kontinuierlich evaluiert und perspektivisch in eine Überarbeitung bzw. neue Strategie münden wird. Viele Aussagen rund um die Vorstellung der Strategie legen dies nahe. Es wäre auch wünschenswert, wenn die erste Strategie nur der Auftakt für einen regelmäßigen Strategiezyklus wäre. In diesen sollten dann die Länder, vor allem aber auch der Bundestag und die Landtage eingebettet werden. So könnte sich bspw. eine parlamentarische Versammlung mit Mitgliedern aus Bundestag und Landtagen regelmäßig Fragen der nationalen Sicherheit widmen und an entscheidenden Stellen der Strategieentwicklung konsultiert werden. Allerdings klingt die Strategie selbst wenig ambitioniert mit Blick auf das Follow-Up:
„(…) Die Bundesregierung steht zu diesem Zwecke auch zu einem regelmäßigen Austausch mit dem Deutschen Bundestag und den Ländern zu Fragen der nationalen Sicherheit und zur Umsetzung der Nationalen Sicherheitsstrategie bereit.“
Das klingt, als müsste das Momentum für einen regelmäßigen Strategiezyklus doch eher von außerhalb der Regierung entwickelt werden. Gleiches gilt für den dritten und vielleicht gravierendsten Kritikpunkt an der jetzigen Strategie
Eine Strategie ohne Prioritäten und ohne Ressourcen?
Schon bei der Vorstellung der Strategie in der Bundespressekonferenz wurde unmissverständlich deutlich, wo das größte Problem liegen dürfte: beim Geld. So finden sich im Dokument zwar viele Stellen an denen von „stärken“, „ausbauen“ und „investieren“ die Rede ist, aber keine einzige an der deutlichwird, wo im Gegenzug „gekürzt“, „gespart“ oder „konsolidiert“ werden solle. Da aber laut der Strategie angestrebt wird, „…die Aufgaben dieser Strategie ohne zusätzliche Belastung des Bundeshaushalts insgesamt zu bewältigen…“ ist klar, dass die Umsetzung der Vorhaben dieser Strategie alles andere als sicher ist. Einzige Ausnahme dürfte die massive Stärkung der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung sein, wobei auch hier die Frage ist, ob die bisher geplanten massiven Mittelzuwächse überhaupt ausreichen.
Da auch in der Strategie selbst zudem noch die Schuldenbremse und ausgeglichene öffentliche Haushalte als unerlässlich festgeschrieben wurden, bleiben nur noch Einsparungen oder Steuererhöhungen als Option übrig. Und damit wird deutlich wo die eigentlich strategischen Entscheidungen getroffen werden: In den Haushaltsverhandlungen von Kanzler, Finanzminister und Fachminister_innen und abschließend vom Deutschen Bundestag. Die Sicherheitsstrategie hätte Orientierung und Priorisierung für die anstehenden finanzpolitischen Entscheidungen bieten können. Nun müssen ein starkes Leitmotiv und ein langer Waschzettel reichen.
Marius Müller-Hennig ist in der Abteilung Analyse, Planung und Beratung der FES für Recht, Freiheit und Sicherheit zuständig. Zuvor war er in der Internationalen Politikanalyse zuständig für Außen- und Sicherheitspolitik und leitete das FES-Büro in Bosnien-Herzegowina.
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