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Die EU bereitet einen neuen Asyl-Kompromiss vor. Er bringt aber nichts wirklich Neues. Die enttäuschten Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger werden die Rechtsextremen stärken. Ein Meinungsbeitrag von Gesine Schwan.
Ziele und Erwartungen des Asyl-Kompromisses
Der sog. Asyl-Kompromiss der EU Mitgliedstaaten vom Juni 2023, der im Trilog mit dem Europäischen Parlament und der Kommission im Detail noch weiterverhandelt wird, ist als historischer „Durchbruch“ gefeiert worden. Wird er die erwarteten Ziele erreichen? Wird er einen sozial befriedenden Ausweg aus der bisher gescheiterten Asyl- und Flüchtlingspolitik ebnen? Wird die angestrebte Abschreckung durch schnelle Abschiebung wirken und die Binnenmigration in der EU unterbunden? Wird er die Debatten in den europäischen Staaten zum Thema Migration beruhigen? Wird er der extremen Rechten ihr Hetzpotenzial entwinden?
Wenig spricht dafür. Denn im Vergleich zur bisherigen Asylpolitik gibt es wenig Neues. Das Dublin System bleibt im Prinzip in Kraft. Kooperationen mit „sicheren Drittstaaten“ sollten schon bisher die Rückführung beschleunigen. Deren Zahl soll erweitert und zu einem undurchdringlichen Cordon Sanitaire rund um die EU perfektioniert werden. Aber wie? Vor allem die afrikanischen Nachbarstaaten sollen die Grenzen für die EU lückenlos schließen und möglichst Orte für die exterritoriale EU-Asylprüfung zur Verfügung stellen. Nichts davon hat bisher funktioniert. Einzig ein „Solidaritätsmechanismus“ zwischen den EU-Staaten scheint neu.
Der Solidaritätsmechanismus hält nicht, was er verspricht
Der könnte die Wende bringen, wenn er aus einer solidarischen Haltungsänderung der EU-Staaten folgte oder zumindest ein neues wirksames Anreizsystem böte. Aber davon ist keine Rede. Höchst komplizierte Regelungen werden in Bezug auf die Pflichten der Einzelstaaten detailliert, aber zugleich vage und oft unverständlich formuliert. Sie zeugen von einem tiefen Misstrauen nicht nur gegen die Geflüchteten, sondern auch der Staaten untereinander. Hier wird es zeitraubende Interpretationen brauchen, um sich zu einigen. Die Jahre andauernde Kluft zwischen den Binnenstaaten der EU und denen an der Außengrenze bleibt erhalten. Den Einzelstaaten wird fast unbegrenzter Entscheidungsspielraum gelassen, um die Solidarität wenigstens auf dem Papier zu erreichen.
Die EU versucht, die Lösung der Asylfrage an Afrika „abzuschieben“, zu dessen Nachteil
Immer mehr „sichere Drittstaaten“ sollen praktisch das Asylgebot für die EU hinter die Außengrenzen „outsourcen“. Das bekräftigt die bisherige Politik der EU gegenüber dem Nachbarkontinent: Immer ungenierter werden die afrikanischen Staaten für die EU-Interessen instrumentalisiert; auch wenn das Nachteile und politisch Destabilisierungen für sie mit sich bringt. Prinzipiell sollen sie die Grenzen zwischen sich hermetisch hochziehen. Das erschwert aber auch den Handel zwischen ihnen. Die EU unterminiert damit das selbstgesteckte Entwicklungsziel der westafrikanischen Wirtschaftsunion ECOWAS. ECOWAS hat sich darüber schon früher beschwert.
In Subsahara-Afrika war das jetzt hautnah zu besichtigen. Selbst Niger, auf das die EU fest und zugleich rücksichtslos gebaut hat, ist nach dem Putsch auf Distanz gegangen, und das wird sich auch nicht zurückdrehen lassen. Die Stimmung gegen den Westen erhält immer neue Nahrung, vergiftet das politische Klima und entzieht einer wirklich partnerschaftlichen Kooperation den Boden.
Zynischer Umgang mit Menschenrechten und Völkerrecht
Dass die Menschenrechte und das Völkerrecht entgegen den Lippenbekenntnissen der EU nicht zählen, kann man leicht erkennen. In den Tagen in denen die Kommissionspräsidentin lächelnd den Vorbildcharakter des Abkommens mit Tunesien preist, gehen die Bilder von Geflüchteten um die Welt, die die tunesische Regierung festgenommen und ohne Nahrung und Schutz in der Wüste ausgesetzt hat, was der tunesische Innenminister einige Tage später bestätigt. Mehr Zynismus geht nicht.
Ergebnis: Enttäuschte Erwartungen, verärgerte EU-Bürger:Innen, Stärkung der Rechtsextremen
Der neue Asyl-Beschluss wird die „illegale“ Migration nach Europa und innerhalb der EU nicht stoppen, vielleicht sogar vergrößern. Die Fluchtursachen, die die Zahl der Flüchtlinge im Wesentlichen bestimmen, nehmen zu. Schlepper werden immer teurere und gefährlichere Wege finden, um die Ankunftszentren zu umgehen. Die europäischen Bürgerinnen und Bürger werden feststellen, dass die demokratisch gewählte Politik trotz gegenteiliger Ankündigungen nicht fähig ist, die Migration befriedend zu regulieren. Die Rechtsextremen werden noch mehr Zulauf erhalten. Und niemand soll sagen, das sei nicht vorhersehbar gewesen.
Freiheitliche Interessen-Partnerschaft und Kooperation als Alternative
Die Alternative ist eine Migrationspolitik, die auf Freiwilligkeit und die Anerkennung der gegenseitigen Interessen setzt und damit der Verhetzung des Themas den Boden entzieht. Die „Berlin Governance Platform“ hat dafür Strategien ausgearbeitet und z.T. schon erfolgreich ausprobiert; z.B. mit einem Matching-System. Danach wird die dezentrale Ansiedlung der anerkannten Asylflüchtlinge – der zentrale Streitpunkt zwischen den EU-Staaten – entsprechend den Interessen der Kommunen und der Geflüchteten mit Hilfe eines Algorithmus „ge-matcht“. Kommunen veröffentlichen im Einvernehmen mit den Nationalstaaten gegenüber ankommenden Flüchtlingen ihre Wünsche und Bedarfe, die mit den Bedarfen und Wünschen der Geflüchteten per Algorithmus abgeglichen werden. Ein neues Anreizsystem käme aus einem EU-Fonds, aus dem die Integration der Geflüchteten und – sehr wichtig! – in gleicher Höhe Investitionen der aufnehmenden Kommune auch für Einheimische finanziert würden. Auch Migrationspartnerschaften könnten ausgebaut werden. Dies sind nur einige Mosaiksteine aus der neuen Gesamtstrategie, die wir hier brauchen und die möglich ist.
Noch haben wir die Wahl: Entweder die alte Migrationspolitik zerstört die EU von innen oder wir machen eine mutige Wende zugunsten unserer demokratischen Werte und unserer langfristigen Interessen, auf Augenhöhe mit den Interessen des Globalen Südens.
Professor Dr. Dr. h.c. mult. Gesine Schwan, geboren 1943 in Berlin, ist Politikwissenschaftlerin.
Seit 1972 ist sie Mitglied der SPD, seit 2014 Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD und seit Dezember 2015 Co-Vorsitzende des Sustainable Development Solutions Network (SDSN) Germany als Nachfolgerin von Dr. Klaus Töpfer.
Von 1977 bis 1999 war sie Professorin für Politikwissenschaft, sowie von 1992 bis 1994 Dekanin am Fachbereich Politikwissenschaft an der FU Berlin. Von 1999 bis 2008 war sie Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Von 2005 bis 2009 war Gesine Schwan Koordinatorin der Bundesregierung für die grenznahe und zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit mit Polen. Sie kandidierte 2004 auf Vorschlag von SPD und Bündnis90/Die Grünen und 2009 auf Vorschlag der SPD für das Amt des Bundespräsidenten.
Gesine Schwan ist Präsidentin der „Berlin Governance Platform“ in Berlin, die sich für eine bessere Transparenz und Partizipation in demokratischer Politik einsetzt.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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