Erbschaftsteuer – eine Frage der Gerechtigkeit
Deutschland ist ein Land großer Vermögensungleichheit, innerhalb der Eurozone weist lediglich Österreich eine noch größere Ungleichheit auf (1). Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) verfügt das reichste Prozent der Deutschen über rund 35 Prozent des Nettovermögens (2).
Für diese Verteilung des Vermögens ist das Einkommen von nachrangiger Bedeutung, eine viel wichtigere Rolle spielt hingegen das Erben: So sind rund 40 Prozent der gemessenen Ungleichheit (3) auf Erbschaften zurückzuführen. Damit machen diese hierzulande mit Abstand den größten Anteil der Vermögensungleichheit aus. Zudem erben besonders wohlhabende Haushalte durchschnittlich auch besonders profitable Vermögenswerte, wie beispielsweise Immobilien oder Unternehmensbeteiligungen. (4)
Erbschaften sorgen somit für eine zunehmende Akkumulierung von Vermögen und sind von großer Bedeutung für den individuellen Vermögensaufbau. Dieser Tendenz wirkt die Erbschaftsteuer in ihrer derzeitigen Form nur unzureichend entgegen. Betrug der Anteil von Erbschaften am Nationaleinkommen in den 1960er-Jahren noch weniger als 2 Prozent, belief sich dieser Wert im Jahr 2009 bereits auf circa 11 Prozent (5). Auch die Steuereinnahmen haben sich nicht proportional zu den Erb- und Schenkungsflüssen entwickelt. Während Letztere von rund 60 Milliarden Euro im Jahr 1990 auf rund 220 Milliarden Euro im Jahr 2010 anwuchsen, stiegen die Steuereinnahmen lediglich von 1,5 Milliarden Euro auf 4,4 Milliarden Euro (6).
Problematisch sind neben sehr großzügigen Freibeträgen auch die hohen Schwellenwerte bei der Bemessung des Steuersatzes. Nach § 19 ErbStG wird zum Beispiel der Höchststeuersatz in der Steuerklasse I erst ab einem steuerpflichtigen Erwerb von über 26 Millionen Euro fällig. Zudem profitieren insbesondere Hochvermögende von der Privilegierung großer Betriebsvermögen, welche oftmals von der Erbschaftsteuer „verschont“ bleiben – diese werden gemäß § 13a ErbStG mit 85 Prozent weniger besteuert.
Eine Reform des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes könnte die Vorzeichen der bisherigen Entwicklung umkehren und zukünftig für eine größere Gerechtigkeit bei der Vermögensverteilung sorgen. Die Forderungen reichen dabei von der vollständigen Abschaffung der Steuer bis hin zu einer kompletten Abschöpfung von jeglichem Erbvermögen. Hier lautet die Begründung, dass die erbende Person ja nichts zur Entstehung des Vermögens beigetragen habe.
In der politischen Debatte zur stärkeren Besteuerung von Erbschaften wird hier immer wieder eingewendet, dass kleine und mittelständige, inhaber_innengeführte Firmen bei der Übergabe an die nächste Generation gegenüber Kapitalgesellschaften benachteiligt seien und die Erbschaftsteuer ihre Existenz gefährde. Dabei wird auch immer wieder darauf verwiesen, dass damit Arbeitsplätze in großer Zahl gefährdet seien. Die empirische Lage bestätigt diese Argumente allerdings nicht. Aufgrund der sehr großzügigen Freibeträge sowie der langen steuerlichen Fristen von bis zu 15 Jahren kann nicht festgestellt werden, dass die Erbschaftsteuer zu vermehrten Konkursen von Familienunternehmen und damit zur Vernichtung von Arbeitsplätzen beigetragen hat. Viel häufiger finden die Eigentümer_innen hingegen keine geeigneten Nachfolger_innen zur Weiterführung ihrer Firma.
Weitere Informationen zur Debatte um die Erbschaftsteuer finden sich hier.