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Geltendes Asylrecht muss umgehend umgesetzt werden

Asylrechtsverletzungen, Frontex-Affäre und der europäische Umgang mit dem Thema Migration – darüber sprechen wir mit Josephine Liebl von ECRE.



FES: Frau Liebl, aktuell berichten die Medien vor allem von den Fluchtbewegungen nach Ceuta. Heißt das, die Situation in Griechenland, an der kroatischen Grenze und auf den Kanaren hat sich entspannt?

Keineswegs. Die Berichterstattung zu dem Thema kann leider nicht als Indikator von konkreten Vorkommnissen oder Missständen gesehen werden. ECRE analysiert und dokumentiert in Kooperation mit Expert_innen jedes Jahr die Asylsysteme und Praktiken von über 20 europäischen Ländern innerhalb der Asylum Information Database (AIDA) und wir müssen feststellen, dass systematische Verletzungen des Asylrechts, inakzeptable Zustände hinsichtlich Unterbringung und fehlende Unterstützung von Inklusion in vielen Mitgliedsstaaten auf der Tagesordnung sind. Was zu Medienechos führt ist oft nur die Spitze des Eisbergs.

Auch Frontex stand in den letzten Monaten vor allem durch Vorwürfe zu Asylrechtsverstößen und Intransparenz in den Schlagzeilen. Welche Konsequenzen wurden bisher gezogen?

Frontex ist im Moment der Gegenstand mehrerer Untersuchungen die den Vorwürfen zu Menschenrechtsverletzungen, Beteiligungen an Push-backs und Missmanagement nachgehen. Beispielsweise hat der Frontex-Verwaltungsrat eine interne Arbeitsgruppe zur Untersuchung gebildet, die Europäische Bürgerbeauftrage sowie das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung ermitteln ebenso und das Europäische Parlament hat eine Frontex Kontrollgruppe ins Leben gerufen. Die jeweiligen Untersuchungen befinden sich in verschiedenen Phasen daher kann man deren Wirkung noch nicht abschließend bewerten. Wir können nur hoffen, dass sie endlich zu den notwendigen Konsequenzen führen. Dazu gehört, dass die demokratische Kontrolle über Frontex durch das Europäische Parlament und durch nationale Parlamente ausgebaut werden muss. Aber es muss auch Veränderungen innerhalb von Frontex geben, so dass Strukturen zur Überwachung und Einhaltung von Grundrechten signifikant verstärkt werden. Daher erhoffen wir uns vor allem, dass die Frontex-Kontrollgruppe im Europäischen Parlament weiterhin proaktiv aufklärt und Frontex zur Rechenschaft zieht. ECRE hatte schon bei der Ausweitung des letzten Frontex Mandats 2018 darauf hingewiesen, dass das dringend nötig ist.

Am 27. April hat die EU-Kommission als Bestandteil des neuen Paktes für Migration und Asyl eine „Strategie zur freiwilligen Rückkehr und Reintegration“ vorgestellt. Die Strategie unterstreicht die Rolle von Frontex als operativen Arm des gemeinsam EU-Rückführungssystems. Ist das angesichts der laufenden Untersuchungen nicht problematisch?

In einer Zeit, in der Frontex im Zusammenhang mit grundlegenden Verstößen in Europa und an den Grenzen im Rampenlicht steht und die Mechanismen zur Rechenschaftspflicht von Frontex unzureichend erscheinen, birgt eine Ausweitung der Aktivitäten in Drittländern ein signifikantes Risiko. Rückkehroperationen sind Schlüsselaktivitäten, bei denen das Risiko von Menschenrechtsverstößen besteht, wie die Bürgerbeauftragte und andere festgestellt haben. Gleichzeitig hat bei Frontex die längst geplante Rekrutierung von Grundrechtsbeauftragten noch nicht stattgefunden. Daneben tendiert Frontex in Drittländern dazu, eine parallele und sehr undurchsichtige Außenpolitik zu betreiben, die das Potential hat, die Ziele der EU-Außenpolitik, wie Sicherheit und Entwicklung zu untergraben.

Neben der Debatte darüber, dass Frontex eine zentrale Rolle in den Rückkehroperationen übernehmen soll, welche aktuellen Diskussionen werden zum neuen Pakt für Migration und Asyl gerade geführt?

In der Debatte werden viele unserer Kritikpunkte von Mitgliedern des Europäischen Parlaments sowie manchen Mitgliedsstaaten aufgegriffen und geteilt. Beispielsweise hinsichtlich reduzierter Menschenrechtsstandards, der nationalitätsabhängigen Ungleichbehandlung von Asylsuchenden, dem überdimensionalen Fokus auf Rückführungen sowie dem Festhalten am Prinzip, dass der erste Einreisestaat Verantwortung für Asylsuchende tragen soll. Allerdings würden wir uns zudem erhoffen, dass Politiker_innen auf der nationalen Ebene, die sich für den Schutz von Flüchtenden und Migrant_innen einsetzen, stärker in die Diskussionen eingebunden werden – auch um zu verhindern, dass Regierungsparteien auf europäischer Ebene zu Beschlüssen kommen, die sie auf nationaler Ebene nicht verteidigen können. In meinen Augen ist die Position der Europäischen Parlamentarier_innen in den Diskussionen entscheidend. Es liegt maßgeblich an ihnen zu entscheiden, welche Aspekte des neuen Paktes sie für einen Gesetzesentwurf übernehmen und mit dem Rat verhandeln wollen.

Am 1. Juli wird Slowenien unter dem migrationskritischen Ministerpräsidenten Janez Janša die EU- Ratspräsidentschaft übernehmen. Welche Entwicklungen erwarten Sie für die Europäische Migrations- und Asylpolitik und was würden Sie sich wünschen?

Das grundsätzliche Problem im Bereich Migration und Asyl ist die ungleiche Verteilung der Verantwortung für Schutzsuchende und die fehlende Solidarität innerhalb der EU. Da das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Asyl- und Migrationspaket diese Probleme aus unserer Sicht nicht hinreichend aufgreift, scheint eine schnelle Einigung vor allem innerhalb der Mitgliedsstaaten unwahrscheinlich. Wir würden uns daher wünschen, dass die slowenische Ratspräsidentschaft sowie andere zukünftige Ratspräsidentschaften vor lauter Verhandlungen über neue Vorschläge nicht vergessen, dass wir bereits EU-weite Asylstandards haben und es vor allem darum geht diese umgehend und umfassend umzusetzen. Denn die kontinuierliche Verletzung der Rechte von Schutzsuchenden ist immer auch eine Missachtung geltenden EU-Rechts.

Wir danken Ihnen für dieses Interview!

 

Josephine Liebl

ist Leiterin des Bereiches „Advocacy“ beim European Council on Refugees and Exiles (ECRE). ECRE ist ein paneuropäischer Zusammenschluss von 107 NGOs, die sich für den Schutz und die Förderung der Rechte von Flüchtlingen, Asylbewerbern und Vertriebenen einsetzen. Zuvor arbeitete Josephine unter anderem als Humanitarian Policy Advisor bei Oxfam und als Senior Policy Officer beim European Peacebuilding Liaison Office in Brüssel.


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