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kurzgefasst und eingeordnet von Paula Schweers – Paula Schweers ist Journalistin und Autorin. Sie studierte Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und Europäische Kulturgeschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Derzeit wird sie beim ARTE Magazin und an der FreeTech Academy of Journalism und Technology zur Redakteurin ausgebildet.
Bestehende Geschlechter- und Machtverhältnisse wurden historisch aufrechterhalten und bestimmen bis heute unseren Alltag. Diesen Zustand gilt es zu überwinden. Es wird deutlich, welche Rolle antifeministische und rechtspopulistische Strömungen spielen und wie ein freieres und gleichberechtigtes Zusammenleben in Zukunft aussehen könnte. Zentral sind hierbei folgende Positionen:
Wiedemann schlüsselt in ihrem Buch den Zusammenhang zwischen antifeministischen und nationalistischen Argumentationen auf. Gerade in einer Zeit, in der rechtskonservative bis extrem rechte Stimmen die Corona-Pandemie als Chance für eine Retraditionalisierung von Familie und Geschlechterverhältnissen sehen, ist dies eine wichtige Perspektive, die in den Debatten der Sozialen Demokratie nicht zu kurz kommen sollte.
Verlag: Matthes & Seitz BerlinErschienen: 2021Seiten: 200ISBN: 978-3-95757-949-2
Carolin Wiedemann ist Journalistin und Soziologin. Sie schreibt für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, analyse & kritik sowie das Missy Magazine über Gender-Theorie, Migrationspolitik und Medien. In Hamburg und Paris hat sie Journalistik und Soziologie studiert und über Kritik und Kollektivität im Netz promoviert. Sie gibt Seminare zu feministischer Theorie und zum Werk von Michel Foucault.
In vier Kapiteln wird deutlich, wie sich das Patriarchat derzeit konstituiert und wie strukturelle Bedingungen, antifeministische Bewegungen sowie tief verwurzelte Annahmen und Vorurteile es aufrechterhalten. Wiedemann erklärt, welchen Anteil der Kapitalismus daran hat und wie sich dieser Status quo überwinden lässt. In den Mittelpunkt stellt sie sexistische Geschlechter- und Herrschaftsverhältnisse und will Mut machen, diese zu hinterfragen und zu überwinden.
Die Bestandsaufnahme erklärt den Begriff des Patriarchats und zeichnet die Geschichte der Kritik daran nach. Der Begriff macht es möglich, Machtverhältnisse zu erfassen, die über Jahrtausende als selbstverständlich galten und kulturelle Erzeugnisse wie Gesetzestexte, Gedichte oder religiöse Schriften bis heute durchdringen.
Die Bezeichnung wurde Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Schweizer Rechtswissenschaftler und Altphilologen Johann Jakob Bachofen geprägt und später durch Friedrich Engels unter kapitalismuskritischen Intellektuellen verbreitet. Die erste Frauenbewegung in Deutschland besetzte ihn für ihren Kampf um ihr Recht auf Bildung und die Möglichkeit, wählen und arbeiten zu gehen.
Über die Zeit hinweg wurde der Begriff durch Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen wie der Philosophin Judith Butler oder der Schriftstellerin Kate Millett immer weiter differenziert und ausgeweitet, sodass er heute auch nicht binäre und queere Personen einschließt und die gängige Einteilung in Frauen und Männer infrage stellt. Außerdem diente er dazu, Normen des Zusammenlebens wie die romantische Zweierbeziehung oder bürgerliche Kleinfamilie abzuklopfen und neu zu denken.
Trotz dieser Entwicklungen ist Sexismus in der Gesellschaft noch immer tief verwurzelt. Dies zeigt sich beispielsweise an Phänomenen wie unrealistischen Schönheitsidealen, aber auch an messbaren Faktoren wie Einkommensunterschieden und der ungleichen Verteilung von Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern. Die Corona-Krise lässt diesen Aspekt des Problems besonders deutlich hervortreten. Auch die #MeToo-Bewegung hat viel von dem strukturellen Sexismus sichtbar gemacht, indem sie die Häufigkeit von sexueller Belästigung und Übergriffen aufgezeigt hat.
Die Propagierung einer binären Ordnung, die Menschen in Männer und Frauen einteilt und Letztere benachteiligt, ist der Kern des Patriarchats. Sobald hierdurch bestehende Privilegien angegriffen werden, nimmt Frauenfeindlichkeit zu, wie sich in wiedererstarkenden antifeministischen und rechtspopulistischen Strömungen ablesen lässt. Antifeminismus hat hierbei eine große Bandbreite. Der Grad des Sexismus reicht von frauenverachtenden Maskulinisten über katholische Abtreibungsgegner_innen bis hin zu vermeintlich liberalen Journalist_innen.
In der extremen Ausprägung im Antifeminismus der Neuen Rechten vereinigen sich Frauenfeindlichkeit und Nationalismus auf dreierlei Weisen. Einerseits werden Frauen, die aus der vermeintlichen natürlichen Ordnung heraustreten und ihre Rolle als Hausfrau und Mutter verlassen, als Bedrohung für die Nation und das Volk wahrgenommen. Statt in der privaten Umgebung zu wirken, nehmen sie, vermeintlich ohne die entsprechenden Fähigkeiten zu besitzen, Einfluss auf die politische Sphäre und gefährden somit das rationale und kluge Handeln der Männer. Andererseits wird ihnen vorgeworfen, getrennt von Herd und Familie zu wenig Kinder zu bekommen und somit die Kleinfamilie nicht ordnungsgemäß reproduzieren zu können. Zu guter Letzt wird in den Theorien der Neuen Rechten angenommen, dass der Feminismus Männer verweichliche und sie somit nicht mehr in der Lage seien, das Volk und die Nation zu beschützen.
Gefährlich sind diese Entwicklungen und Annahmen insbesondere, da die Angst vor einer Gender-Ideologie und dem Verlust des traditionellen Familienbildes als Scharnier und Kitt zwischen dem rechtsextremen Rand und der gesellschaftlichen Mitte fungieren kann. Nicht jede Spielart des Antifeminismus proklamiert schließlich offen die Überlegenheit des Mannes. Stattdessen gibt es auch eine bürgerliche Variante, die scheinbar für Gleichstellung steht, jedoch gegen angebliche Gleichmacherei und Gender-Wahnsinn eintritt und an die rechtsextreme Ideologien andocken können. Sie zeigt sich in den Debatten um gegenderte Sprache, die Rechte von queeren Menschen und Political Correctness.
Die auf vermeintlicher Überlegenheit beruhenden Geschlechterverhältnisse hängen mit weiteren Herrschaftsverhältnissen zusammen, die unsere Gesellschaft durchdringen. So basiert das kapitalistische Wirtschaftssystem auf harter Konkurrenz. In diesem Rahmen sind teilweise unbewusste sexistische und rassistische Denkweisen und Diskriminierungen geeignet, den eigenen Platz in einer Unternehmenshierarchie zu sichern und sich Status und Bedeutung zu erhalten, welche mit bestimmten Berufen und Posten einhergehen. Auf diese Weise knüpft sich ein enges Band zwischen Patriarchat, Kapitalismus und Rassismus.
Allein die Bewusstwerdung dieser vermeintlich natürlichen Ordnung ist bereits ein erster Schritt, um sie zu überwinden. Des Weiteren gibt es zivilgesellschaftliche Aktivist_innen, die sie herausfordern und das binäre Verständnis von Geschlecht weiter verschieben. Ein Beispiel sind queerfeministische Bewegungen, die in der Tradition der strategischen Identitätspolitik auf ihre spezifischen Diskriminierungserfahrungen aufmerksam machen und sich zu eigenen Gruppen zusammenschließen.
Aber auch Familienformen wie Co-Parenting, bei denen sich mehrere Erwachsene zugleich um die Kindererziehung kümmern, rütteln an der tradierten Geschlechterordnung und dem Bild der Kleinfamilie. Sie ermöglichen dem Einzelnen mehr Freiheit und Selbstverwirklichung.
Diese neuen Formen des Miteinanders haben das Potenzial, das kategoriale Denken aufzubrechen und somit bisherige Herrschaftsverhältnisse zu überwinden.
Carolin Wiedemanns kämpferische Streitschrift liefert einen interessanten Beitrag zu einer Diskussion, die auch innerhalb der Sozialen Demokratie geführt wird. Diese Debatte dreht sich um die Gegenüberstellung vom Kampf gegen Diskriminierung und dem Eintreten für soziale Gerechtigkeit. Sie beklagt, dass durch elitäre Diskussionen über Vielfalt die Nöte der Arbeiter_innenklasse vergessen würden. Wiedemann widerspricht dieser These und verdeutlicht einmal mehr, dass Feminismus kein elitäres Projekt zum Nutzen einiger weniger ist, sondern der gesamten Gesellschaft zugutekommen kann.
Etwas zu kurz kommen in Weidemanns Argumentation strukturelle und politische Maßnahmen, die für mehr Geschlechtergerechtigkeit sorgen könnten. Stattdessen stellt sie zivilgesellschaftliche und aktivistische Initiativen in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung.