Kernaussagen
Die digitale Transformation wird unser Verständnis von Arbeit grundlegend verändern. Sie dient nämlich nicht nur dem Erwerbseinkommen, sondern bindet die Menschen auch in soziale Beziehungen ein. In Gesellschaften mit Arbeitsteilung sind alle, die am Arbeitsprozess teilnehmen, voneinander abhängig.
Der Prozess der digitalen Transformation muss deswegen aktiv gestaltet werden, sodass der Effizienzgewinn nicht einseitig zugunsten großer Digitalkonzerne ausfällt.
Dafür muss nicht nur der Primat der Politik zurück aufs Spielfeld, es müssen auch Betriebe umdenken: demokratische Prinzipien anstelle steiler Hierarchien.
Einordnung aus Sicht der Sozialen Demokratie
Dass wir Arbeit heute als Lohnarbeit, als Broterwerb oder als Berufung verstehen, hat politische und kulturelle Ursprünge. Auch das ökonomische Prinzip des homo oeconomicus beruht auf einem spezifischen Menschenbild, das der Empirie widerspricht. Das Aufbrechen dieser historisch gewachsenen Annahmen ist notwendig, um die dahinterliegenden Machtverhältnisse zu analysieren.
Das Buch hilft, die großen Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und der Organisation von Arbeit wieder in den Blick zu nehmen. Es liefert eine klare Realutopie, wie Arbeit unter den Bedingungen der digitalen Transformation gestaltet werden könnte.
Arbeit ist geteilte Arbeit
Die klassischen ökonomischen Modelle beschreiben Arbeit als Mittel, um Einkommen zu erzielen. Ihnen liegt daher ein radikaler Individualismus zugrunde: Arbeit wird als reines Ego-Projekt verstanden. Diese Annahme greift zu kurz. Sie ist inzwischen empirisch widerlegt (vgl. S. 12).
Die Arbeit der oder des Einzelnen ist nämlich in ein komplexes arbeitsteiliges System eingebettet.
Während der Philosoph Karl Marx das kapitalistische, arbeitsteilige System als entfremdet beschrieben hat, lässt sich Arbeitsteilung aus der systemischen Perspektive als eine Art Solidarprinzip verstehen. Arbeitsteilung bedeutet somit, dass der oder die Einzelne sozial auf andere Menschen angewiesen ist. Wenn wir uns als Teilnehmer_innen des Wirtschaftssystems auf einen speziellen Teilbereich fokussieren, bleiben wir in den meisten anderen auf die Expertise, das Wissen oder die Fähigkeiten anderer angewiesen. Gleichzeitig tragen wir durch unsere Interessen oder Fähigkeiten zu deren Teilnahme bei.
Konkret: Keine Ärztin ohne Krankenpfleger, kein Krankenpfleger ohne Haustechnikerin, keine Haustechnikerin ohne IT-Dienstleister, kein IT-Dienstleister ohne Ingenieur. Die Abhängigkeiten sind endlos.
Die digitale Transformation unter sozialen Vorzeichen gestalten – so könnte Lisa Herzogs Buch Die Rettung der Arbeit auch heißen. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass sie darüber hinausgeht. Die digitale Transformation kann als Auslöser verstanden werden, sich ganz grundlegenden Fragen zur bestehenden Wirtschaftsordnung zu stellen. Dabei würde klar: Diese Verhältnisse sind veränderbar! Politik darf und sollte aktiv eingreifen.
Wir sind so abhängig voneinander wie nie
Es geht nicht nur darum, einen normativen Rahmen zu setzen, sondern auch die Abhängigkeiten untereinander sichtbar zu machen. Arbeit war nie weniger individualistisch, als sie es heute ist. Die kapitalistische Erzählung behauptet das Gegenteil und die ökonomischen Modelle, die als theoretisches Fundament dienen, sind träge.
Dabei hilft das Buch, sich über die Verteilung von Einkommen und Macht unter den Bedingungen der digitalen Transformation Gedanken zu machen und die Verteilungsfrage neu zu stellen.
Verteilungsfrage neu beleuchten
Für progressive Akteure können die Fragen der Zukunft nur die großen Fragen sein. Es kann nicht mehr nur darum gehen, in mühsamer Kleinarbeit die Bedingungen für Arbeitnehmer_innen zu verbessern – es bedarf einer Vorstellung für die nahe Zukunft: einer Realutopie. Lisa Herzog malt ein vielschichtiges Bild, ohne an theoretischer Fundierung zu sparen. Es gelingt ihr ein Perspektivwechsel, den viele Wissenschaftler_innen ihrer Generation wagen: Yuval Harari, Maja Göpel oder Rutger Bregman sind nur einige, die in den vergangenen Jahren Aufmerksamkeit erzeugt haben.
Neue Ansätze für die politische Praxis
Lisa Herzog bietet dabei nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch praktische Handlungsvorschläge, die zum Weiterdenken anregen. Wer ihre früheren Publikationen und Essays gelesen hat, kennt sie als Kritikerin der reinen Marktlogik, der unsichtbaren Hand des Ökonomen Adam Smith. In diesem Buch aber belässt es die Autorin nicht bei der kritischen Betrachtung, sondern liefert auch praktische politische Ansätze. Eine ausführlichere Diskussion über alternative Modelle, wie Genossenschaften oder Kooperativen, wäre hier wünschenswert gewesen.
„Welche Aufgaben in unserem Netz geteilter Arbeit die Maschinen sinnvollerweise übernehmen sollen und was so grundlegend menschlich ist, dass sie dies nicht können und dürfen – darum werden sich entscheidende Kämpfe der Zukunft drehen“ (S. 70).
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