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Rechtsextremismus nach 1945

Tagung des Archivs für Sozialgeschichte für Band 63 (2023) | 29./30. September 2022 | Berlin

In der Diskussion um rechtspopulistische und rechtsextreme Politik und Aktivitäten wird die historische Kontinuität rechtsextremen Denkens und Handelns wenig thematisiert. Das rechtsextreme Milieu wird häufig als etwas Fremdes und außerhalb der Gesellschaft und ihrer grundlegenden politischen Kultur Stehendes verstanden. Noch augenfälliger galt dies für die DDR, die aus dem Antifaschismus ihre politische Legitimation bezog. Zugleich zeigt sich in den aktuellen Wahlkämpfen in Europa immer deutlicher, dass es ein erhebliches Stimmenreservoir für rechtsextreme, nationalistische Parteien gibt. Diese oft populistischen Bewegungen lediglich als „Betriebsunfälle“ zu interpretieren, verkennt die vielfältigen historischen Kontinuitäten im rechtsextremen Milieu ebenso wie soziale Brüche und ideologische Neuausrichtungen.

Eine Gesellschaftsgeschichte des Rechtsextremismus zu entwerfen, mit einem vergleichenden Blick auf Entwicklungen in Europa, ist daher ein lohnender Ansatz, um diese politische Bewegung stärker zu kontextualisieren und vor allem zu historisieren. Eine solcher Ansatz fragt nicht nur nach den Entwicklungen und Hintergründen des politisch marginalisierten rechtsextremen Milieus, sondern auch nach tieferliegenden Einstellungen und vor allem nach gesellschaftlichen Bedeutungen und Funktionen des Rechtsextremismus. Dabei wird auch erkennbar, dass bereits der Begriff viele unterschiedliche Aufladungen hatte. War Rechtsextremismus in den 1950er Jahren das Gleiche wie heute? Wer entwarf Zuschreibungen, wie wurden Kategorien und Kriterien definiert? In welchem Verhältnis standen Fremd- und Selbstzuschreibungen? Nicht zuletzt ist an dieser Stelle auch zu analysieren, welche Rolle Beobachter politischer Bewegungen für die Begriffsverständnisse spielten.

Hinsichtlich der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit Rechtsextremismus sind staatlich-institutionelle und politische Ausführungs- und Entscheidungsgruppen ebenso bedeutsam wie zivilgesellschaftliche Akteure, Gruppen ehemals Verfolgter oder von rassistischer Gewalt und Diskriminierung Betroffener. Wer beteiligte sich am gesellschaftlichen Diskurs über Rechtsextremismus, welchen Deutungen dominierten und welche wurden ausgegrenzt? Welche Funktionen nahm der Rechtsextremismus im politischen Selbstverständigungsdiskurs Deutschlands ein – auch jenseits der deutsch-deutschen Auseinandersetzung? Wie wurde er beobachtet und eingeordnet? Dies ließe sich beispielsweise im Kontext von Wahlen näher analysieren, deren Ergebnisse auch die Konjunkturen der Beobachtung und Erforschung mitbestimmten. Hier sind vielfache Verschiebungen und Erweiterungen im historischen Verlauf zu beobachten. Zudem internationalisierten sich Rechtsextremismus und Rechtspopulismus nach 1945 und vernetzten sich überdies transnational.

Ausgehend von diesen Fragen will das Archiv für Sozialgeschichte auf einer Fachtagung die historische Genese, Wandlungen, Bedeutungen und gesellschaftliche Funktionen von Rechtsextremismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und im 21. Jahrhundert erkunden. Teilnahme im Einzelfall nach Anmeldung möglich.

 

Tagungsprogramm

Donnerstag, 29.9.2022

Begrüßung und Einführung in die Tagung

Philipp Kufferath, Bonn

Rechtsextremismus nach 1945 – Forschungstrends und Desiderate

Knud Andresen/Thomas Großbölting, Hamburg

Moderation: Friedrich Lenger, Gießen

Soziographie der extremen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland 1949–2022

Fabian Virchow, Düsseldorf/Tilo Giesbers, Berlin

„Aktiver kultureller Kampf gegen die Zersetzung“. Rechte Jugend- und Kulturorganisationen als Basis des rechtsradikalen Milieus

Marie Müller-Zetzsche/Luisa Seydel, Potsdam

Moderation: Claudia Gatzka, Freiburg

Die unerkannten Rechtsextremisten. Die Erfindung des „rechtsextremen Weltbildes“ durch Politik, Rechtsextremismusforschung und Demoskopie um 1980

Janosch Steuwer, Halle an der Saale

Der migrantische Beitrag zur bundesdeutschen Rechtsextremismus- und Rassismus-Forschung in den 1970er und 1980er Jahren. Drei Fallstudien

Vojin Saša Vukadinović, Zürich

„Antifaschistische Bildungsarbeit“ im Westen. Pädagogische Antworten auf die Konjunktur des Rechtsextremismus um 1977

Ulrike Löffler, Jena

Moderation: Meik Woyke, Hamburg

„Die Stellung zum Sex wird immer mehr zu einer klaren politischen Trennungslinie“. Die außer-parlamentarische Rechte in der Bundesrepublik und ihr Kampf gegen die „Pornowelle“ um 1970

Sebastian Bischoff, Paderborn

Schönhubers Fanpost. Identität, NS-Vergangenheit und populistische Wut vor den Republikanern

Maik Tändler, Jena

„Kein Volk, kein Reich, kein Schönhuber“. Politische und gesellschaftliche Reaktionen auf den Aufstieg der Republikaner

Moritz Fischer, München

Podiumsgespräch: Rechtsextreme und rassistische Gewalt in Deutschland – Forschungen und Initiativen von und mit Opfern und Betroffenen

Maria Alexopoulou, Universität Mannheim/Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin

Hamze Bytyçi, RomaTrial e.V. (angefragt)

Ulli Jentsch, apabiz / NSU Watch

Judith Porath, Opferperspektive e.V. Brandenburg

Moderation: Kirsten Heinsohn, Hamburg

Freitag, 30.9.2022

Moderation: Anja Kruke, Bonn

„In Einfalt geteilt“ statt „in Vielfalt geeint“. Kontinuitäten, Brüche und transnationale Verflechtungen in der Europa-Politik der Freiheitlichen Partei Österreich (FPÖ) seit den 1950er-Jahren

Constanze Jeitler, Tübingen

Who’s Afraid of the “Black Hand”? Right-Wing Extremism and Intra-Community Violence among the Greek Gastarbeiter in West Germany (1960–1974) [per Zoom]

Maria Adamopoulou, Florenz

Die Grauen Wölfe in der BRD: Gemeinsame Reaktionen türkischer sozialistischer Migrantenorganisationen und Gewerkschaften von 1975 bis 1980

Caner Tekin, Bochum

Moderation: Dietmar Süß, Augsburg

Hans-Michael Fiedler und die „Nationale Bildungsarbeit“. Akteurszentrierte Rechtsextremismusforschung als Zugriffsmöglichkeit auf Vernetzungsprozesse der Radikalen Rechten

Katharina Trittel, Göttingen

Der Reichstag zu Flensburg – historische Vorläufer und Wegbereiter der „Reichsbürger“

Sebastian Lotto-Kusche, Flensburg

Der Anti Nazi. Kurt Hirsch, die Demokratische Aktion und ihr Kampf gegen die extreme Rechte

Yves Müller, Hamburg

Moderation: Thomas Kroll, Jena

Zwischen Umarmung und Abwehr. Die beiden deutschen Staaten und die organisierte Rechte

Dominik Rigoll, Potsdam

Entwicklungsprozesse und Deutungsmöglichkeiten rechtsextremer Gewaltpraktiken in der späten DDR

Johannes Schütz, Dresden

„Ausländer in die Polizei“. Partizipation als Antwort auf Rechtsextremismus im Einwanderungsland?

Stefan Zeppenfeld, Bochum

Moderation: Philipp Kufferath, Bonn

Abschlussdiskussion und nächste Schritte

Bände seit 2006

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Rezensionen

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Archiv (1961-2005)

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Alle seit 1961 erschienenen Bände des AfS stehen in retrodigitalisierter Form zur Verfügung weiter

Einzelveröffentlichungen

In der Reihe Einzelveröffentlichungen aus dem Archiv für Sozialgeschichte werden Aufsätze aus den Rahmenthemen publiziert.

Beihefte

In der ReiheBeihefte zum Archiv für Sozialgeschichte erscheinen vorwiegend Quelleneditionen mit Dokumenten zur Geschichte der Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung sowie zur Zeitgeschichte.

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