Auf 352 Seiten haben die Mitglieder der Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ des Deutschen Bundestages untersucht, welche Fehler gemacht wurden und welche Lehren aus dem Einsatz zu ziehen sind. Der Bericht hebt hervor, dass eine Strategie zur Umsetzung der unterschiedlichen Ziele –Terrorbekämpfung, Staatsaufbau, Demokratie- und Menschenrechtsförderung – fehlte und es an politisch-strategischer Kohärenz mangelte. Zudem wurden „Wissen und detaillierte, ungeschminkte Lagebilder […] zwar bereitgestellt, aber nicht systematisch zu einem realistischen Gesamtbild zusammengeführt.“. Abstimmungen auf internationaler Ebene waren durch konkurrierende Interessen erschwert, so dass auch hier eine gemeinsame Ziel- und Umsetzung oft nicht erfolgte. Der Zwischenbericht betont, dass das 20-jährige Engagement in Afghanistan ein wichtiger Anlass für einen tiefgreifenden Lernprozess ist, der Empfehlungen für zukünftiges Handeln in Krisenkontexten formulieren und beeinflussen kann.
Warum ein gemeinsames Lernen aus dem Einsatz in Afghanistan wichtig ist
Doch was und wie haben andere internationale Partner aus dem Einsatz gelernt? Und wurden die Lehren umgesetzt? Die Analyse „Never say never“ Learning Lessons from Afghanistan Reviews der Autor_innen Philipp Rotmann (Global Public Policy Institute), Florian Weigand (Centre on Armed Groups) und Tina Blohm (Friedrich-Ebert-Stiftung) geht diesen Fragen nach. „Never say never (Sag niemals nie.)“ ist dabei ein Zitat von Laurel E. Miller, Präsidentin der Asia Foundation und ehemalige US-Diplomatin, das sie in ihrer Aussage vor dem Auswärtigen Ausschuss des US-Senats verwandte. Sie unterstreicht damit, dass ein simples “Wir werden so etwas nie wieder machen„ nicht ausreicht. Man könne und dürfe nie davon ausgehen, dass zukünftige Einsätze nicht ähnlich verlaufen könnten. Auch wenn sich Ausmaß und Kontext ändern werden, so bleiben dringliche Fragen nach ‚besseren‘ Ansätzen der Terrorismusbekämpfung und zum Aufbau staatlicher Kapazitäten bestehen. Ebenso bleiben viele Systeme der Entwicklung und Umsetzung von Strategien bestehen. Und auch wenn Lernprozesse in Ministerien bereits im Gange sind: Die ‚harten Brocken‘ in Bezug auf Strategiefähigkeit, Koordination oder Wissensgenerierung und -anwendung warten weiter darauf, nachhaltig abgebaut zu werden.
Wie andere lernen: Formate
Die neue Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung geht in drei Schritten vor. Im ersten Schritt untersucht sie die unterschiedlichen Lernformate. Wie haben andere Länder und internationale Organisationen versucht, umfassend aus ihrem Engagement in Afghanistan zu lernen? Welche Rolle spielten zum Beispiel Kommissionen, Evaluierungen oder Rechnungshoflogiken? Dabei fokussierte sich die Analyse auf Prozesse, die ein gesamtes Ressort oder das Zusammenspiel mehrerer Ressorts untersuchen. Sie geht somit nicht auf einzelne Projektevaluierungen ein, sondern entwirft eine knappe Übersicht der wichtigsten Prozesse. Die Liste der untersuchten Akteure umfasst dabei die USA, Großbritannien, Australien, Kanada, Norwegen, Finnland, Dänemark, Schweden, die Niederlande, EU, NATO und UN.
Was andere lernen: Inhalte
In einem zweiten Schritt beschäftigt sich die Studie mit den Inhalten der Empfehlungen aus unterschiedlichen Ländern und Organisationen. Dabei unterstreicht sie Gemeinsamkeiten, z.B. die Betonung des Mangels an klaren und realistischen Zielen – versucht jedoch genauer hinzuschauen und herauszuarbeiten, wie diese allgemeine Schlussforderung in unterschiedlichen Kontexten ausgelegt wird. So war beispielsweise das Hauptziel in der US-Debatte sehr klar, aber der Weg dorthin und die untergeordneten Ziele standen oft im Konflikt zueinander, auch weil Hierarchien unklar waren und ein gewisses Maß an Unschärfe bewusst in Kauf genommen wurde.
Einen weiteren Schwerpunkt setzt die Studie auf die Lehren zur Generierung von Wissen über Afghanistan. Dazu gehört auch die Verknüpfung von Wissen mit politischen Entscheidungen und dessen langfristigem Management, besonders angesichts einer schnellen Personalrotation. Es reicht nicht aus, eine Vielfalt an Wissen zu haben, sondern es kommt darauf an, dieses Wissen zu diskutieren und zu nutzen. Dabei müssen die richtigen Fragen gestellt werden: z.B. zu Machverhältnissen, Geldströmen, politischer Akzeptanz und öffentlicher Wahrnehmung - verschiedener Akteure. Wissen sollte überall, kontinuierlich und unter Einbeziehung verschiedenster Gruppen generiert und angewendet werden.
Was passiert danach: Wirkung von Lernprozessen
Schließlich fragt die Studie nach der Wirkung anderer Lernprozesse. Wurden Empfehlungen umgesetzt und nachgehalten? Können wir also vom Lernen der anderen lernen? Die Antwort darauf fällt bisher bescheiden aus. Während manche Prozesse eine wichtige Signalwirkung hatten, bleiben zentrale Empfehlungen nicht oder nur teilweise umgesetzt. Dies gilt z.B. für den norwegische Bericht „A Good Ally: Norway in Afghanistan 2001-2014“, der eine der ersten umfassenden und kritischen Analysen eines Expertengremiums darstellte. Auch gibt es kleinere positive Beispiele: Die Niederlande haben Instrumente zum Follow-Up der Berichte der Evaluierungseinheit des Außenministeriums eingeführt. Und während sich diese Einheit zeitnah mit spezifischen Themen auseinandersetzt, führen andere niederländische Institute eine historische Evaluierung des Einsatzes durch, die der Geschichtsschreibung dient.
Insgesamt jedoch sind die konkreten Wirkungen dieser Prozesse nur in manchen Fällen auch konkret nachvollziehbar. Eine wichtige Frage für die Enquete-Kommission des Bundestagesund die Zeit nach ihrer Arbeit bleibt daher, wie Fehleranalysen und Handlungsoptionen für zukünftige Einsätze nicht nur als Lehren verbucht werden können, sondern wie sie als gelernte und gelebte Lehren in der Zukunft umgesetzt werden sollen.