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Vom Tellerwäscher zum Millionär, jede:r kennt ihn, den „American Dream“. Er besteht in dem Versprechen, dass harte Arbeit belohnt wird, und ist vom optimistischen Grundansatz geprägt, dass jede:r alles erreichen kann. Solche Zukunftsträume sind nicht nur Ausdruck individueller Sehnsüchte, sondern auch Spiegelbilder kollektiver Stimmungen, Hoffnungen und Herausforderungen. Sie zeigen, welche Prioritäten Menschen setzen, worauf sie hinarbeiten und was sie von ihrem Leben und der Gesellschaft erwarten.
Daher haben wir uns in unserem Studienprojekt auf Spurensuche begeben, um herauszufinden, welche Träume die Menschen in Deutschland bewegen – sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Auf Basis von acht Online-Fokusgruppen und einer repräsentativen Befragung untersuchen wir, welche Träume die Menschen in Deutschland träumen und inwiefern sie an deren Verwirklichung glauben.
Die gesamte Studie wird im Januar 2025 zum kostenlosen Download auf dieser Seite verfügbar sein.
„Wenn es in zehn Jahren so ist wie jetzt, wäre ich schon zufrieden.“ Weiblich, 44 Jahre
„Wenn es in zehn Jahren so ist wie jetzt, wäre ich schon zufrieden.“
Weiblich, 44 Jahre
„Für ein erfülltes Leben brauche ich ja jetzt auch keine großen Träume.“ Weiblich, 21 Jahre
„Für ein erfülltes Leben brauche ich ja jetzt auch keine großen Träume.“
Weiblich, 21 Jahre
„Die größte Herausforderung ist es, den Optimismus zu bewahren.“ Weiblich, 63 Jahre
„Die größte Herausforderung ist es, den Optimismus zu bewahren.“
Weiblich, 63 Jahre
Projektverantwortliche: Catrina.Schlaeger(at)fes.de, Jan.Engels(at)fes.de, Annika.Arnold(at)fes.de
Presseanfragen: Johannes Damian presse(at)fes.de
Etwas mehr als zwei Drittel der Wahlberechtigten in Deutschland geben an, grundsätzlich Zukunftsträume zu haben, knapp ein Drittel hingegen hat keine. Unter denjenigen, die heute keine Träume mehr haben, erinnert sich über die Hälfte daran, früher welche gehabt zu haben. Zukunftsträume sind weitverbreitet, aber nicht für alle selbstverständlich – und sie scheinen sich im Laufe des Lebens zu verändern. Alterseffekte können dabei durchaus eine Rolle spielen. Je älter Menschen werden, desto weniger Zukunftsträume bestehen – entweder weil sie sich bereits erfüllt haben oder weil ihre Umsetzung nicht oder kaum mehr möglich ist und die Menschen sich von ihnen verabschiedet haben. Die quantitativen Daten unserer Erhebung bestätigen diesen Effekt: 78 Prozent der unter 40-Jährigen haben Zukunftsträume, aber nur 60 Prozent der über 60-Jährigen. Dafür findet sich bei der ältesten Altersgruppe erwartungsgemäß der größte Anteil früherer Träumer:innen: 64 Prozent.
Auch darüber hinaus zeigen sich soziodemografische Effekte: So haben Frauen (70 Prozent) etwas mehr Träume als Männer (66 Prozent). Bringt man Alter und Geschlecht zusammen, zeigt sich, dass 81 Prozent der Frauen unter 40 Jahren angeben, Träume zu haben. Bei den gleichaltrigen Männern sind es 75 Prozent.
Ebenfalls einen starken Effekt scheinen Bildung und Einkommen zu haben, die eng miteinander zusammenhängen. Befragte mit formell niedriger Schulbildung geben nur zu 57 Prozent an, Träume zu haben. Diejenigen mit formell hoher Schulbildung sind zu 77 Prozent Träumer:innen. Ähnlich beim Einkommen: Je höher das Einkommen, desto größer der Anteil derjenigen, die Zukunftsträume haben. 58 Prozent der Befragten mit einem Haushaltsnettoeinkommen unter 1.000 Euro haben Träume. Bei einem Haushaltsnettoeinkommen über 4.000 Euro fällt der Anteil mit 79 Prozent deutlich höher aus. Zugespitzt bedeutet das: In Deutschland muss man es sich leisten können, Träume zu haben.
Nach den persönlichen Träumen gefragt, fällt auf, dass diese recht bodenständig sind. In der quantitativen Erhebung wurden diejenigen, die angegeben hatten, Zukunftsträume zu haben, offen gefragt, welche konkreten Träume sie haben. Vorherrschend sind hier eine sichere Zukunft in Form von Gesundheit, Frieden, beruflicher Sicherheit, finanzieller Unabhängigkeit oder Wohneigentum. Dabei stehen immaterielle Wünsche wie ein gesundes und friedliches Leben in glücklicher Partnerschaft im Vordergrund, während materielle Träume in den Hintergrund treten. Eskapistischere Träume sind die Ausnahme und bestehen maximal in der Verwirklichung bestimmter Reisewünsche oder in wenigen Fällen auch Auswanderungswünschen. Exotische Träume wie das Schreiben eines Bestsellers oder ein Tanz auf dem Wiener Opernball sind noch seltener.
Im Zentrum steht immer auch, dass die Träume erreichbar sein sollten, damit Hoffnungen nicht enttäuscht werden. Auf der einen Seite spiegeln sich hier die aktuelle Stimmung und der Krisendruck in Deutschland wider, die kaum größere Zukunftsträume zulassen. Auf der anderen Seite zeigen sich auch sozialisierte Unterschiede zu anderen Ländern. So werden beispielsweise explizit Differenzen zu dem „amerikanischen Traum“ in den Fokusgruppen thematisiert – diese Mentalität wird häufig skeptisch wahrgenommen und als lebensfern oder unrealistisch beurteilt.
In Träumen spiegeln sich auch Hoffnungen und ganz grundsätzliche Vorstellungen von einem guten Leben wider. Die repräsentative Erhebung bestätigt die Befunde der Fokusgruppen, dass insbesondere ein gesundes Leben (58 Prozent), ein sicherer Lebensunterhalt (54 Prozent) und Glück in Partnerbeziehungen oder im Familienleben (53 Prozent) von hoher Relevanz sind. Themen wie eine sichere Zukunft für Kinder und Enkel:innen (32 Prozent) oder enge Freundschaften (31 Prozent) sind ebenfalls zentral, während materielle Aspekte wie eine schöne Wohnung (16 Prozent) oder ein guter Arbeitsplatz (15 Prozent) seltener genannt werden.
Auch wird deutlich, welche Ängste und Sorgen bereits im Hier und Jetzt prägend sind. Schließlich beeinflussen sie nicht nur das tägliche Handeln, sondern oft auch die Fähigkeit, langfristige Träume zu entwickeln. Analog zu dem, was ein gutes Leben ausmacht, steht die Sorge vor Krankheiten bei 69 Prozent der Befragten ganz oben. Direkt danach folgen finanzielle Unsicherheiten, wie ein unzureichender Lebensunterhalt (46 Prozent), und die Befürchtung, dass es den eigenen Kindern oder Enkel:innen schlechter gehen könnte (36 Prozent). Auch steigende Wohn- und Mietkosten (34 Prozent) sowie Einsamkeit (29 Prozent) spielen eine zentrale Rolle. Weniger präsent sind Sorgen um fehlende Freizeit oder finanzielle Mittel für Hobbys (26 Prozent) sowie die Angst vor Arbeitsplatzverlust (11 Prozent).
Entscheidend für die Erreichung der eigenen Träume ist vor allem die Fokussierung auf die eigene Leistung sowie den engsten Familien- und Freundeskreis. Politik wird verstärkt als Bremse wahrgenommen, nicht als Unterstützung. Auch die Rahmenbedingungen für ein funktionierendes Leistungsversprechen werden nicht der Politik oder dem wirtschaftlichen System zugeschrieben. Einen positiven Einfluss haben der Wahrnehmung nach lediglich man selbst sowie das soziale Nahumfeld. So geben drei Viertel an, dass man selbst eine eher unterstützende Rolle bei der Verwirklichung habe, jede:r Dritte meint außerdem, dass Familie und Freund:innen eine positive und unterstützende Rolle einnähmen. Alle anderen abgefragten Akteur:innen spielen keine größere oder gar eine überwiegend hindernde Rolle.
Nicht nur die Verwirklichung der eigenen Träume verlangt den Einsatz von Ressourcen, auch eigene Zukunftspläne zu schmieden, erfordert schlicht Zeit und Energie. Dies wird deutlich, wenn man darauf blickt, inwieweit Menschen langfristige Zukunftsplanung in ihren Alltag integrieren können. Für einen Großteil von 61 Prozent steht die Bewältigung des Alltags im Vordergrund. Nur etwas mehr als ein Drittel gibt aktuell an, auch langfristig die Zukunft planen zu können. Wie sich diese zwei ungleich großen Gruppen gesellschaftlich aufteilen, sieht man, wenn man zugleich die subjektive finanzielle Lage anschaut. Nur diejenigen, die nach eigener Aussage finanziell komfortabel ausgestattet sind oder gut zurechtkommen, haben mehrheitlich ausreichende Kapazitäten für die Zukunftsplanung. Dagegen haben 92 Prozent derjenigen, die sich in einer schwierigen finanziellen Lage sehen, keine Kapazitäten, um ihre Zukunft langfristig zu planen.
Auch beim Blick auf soziodemografische Eigenschaften finden sich einige Unterschiede: Die mittlere Generation der 40- bis 59-Jährigen ist am stärksten mit der Bewältigung des Alltags beschäftigt (65 Prozent), die unter 40-Jährigen liegen mit 62 Prozent knapp über dem Durchschnitt. Von den über 60-Jährigen geben 57 Prozent an, dass sie hauptsächlich mit der Alltagsbewältigung beschäftigt seien. Die Werte für den Osten Deutschlands (64 Prozent) sind etwas höher als die Werte für den Westen (60 Prozent). Und auch im ländlichen Raum (66 Prozent) ist der Alltagsstress weiter verbreitet als in den Städten (59 Prozent). Auch findet sich ein Geschlechtereffekt: 65 Prozent der Frauen, aber nur 56 Prozent der Männer geben an, dass für sie die Bewältigung des Alltags im Vordergrund stehe.
Die quantitative Erhebung verdeutlicht, wofür Deutschland heute steht und wofür es in Zukunft stehen sollte. Es zeigen sich große Differenzen zwischen der aktuellen Wahrnehmung und den Wunschvorstellungen. Ein nahezu gesellschaftlicher Konsens besteht darin, dass Deutschland für einen gerechten Sozialstaat (91 Prozent), eine innovative Wirtschaft (91 Prozent) sowie die Möglichkeit zum Bildungsaufstieg (93 Prozent) stehen sollte. Hier bestehen allerdings auch die größten Differenzen zwischen Wunsch und Wahrnehmung der Wirklichkeit. Nur 42 Prozent meinen, Deutschland sei aktuell ein gerechter Sozialstaat, lediglich 43 Prozent nehmen eine innovative Wirtschaft wahr. Immerhin 51 Prozent sehen Bildungs- und Aufstiegschancen. Die Kluft zwischen Wunschziel und Wahrnehmung der Wirklichkeit ist bei Deutschland als „zuverlässigem und aktivem internationalem Partner“ nicht ganz so groß. 88 Prozent sehen dies als Ziel und 60 Prozent bereits als aktuellen Zustand. Eine deutsche „Vorreiterrolle bei Klima- und Umweltschutz“ wünschen sich etwas mehr als zwei Drittel der Befragten. Nur 44 Prozent sind der Meinung, dass Deutschland diese Rolle schon heute ausfüllt.
Gefragt nach Werten und Identität zeigt sich ein breiter Konsens über die Ziele „Recht und Ordnung“ (93 Prozent), „Demokratie und Menschenrechte“ und „Freiheit und Individualität“ (jeweils 94 Prozent). Aber auch hier fallen die Einschätzungen des aktuellen Zustands schlechter aus: Nur 56 Prozent sind der Meinung, dass Deutschland aktuell für „Recht und Ordnung“ stehe. Die beiden anderen Eigenschaften werden immerhin von 68 Prozent als aktuell für Deutschland zutreffend eingeschätzt.
Deutschland sehen 61 Prozent der Befragten als eine moderne Gesellschaft, 52 Prozent als eine traditionsbewusste Gesellschaft. Für viele stellt das keinen Gegensatz dar. Bei der Frage, wofür Deutschland stehen sollte, hat die „moderne Gesellschaft“ mit 89 Prozent die Nase vorn. Die „traditionsbewusste Gesellschaft“ kommt auf 78 Prozent. Die einzige Eigenschaft, deren aktuell wahrgenommene Erfüllung von der Wunschvorstellung übertroffen wird, betrifft „kulturelle und religiöse Vielfalt“. Die Befragten sehen sie als übererfüllt. So findet sich mit 71 Prozent hier der höchste aller Werte bei den Fragen, wofür Deutschland aktuell steht. Doch nur zwei Drittel sind der Meinung, dass Deutschland dafür stehen sollte. Insgesamt ist der Unterschied zwischen Wunsch und eingeschätzter Wirklichkeit mit fünf Prozentpunkten hier sehr klein. Doch insbesondere National Orientierte diagnostizieren ein Zuviel an Vielfalt in der Gesellschaft.
Wenn die Befragten in ein anderes Land ziehen würden, dann wären die Hauptzielländer Schweiz (12 Prozent) und Österreich (9 Prozent). Die gemeinsame Sprache und die geografische Nähe sprechen wahrscheinlich in erster Linie für diese Wahl. Die Spitzenposition der Schweiz mag aber auch auf die Verdienstmöglichkeiten hinweisen. Ebenfalls sehr beliebt ist Schweden (8 Prozent), gefolgt von Dänemark und Norwegen (jeweils 6 Prozent). Ausschlaggebend könnten der hohe Lebensstandard und die guten Sozialsysteme sein. Spanien sticht mit 7 Prozent unter den ebenfalls häufig genannten Ländern des europäischen Mittelmeers hervor. In die USA zieht es nur 5 Prozent, sie sind damit das einzige Land außerhalb der EU, das mehr als 2 Prozent der Nennungen hat. Anscheinend ist der Drang in die weite Ferne nicht sonderlich groß. Darauf deutet auch hin, dass 17 Prozent die Frage nicht beantwortet bzw. keine Angaben gemacht haben. Trotz Kritik und Verbesserungsbedarfen, wissen viele die Vorteile eines Lebens in Deutschland zu schätzen.
Die in der quantitativen Erhebung gestellte Frage nach dem lebenswertesten Jahrzehnt diente dazu herauszufinden, welches Jahrzehnt die Befragten als das attraktivste wahrnehmen, ohne damit zu sehr persönliche Erinnerungen zu wecken. Am häufigsten nennen die Befragten die 1980er (22 Prozent) und die 1990er Jahre (21 Prozent) als die Jahrzehnte, in denen es Menschen wie ihnen am besten ging. Mit etwas Abstand folgen die 1970er und 2000er Jahre (jeweils 12 Prozent). Auffällig ist, dass nur wenige die Gegenwart (2020er Jahre) als ihre beste Zeit betrachten – lediglich 8 Prozent. Noch schlechter fällt die Bewertung der 1950er Jahre aus, die nur von einem Prozent genannt werden. Das oft glorifizierte Jahrzehnt des Wirtschaftswunders mit zunehmendem Wohlstand scheint nicht mehr besonders prägend, liegt zu weit in der Vergangenheit und ist mit einem unzeitgemäßen Geschlechterrollenbild verbunden.
Auch die These, dass jeweils das Jahrzehnt des eigenen Erwachsenwerdens besonders prägend war und daher als herausragend betrachtet wird, lässt sich nicht empirisch nachweisen. Stattdessen liegt die Vermutung nahe, dass die späten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts als eine Zeit von Stabilität und Wohlstand erinnert werden, während die Gegenwart eher mit Herausforderungen und Unsicherheiten verbunden wird. In der nostalgischen Rückschau erscheinen die 1980er und 1990er trotz Tschernobyl-Katastrophe, den Jugoslawienkriegen, der Wiedervereinigung, wirtschaftlichen Turbulenzen und Massenarbeitslosigkeit als ruhiges Fahrwasser, gegenüber den heutigen Krisen, die gefühlt im jährlichen Rhythmus über die Gesellschaften hereinbrechen.
Etwas überraschend und anders als häufig analysiert ist der Befund, dass sich Ost und West zumindest in dieser Frage nur geringfügig unterscheiden. Statt der viel zitierten Ostalgie zeigt sich in Ostdeutschland sogar ein marginal positiveres Bild der heutigen Zeit. So geben dort 10 Prozent an, dass es Menschen wie ihnen in den 2020ern am besten gehe, in Westdeutschland sind dies dagegen nur 8 Prozent. Das beste Jahrzehnt bleiben aber sowohl im Osten als auch im Westen die 1980er und 1990er Jahre.
Träume einer positiven Zukunft benötigen entsprechende politische Rahmenbedingungen, ob auf individueller oder auf gesellschaftlicher Ebene. Entscheidende Akteure sind politische Parteien und staatliche Institutionen. Doch das Vertrauen in deren Handlungsfähigkeit hat in den vergangenen Jahren erheblich gelitten. 53 Prozent gehen nicht davon aus, dass die Politik die Herausforderungen der Zukunft bewältigen kann, zuversichtlich sind aktuell lediglich 30 Prozent. Seit 2020 lässt sich der Trend beobachten, dass immer weniger Menschen der Politik Zukunftskompetenz attestieren.
Analog dazu stimmen gar 84 Prozent zu, dass es der Politik an einer Vision fehle, wie es langfristig in Deutschland weitergehen soll. Auch die Fokusgruppen bestätigen diesen Eindruck – eine größere Zufriedenheit oder eine positive Zukunftsentwicklung erscheinen vielen Menschen mit Blick auf die politischen Verantwortlichen in weiter Ferne. Dabei ist teilweise eine Resignation zu beobachten, die sich nicht nur auf konkrete Parteien und Politiker:innen bezieht, sondern der Politik als solcher eine starke Entfremdung unterstellt. So wird Politik vielfach als lebensfern und eigene Welt betrachtet, die mit der Gestaltung des eigenen Alltags kaum in Berührung kommt.
Die geringe Kompetenzzuschreibung geht allerdings nicht damit einher, dass der Politik auch die Aufgabe abgesprochen wird, die Rahmenbedingungen des Lebens zu gestalten. Vielmehr sehen Bürger:innen einen großen Einfluss von Politik auf ihr Leben, aktuell jedoch vor allem im negativen Sinne.
Im Umkehrschluss bedeutet die gesellschaftliche Ernüchterung über die Handlungsfähigkeit von Politik und die fehlende Zukunftsvision nicht, dass politisches Handeln oder politische Akteur:innen rundum abgelehnt werden. Vielmehr zeigt sich ein tiefes Bedürfnis nach Veränderung bei gleichzeitiger Sorge vor weiteren Stressfaktoren und Überforderung. Diese Ambivalenz mag auf den ersten Blick verwundern. Dass aber mehrheitlich der Wunsch nach „einem großen Wurf“ besteht, zeigen auch Zahlen der quantitativen Erhebung. 56 Prozent fordern einen solchen großen Wurf, lediglich 40 Prozent fürchten sich vor Überforderung.
Wie sehr unterschiedliche Zukunftsvorstellungen je nach Einstellungssegment divergieren, zeigt ein Blick auf die angewandte Segmentierung. So sind insbesondere die Weltoffen Orientierten für mehr Veränderung (64 Prozent), nur 32 Prozent befürchten eine Überforderung. Bei den National Orientierten, aber auch bei der Beweglichen Mitte sieht auch eine absolute Mehrheit (55 bzw. 54 Prozent) die Notwendigkeit für einen „großen Wurf“. Allerdings ist der Abstand zu denen, die sich Veränderungen langsam wünschen, geringer. In beiden Gruppen warnen 41 Prozent vor einer Überforderung durch zu viel Veränderung.
Auf die Frage „Wenn Sie Bundeskanzler wären, um welches Problem würden Sie sich als Erstes kümmern?“, nennen 26 Prozent der Befragten das Thema Migration. Das Thema „Soziale Gerechtigkeit“ ordnen 9 Prozent als am relevantesten ein, den Klimawandel 6 Prozent. Weniger Wahlberechtigte präferieren die Themen „Öffentliche Sicherheit“, Wirtschaft, Rente, Außenpolitik, „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ (je 4 Prozent) und das Thema Wohnraum (3 Prozent).
Betrachtet man unterschiedliche Bevölkerungssegmente, tun sich allerdings Differenzen auf. Für die National Orientierten steht Migration mit 46 Prozent unangefochten an erster Stelle. Andere Themen wie soziale Gerechtigkeit (6 Prozent), öffentliche Sicherheit (4 Prozent), Wirtschaft (4 Prozent), Rente (4 Prozent), Außenpolitik (4 Prozent), Klimawandel (2 Prozent), Wohnraum (2 Prozent) und gesellschaftlicher Zusammenhalt (1 Prozent) spielen für diese Gruppe kaum eine Rolle. Das ist insofern überraschend, als in der öffentlichen Debatte diese Themen oft direkt mit der Herausforderung Migration in Verbindung gebracht werden. Eine Erklärung könnte sein, dass die Befragten diese Verknüpfung bereits mitdenken.
Zwar ist auch für die Bewegliche Mitte das Thema Migration mit 19 Prozent am wichtigsten. Aber insgesamt zeigt sich eine größere Varianz des Themenspektrums als bei den National Orientierten. Soziale Gerechtigkeit ist 10 Prozent der Beweglichen Mitte ein primäres Anliegen. Andere Themen stehen dagegen auch hier eher im Hintergrund, so werden Klimawandel und öffentliche Sicherheit von je 5 Prozent, Wirtschaft, Rente und Außenpolitik von je 4 Prozent sowie gesellschaftlicher Zusammenhalt und Wohnraum von je nur 3 Prozent als das wichtigste zu lösende Problem angegeben.
Ein anderes Bild zeigt sich bei den Weltoffen Orientierten. Für sie ist der Klimawandel noch immer das größte zu lösende Problem – 18 Prozent geben ihn als oberste Priorität an. Darauf folgt das Thema „Soziale Gerechtigkeit“ (13 Prozent). Mit 12 Prozent ist auch das Thema „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ vergleichsweise prioritär – hier zeigt sich auch, wie stark die Weltoffen Orientierten eine Fragmentierung der Gesellschaft wahrnehmen. 6 Prozent der Weltoffen Orientierten halten das Problem Wohnraum für vorrangig, was möglicherweise auf die Wohngegenden dieses Segments zurückzuführen ist. Tendenziell leben sie eher in städtischen Ballungsgebieten als National Orientierte oder die Bewegliche Mitte, die dieses Thema als weniger relevant empfinden. Migration nehmen nur 4 Prozent der Weltoffen Orientierten als das dringlichste zu lösende Problem wahr. Außenpolitik (5 Prozent), Wirtschaft (4Prozent), Rente (3 Prozent) und öffentliche Sicherheit (2 Prozent) spielen eine geringere Rolle.
Auf den ersten Blick könnte man aus den Ergebnissen der Untersuchung schließen, dass es nicht wirklich einen „German Dream“ gibt. Und tatsächlich finden sich keine großen Visionen oder Ziele, die mit der gesamten Gesellschaft verbunden sind. Stattdessen wird eine Konzentration auf den eigenen Nahbereich deutlich. Oberste Priorität haben in der Regel Sicherheitsaspekte, die Absicherung der eigenen Gesundheit sowie der eigenen Existenz und der nahestehender Personen. In Zeiten multipler Krisen ist dieser Fokus wenig verwunderlich.
In diesen bodenständigen, aber auch umsetzbaren persönlichen Lebensträumen sind viele der Menschen in Deutschland sich einig. Die Träume sollen erreichbar sein und ein gutes Leben in der Mittelschicht ermöglichen. Selbstentfaltung oder Profilierung der eigenen Position in der Gesellschaft spielen hingegen eine geringere Rolle. Im Mittelpunkt steht die Chance auf Zukunftsperspektiven, die ein glückliches Leben in bescheidenem Wohlstand ermöglichen. In einem Land, das funktioniert, das innovativ und modern ist, in dem Gerechtigkeit und Ordnung herrschen – aber auch Demokratie und Freiheit gesichert sind.
Die Studie zeigt aber auch auf, dass diese Träume in den letzten Jahren doppelt unter Druck geraten sind: zum einen, weil im eigenen Erleben der Staat in vielen Bereichen nicht mehr funktioniert und damit als Garant für Sicherheit, wirtschaftliche Stärke und Gerechtigkeit weggebrochen ist. Und zum anderen dadurch, dass der eigenen Wirkmacht durch die multiplen Krisen Grenzen gesetzt sind und die eigene Verletzlichkeit vielen sehr bewusst geworden ist. Umso größer werden die Wünsche nach Sicherheit und Stabilität im Nahbereich, aber auch die Enttäuschung über die Politik hat sehr zugenommen.
Andererseits wird auch ein gewisses Maß an Gemeinschaftssinn und Verbundenheit sichtbar, vor allem mit den Menschen, mit denen man im täglichen Leben in Berührung kommt. Deutlich wird durch auch, dass der Leistungsgedanke nach wie vor eine wichtige Rolle spielt, aber die Bürger:innen auch einen Staat erwarten, der Grundversorgung, Chancengleichheit und ein soziales Netz bietet. Sofern diese Aspekte in der Wahrnehmung Einzelner berücksichtigt werden, erscheinen auch gesellschaftliche Zukunftsträume greifbarer. Für Politik gilt es, an diesem Potenzial anzuknüpfen: Sie muss eine positive, aber realitätsnahe Zukunftsvision entwerfen, in der sich Menschen ihren Alltag vorstellen können. Nicht die großen, weit entfernten Träumereien motivieren Menschen in Deutschland, sondern die bodenständigen Ziele und realisierbaren Wünsche von großen Teilen der deutschen Gesellschaft.
Die Segmentierung der Wahlbevölkerung nach gesellschaftlichen Einstellungen ermöglicht es, einen vielschichtigen Blick auf die deutsche Bevölkerung zu werfen, Einstellungen mehrdimensional zu untersuchen und zu verstehen sowie Diskursverschiebungen nachzuspüren. Die Segmentierung verläuft maßgeblich entlang der Spaltungslinie „Abschottung/national orientiert“ versus „Weltoffenheit“ (Faus et al. 2016; Faus/Storks 2019). Auf Basis dieser Einteilung wurden drei Einstellungsgruppen identifiziert: die „National Orientierten“, die „Weltoffen Orientierten“ und die „Bewegliche Mitte“. Die National Orientierten neigen dazu, einen starken Nationalstaat zu bevorzugen, unterstützen eine „deutsche Leitkultur“ und stehen Migration sowie offenen Grenzen skeptisch gegenüber. Die Weltoffen Orientierten hingegen befürworten internationale Kooperation und Vernetzung, vertreten sozialliberale Ansichten in kulturellen Fragen und unterstützen Migration sowie offene Grenzen. Die Bewegliche Mitte positioniert sich weniger eindeutig zwischen den National Orientierten und Weltoffenen.
Auch wenn der Fokus der Segmentierung auf den Einstellungen zu Migration fußt, umfasst sie ein breiteres Meinungsspektrum. So gehen die Einstellungen der Segmente über Einwanderung und Migration hinaus und umfassen auch weitere Positionen hinsichtlich kultureller Themen und Identitätspolitik. Somit lässt sich durch die Replikation der Segmente eine Einteilung der Bevölkerung anhand ihrer Einstellungen gewährleisten.
Im Rahmen der quantitativen Erhebung wurde deutlich, dass das größte Segment die Bewegliche Mitte darstellt. Knapp die Hälfte der Wahlberechtigten (47 Prozent) ist diesem Segment zuzuordnen. Etwas über ein Drittel gehört dem national orientierten Segment an (36 Prozent) und etwa jede:r Fünfte (17 Prozent) ist weltoffen orientiert. Im Vergleich zu den Vorjahren (zum Beispiel Faus/Storks 2019) wird eine Veränderung der Segmente deutlich. So lässt sich im Vergleich zu 2019 eine deutliche Verschiebung hin zum national orientierten Segment verzeichnen. Insgesamt zeigt sich ein Plus von elf Prozentpunkten im national orientierten Segment, die Bewegliche Mitte bleibt relativ stabil (zwei Prozentpunkte) und die Weltoffen Orientierten verzeichnen ein Minus von neun Prozentpunkten. Zu beobachten ist aber auch, dass ein Großteil der National Orientierten (17 Prozent aller Befragten) zur Mitte tendiert und damit womöglich nicht in seiner nationalen Orientierung verwachsen ist.
Die Erkenntnisse der Studie beruhen auf einem mehrstufigen Forschungsprozess, der sowohl qualitative als auch quantitative Methoden integriert. Die Studie begann mit sechs Online-Gesprächen mit Fokusgruppen am 25., 26. und 27.6.2024, bei denen sechs bis sieben Teilnehmende miteinander diskutierten. Insgesamt nahmen 41 Personen an den zweistündigen Gruppendiskussionen teil. Dabei wurde darauf geachtet, eine ausgewogene Mischung hinsichtlich soziodemografischer Merkmale wie Geschlecht, Alter, Bildung, Einkommen und Wohnort sicherzustellen, um verschiedene Perspektiven einzubeziehen.
Basierend auf den Erkenntnissen der qualitativen Phase wurde zwischen dem 13.8. und 3.9.2024 eine repräsentative Befragung der Bevölkerung durchgeführt. Die Grundgesamtheit bildete die wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren. Innerhalb des etwa dreiwöchigen Erhebungszeitraums wurden n = 4.028 Personen befragt. Die Datenerhebung erfolgte mittels einer Kombination von telefonischen Interviews (CATI-Methode, ADM-Festnetzstichprobe) und Online-Befragungen (CAWI-Methode, quotierte Stichprobenziehung aus Online-Access-Panels). Dabei wurden 2.000 der Fälle telefonisch, 2.028 online erhoben. Die durchschnittliche Befragungsdauer betrug 23 Minuten. Abschließend wurden die Daten gemäß der amtlichen Statistik gewichtet, um die Repräsentativität der Ergebnisse sicherzustellen. Bei n = 4.028 Befragten beträgt die maximale Fehlertoleranz bei einem 95-Prozent-Konfidenzintervall 1,5 Prozentpunkte.
Abschließend erfolgten zwei weitere Fokusgruppen am 20.11.2024. Die Ergebnisse der quantitativen Befragung konnten hier noch einmal vertieft und offene Fragen geklärt werden. Der Fokus lag insbesondere darauf, Zukunftsträume mit nostalgischen Rückblicken zu verbinden, da diese in den Vorstufen häufig thematisiert worden waren.
Die Autor:innen sind:
Dr. Lennart Hagemeyer, Seniorberater der pollytix strategic research gmbh mit Fokus auf qualitative Forschungsvorhaben.
Lutz Ickstadt, Seniorberater der pollytix strategic research gmbh mit Fokus auf quantitative Forschungsvorhaben.
Rainer Faus, Gründer und Geschäftsführer der Forschungs- und Beratungsagentur pollytix strategic research gmbh.
Dr. Annika Arnold, Referentin für Empirische Sozial- und Trendforschung im Referat Analyse und Planung der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Catrina Schläger, Leiterin des Referats Analyse und Planung der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Jan Niklas Engels, Referent für Empirische Sozial- und Trendforschung im Referat Analyse und Planung der Friedrich-Ebert-Stiftung.