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Preisträger 2024 des Hans-Matthöfer-Preises für Wirtschaftspublizistik
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Kurzgefasst und eingeordnet von Michael Dauderstädt – Michael Dauderstädt ist freiberuflicher Berater und Publizist und war bis 2013 Leiter der Abteilung Wirtschaft- und Sozialpolitik der FES.
Deutschlands Wirtschaft leidet unter den Schocks der Inflation, der Energiekrise, des Klimawandels und der Demografie. Sie kann diese Herausforderungen meistern, wenn entschlossen in die Modernisierung von Staat und Unternehmen investiert wird. Die Ausgaben für Infrastruktur, Digitalisierung, Bildung, innovationsfördernde Industriepolitik und eine gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung lassen sich finanzieren, wenn die reichenfreundliche Steuerpolitik reformiert und die Schuldenbremse gelockert wird.
Das Buch bietet zahlreiche Anregungen für eine Wirtschaftspolitik, die sich an den Werten der Sozialen Demokratie orientiert. Es steht konservativen und neoliberalen Konzepten kritisch gegenüber und verbindet ökonomischen Realismus mit einem Plädoyer für sozialen Zusammenhalt.
Alexander Hagelüken ist Wirtschaftswissenschaftler. Er arbeitet als Journalist und leitet das Ressort „Wirtschaftspolitik“ bei der Süddeutschen Zeitung.
Zudem ist er Autor einer Reihe viel beachteter Bücher, u. a. zum Rentensystem, zur Geldpolitik und zur Ungleichheit, sowie einer Einführung in die Ökonomie für Kinder.
Das Buch umfasst vierzehn Kapitel, die thematisch von der Inflation über die Energie- und Industriepolitik, die Schuldenbremse, die geopolitischen Herausforderungen und den demografischen Wandel bis zur Modernisierung des Staates und der Bekämpfung der Ungleichheit reicht.
2022 stieg die Inflationsrate auf das höchste Niveau seit den 1970er Jahren. Ursächlich hierfür ist allein der Krieg in der Ukraine, der die Preise für Energie und Nahrungsmittel massiv nach oben getrieben hat. Die Kritik einiger konservativer Ökonomen, die die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verantwortlich machen, ist unbegründet. Die EZB senkte die Zinsen und kaufte Anleihen über viele Jahre, ohne dass es zur Inflation kam. Auch Staatsausgaben und -schulden sind nicht die Ursache. Problematisch sind vielmehr Unternehmen, die unter dem Vorwand der Inflation ihre Preise stärker erhöhen, als es die gestiegenen Kosten rechtfertigen.
Nach dem Durchlauf der einmaligen kriegsbedingten Schocks sollte die Inflationsrate zwar schnell wieder sinken, aber es besteht das Risiko, dass verschiedene Akteure weiter hohe Preissteigerungen erwarten und ihr Verhalten danach ausrichten. Um die Inflation dauerhaft zu stoppen, dürfen die Löhne nicht schneller als die Preise steigen. Der Staat sollte stark betroffene Haushalte gezielt entlasten. Unternehmen sollten gesamtwirtschaftliche Verantwortung zeigen. Deutschland droht keine Wiederholung der Hyperinflation von 1923, die von ganz anderen Faktoren getrieben war.
Die Energiewende bietet Deutschland mehrere Vorteile: Sie befreit das Land aus der Abhängigkeit von Importen fossiler Energieträger, insbesondere russischem Gas, und senkt die Kosten für Energie. Vor allem aber trägt sie zum Klimaschutz bei. Allerdings stellt die Politik die Weichen zum Wechsel hin zu erneuerbaren Energien zu langsam. Noch immer fließen viele Milliarden in die Subventionierung fossiler Treibstoffe. Relativ einfach umzusetzende Maßnahmen wie Geschwindigkeitsbegrenzungen unterbleiben. Die Genehmigungsverfahren sind zu zäh, sodass der Ausbau der Windenergie weit hinter frühere Erfolge zurückfällt.
Um sicherzustellen, dass die für den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft nötigen Technologien und Produkte im eigenen Land hergestellt werden, braucht Deutschland eine strategische Industriepolitik, in der die grüne Transformation mit Wachstum und Beschäftigung verbunden wird. Diese Entscheidungen dürfen nicht, wie bei der Solarenergie, dem Markt überlassen werden.
In den letzten beiden Jahrzehnten hat Deutschland seine Infrastruktur verfallen lassen. Die öffentlichen Investitionen waren in allen Bereichen – von der Bahn über die Straßen und Schulen bis zur Verteidigung – zu niedrig. Fachleute gehen von einem Defizit in Höhe von 450 Milliarden Euro aus und fordern jährlich zusätzliche Investitionen in Höhe von 50 Milliarden Euro.
Neoliberale und fiskalkonservative Kräfte halten an der Schuldenbremse fest und befürworten einen schlanken Staat. Dabei ist die Schuldenlawine, vor der so oft gewarnt wurde, nie gekommen. Die längst überfälligen öffentlichen Investitionen können und sollten auch mit Krediten finanziert werden. Das schließt Einsparungen in anderen Bereichen, etwa bei klimaschädlichen Subventionen, nicht aus.
Die deutsche Industrie hat wichtige Trends wie Elektromobilität und Digitalisierung verschlafen. Da die Industrie in Deutschland deutlich gewichtiger ist als in anderen großen Volkswirtschaften, hätte ihr Niedergang gravierende Folgen für Einkommen und Beschäftigung. Zwar ist es primär Aufgabe der privaten Unternehmen, mit Innovationen und Investitionen für ein wettbewerbsfähiges und modernes Angebot an Gütern und Dienstleistungen zu sorgen.
Staatliche Industriepolitik kann sie dabei aber sinnvoll unterstützen. In bestimmten zentralen Schlüsselsektoren wie etwa Halbleitertechnik oder Batterien könnten Subventionen sinnvoll sein. In erster Linie sollte der Staat allerdings auf Forschung und Entwicklung setzen sowie die flankierende öffentliche Infrastruktur (z. B. Ladestationen) fördern. Deutschland liegt inzwischen bei den Ausgaben für Forschung im unteren Mittelfeld, was sich auch in der relativ geringen Anzahl von Patenten niederschlägt. Die Arbeitsplätze der Zukunft hängen davon ab, dass Deutschland technologisch weiter einen Spitzenplatz behält.
In den letzten Jahrzehnten hat die Welt die Barrieren für internationalen Handel abgebaut. Nachdem China 2001 in die Welthandelsorganisation WTO aufgenommen wurde, boomten grenzüberschreitender Handel und Investitionen. Deutschland zählte zu den Hauptprofiteuren dieser Entwicklung. Gleichzeitig wurde die Wirtschaft jedoch auch immer exportabhängiger. Problematisch war und ist vor allem die enge wirtschaftliche Verflechtung mit den diktatorisch regierten großen Volkswirtschaften China und Russland. Die fortschreitende Demokratisierung und friedliche Außenpolitik dieser Länder, die man sich von dieser gegenseitigen Abhängigkeit versprach, traten nicht ein. Vielmehr wurde die liberale Haltung westlicher Partner dazu genutzt – vor allem von China –, um sich Technologien anzueignen und dominante Marktpositionen auszubauen.
Deutschland und Europa müssen diese Abhängigkeit von Absatzmärkten und Zulieferungen aus autoritär regierten Ländern verringern. Das kann zwar keine völlige Abkopplung bedeuten, aber die wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen demokratisch regierten Ländern in Asien, Lateinamerika und Afrika müssen ausgebaut und durch Handelsabkommen abgesichert werden.
Noch näher liegt die Option, den europäischen Binnenmarkt mit seinen über 400 Millionen, oft relativ wohlhabenden Konsument_innen zu vertiefen. Aber im zunehmend wichtigeren Bereich der Dienstleistungen lässt die Integration noch viel zu wünschen übrig.
Schon heute fehlen in Deutschland zwei Millionen Arbeitskräfte, und durch den demografischen Wandel wird sich diese Situation noch deutlich verschärfen. Jährlich gehen Hunderttausende Menschen mehr in Rente als ins Arbeitsleben einsteigen. Die Politik muss diesbezüglich an vier strategischen Stellschrauben drehen, um einen massiven Einbruch der Wirtschaftsleistung zu verhindern.
Erstens gilt es, die Beschäftigung von Frauen zu fördern, die in Deutschland nur halb so oft bezahlter Arbeit nachgehen wie Männer. Das gegenwärtige Steuersystem ist geprägt von traditionellen Familienvorstellungen und belohnt durch das Ehegattensplitting Frauen, die zuhause bleiben. Außerdem ist die Kinderbetreuung katastrophal unterentwickelt und unzuverlässig, was die Berufstätigkeit von Müttern stark behindert.
Zweitens braucht Deutschland mehr Kinder, auch wenn sie den Arbeitsmarkt erst in zwanzig Jahren spürbar entlasten werden. Die Kinderbetreuung ist nicht nur unzuverlässig, sondern auch teuer. Kinder erhöhen das Armutsrisiko. Ein Ausbau der Kindergrundsicherung scheitert an der Schuldenbremse.
Drittens muss mehr für die Berufsausbildung getan werden. Denn anders als früher oft angenommen fehlen nicht nur Fachleute in den MINT-Feldern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, sondern auch Facharbeiter_innen und Beschäftigte im Handwerk. Zusätzlich sollten Politik und Wirtschaft ältere Menschen ermutigen und durch entsprechende Fortbildungen dazu befähigen, länger zu arbeiten.
Viertens braucht Deutschland mehr Zuwanderung. Noch immer hält sich die falsche Vorstellung, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Tatsächlich konkurriert man aber auf dem Weltmarkt um Fachkräfte. Ausländerfeindlichkeit und bürokratische Hürden stellen diesbezüglich Probleme dar, da potenzielle Migrant_innen hierdurch abgeschreckt werden.
Insgesamt treibt der demografische Wandel Deutschland in ein Rentenloch. Während heute auf einen Rentner drei Beschäftigte kommen, werden es in zehn Jahren nur noch zwei sein. 2040 werden mehr als ein Viertel aller Deutschen älter als 67 sein. Trotzdem erwarten alle, auch die Politik, weiter hohe Renten, ohne die dafür nötigen Maßnahmen wie ein höheres Renteneintrittsalter zu ergreifen. Stattdessen haben viele Regierungen noch zusätzliche Leistungen eingeführt, die die Sozialkassen weiter belasten.
Es müssen klare Reformen durchgeführt werden. Um Altersarmut zu vermeiden, müssen die Renten nicht so stark steigen wie vorgesehen. Selbständige und Beamte sollten in das System integriert werden. An einer Subventionierung des Systems aus Steuermitteln führt kein Weg vorbei. Diese Last sollte aber gerechter verteilt werden, indem reiche Erben und Vermögensbesitzer stärker zur Kasse gebeten werden. Das Renteneintrittsalter sollte mit der Lebenserwartung steigen. Ärmere Menschen mit zu kleinen Rentenansprüchen könnten Zusatzrentenzahlungen erhalten, da sie wegen ihrer ohnehin meist geringeren Lebenserwartung in der Summe weniger Rente beziehen.
Der deutsche Staat und seine Verwaltung haben wichtige Modernisierungschancen verschlafen, weil sie dem neoliberalen Motto vom schlanken Staat und effizienten Markt folgten. Künftiger Wohlstand hängt vor allem davon ab, dass die Produktivität steigt, was wiederum Innovationen erfordert. Deutschland hat im zentralen Feld der Digitalisierung weitgehend den Anschluss verloren. Fast alle großen Unternehmen in diesem Sektor sind entweder amerikanisch oder chinesisch. Dabei hätte Deutschland Einiges aufzuweisen. So wurden viele Technologien wie etwa der 3D-Druck hier entwickelt. Die wirtschaftliche Nutzung haben indes andere übernommen. Die deutsche Fertigungsindustrie mit ihren erfolgreichen Mittelständlern bietet Chancen, wenn sie mit neuen digitalen Techniken wie künstlicher Intelligenz verbunden wird.
Künstliche Intelligenz ist eine zentrale Zukunftstechnologie, deren Entwicklung sehr davon abhängt, welche Datenmengen zur Verfügung stehen. Hier sind Deutschland und Europa zurückhaltend, da sie – zu Recht! – um den Schutz persönlicher Daten besorgt sind. Aber es gilt, ein fortschrittliches Gleichgewicht zwischen Regulierung und Innovation zu finden.
Wichtig ist auch ein Ausbau des Glasfasernetzes für flächendeckend schnellen Internetzugang. Andere Länder wie etwa Estland haben ihren öffentlichen Sektor vollständig digitalisiert.
Ein weiteres großes Defizit ist der Bildungssektor. Die Schulen konzentrieren sich viel zu wenig auf Jugendliche aus prekären Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund, die besondere Förderung benötigen. Schulschließungen und Online-Unterricht während der Pandemie haben diese Krise noch verschärft. Die für eine moderne Wirtschaft besonders wichtige Qualifizierung in MINT-Fächern müsste ausgebaut werden. Viele Arbeitslose hätten gute Beschäftigungschancen, wenn sie eine ordentliche Ausbildung erhielten.
Seit der neoliberalen Wende ab etwa 1980 hat die Ungleichheit in Deutschland deutlich zugenommen. Durch Steuersenkungen für Reiche und Sozialleistungskürzungen für Arme öffnete sich die Einkommensschere immer weiter, und bei der Vermögensverteilung besteht infolge löcheriger Besteuerung von Erbschaften und einer Aufhebung der Vermögenssteuer eine noch weit größere Ungleichheit. Die 45 reichsten Familien des Landes besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Verbunden mit den gegenwärtigen Schocks treibt diese Ungleichheit die Menschen in die Arme von Populisten. Zudem bremst sie die Konsumnachfrage und damit das Wachstum.
Vor diesem Hintergrund muss die Politik die Besteuerung gerechter gestalten, indem sie die ärmeren Haushalte ent- und die reicheren stärker belastet. Die von den Parteien 2021 im Wahlkampf versprochenen Änderungen zeigen aber, dass zwar SPD und Grüne derartige Vorschläge machten, CDU und FDP aber vor allem die reichen Haushalte noch mehr bereichern wollen. Eine gerechtere Verteilung von Vermögen würde ärmeren Haushalten angesichts vielfältiger Risiken, insbesondere im Alter, mehr Sicherheit geben. Die bisherigen Versuche, der breiteren Bevölkerung zu mehr Vermögen zu verhelfen, waren entweder ungeeignet oder halbherzig durchgeführt. Gefragt wären massive Reformen, etwa in Gestalt einer Alterssicherung mittels individueller Vermögenskonten oder eines vom Staat vergebenen Grunderbes für alle, das sich durch eine höhere Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften finanzieren ließe.
Das Buch trifft ins Herz der aktuellen wirtschaftspolitischen Debatte. Es ist eher im Stil des Feuilletons als einer wissenschaftlichen Analyse geschrieben und dadurch gut zu lesen. Hagelüken entwickelt zwar kein neues Paradigma, bietet jedoch eine gute Auswahl bereits diskutierter Vorschläge. Mit seiner Mischung aus keynesianischer Ökonomie bei gleichzeitigem Bestehen auf sozialer Gerechtigkeit bietet das Buch eine Fülle von Anregungen für eine Politik, die Wohlstand und Klimaschutz miteinander zu verbinden verspricht.
Verlag: C.H.BECKErschienen: 12.10.2023Seiten: 206ISBN: 978-3-406-80773-2