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Nicht nur das Gesagte zählt

Wie Sprachmittler_innen die Verständigung ermöglichen und Integration fördern.

Bild: Antje Schwarze von Condimento.net

Bild: von SprInt gemeinnützige eGenossenschaft

Wie kann Sprach- und Integrationsmittlung (kurz SprInt) ganz praktisch Integration fördern? SprInt bedeutet kultursensibles Dolmetschen für Behörden, soziale Dienste, Beratungsstellen, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen im Umgang mit neu eingewanderten Menschen oder Bürger_innen ohne gute Deutschkenntnisse – und das dezentral und auch in ländlichen Regionen. Darüber sprachen wir mit Antje Schwarze, die fünf Jahre lang das bundesweite Sprint-Netzwerk koordiniert hat und Institutionen bei der Einführung dieser Dienstleistung berät.

FES: Frau Schwarze, als Außenstehender stellt man sich vor, dass Sprachmittler_innen dolmetschen, also das Gesagte übersetzen, wenn zwei Personen keine gemeinsame Sprache sprechen. Ist diese Beschreibung richtig oder was genau machen Sprachmittler_innen?

Köpping: Die Aufgaben von Sprachmittler_innen gehen in der Tat weit über das reine Übersetzen hinaus. Das fachspezifische Dolmetschen zur Unterstützung der Kommunikation zwischen Migrant_innen und dem Fachpersonal im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen ist aber eine erste, anspruchsvolle Tätigkeit von ihnen. Denn es ist mehr als „nur“ das Gesagte wortwörtlich und korrekt wieder zu geben. Es bedeutet auch ein Übersetzen zwischen verschiedenen Fachkulturen z. B. Fachsprachen der Jugendhilfe oder der Medizin und der Migrant_innensprachen mit unterschiedlichen Bildungs-, soziokulturellen, ethnischen, religiösen und persönlichen Hintergründen.

Hinzu kommt, dass es sich häufig auch um emotional schwierige Situationen handelt, da es um folgenreiche Entscheidungen geht. So müssen nicht nur sprachliche Missverständnisse verhindert werden, sondern auch Informationsdefizite auf beiden Seiten ausgeglichen werden. Daher kommt als zweite Aufgabe die Erläuterung von Inhalten und Vermittlung von Hintergrundinformationen in beide Richtungen. Beispielsweise geht es dabei um Fachbegriffe, aber auch um den unterschiedlichen Umgang mit Krankheit, Geschlechterrollen, Tabus und Scham in verschiedenen Kulturen.

Gut ausgebildete Sprachmittler_innen können drittens auch assistieren. Sie unterstützen die Fachkräfte der Sozialen Arbeit und übernehmen Teilaufgaben unter ihrer Anleitung. Z. B. können sie eueingewanderte Familien Mit Hilfe einer Checkliste zu den wichtigsten Institutionen begleiten (Schulanmeldung, Ausländerbehörde, Gesundheitschecks etc.). Diese anspruchsvolle Aufgabe erfordert ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit und Rollenklarheit.

Welche Rolle können Sprachmittler_innen bei der interkulturellen Öffnung von Verwaltungen und Institutionen spielen?

In der Praxis verhindern oft sprachliche und kulturelle Barrieren die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund. Gegenseitiges Misstrauen, Frustration und Ablehnung der Hilfsangebote sind Folgen, welche die gesellschaftliche Integration von migrierten Personen scheitern lassen. Insbesondere wenn von Anfang an den Neuzugewanderten unsere Systeme erklärt werden, trägt Sprachmittlung zur schnellen Integration bei. Der gezielte Einsatz von qualifizierten Sprachmittelnden kann zu einem systematischen Integrationsmanagement beitragen.

Beispielsweise die Stadt Wuppertal arbeitet seit Jahren mit einem solchen System. Um es konkret zu machen: Benötigen Asylsuchende und Geflüchtete Unterstützung beim Ankommen, begleiten sie professionelle Sprachmittler_innen in Erstaufnahmeeinrichtungen. Flüchtlingsberatungsstellen begleiten im Prozess der Antragsstellung und bei entsprechenden Aufnahmebedingungen zielgerichtet und bedarfsgerecht.

SprInt, das Netzwerk für Sprach- und Integrationsmittlung in Deutschland, setzt sich dafür ein, dass die Tätigkeit als Sprach-und Integrationsmittler_in als Beruf anerkannt wird. Warum ist das wichtig?

Sprachmitteln ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, die einer Ausbildung bedarf und somit auch einer entsprechenden Bezahlung. Um die Qualität der Sozialen Arbeit weiterhin zu gewährleisten, braucht es für diese Tätigkeit einen qualitativ abgesicherten und einheitlichen Rahmen, was Qualifizierung und Vergütung angeht. In vielen Ländern ist das kultursensible Dolmetschen im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen bereits ein anerkannter Beruf, z. B. „interkulturelle_r Dolmetscher_in“ in der Schweiz, „Kommunaldolmetscher_in“ in Österreich oder „Community interpreter“ in Großbritannien und Kanada.

Um die Verständigungslücke zu schließen, setzt man zurzeit in Deutschland mehrheitlich Laiendolmetschende ein – Kinder, Verwandte oder bilinguale Fachkräfte, wie Stadtteilmütter und-väter, „Integrationslotsen“ oder anderes. Kurzqualifikationen dazu gibt es in vielen Städten und Regionen. Diese sind hilfreich, um kurzfristig den hohen Bedarf an Unterstützung zu decken. Aber dauerhaft ist das nicht zufriedenstellend, weil Länge und Qualität der Ausbildungen stark variieren und uneinheitlich sind. Zudem wird größtenteils auf die Ehrenamtlichkeit der Dienstleistungen gesetzt.

Der Einsatz von Ehrenamtlichen hat in der Regelversorgung seine Grenzen und sollte keine Dauerlösung sein. Zudem stellen sich bei Einsätzen im Krankenhaus oder im Jugendamt die Fragen der Verlässlichkeit der Dolmetschung und der Haftung. Ein anerkannter Beruf der Sprach-und Integrationsmittler_in verhindert solche Unsicherheiten, sichert Qualitätsstandards und gibt Auftraggebern Rechtssicherheit.

Neben einem einheitlichen Lehrplan, gehört auch eine einheitliche Vergütung zu dieser Tätigkeit. Da viele der Sprachmittler_innen keinen formellen Qualifikationsnachweis vorweisen können, werden diese in sehr niedrige Gehaltsstufen eingruppiert. Insgesamt arbeiten viele Sprachmittler_innen in prekären Arbeitsverhältnissen, zum Teil durch staatliche Förderprogramme finanziert. Dies führt zu einer hohen Fluktuation von Mitarbeitenden, beispielsweise wenn diese die Möglichkeit erhalten, eine Ausbildung oder ein Studium anzufangen. Gut wäre dahingegen die Möglichkeit, als Sprach- und Integrationsmittler_in innerhalb einer Institution zu arbeiten und sich berufsbegleitend weiterqualifizieren zu können.

Das Netzwerk für Sprach- und Integrationsmittlung in Deutschland strebt eine staatliche Anerkennung des Berufes des/der Sprach- und Integrationsmittler_in an. Das Ziel ist der Erlass einer Fortbildungsverordnung nach § 53 Berufsbildungsgesetz (BBiG). Die Initiatoren haben sich zu diesem Zweck auf einen einheitlichen Lehrplan und Qualitätsstandards verständigt, nach denen in vielen Städten in Deutschland schon ausgebildet wird. Ihre umfassende Qualifizierung erfolgt nach wissenschaftlichen Kriterien und bundesweiten Standards.

Weitere Informationen:

SprInt Homepage

Ein Praxisprojekt

Junge, Fabian; Schwarze, Antje: Mehr verstehen, besser zusammenleben. Sprach- und Integrationsmittler sorgen für Qualität in der interkulturellen Kommunikation im Alltag der Institutionen. In: Sozial Extra (2014), Jg. 38, Band 6, S. 33-37.

Über die politischen Rahmenbedingungen von Sprach- und Integrationsmittler_innen sprachen wir mit Petra Köpping, Staatsministerin für Gleichstellung und Integration in Sachsen, die sich für SprInt-Angebote in Sachsen stark macht.


Dr. Johannes Crückeberg

030 26935-8332
Johannes.Crueckeberg(at)fes.de

Marcus Hammes

0228 883-7149
Marcus.Hammes(at)fes.de

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