Kalte Progression

Kalte Progression – Definition

Die Höhe der Einkommensteuer wird in §32a Einkommensteuergesetz (EstG) geregelt. Der Einkommensteuertarif ist ein progressiver Tarif - das heißt, mit steigendem Einkommen erhöht sich auch der Steuersatz. Kommt es nun zu Lohnerhöhungen, die aufgrund von Inflation vereinbart wurden, steigen zwar die Nominallöhne, aber zugleich steigt in der Regel auch der Einkommensteuersatz und damit der Einkommensteuertarif bzw. die Steuerbelastung. Damit können die Reallöhne, selbst wenn die Lohnerhöhung über der Inflationsrate liegt, aufgrund der Steuererhöhung sinken. Diese Entwicklung wird als kalte Progression bezeichnet. Der Gesetzgeber reagiert auf diese Situation normalerweise damit, dass er den Grundfreibetrag und die Grenzen für die Steuersätze entsprechend der Inflationsrate erhöht. Würde keine Anpassung erfolgen, tritt eine „Steuererhöhung durch Untätigkeit“ ein, was fundamental dem Grundsatz der Fairness widersprechen würde.

 

Normale Steuer-Progression vs. kalte Steuer-Progression

Da die Steuersätze mit zunehmendem Einkommen steigen, erhält der Fiskus bei steigenden Einkommen auch einen prozentual höheren Anteil an Steuern (normale Steuerprogression). Mit anderen Worten: schon in einer Situation ohne Inflation steigt das reale Einkommen weniger schnell als das nominale Einkommen.

 

Kommt nun noch eine Inflation hinzu, sinkt das verfügbare Einkommen und damit die Kaufkraft der Einkommensbezieher_innen eines Staates. Aufgrund des steigenden Steuersatzes frisst dann nicht nur die Inflation die realen Einkommenssteigerungen, sondern die zunehmenden Steuerzahlungen senken das verfügbare Einkommen der Staatsbürger_innen noch zusätzlich.

 

Die kalte Progression betrifft dabei vor allem Steuerzahler_innen mit niedrigen Einkommen kurz über dem Grundfreibetrag, da die Progressionskurve des Einkommensteuertarifs (siehe weiter unten) zu Beginn noch am steilsten verläuft und später etwas abflacht.

 

Falls es den Arbeitnehmenden gelingt, zu ihrer Entlastung Gehaltserhöhungen durchzusetzen, die sowohl über der Inflation liegen als auch die Progression der Einkommensteuer kompensieren, besteht die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale: Die Unternehmen versuchen, die steigenden Lohnkosten durch ein Anheben der Güterpreise aufzufangen, was wiederum die Inflation ankurbelt.

 

Kalte Progression – ein Beispiel

Bei der Veranschaulichung der Effekte der kalten Progression kann ein Rechenbeispiel helfen. Dazu betrachten wir der Einfachheit halber nur die Effekte auf die Einkommensteuer:

 

Nehmen wir an, eine ledige arbeitnehmende Person ohne Kinder, die keine Kirchensteuer bezahlt, verdient 2023 im Jahr 40.000 Euro brutto. Gemäß des Einkommensteuerrechners des Bundesfinanzministeriums liegt ihr Grenzsteuersatz für 2023 dann bei 33,21 Prozent und der durchschnittliche Steuersatz bei 19,57 Prozent. Das bedeutet, sie würde eine jährliche Einkommensteuer von 7.828,00 Euro zahlen.

 

Nehmen wir weiterhin an, die Jahresinflationsrate läge bei 5 Prozent und unsere arbeitnehmende Person bekäme zur Entlastung eine Gehaltserhöhung von 5 Prozent. Dann würde ihr Bruttojahresgehalt auf 42.000 Euro steigen. Der durchschnittliche Steuersatz wäre dementsprechend auf 20,24 Prozent erhöht und der Grenzsteuersatz stiege auf 33,98 Prozent. Dies würde in einer jährlichen Einkommensteuer von 8.500 Euro resultieren – also einem Plus von 672 Euro, beziehungsweise einer Erhöhung der Einkommensteuer um rund 9,2 Prozent bei einer Gehaltserhöhung von lediglich 5 Prozent. Andersherum ausgedrückt: Ihre Nettolohnerhöhung von 32.172 Euro auf 33.500 Euro läge aufgrund der kalten Progression nur bei 4,1 Prozent und würde damit unsere angenommene Inflationsrate von 5 Prozent nicht ausgleichen.

 

Aktuelles: kalte Progression 2022-2024

Aktuell befinden wir uns in einer Phase der kalten Progression, da für das Jahr 2022 die Einkommensgrenzen nur um die 2020 im Steuerprogressionsbericht der Bundesregierung prognostizierte Inflationsrate von 1,17 Prozent angehoben wurden, während die Inflation tatsächlich deutlich höher war und Mitte des Jahres 2022 schon bei über 7 Prozent lag. Der Grundfreibetrag allerdings wurde angesichts der hohen Inflation im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes 2022 angepasst und rückwirkend um 363 Euro erhöht. Damit lag er Ende des Jahres bei 10.347 statt bei ursprünglich 9.984 Euro. Für 2023 wurde der Steuerfreibetrag wiederum um 561 Euro auf 10.908 Euro angehoben. Für 2024 ist eine weitere Anhebung um 696 Euro auf 11.604 Euro vorgesehen.

 

Das Inflationsausgleichsgesetz wurde am 25.11.2022 im Bundestag beschlossen. Es sieht vor, dass 2023 zum Ausgleich der kalten Progression die Tarifeckwerte in der Steuertabelle weiter nach rechts verschoben werden, sodass Grenz- und Durchschnittssteuersätze künftig an jeweils höhere Einkommen gekoppelt sind. Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent gilt ab einem Einkommen von 62.810 Euro. Ab 2024 liegt die Grenze bei 66.761 Euro. Die sogenannte „Reichensteuer“ in Höhe von 45 Prozent greift bei einem Einkommen von 277.826 Euro. Diese gilt seit 2022 und soll bis 2024 unverändert bestehen bleiben.

 


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