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13. WTO-Ministerkonferenz: Die richtigen Prioritäten setzen

Daniel Bertossa appelliert an die WTO-Ministerkonferenz, die Entwicklungsagenda und das öffentliche Interesse in den Vordergrund zu stellen.


Haben Sie den Eindruck, dass kleinere Entwicklungsländer und/oder Ihre Organisation in den Prozessen der 13. Ministerkonferenz (MK13) ausreichend einbezogen werden? Warum oder warum nicht?

Es sieht so aus, als würden wieder einmal Entscheidungen von einigen mächtigen Akteur_innen hinter verschlossenen Türen getroffen und der Konferenz dann als vollendete Tatsachen präsentiert. Die vor über 20 Jahren im Rahmen der Doha-Runde eingegangenen Verpflichtungen, eine Entwicklungsagenda und den Grundsatz der „besonderen und differenzierten Behandlung“ der Entwicklungsländer [ein Kernelement der WTO, der Entwicklungsländern andere Pflichten als Industrienationen auferlegt; Anm der Red.] voranzubringen, bleiben auf der Strecke.

Es ist unwahrscheinlich, dass die geplante Diskussion über die Erweiterung des bereits abgeschwächten Beschlusses zur Lockerung der Vorschriften für Impfstoffe, Diagnostika und Therapeutika überhaupt stattfinden wird, obwohl sie von den Entwicklungsländern, den Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft mit überwältigender Mehrheit unterstützt wird. Stattdessen drängen die einkommensstarken Länder auf weitere Handelsliberalisierung, zum Nutzen ausländischer Investoren durch sog. Initiativen für eine gemeinsame Erklärung (Joint Statement Initiatives, JSI), bei denen es sich praktisch um plurilaterale Abkommen in einem multilateralen Forum handelt. Der jüngste Austritt aus dem Vertrag zur Energiecharta (ECT) zeigt, dass dieser Ansatz in eine Sackgasse führt.


Wie kann der Prozess für kleinere Entwicklungsländer, Nicht-Mitglieder und nichtstaatliche Akteure integrativer gestaltet werden?

Die WTO muss der Entwicklungsagenda Priorität einräumen und Regeln aufheben, die Privatisierung fördern und Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise und der Ungleichheit behindern. Der Vorschlag der Gruppe afrikanischer Staaten im Anschluss an die letzte Minister_innenkonferenz, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die wesentliche Reformen vorantreiben soll, wurde weitgehend ignoriert. Stattdessen führen neue Themen, die durch JSIs eingebracht wurden, wie z. B. E-Commerce und die Regulierung inländischer Dienstleistungen, zu einer Komplexität, die erhebliche Ressourcen frisst und wichtigen Handlungsspielraum einschränkt. Anders als oft dargestellt, haben diese Themen wenig mit dem Welthandel und mehr mit der Förderung und dem Schutz der Rechte und Interessen der größten Multis zu tun. Die WTO sollte überprüfen, inwiefern die bestehenden Regeln Ungleichheiten verschärfen, Privatisierung fördern und den Zugang zu qualitativ hochwertigen öffentlichen Dienstleistungen sowie zu den von den Arbeitnehmer_innen benötigten Medikamenten, Technologien, Daten und anderen Ressourcen einschränken. Um den Ruf der WTO wiederherzustellen und ihren Fortbestand zu sichern, muss sich die Führung gegen die mächtigen Interessengruppen stellen, die demokratische Entscheidungsprozesse als Hindernis für die Erreichung ihrer Ziele betrachten.


Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Themen, die MK13 aufgreifen wird? Sind diese aus Ihrer Sicht wichtig/relevant?

Die plurilaterale Initiative zur Investitionserleichterung könnte es Investoren ermöglichen, wichtige Vorschriften zu verwässern oder zu blockieren, die ihrer Ansicht nach ihre Interessen beeinträchtigen. Diese Maßnahmen sind sehr breit angelegt und betreffen alles im Zusammenhang mit ausländischen Investitionen wie Gesetze, Umweltverträglichkeitsprüfungen und technische Standards auf allen Regierungsebenen. Dies könnte die Spielräume der Regierungen weiter einschränken, ausländische Investoren durch Lizenzgebühren, Abgaben und höhere Standards zu einem Beitrag zum ökologischen Wandel zu bewegen. Unterdessen spiegeln die Vorschläge zu Daten und digitalem Handel die Forderungen von Big Tech wider und ermöglichen es Unternehmen, ihre Kontrolle über sensible Datensätze auszuweiten, die von Arbeitnehmer_innen und öffentlichen Diensten erzeugt werden. Die WTO sollte ihren nicht-holistischen Ansatz in Bezug auf solche Regelungen aufgeben und Maßnahmen unterstützen, um Big Tech in die Schranken zu weisen. Deshalb schult das gemeinsame Projekt "Our Digital Future" von PSI und der Friedrich-Ebert-Stiftung Gewerkschaften darin, Regierungen zu einer Digitalpolitik zu drängen, die das öffentliche Interesse in den Vordergrund stellt.


Glauben Sie, dass MK13 ein Erfolg sein wird? Warum oder warum nicht?

Wir müssen weg davon, dass die MCs "liefern" müssen oder als gescheitert betrachtet werden. Die Regierungen sollten sich nicht auf schlechte Vereinbarungen wie die JSIs einlassen, insbesondere in den Bereichen Investitionserleichterung, inländische Dienstleistungen und E-Commerce. Die JSI zur Investitionserleichterung schreitet mit alarmierender Geschwindigkeit voran, und die Gewerkschaften müssen den Regierungen gegenüber ihre Bedenken äußern. Wenn das so weitergeht, wird der Multilateralismus und das Konsensprinzip weiter untergraben und dem Ruf der WTO geschadet.


Welche Auswirkungen wird ein Scheitern von MK13 auf das multilaterale Handelssystem haben?

Die Auswirkungen auf den Multilateralismus werden verheerend sein, wenn MK13 ein weiteres Abkommen vereinbart, das die Interessen der Entwicklungsländer ignoriert, die Macht der Konzerne fördert und Hochwertige öffentliche Dienste (QPS) und die Bemühungen zur Bekämpfung von Ungleichheit untergräbt. Wir haben erhebliche Bedenken hinsichtlich der WTO, aber andere Handelsabkommen sind oft noch weniger transparent und schlechter für Arbeitnehmer_innen und öffentliche Dienstleistungen. Das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, das von Unternehmenslobbyisten verfasst wurde, ging weit über die bestehenden WTO-Maßnahmen hinaus. Durch die Mobilisierung der Gewerkschaften weltweit konnten wir jedoch einen schlechten Deal verhindern. Die Lektion, die wir daraus lernen müssen, ist, dass wir uns gegen Einzelinteressen durchsetzen können, indem wir die Arbeitnehmer_innen aufklären, Koalitionen bilden und starke Alternativen formulieren, und dass wir unsere Regierungen dazu drängen können, ein faires multilaterales Handelssystem zu schaffen.


Die Fragen stellte Rashid S. Kaukab, International Institute in Geneva (IIG)

 


Ausgabe 2 "Mont Blanc Trade News"

Daniel Bertossa ist seit Oktober 2023 Generalsekretär der Public Services International (PSI, Internationale der Öffentlichen Dienste), eine der globalen Gewerkschaftsföderationen des öffentlichen Sektors. Er arbeitet seit mehr als zehn Jahren für die PSI und ist in den Bereichen Politik, Interessenvertretung und Governance tätig, wobei er sich auf die wirtschaftspolitische Arbeit in den Bereichen Handel, Steuern, Verschuldung und die Zukunft Hochwertiger öffentlicher Dienste (QPS) konzentriert.


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