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Wie eine integrative Einwanderungspolitik die Entwicklung im globalen Süden fördert

Einwanderung ist grundsätzlich eine Bereicherung für Wirtschaft und Kultur eines Landes, wenn Migrant_innen die Möglichkeit haben, sich sicher zu fühlen und zu entfalten, sagt Dr. Luisa Feline Freier von der Universidad del Pacífico in Lima, Peru


Migration ist eine Chance für Entwicklung. Die Frage ist jedoch, wie diese Chance genutzt werden kann und wie Migrationspolitik zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt. Dies ist das Hauptthema des jüngsten Bandes der International Development Policy Series mit dem Titel "Governing Migration for Development from the Global Souths" (Entwicklungspolitische Migrationspolitik der Länder des globalen Südens). Die Publikation befasst sich mit migrationspolitischen Konzepten, die in den Ländern des Globalen Südens umgesetzt wurden, und bietet den Leser_innen die Möglichkeit, aus den jeweiligen Ansätzen der Migrationspolitik zu lernen. Der Titel ist bewusst gewählt. Indem wir von den Ländern des Globalen Südens im Plural und nicht von dem Globalen Süden im Singular sprechen, werden die Unterschiede zwischen den Ländern, die unter diesen Begriff fallen, berücksichtigt.

Der Zusammenhang zwischen Migration und nachhaltiger Entwicklung wird anhand von dreizehn Fallstudien aus verschiedenen Regionen mit unterschiedlichen Governance-Strukturen untersucht. Normalerweise wird dieser Migrations-Entwicklungs-Nexus eher negativ wahrgenommen. Die Autor_innen wollen diese Perspektive in Frage stellen, indem sie untersuchen, welchen Beitrag Migration für die Aufnahme- und die Herkunftsländer leistet. Die zentrale These ist, dass es von der jeweiligen Politik abhängt, ob die Auswirkungen von Zuwanderung überwiegend positiv oder negativ sind. Dabei muss die nationale Entwicklungspolitik den Gegebenheiten vor Ort entsprechen. 

Wir sprachen mit Prof. Dr. Luisa Feline Freier über ihr Kapitel zur venezolanischen Einwanderung in Peru und Argentinien. Beide Länder nahmen Venezolaner_innen mit ähnlichen sozioökonomischen Merkmalen auf, doch gingen sie sehr unterschiedlich mit der Einwanderung um. Venezuela war einst eines der florierendsten Länder der Region. Heute verlassen monatlich tausende Menschen das Land, weil der Staat grundlegende Menschenrechte nicht gewährleistet. Das Land befindet sich seit mehr als fünf Jahren in einer tiefen Wirtschaftskrise und gilt heute als eines der unsichersten Länder weltweit mit hoher Gewaltbereitschaft und mangelhaften staatlichen Systemen.

 

Frau Prof. Dr. Freier, in Ihrem Kapitel vergleichen Sie die politischen Reaktionen auf die venezolanische Einwanderung in Argentinien und Peru im Zeitraum 2015-2020. Welches sind die wichtigsten Unterschiede zwischen den beiden Ländern im Hinblick auf die Migrationspolitik?

Der Hauptunterschied besteht darin, dass Argentinien die venezolanischen Immigrant_innen als Akteure für Entwicklung behandelt hat, während die jüngsten peruanischen Regierungen Einwanderung vor allem als Problem für die nationale Sicherheit betrachtet haben. Das liegt zum Teil daran, dass Argentinien auf eine lange Tradition als Aufnahmeland zurückblicken kann, die Bevölkerung der Einwanderung gegenüber positiver eingestellt ist und das Land über mehr staatliche Ressourcen verfügt als Peru. Dabei ist natürlich zu beachten, dass es in Argentinien insgesamt viel weniger venezolanische Immigrant_innen gibt, sodass der Druck auf die öffentlichen Dienste geringer ist. Gleichzeitig gibt es in Argentinien seit jeher eine starke Zivilgesellschaft, die sich aktiv für die Rechte von Migrant_innen einsetzt, während die Stimme der Zivilgesellschaft in Peru relativ begrenzt ist und die meisten Organisationen keine Erfahrung in der Arbeit mit Migrant_innen und Geflüchteten haben.

Seit 2012 gewährt Argentinien Venezolaner_innen eine zweijährige befristete Aufenthaltsgenehmigung und seit 2019 dürfen Venezolaner_innen mit abgelaufenen Pässen oder Personalausweisen einreisen. Im Gegensatz dazu hatte Peru zwar zwischen 2017 und 2018 eine relativ liberale Migrationspolitik. Doch seitdem hat die Regierung die Beschränkungen für die Einreise von Venezolaner_innen immer weiter verschärft, zum Beispiel durch die Einführung eines sogenannten „humanitären“ Visums. Dieses Visum ist keine humanitäre Regelung, sondern es handelt sich de facto um einen sozioökonomischen Filter, der die Mehrheit der Venezolaner_innen diskriminiert, die keinen Zugang zu Pässen und legalisierten Dokumenten haben. Abgesehen von den unzureichenden staatlichen Regelungen hat sich auch die öffentliche Meinung über die venezolanische Einwanderung in Peru verschlechtert.

Wie haben sich die verschiedenen politischen Maßnahmen und ihre Umsetzung auf die Situation und die Rechte der Migrant_innen in den beiden Zielländern ausgewirkt?

2020 hatten nur 54 Prozent der legal nach Peru eingereisten Venezolaner_innen einen regulären Aufenthaltsstatus. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf ihre Lebensbedingungen und Rechte. Migrant_innen ohne regulären Status erhalten keine offizielle Arbeitserlaubnis und haben kaum Zugang zu staatlichen Leistungen. So haben, von einigen Ausnahmen wie Schwangeren oder Kindern unter fünf Jahren abgesehen, nur Migrant_innen mit regulärem Aufenthaltsstatus Zugang zur öffentlichen Krankenversicherung. Außerdem ist es für Migrant_innen ohne regulären Status schwieriger, eine Wohnung zu mieten. In Argentinien sieht die Situation anders aus. Der Zugang zu Sozialleistungen und ein unkompliziertes Verfahren zur Anerkennung von Berufsabschlüssen erleichtert die sozioökonomische Integration.

Allerdings gibt es einen Aspekt, in dem sowohl die Reaktionen Perus als auch Argentiniens unzureichend sind. Keines dieser Länder erkennt Venezolaner_innen als Flüchtlinge an, obwohl beide Länder die erweiterte Flüchtlingsdefinition der Erklärung von Cartagena in ihre Gesetzgebung aufgenommen haben, die auch Personen miteinschließt, die vor Krieg und Unruhen fliehen und somit auf Venezolaner_innen anwendbar ist. Daher sind Venezolaner_innen nicht generell als Flüchtlinge geschützt, und der Flüchtlingsstatus wird nur unter außergewöhnlichen Umständen gewährt.

Sie schreiben, dass die Fremdenfeindlichkeit in Peru parallel zur venezolanischen Einwanderung zugenommen hat und dass zivilgesellschaftliche Organisationen keinen Erfolg hatten, das Meinungsbild zu beeinflussen. In vielen Teilen der Welt hält sich das negative Narrativ über Migration hartnäckig. Was ist erforderlich, um dieses Problem erfolgreicher anzugehen?

In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass die Fremdenfeindlichkeit in Peru aktiv von der Regierung geschürt wurde. Obwohl Venezolaner_innen nur einen geringen Prozentsatz der Verbrechen begehen, haben die peruanischen Behörden den Eindruck vermittelt, dass sie die Einwanderung begrenzen müssen, um die Kriminalität zu bekämpfen.

Was wir brauchen, ist eine Zusammenarbeit der Behörden und der Zivilgesellschaft zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit. Auch die Medien spielen eine wichtige Rolle. Sie sollten darauf achten, Straftaten einzelner Migrant_innen nicht zu übertreiben, sondern vielmehr den Beitrag der Migrant_innen zur Gesellschaft insgesamt hervorheben. Damit Mythen wie die Kriminalität bei Migrant_innen in der Öffentlichkeit widerlegt werden, könnten die entsprechenden Behörden die verfügbaren Daten zugänglich machen. In Peru sind diese Daten aber nicht öffentlich. Für die Forschung über Einwanderung und Kriminalität, die wir an der Universidad del Pacífico in Lima durchgeführt haben, mussten wir die Kriminalstatistiken bei der Polizei anfordern. Hier können öffentliche Institutionen und kritische zivile Akteure—wie beispielsweise Akademiker_innen—sehr nützlich sein.

Sie kommen zu dem Schluss, dass die bemerkenswerte Integration der venezolanischen Migrant_innen in Argentinien ein Ergebnis der langen Geschichte des Landes als Einwanderungsland und seiner engagierten Zivilgesellschaft ist. Welche Teile Ihrer Erkenntnisse könnten übertragen werden und die Migrationspolitik in anderen Ländern, die möglicherweise einen anderen historischen Kontext haben, positiv beeinflussen?

Zunächst müssen wir verstehen, dass wir ganz unabhängig vom historischen Kontext des Aufnahmelandes Flucht und Vertreibung, wie im Falle Venezuelas, nicht stoppen können, selbst wenn wir es wollten. Die Regierungen können aber legale Zugangswege bieten, um die sozioökonomische Integration zu erleichtern und die Kontrolle über die Zuwanderung zu behalten, in dem Sinne dass sie wissen, wer ins Land kommt und sich dort aufhält. Peru zum Beispiel hat versucht, die Zuwanderung zu stoppen, aber obwohl die offiziellen Zahlen zurückgegangen sind, hat dies die irreguläre Migration zusätzlich gefördert.

Um mögliche Gegenreaktionen der Bevölkerung gegen hohe Migrationszahlen zu verringern, muss alles getan werden, um die Migrant_innen zu integrieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Einwanderung bringt keine „Kosten“ für die Gesellschaften mit sich, vielmehr ist sie eine enorme wirtschaftliche und soziale Chance für die Aufnahmeländer. Argentinien ist ein gutes Beispiel für ein Aufnahmeland im Globalen Süden, das in diesem Sinne pragmatisch mit erheblichen Einwanderungsbewegungen umgegangen ist.

Die internationale Organisation für Migration (IOM) hat die argentinische Politik zur Anerkennung von Studienabschlüssen als „Best Practice“ anerkannt, denn die Verfahren für die Validierung von Berufsabschlüssen sind äußerst unkompliziert. Argentinien hat den Venezolaner_innen auch einen legalen Aufenthaltsstatus gewährt, der ihnen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt verschafft. Diese Politik erleichtert den Migrant_innen die Integration in den regulären Arbeitsmarkt und sorgt dafür, dass die Bevölkerung des Aufnahmelandes von allen Vorteilen der Migration profitiert, was wahrscheinlich die öffentliche Meinung über die Einwanderung verbessert. Eine solche Aufnahmepolitik ist für alle Aufnahmeländer unabhängig vom historischen und soziopolitischen Kontext sinnvoll.

Internationale Rahmenwerke wie die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und der UN Migrationspakt (Globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration) geben die Richtung vor, um den Beitrag von Migrant_innen und Migration zur nachhaltigen Entwicklung zu stärken. Welchen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung, abgesehen vom Wirtschaftswachstum, sehen Sie in der jeweiligen Migrationspolitik Perus und Argentiniens?

Jede Politik, die sich für den Schutz der Rechte von Geflüchteten und Vertriebenen einsetzt, ist ein Schritt nach vorn im Sinne der nachhaltigen Entwicklung. Die Einwanderungsbewegungen, mit der Peru und Argentinien derzeit konfrontiert sind, basieren nicht auf freiwilliger Einwanderung. Die Venezolaner_innen haben ihr Land aufgrund von Armut, Hunger und ständigen Menschenrechtsverletzungen verlassen. Im Moment ist der venezolanische Exodus die zweitgrößte internationale Vertreibung, nach der durch den Krieg in der Ukraine verursachten Flüchtlingskrise. Die begrenzten, aber wichtigen integrationspolitischen Maßnahmen Perus und Argentiniens sind von zentraler Bedeutung für die Ziele der nachhaltigen Entwicklung: die Bekämpfung von Armut, Hunger, Ungleichheit und die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass Argentinien nicht nur Aufenthaltsgenehmigungen für irreguläre Migrant_innen ausstellt, sondern auch den Zugang der Migrant_innen zu grundlegenden Dienstleistungen garantiert. Daraus lässt sich folgende Lehre ziehen: Um mit Einwanderungspolitik zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen, müssen Migrant_innen und Geflüchteten Wege zur regulären Migration, zur sozioökonomischen Integration und schließlich zur vollen Staatsbürgerschaft eröffnet werden.

Welche allgemeinen Lehren ziehen Sie aus Ihrer Fallstudie, die für Migrationspolitik unabhängig vom Herkunfts- und Zielland wichtig sind?

Wir müssen erkennen, dass eine steigende Zahl von Einwanderern nicht automatisch zu Fremdenfeindlichkeit führt, sondern dass dies wesentlich davon abhängt, wie Regierungen und Einwanderungsbehörden über Einwanderung sprechen und damit umgehen. Wir müssen auch verstehen, dass Einwanderung immer eine Chance ist und dass Migrant_innen die Entwicklung vorantreiben können. Natürlich ist es nicht einfach, eine erfolgreiche Integration zu gewährleisten, doch Migration kann nicht gestoppt werden. Daher ist es eine Notwendigkeit, Migrant_innen und Geflüchtete so schnell wie möglich zu integrieren. Aus der Perspektive der Menschenrechte und auch aus einem pragmatischen politischen Ansatz heraus ist es die beste Option, legale Wege zu bieten und die Integration zu fördern. Der Fall Argentinien zeigt, dass wir selbst bei einem plötzlichen Anstieg von Geflüchteten und Vertriebenen besser beraten sind eine integrative Politik zu verfolgen. Der Fall Peru zeigt, wie öffentliche Institutionen Fremdenfeindlichkeit und öffentliche Konflikte schüren können. Wie bereits gesagt, ist die Einwanderung im Wesentlichen eine Bereicherung für die Wirtschaft und Kultur eines Landes. Aber um dieses Potenzial auszuschöpfen, müssen wir den Migrant_innen die Möglichkeit geben, sich sicher zu fühlen und ihr Leben erfolgreich zu gestalten.


Über die Autorin

Prof. Dr. Luisa Feline Freier ist ordentliche Professorin für Politikwissenschaften an der Universidad del Pacífico (Lima, Peru) und IDRC-Forschungsprofessorin für Flucht und Vertreibung in Lateinamerika und der Karibik. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Politik und Recht zu Migration und Flucht in Lateinamerika, Süd-Süd-Migration und die venezolanische Migrationskrise. Sie hat verschiedene internationale Institutionen und Organisationen wie Amnesty International, ICRC, IDB, IOM, UNHCR, die Weltbank und die EU beraten.


Dr. Johannes Crückeberg

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Johannes.Crueckeberg(at)fes.de

Marcus Hammes

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