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Wie Kanada für Vielfalt im öffentlichen Dienst sorgt.
Bild: office von Damir Kopezhanov lizenziert unter CC0 1.0
Vielfältigkeit ist schon lange ein fester Teil von Kanadas Identität. Das Land wird oft als Modellstaat für gelebte soziale Teilhabe und Pluralismus anstelle von bloßer Integration und Assimilation hervorgehoben. Das Konzept des kanadischen "Mosaiks" spiegelt den Glauben wider, dass die einzigartigen Identitäten des Einzelnen Stärken sind, die es zu feiern gilt, und nicht Qualitäten, die in eine singuläre nationale Identität oder Kultur umgeformt werden müssen. Demografisch betrachtet, kann man zudem feststellen, dass ein Fünftel der Kanadier_innen außerhalb des Landes geboren wurden, im Land 200 Sprachen gesprochen werden, Einwanderung für zwei Drittel des Bevölkerungswachstums verantwortlich ist und bis zum Jahr 2031 nahezu ein Drittel der Kanadier_innen einer sichtbaren Minderheit angehören werden.
Obwohl es sicherlich noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt, können sich andere Länder, die zunehmend vielfältiger werden, ein Beispiel an Kanada nehmen, um Vielfältigkeit und den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft zu verbessern. Mittels eines tieferen Verständnisses der historischen Wurzeln der Debatte um Vielfalt in Kanada, der Methoden, mit denen Vielfalt und Inklusion im öffentlichen Sektor reflektiert und konzeptualisiert werden, und der Instrumente, mit denen ein Fortschritt in diesen Bereichen gemessen wird, können wichtige Lehren gezogen werden.
Dem Diskurs um Vielfalt, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor, gingen soziale Protestbewegungen und Fortschritte in den 1970er und 1980er Jahren voraus. Insbesondere der Bereich der Frauenrechte und der in der Kanadischen Charta der Rechte und Freiheiten festgesetzte Schutz von Minderheitsrechten muss hier genannt werden ebenso wie die offizielle Zweisprachigkeit des Landes und seine Politik des Multikulturalismus, die Offenheit der Einwanderungspolitik sowie die verstärkte Aufmerksamkeit auf die Rechte indigener Völker.
Kanada verfügt über einen sich weiterentwickelnden rechtlichen und politischen Rahmen, der die Vielfalt im öffentlichen Dienst fördert. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung fand mit der Verabschiedung des Employment Equity Act in den 1980er Jahren statt. Diese Gesetzgebung zur Gleichbehandlung am Arbeitsplatz wurde durch die von Richterin Rosalie Abella geleitete Abella-Kommission eingeführt. In Kanada wurde bewusst der Fokus auf das Konzept von „Equity“, also Gerechtigkeit, gelegt. Wohingegen in den USA der Begriff „Affirmative Action“ (positive Diskriminierung) benutzt wurde. Dieser Fokus auf das Konzept der Gerechtigkeit ist vor allem auf die negative öffentliche Stimmung bezüglich positiver Diskriminierung und deren Zusammenhang mit "Quoten" zurückzuführen. Der Employment Equity Act von 1986 verpflichtete die Arbeitgeber der Bundesbehörden proaktiv vorzugehen, um die Sichtbarkeit von vier festgelegten Gruppen zu verbessern, damit „keiner Person die Möglichkeit einer Beschäftigung oder Vorteile bei derselben auf einer nicht auf Kenntnissen und Fertigkeiten basierenden Grundlage verwehrt wird.“ Das Konzept der Gerechtigkeit kommt besonders deutlich hervor in der Betonung auf den Ausgleich von „den Umständen, die bei Frauen, indigenen Menschen, Menschen mit einer Behinderung und Mitgliedern einer sichtbaren Minderheit zu einer Benachteiligung im Beruf führen. Diesen Umständen wird Rechnung getragen, indem anerkannt wird, das Gleichbehandlung am Arbeitsplatz nicht nur beinhaltet, dass Menschen gleichwertig behandelt werden, sondern auch die Einführung von besonderen Maßnahmen und dem Ausgleich von Unterschieden“.
Komplementäre Gesetze wie der Official Languages Act, der Canadian Human Rights Act, und der Canadian Multiculturalism Act stellten ebenfalls die Weichen für Vielfalt im öffentlichen Dienst.
Eine von Gewerkschaften und Vorstand gemeinsam getragene Arbeitsgruppe (Joint Union/Management Task Force on Diversity and Inclusion) gelang in ihrem Bericht zu dem Befund, dass der Großteil der kanadischen Staatsverwaltung in den letzten 20 Jahren enorme Fortschritte im Bereich Gleichbehandlung und Repräsentation am Arbeitsplatz erzielen konnte. Im Jahr 2016 waren alle vier designierten Gruppen, also Frauen (55%), sichtbare Minderheiten (16%), indigene Menschen (5%) und Menschen mit Behinderungen (6%) im Vergleich zu ihrer Arbeitsmarktverfügbarkeit überrepräsentiert. Eine designierte Gruppe gilt dann als „vollständig repräsentiert“ wenn beide Anteile gleich hoch sind.
Während die Repräsentanz von Frauen, sichtbaren Minderheiten und indigenen Bevölkerungsgruppen verbessert wurde, sind Menschen mit Behinderungen immer noch unterrepräsentiert. In Führungspositionen des öffentlichen Dienstes sind alle vier Gruppen unterrepräsentiert. Genau diese Problematik spiegelt sich auch im privaten Sektor wider. So hat sich zwar die Belegschaft insgesamt diversifiziert, nicht jedoch auf den höheren Führungsebenen. Zwischen den Jahren 1993-2016 vergrößerte sich der Anteil von Mitarbeiter_innen aus einer sichtbaren Minderheit um 279% - doch nur um 84% auf Führungsebene. Ähnlich sieht es bei indigenen Bevölkerungsgruppen aus; dort erhöhte sich die Repräsentanz um 157% am Arbeitsplatz allgemein aber nur um 23% in höheren Positionen. Jedoch ist zu beachten, dass die für den Vergleich herangezogenen Zahlen für die Arbeitsmarktverfügbarkeit erstens auf Schätzungen beruhen und zweitens lückenhaft sind. Sie enthalten beispielsweise keine spezifischen Daten zu LQBTQ-Repräsentation, lassen Menschen ohne kanadische Staatsbürgerschaft außen vor und basieren auf Zensusperioden.
Teil des Mandats der Joint Task Force war Vielfalt und Inklusion im öffentlichen Sektor zu definieren. Sie empfiehlt die folgenden Faktoren im Hinblick auf die Vielfalt der Mitarbeiter_innen zu berücksichtigen: „Ethnizität, Alter, Genderidentität, sexuelle Orientierung, Neurodiversität, verschiedene Fähigkeiten sowie andere Unterschiede, die sich auf den Beruf auswirken und ihn bereichern. Diese schließen Werte, Kommunikationsstile, Denkweisen, Interessen und Leidenschaften, Erziehung, Arbeitsansätze, Berufsgruppe und Hierarchieebene sowie Bildung mit ein.“ Ein inklusiver Arbeitsplatz wird wie folgt definiert: „Fair, gerecht, unterstützend, offen und respektvoll. Der Arbeitsplatz akzeptiert, schätzt und nutzt Unterschiede in Bezug auf Identitäten, Fähigkeiten, Hintergründe, Kulturen, Kenntnisse, Erfahrungen und Perspektiven. Dies unterstützt und bestärkt ebenfalls Kanadas sich ständig weiterentwickelndes Rahmenwerk für Menschenrechte.“
Der erste Schritt zur Verbesserung der Sichtbarkeit von Vielfalt im öffentlichen Sektor besteht darin sie zu messen. Die öffentliche Transparenz und die Berichterstattung über die demographische Repräsentation sind in den jährlichen Employment Equity Reports enthalten, die dem Parlament vom Treasury Board (Regierungsausschuss für Finanzfragen) vorgelegt werden. Zudem verfasst das Geheimratssekretariat einen Jahresbericht für den Premierminister über den öffentlichen Dienst Kanadas. Jedoch führen demographische Daten und die Messung der unterschiedlichen Repräsentationsgrade nicht unbedingt zu mehr gefühlter Inklusion.
Die jährliche Mitarbeiter_innenbefragung im öffentlichen Dienst (Public Service Annual Employee Survey) ist ein wichtiges qualitatives Instrument, das die Meinungen und Erfahrungen der in den staatlichen Behörden Beschäftigten zu Einbindung, Führung, Belegschaft, Arbeitsplatz, Wohlbefinden am Arbeitsplatz und Vergütung ermittelt. So ergab die Umfrage 2018, dass 78% der Mitarbeiter_innen im öffentlichen Dienst der Meinung sind, dass ihre "Abteilung oder Agentur individuelle Unterschiede (z.B. Kultur, Arbeitsstile, Ideen) respektiert". Allerdings berichteten auch ein Fünftel der Angestellten, dass sie in den letzten zwei Jahren belästigt worden waren.
Abteilungen und Behörden haben damit begonnen, den Mitarbeiter_innen Ombudsstellen anzubieten, und in jedem Amt gibt es ausgewiesene Ansprechpartner_innen für Vielfalt und Inklusion. Eine befragte Person empfahl diesen Ansprechpartner_innen mehr Möglichkeiten für „Fortbildungen und bessere Kommunikationskanäle, um Informationen zu verbreiten, [zu geben].“
Die Public Service Commission of Canada ist eine unabhängige Regierungsbehörde, die "die leistungsbezogene Einstellung, Überparteilichkeit, die Repräsentativität der kanadischen Vielfalt und die Verwendung beider Amtssprachen im kanadischen öffentlichen Dienst gewährleistet". Zudem haben die Mitarbeiter_innen staatlicher Behörden die Möglichkeit an der Canada School of Public Service kontinuierliche Weiterbildungen zu besuchen. Diese Bildungseinrichtung hat den Anspruch, Diversitäts- und Inklusionstrainings durchzuführen, die von multiplen Akteuren gemeinsam gestaltet werden und auf dem neuesten Stand sind. Hier wäre beispielhaft eine kürzlich gegründete Beratungsrunde zu nennen, die sich aus Mitgliedern der Indigenen Regierung sowie Nichtregierungsvertreter_innen zusammensetzt. Dieser Runde kommt eine strategische Rolle in der „Indigineous Learning“ (indigenes Lernen) Serie an Schulen zu.
Im Jahr 2015 ernannte die kanadische Regierung das erste nach Geschlechtern ausgewogene Kabinett in der Geschichte Kanadas. Im Kabinett waren ebenfalls überproportional viele Mitglieder aus sichtbaren Minderheiten sowie eine größerer Anteil aus der indigenen Bevölkerung vertreten.
Im Jahr 2017 wurde das Pilotprojekt Anonymized Recruitment von der Public Service Commission und dem Treasury Board gestartet. Das Projekt hat zum Ziel, bestehende Vorurteile im Einstellungsverfahren des öffentlichen Dienstes aufzuzeigen. Während die Studie durchaus methodische Mängel aufwies, können andere Regierungen, die an ähnlichen Programmen interessiert sind, dennoch relevante Lehren aus ihr ziehen, um die vorurteilsbedingten Verzerrungen in ihren Einstellungsprozessen besser zu verstehen und zu mindern.
Kanadas Stärken liegen in seinem multifaktoriellen Ansatz, der Institutionalisierung von Employment Equity Praktiken und proaktiven Initiativen zur Bewertung von Vielfalt und Erfahrungen mit Inklusion im öffentlichen Dienst. Die Regierung weitet diese Bemühungen aus, indem sie auch bei ihren politischen und haushaltspolitischen Entscheidungen eine intersektionale Perspektive namens "gender-based analysis plus" (GBA+) einnimmt. Der GBA+ Ansatz berücksichtigt die Tatsache, dass Identitäten (wie Race, Class und Gender) miteinander verflochten sind und daraus multiple oder sich überschneidende Diskriminierungen oder Nachteile entstehen können.
Ein weiterer Aspekt der Debatte um Vielfalt, der nicht außen vor gelassen werden darf, ist der Quebecer Gesetzentwurf 21, der es bestimmten Beamt_innen, einschließlich Lehrer_innen und Polizist_innen, verbietet, religiöse Symbole wie Hijabs, Kippas und Turbane zu tragen. Dies war ein umstrittener Gesetzentwurf, der nun durch Quebecs größten englischen Schulrat, der Canadian Civil Liberties Association und dem Council of Canadian Muslims rechtlich angefochten wird. Laut seiner Kritiker_innen sei das Gesetz diskriminierend und habe schädliche Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt und die soziale Integration. Die kanadische Gemeindekoalition gegen Rassismus und Diskriminierung (Canadian Coalition of Municipalities Against Racism and Discrimination) hat daraufhin zu einer landesweiten Aktion gegen das Gesetz aufgerufen. Die Aktion erhielt u.a. Zuspruch von Stadträt_innen in Calgary sowie Toronto.
Kanadas öffentlicher Dienst hat noch Verbesserungspotenzial, insbesondere bei schwarzen Kanadier_innen, Menschen mit Behinderungen und Zugangsproblemen sowie LGBTQ+ Kanadier_innen. Trotzdem können Kanadas Bemühungen, die Vielfalt im öffentlichen Dienst zu quantifizieren und proaktiv zu gestalten, als Vorbild für andere Länder fungieren, die sich ebenfalls Diversität und Inklusion auf die Fahnen geschrieben haben. Allerdings gibt es noch viel zu tun, bevor die politischen, regulatorischen und berichtenden Initiativen auch in tatsächlich wahrgenommener Inklusion resultieren.
Autorin:
Cadhla Gray arbeitet mit dem Institut für kanadische Staatsbürgerschaft an Forschung, Engagement und Advocacy-Initiativen zu den Themen Bürgerbeteiligung, Vielfalt und Integration, Einwanderung und Desinformation. Cadhla's frühere Arbeit konzentrierte sich auf die Einbeziehung der vielfältigen Stimmen von Bürger_innen in die öffentliche Politikgestaltung und auf die strategische Planung im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Katastrophenresistenz mit der Internationalen Organisation für Migration. Sie hat einen Master-Abschluss in globalen Angelegenheiten und Umweltstudien.
Textredaktion: Sharon Tindyebwa
Referenzen:
http://oaresource.library.carleton.ca/wcl/2018/20180119/BT22-184-2017-eng.pdf
https://policyoptions.irpp.org/magazines/october-2017/diversity-in-the-public-services-executive-ranks/
https://www.canada.ca/en/treasury-board-secretariat/corporate/reports/building-diverse-inclusive-public-service-final-report-joint-union-management-task-force-diversity-inclusion.html
https://www.canada.ca/en/public-service-commission/services/publications/Name-blind-recruitment-pilot-project.html
https://www.canada.ca/en/treasury-board-secretariat/services/innovation/human-resources-statistics/demographic-snapshot-federal-public-service-2016.html
Fokus NorD: Dänische Integrationspolitik in sozial benachteiligten Stadtgebieten. Ein Beitrag von Susi Meret.
Fokus NorD: Vielfalt im öffentlichen Dienst in Schweden. Ein Beitrag von Nazem Tahvilzadeh.
Wir sprachen mit zwei der Autor_innen der neuen FES-Studie, Dr. Anne-Kathrin Will und Professorin Magdalene Nowicka, über ihre Erkenntnisse.
IT-Fachkräfte sind wohl eine der begehrtesten Fachkräftegruppen auf dem Arbeitsmarkt. Eine FES-Studie analysiert die Einwanderungsbedarfe.
Dr. Johannes Crückeberg
030 26935-8332Johannes.Crueckeberg(at)fes.de
Marcus Hammes
0228 883-7149Marcus.Hammes(at)fes.de