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Umfassende Integration erfordert weiterhin die gezielte Unterstützung der Kommunen durch den Bund, sagt Bernhard Daldrup, der kommunalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Friedrich-Ebert-Stiftung: Bei der Aufnahme geflüchteter Menschen sind die Kommunen abhängig von Entscheidungen von Land und Bund. Bei der Unterbringung, Betreuung und Integration bereits eingereister Menschen hingegen verlagert sich der Schwerpunkt der Aufgabenerledigung auf die kommunale Ebene. Wurden die Interessen der Kommunen bei den Verhandlungen zur EU-Asylreform vor diesem Hintergrund bislang ausreichend berücksichtigt?
Bernhard Daldrup: Es ist offensichtlich, dass eine Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems unerlässlich war, um eine effektive und nachhaltige Entlastung in allen Staaten der Europäischen Union zu erreichen. Ein integraler Bestandteil dieser Reform ist ein effektiver Grenzschutz an den europäischen Außengrenzen, der einheitliche Standards für Registrierungen und Zuständigkeiten umfasst, sowie ein praktikabler Solidaritätsmechanismus. Diese Reformen sind auch für die Kommunen von großer Bedeutung.
Obwohl die Bundesländer hauptsächlich für die Kommunen verantwortlich sind, hat sich die Unterstützung der Kommunen durch den Bund kontinuierlich erhöht. Dies zeigt sich auch in der Flüchtlingspolitik, zum Beispiel durch die mietfreie Überlassung von Bundesliegenschaften und die neuen Regelungen im Bauplanungsrecht, die maßgeblich die Interessen der Kommunen berücksichtigen. Ergänzt werden diese Maßnahmen durch den „Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“, der wesentlich zur effizienteren Bewältigung der Herausforderungen bei der Unterbringung und Integration von Geflüchteten beiträgt. Die Bereitstellung von 335 Liegenschaften der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) und zusätzlichen 108 Objekten für Flüchtlingsunterkünfte verdeutlicht das Engagement des Bundes, die Belastungen auf kommunaler Ebene zu verringern.
Trotz dieser Fortschritte ist eine kontinuierliche und intensivere Einbindung der Kommunen auch in Zukunft erforderlich. Dies stellt sicher, dass ihre spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen vollständig berücksichtigt werden. Es ist besonders wichtig, die Kommunen stärker in die Planung und Umsetzung von Integrationsmaßnahmen einzubeziehen, um den langfristigen Erfolg dieser Bemühungen zu gewährleisten.
Überfüllte Unterkünfte, fehlende Kita- und Schulplätze und überforderte Kommunen produzieren ein Bild staatlichen Kontrollverlusts, das die Politik nach 2015 unbedingt vermeiden wollte. Sind auf kommunaler Ebene ausreichend Lehren aus dem Sommer vor acht Jahren gezogen worden?
Fest steht: Es gab damals und es gibt auch heute keinen Kontrollverlust. Richtig ist: Die Flüchtlingskrise 2015 brachte bedeutende Erfahrungen und Herausforderungen mit sich, die zu einer verstärkten Unterstützung der Kommunen durch den Bund führten. Neben der Überlassung von Bundesliegenschaften durch die BImA und der Beschleunigung von Bauprozessen, die ich bereits erwähnte, besteht weiterhin ein deutlicher Bedarf an Verbesserungen. Ein erkennbarer Fortschritt zeigt sich in der zunehmenden Anzahl bereitgestellter Unterkünfte. Das war wichtig, denn in den damals bereitgestellten Wohnungen leben mitunter noch die Geflüchteten von 2015/16. Allerdings reicht die reine Unterbringung nicht aus. Die Integration ist ein umfassenderer Prozess, der kontinuierliche Unterstützung in Bildung, sozialen Diensten und der Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten erfordert. Es ist essenziell, dass die Kommunen nicht nur während der akuten Phase der Unterbringung, sondern auch bei der langfristigen Integrationsarbeit Unterstützung erhalten. Dies umfasst ebenso die Berücksichtigung sozialer und kultureller Aspekte der Integration, um eine erfolgreiche Eingliederung der Geflüchteten in die Gemeinschaft zu fördern.
Die Kosten für Geflüchtete aus der Ukraine werden fast vollständig vom Bund übernommen, da diese Zugang zu Leistungen der Grundsicherung haben. Dies ermöglicht eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt und entlastet Länder und Kommunen von den Aufwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Darüber hinaus unterstützte der Bund Länder und Kommunen finanziell – im Jahr 2022 mit 4,4 Milliarden Euro und im Jahr 2023 mit 3,75 Milliarden Euro. Die Entscheidung über die finanzielle Unterstützung der Kommunen obliegt den Ländern. Da der Bund die Kommunen nicht direkt unterstützen darf, ist er darauf angewiesen, dass die Länder diese Mittel auch an die Kommunen weiterleiten.
2024 vor der Europawahl soll die EU-Asylreform abgeschlossen sein, trotzdem wird es weiterhin Einwanderung nach Europa geben. Sind die Kommunen auch langfristig für Integrationsaufgaben gut aufgestellt?
Die Kommunen haben in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte in der Integration von Geflüchteten gemacht, unterstützt durch Programme wie das „Sprach-Kitas“-Programm und das KiTa-Qualitätsgesetz. Diese Initiativen, zusammen mit dem Investitionsprogramm für Ganztagsbetreuung und der Erhöhung des Kindergeldes und Kinderzuschlags, tragen zur Verbesserung der Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder – auch von Geflüchteten - bei. Diese Maßnahmen sind entscheidend, um eine langfristige Integration zu unterstützen. Jedoch ist die Integration ein kontinuierlicher Prozess, der ständige Anpassungen und Erneuerungen erfordert, insbesondere im Hinblick auf die sich ändernden Bedürfnisse der Geflüchteten und der Kommunen. Daher ist es wichtig, dass der Bund auch weiterhin gezielte Unterstützung anbietet und die Kommunen in ihren Bemühungen um eine umfassende soziale, kulturelle und wirtschaftliche Integration der Geflüchteten unterstützt. Überdies wird ab 2024 die Flüchtlingspauschale des Bundes in ein finanziell 'atmendes System' umgewandelt.
Bei der Debatte um die EU-Asylreform spielt der Erhalt des kontrollfreien Schengen-Raums eine große Rolle. Binnengrenzkontrollen sind nur unter bestimmten Bedingungen temporär begrenzt erlaubt. Seit September 2023 hat Deutschland stationäre Grenzkontrollen ausgeweitet. Sie finden nicht nur an der Grenze zu Österreich, sondern auch an Grenzen zu Polen und Tschechien statt. Was bedeutet das für Kommunen im Grenzgebiet und auch für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit in einem Europa der Regionen?
Die Ausweitung der Grenzkontrollen durch Deutschland hat direkte Auswirkungen auf die Kommunen in den Grenzgebieten. Während diese Maßnahmen aus sicherheitspolitischen Überlegungen nachvollziehbar sind, können sie dennoch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und das tägliche Leben in diesen Regionen beeinträchtigen. Diese Entwicklungen stellen eine Herausforderung für die Idee eines offenen und verbundenen Europas dar. Es ist daher wichtig, dass die Kommunen in diesen Gebieten zusätzliche Unterstützung erhalten, um die negativen Auswirkungen der Grenzkontrollen zu mildern und gleichzeitig die Sicherheitsanforderungen zu erfüllen. Dies könnte durch finanzielle Hilfen, Infrastrukturentwicklung und Förderung der regionalen Kooperationen geschehen.
Wie schätzen Sie Ideen ein, die auf zusätzliche (finanzielle) Anreize für Kommunen setzen und Kapazitäten von Kommunen mit Bedarfen von Geflüchteten zusammenbringen?
Finanzielle Anreize und Unterstützungen, die durch verschiedene Bundesprogramme angeboten werden, spielen eine entscheidende Rolle bei der Stärkung der Kapazitäten der Kommunen. Programme zur Sanierung kommunaler Einrichtungen in Bereichen wie Sport, Jugend und Kultur, sowie das Deutschlandticket, demonstrieren das Engagement des Bundes, die kommunalen Angebote zu verbessern und somit die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zu steigern. Diese Initiativen leisten zudem einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung der Integration, indem sie eine infrastrukturelle Basis für eine inklusive Gesellschaft schaffen. Es ist von großer Bedeutung, dass solche Anreize und Programme fortlaufend bewertet und an die sich wandelnden Bedürfnisse der Kommunen sowie der Geflüchteten angepasst werden, um ihre Effektivität und Nachhaltigkeit sicherzustellen.
Die kürzlich von Bundeskanzler Scholz auf dem Migrationsgipfel am 6. November 2023 verhandelten Beschlüsse unterstreichen diese Zielsetzung. Die aktuelle Flüchtlingspauschale des Bundes soll ab dem nächsten Jahr in ein 'atmendes System' umgewandelt werden, welches abhängig von der Anzahl der Schutzsuchenden eine Pro-Kopf-Pauschale vorsieht. Ab 2024 wird der Bund für jeden Asylerstantragssteller eine jährliche Pauschale von 7.500 Euro bereitstellen. Für die erste Hälfte des Jahres 2024 ist zudem eine Abschlagszahlung von 1,75 Milliarden Euro geplant.
Die Fragen stellte Annette Schlicht.
Bernhard Daldrup ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Seit 2018 ist er außerdem Obmann für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen seiner Fraktion. Über 20 Jahre führte er zudem bis 2022 die Geschäfte der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik Nordrhein-Westfalen (SGK NRW).
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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