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Die EU-Bürger können sich immer mehr Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik vorstellen. Das macht die EU aber noch lange nicht zur hochgerüsteten Militärmacht.
Was macht den Staat zu einem Staat? Eine Frage an die Philosophen? Möglicherweise, die bekannteste Antwort stammt aber vom Soziologen Max Weber: das legitime Gewaltmonopol. Doch wenn man sich nicht nur dafür interessiert, was den Staat zum Staat macht, sondern auch wie er dazu wird, der brauch zur Ausübung des Gewaltmonopols erst einmal die Ausübenden: die Armee.
Derlei Überlegungen könnten Sozialwissenschaftlern jeder Couleur für intellektuelle Turnübungen ganz allein überlassen werden, würden sie nicht hier und jetzt vor unseren Augen eine Rolle spielen. Die EU, aufgeschreckt durch Krieg in Syrien und der Ukraine, in ihren Grundfesten angergriffen durch Terroranschläge und verunsichert durch das große Fragezeichen, das immer deutlicher hinter der „Schutz“macht USA steht, haben keine eigene Armee. Und wer dies in den letzten Jahrzehnten forderte, konnte im Idealfall mit mildem Kopfschütteln, im schlimmsten mit nationalistischem Furor rechnen.
Doch in die Sache ist Bewegung gekommen. Der Ruf nach mehr Sicherheit ist so diffus wie allgegenwärtig. In der Terrorbekämpfung und in Fragen der Grenzsicherung haben gerade die letzten Jahre gezeigt, dass Europa sich mit unzähligen nationalen Geheimdiensten, Streitkräften und einer weitgehend unkoordinierten Beschaffungs- und Rüstungspolitik geradezu lächerlich macht. Bilaterale Kooperationen im Verteidigungsbereich intensivieren sich ohnehin seit Jahren. Und mit dem Austritt der Briten scheidet gerade derjenige Akteur aus der EU aus, der Plänen zu einer europäischen Armee wohl schon eine Absage erteilt hätte, bevor ein Befürworter seinen Satz zu Ende gebracht hätte. Auf dem Deutsch-Französischen Ministerratstreffen im Juli konnte vor lauter euphorischer Waffenbrüderschaft das Thema Eurozone kaum besprochen werden.
Was vielleicht am wichtigsten ist: Diese neue Offenheit gegenüber gemeinsamer europäischer Verteidigung genießt Rückhalt in der Bevölkerung. In einer Umfrage, die die Friedrich-Ebert-Stiftung im Mai dieses Jahres in acht europäischen Ländern durchführen ließ, sprechen sich mit 63% der Befragten fast zwei Drittel dafür aus, dass Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik künftig vermehrt auf EU-Ebene entschieden werden sollten (siehe Abbildung 1). Selbst in Ländern wie Tschechien und der Slowakei stimmen weit über die Hälfte der Befragten zu. Das ist insofern bemerkenswert, als ebendiese Länder bei einem speziellen Thema der Außenpolitik – der Verteilung von Flüchtlingen – jede europäische Entscheidungshoheit vehement ablehnen, was sich in derselben Umfrage widerspiegelt.
Sollte für die EU am Ende also gelten, was Bismarck einmal für das damalige Deutsche Reich feststellte? Dass nicht die großen Reden, sondern Blut und Eisen die großen Fragen der Geschichte beantworten? Dass es die externe Bedrohung brauch, um zu interner Geschlossenheit zu gelangen? Mitnichten. Denn auch wenn die Offenheit zu neuen Formen der Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik innerhalb der EU merklich gestiegen ist, ist der Weg zur Europäischen Armee noch lang. Am Ende wird deren Ausgestaltung in der EU wie gewohnt zähe Kompromisse, und kein europäischer Nationalismus bestimmen.
Zudem wünschen sich die EU-Bürger_innen nicht nur in der Außenpolitik mehr Zusammenarbeit, sondern auch in der Besteuerung von internationalen Unternehmen, beim Daten- und Verbraucherschutz, und bei der Energieversorgung. Doch ebenso erachten sie etwa die Regelung von Sozialleistungen deutlich als Aufgabe des Nationalstaats. Von gemeinsamer Verteidigung zu einem gemeinsamen Staat ist der Weg möglicherweise doch nicht so kurz, wie das soziologische Urteil es lehrt.
Ansprechpartner in der Stiftung:
Arne Schildberg
Bild: Bismark 1 von Juan Falque lizenziert unter CC BY-NC-ND 2.0
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