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„Von Great Britain zu Little England?“

Entgegen der britischen Beteuerungen bedeutet der Brexit eine Abkehr von der Welt – und möglicherweise sogar das Ende des Vereinigten Königreichs.

Bild: London voted in von Alisdare Hickson lizenziert unter CC BY-NC 2.0

Jetzt hat Premierministerin Theresa May also auch die Zustimmung des Parlaments für den Brexit, und zwar mit einer satten Mehrheit. Nicht einmal jeder Fünfte der Abgeordneten im Unterhaus stimmte gegen das Gesetz, das der Regierung die Aktivierung von Artikel 50 des EU-Vertrages und damit die Aufnahme von Austrittsverhandlungen ermöglicht. Die zweite Kammer des Parlaments in Westminster, das nicht demokratisch gewählte House of Lords, muss zwar auch noch sein OK geben. Das allerdings wird nicht angezweifelt. Freie Fahrt also für die britische Regierung für ihren Kurs aus der EU hinaus.

Aber wohin soll er denn führen, der „Rückzug“ (withdrawal) aus der Union? Zu dieser Frage hat die Premierministerin Mitte Januar Stellung genommen – nicht im Parlament, sondern bei einer Pressekonferenz, was nochmals als Affront gegenüber den selbstbewussten Abgeordneten verstanden wurde. Immerhin ist in Großbritannien das Parlament souverän (beziehungsweise „die Krone-im-Parlament“). Wichtiger allerdings war ihre Ankündigung, dass ihre Regierung auch keinen Verbleib im Binnenmarkt anstrebe – also ein harter Brexit und damit der volle Abschied aus der Union.

A global Britain

Stattdessen zeichnete May das Bild einer selbstbewussten und unabhängigen, der Welt zugewandten Nation, „a global Britain“. Doch welche Nation meint sie eigentlich? Und: Wird es Groß-Britannien nach dem Austritt aus der EU überhaupt noch geben? Denn der Inselstaat versteht sich ja als Zusammenschluss einzelner Nationen, und dem Brexit zugestimmt haben im Referendum nur Wales und England, nicht aber Nordirland und Schottland – und selbst die Hauptstadt London hat mehrheitlich für den Verbleib gestimmt. Dass sie nicht willens sind, sich von London aus der EU herauszerren zu lassen, machten die Abgeordneten der Scottish National Party (SNP) bei der Brexit-Abstimmung in Westminster deutlich, als sie demonstrativ die Europahymne anstimmten. Auch die Erste Ministerin Schottlands, Nicola Sturgeon, bekräftigte, dass Schottland in der EU bleiben wolle. Zwar steht derzeit keine Wiederholung des Referendums über ein unabhängiges Schottland an. Aber London muss aufpassen, die Cousins und Cousinen im Norden nicht allzu sehr zu reizen. Denn sonst kann die Stimmung schnell rebellisch werden – und Great Britain zu Geschichte. In jedem Fall befindet sich Britannien in einer Verfassungskrise.

Vom schottischen Unmut über den Brexit berichtete auch Volker Münchow, Mitglied des Landtags in Nordrhein-Westfalen. Er sprach Ende Januar bei einem Wochenendseminar der Friedrich-Ebert-Stiftung in Duisburg, das sich Fragen zur „politischen und ökonomischen Situation Europas nach dem Brexit“ widmete. Mit Referent Florian Dohmen behandelten die Teilnehmer_innen eine Reihe von Themen, angefangen von der Frage, welcher Art die Beziehungen zwischen London und Brüssel sein könnten (Modell Schweiz, Norwegen, Kanada oder WTO?); über den wachsenden Rassismus zum Beispiel gegen die vielen polnischen Immigrant_innen hin zu den möglichen ökonomischen Konsequenzen.

Exodus der Londoner Banken

Kurzfristig hat sich der anvisierte EU-Austritt weniger dramatisch auf die britische Wirtschaft ausgewirkt als mancherorts vorher behauptet wurde. Allerdings hat das Pfund schon jetzt kräftig gegenüber dem Euro an Wert verloren. Und die erhofften bilateralen Freihandelsabkommen werden gegen den viel größeren europäischen Freihandelsblock schwierig zu erreichen sein. Die größte Sorge macht sich die britische Regierung aber über eine mögliche massive Abwanderung aus der Londoner City. Auf dem Kontinent rechnet sich besonders Frankfurt gute Chancen aus London als wichtigsten europäischen Bankenstandort ersetzen zu können, aber auch Paris und Amsterdam machen sich bereit.

Die EU hat kein Interesse daran, dass sich weitere Staaten dem Beispiel Großbritanniens anschließen. Deshalb hat unter anderem der EU-Verhandlungsführer, der ehemalige belgische liberale Regierungschef Guy Verhofstadt, angekündigt, dass es keinen Austritt à la carte für die Briten geben werde. Trotzdem ist beiden Seiten an einem guten Ergebnis gelegen. Es wird viel diplomatisches Geschick erfordern dies zu erzielen.

Ansprechpartner in der Stiftung:

Florian Dohmen


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