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Warum Integration eine Zukunftsfrage der Sozialdemokratie ist und was getan werden muss, damit sie gelingt. Ein Plädoyer von Rasha Nasr, migrations- und integrationspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
Auch wenn es gerade wieder gegenteilig durch den Blätterwald rauscht: Die integrationspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung wirken. Ich wünsche mir, dass jene Geschichten mehr Aufmerksamkeit bekommen, die von gelungener Integration und gelebter Gemeinschaft erzählen. Denn sie sind da: die tausenden Erfolgsgeschichten – wir müssen nur zuhören und uns von ihnen anstecken lassen.
Mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht, das doppelte Staatsbürgerschaften ermöglicht, haben wir einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur modernen Einwanderungsgesellschaft geschafft: Denn damit einher geht auch das Wahlrecht, von dem in der Vergangenheit zu viele Menschen ausgeschlossen waren, obwohl sie teils seit Jahrzehnten in Deutschland leben. Jetzt bekommen ihre Stimmen auch politisch endlich Gewicht.
Beteiligung ist essenziell und meiner Ansicht nach unabdingbar, sonst sind die Menschen schneller wieder weg, als uns lieb ist. Außerdem signalisiert sie: Es ist auch dein Land, also gestalte es mit! Ein nächster Schritt muss daher die Verabschiedung des Partizipationsgesetzes sein: Die Idee eines Partizipationsrates unterstreicht meine Vision, die vielfältigen Stimmen unserer Gesellschaft zum Sprechen zu bringen. Weder Gesetz noch Rat sind „nice to have“, sondern eine Notwendigkeit, um unserem Anspruch einer vielfältigen Gesellschaft auch auf politischer Ebene gerecht zu werden.
Neben diesen eher übergeordneten Faktoren ist Integration am Arbeitsplatz entscheidend Wir als Gesetzgeber die nötige Infrastruktur aufbauen, um möglichst allen die gleichen Startchancen am neuen Arbeitsplatz zu ermöglichen. Daher sind Unternehmen, Kolleg:innen und betriebliche Interessenvertretungen aufgerufen, sich zusammen auf den Weg zu machen: Sei es über ein eigenes Mentorenprogramm im Unternehmen oder interkulturelle Trainings für die gesamte Belegschaft. Eine Aufgabe für uns wird sein, entsprechende Programme gerade für kleine und mittelständische Unternehmen attraktiv zu gestalten. Diese dienen dabei nicht nur der Verständigung mit den neuen Mitarbeiter:innen, sondern nehmen auch eine wichtige Rolle mit Blick auf die Stammbelegschaft ein. Empathie von allen und für alle Beteiligten wird hier zur Schlüsselqualifikation.
Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände stehen den ausländischen Arbeitskräften und Unternehmen schon jetzt zur Seite. Eine ergänzende Säule für die Zukunft können Zusammenschlüsse von Sozialpartnern, Gewerkschaften und Unternehmen vor Ort sein, die gemeinsam und nach genossenschaftlichem Prinzip die Integrationsinfrastruktur in den Kommunen unterstützen.
Ganz klar dürfen wir eingewanderte Frauen nicht immer nur als „Anhang“ ihrer Männer betrachten: Zahlreiche Frauen bringen ebenfalls einen Berufs- oder Studienabschluss sowie Arbeitserfahrungen mit. Für die Frauen bieten sich in Deutschland viele Möglichkeiten, selbst in gut bezahlte Arbeit zu kommen. Gerade von den Unternehmen wünsche ich mir generell deutlich mehr Offenheit und nötige Flexibilität gegenüber Frauen und ihren Familien. Mein Appell an die Chefinnen und Chefs in den Unternehmen lautet darum: Seid „Ermöglicher“ für Menschen mit Familien!
Unsere Sprach- und Integrationskurse müssen so ausgelegt sein, dass sie zur Realität der Frauen passen. Wir verlangen ständig, dass die Menschen sich „dem System“ anpassen, dabei können und sollten wir ihnen eine gewisse Flexibilität entgegenbringen, die zum erfolgreichen Abschluss des Kurses führen kann. Begleitende Kinderbetreuung dort, wo auch die Kurse stattfinden, ist genauso ein wichtiger Hebel, wie Ganztagsschulen. Eine Anpassung der Kurszeiten selbst und ein Stück weit auch der Zeitpläne in den Kursen könnte helfen, den Frauen die benötigte Zeit zum Lernen einzuräumen.
Auf bürokratischer Ebene müssen wir unbedingt die Anerkennungsverfahren von ausländischen Abschlüssen und Arbeitserfahrungen vereinheitlichen und beschleunigen. Hier haben wir mit der Verabschiedung des überarbeiteten Fachkräfteeinwanderungsgesetzes 2023 schon erste Hürden aus dem Weg geräumt, deren Wirkung sich nun allmählich entfalten kann. Gerade die Anerkennungsverfahren sind mitunter intransparent, was zur Folge hat, dass nötige Nachqualifizierungen ebenfalls erst mit Verzögerung nach der Einreise angegangen werden können.
Dass vor allem migrantische Frauen in geringqualifizierten Tätigkeiten landen, hat für sie auch dramatische langfristige Folgen: Sie sind dadurch massiv von Altersarmut bedroht. Daher setze ich mich weiter für die Anhebung des Mindestlohns sowie flächendeckende Tarifbindung ein. Mit den Gewerkschaften an unserer Seite kämpfen wir seit Jahren dagegen an, dass Ausbeutung und Lohndumping auf dem Rücken ausländischer Arbeitskräfte ausgetragen werden. Einheitliche und transparente Tarifverträge verhindern zudem, dass die Angestellten gegeneinander ausgespielt werden können.
Es ist meine tiefste Überzeugung, dass die Sozialdemokratie die treibende Kraft in den künftigen Integrationsfragen und deren Ausgestaltung sein wird: Unsere Solidarität mit jenen, die es schwerer haben oder mal ins Straucheln geraten, ist unsere größte Stärke. Wir müssen den Communities besser zuhören und sie direkter in unsere Arbeit einbeziehen – indem wir auch innerhalb der SPD bekannte Strukturen aufbrechen, Hemmschwellen zur Beteiligung für Menschen mit internationaler Geschichte senken und den „Betroffenen“ den Raum geben, ihre eigene Stimme zu erheben.
Ich werde nicht müde zu betonen, dass Integration keine Einbahnstraße ist. Daher müssen wir uns als Gesellschaft, aber auch explizit als Partei fragen, was wir tun können, um den Menschen die Integration zu erleichtern. Wann sind wir überhaupt bereit, sie zu akzeptieren? Es bleibt ein Aushandlungsprozess, von dem ich mir wünsche, dass die Kriterien nicht nur einseitig bestimmt werden. Dazu gehört auch, die Realität anzuerkennen, dass in weiten Teilen unserer Gesellschaft „deutsch sein“ schon längst heißt, afro-deutsch, deutsch-türkisch oder viet-deutsch zu sein. Eine Realität, über deren Machbarkeit politisch immer noch diskutiert wird, während sie weiten Teilen Deutschlands längst erfolgreich gelebt wird.
Die Sozialdemokratie schöpft ihre Kraft daraus, die verschiedensten Lebenswelten in unserer Gesellschaft wahr- und anzunehmen. Wir haben uns immer schon jenen geöffnet, die neue Impulse und Ideen, ja manchmal auch Utopien für eine starke, solidarische Gemeinschaft erarbeiten und umsetzen wollen. Ich denke darum, dass wir als SPD einerseits die Zukunft der Integration gestalten werden, andersherum aber gelungene Integration auch die Zukunft der SPD beeinflussen wird. Auch die Sozialdemokratie wird vielfältiger werden (müssen), um weiter bestehen und aktiv gestalten zu können, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen.
Rasha Nasr ist seit 2021 Mitglied des deutschen Bundestages und Abgeordnete für ihre Heimatstadt Dresden. Sie ist ordentliches Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie stellvertretendes Mitglied in den Ausschüssen Inneres und Heimat sowie Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Neben ihrer Funktion als stellvertretende Sprecherin für Arbeit und Soziales ist sie seit 2023 migrations- und integrationspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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