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Kurzgefasst und eingeordnet von Paula Schweers – Paula Schweers ist Journalistin und Autorin. Sie studierte Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und Europäische Kulturgeschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Derzeit wird sie beim ARTE Magazin und an der FreeTech Academy of Journalism und Technology zur Redakteurin ausgebildet.
Bereits während der ersten Corona-Welle stellte Jutta Allmendinger fest, dass Frauen durch die Pandemie eine „entsetzliche Retraditionalisierung" erleiden würden. Die folgende Entwicklung gab ihr recht, denn die Krise hat gesellschaftliche Ungleichheit wie ein Brennglas hervortreten lassen und verschärft. In ihrem Buch Es geht nur gemeinsam! erklärt Allmendinger, welche strukturellen Rahmenbedingungen dies begünstigen und wie Individuen, Politik und Gesellschaft gegensteuern können.
Geschlechtergerechtigkeit ist ein programmatisches Ziel der Sozialen Demokratie. Das vorliegende Buch stellt Konzepte vor, die bereits durchgesetzte Instrumente ergänzen können und sie argumentativ untermauern; wie beispielsweise das Zweite Führungspositionen-Gesetz (FüPoG II), das im August 2021 in Kraft trat. Insbesondere die Vorschläge, wie eine gerechte Aufteilung von Erwerbs- und Familienaufgaben erreicht werden kann, sind wertvolle Beiträge zur Debatte und liefern neue Ansätze.
Verlag: Ullstein TaschenbuchErschienen: 12.01.2021Seiten: 144ISBN: 9783548064529
Jutta Allmendinger wurde 1956 in Mannheim geboren, ist eine der führenden deutschen Soziologinnen und seit 2007 Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Sie wurde an der Harvard University promoviert und war von 1999 bis 2002 als erste Frau Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Als junge Professorin in München wurde sie von Studentinnen ausgebuht, weil sie ihr neugeborenes Kind mit in die Vorlesung brachte. Sie prägt die gesellschaftliche Debatte mit wegweisenden Beiträgen zu den Themen Gleichberechtigung und Bildungsgerechtigkeit.
In drei Kapiteln zeigt Allmendinger auf, warum es in Deutschland an Geschlechtergerechtigkeit mangelt, welchen Anteil die Corona-Krise an der Verschärfung dieses Zustands hat und wie die bestehende Ungleichheit überwunden werden kann. In den Mittelpunkt stellt sie hierbei die strukturellen, rechtlichen und familienpolitischen Bedingungen sowie kulturelle Zuschreibungen gegenüber Frauen und Männern, die ihre Selbst- und Fremdeinschätzung prägen.
Für ihre Bestandsaufnahme stellt Jutta Allmendinger folgende Fragen in den Mittelpunkt: Wie hat sich die Erwerbsarbeit über das vergangene Jahrhundert hinweg verändert? Welche Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind bestehen geblieben? Ihre Erkenntnisse zeigen, dass sich die Erwerbsquoten von Frauen und Männern angenähert haben. So lag die Erwerbsquote von Frauen im Jahre 1925 bei knapp 49 %, während die von Männern bei über 95 % lag. Heute hingegen liegt die Erwerbsquote der Frauen bei 72,8 %, bei Männern bei 80,5 %. Ein Unterschied von 46 Prozentpunkten reduzierte sich somit innerhalb eines Jahrhunderts auf nur noch knapp acht Prozentpunkte.
Was zunächst nach einer guten Nachricht klingt und bedeuten könnte, dass sich Frauen und Männer aufeinander zubewegt haben, ist auf den zweiten Blick problematisch. Es wird deutlich, dass allein Frauen die Lücke geschlossen haben. Während sich bei Männern in Sachen Erwerbsarbeit seit über 100 Jahren wenig geändert hat, haben Frauen ihr Leben massiv umgebaut und zusätzlich zu dem Löwenanteil an familiären Aufgaben ganz überwiegend eine berufliche Tätigkeit aufgenommen. Männer haben allerdings parallel nicht mehr Sorgearbeit übernommen. Diese Situation ist auch durch die sozialpolitische Ausrichtung der deutschen Familienpolitik bedingt; insbesondere durch steuerrechtliche und sozialpolitische Anreize.
Einerseits fördert das Steuersystem die finanzielle Ungleichheit zwischen Paaren durch das Ehegattensplitting geradezu, da Steuererleichterungen dann am größten sind, wenn die Gehälter weit auseinanderliegen. Andererseits wird aber eine Existenz als Vollzeitmutter ohne berufliche Einbindung immer weniger anerkannt. Schließlich ergeben sich sozialrechtliche Ansprüche nur aus der eigenen Erwerbstätigkeit und abgeleitete Rentenansprüche wurden abgesenkt. Diese widersprüchlichen Anreize führen dazu, dass viele Frauen sich bemühen, ihre Lebensläufe eher männlich konnotierten Lebensläufen immer weiter anzunähern. Oder aber sie entscheiden sich für einen beruflichen Weg ohne Führungspositionen und tragen weiterhin die Hauptverantwortung für die familiären Aufgaben.
Aus der Notwendigkeit beide Lebensbereiche zu vereinbaren, lässt sich auch die heutige hohe Quote an Teilzeitarbeit unter Frauen erklären. Bei Männern hingegen sind ihre Erwerbsbeteiligung und ihre Arbeitszeiten völlig unabhängig von ihrer familiären Situation.
Allmendingers Schlussfolgerung aus diesen Daten lautet, dass die Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern ein zentrales Problem für Geschlechtergerechtigkeit darstellt. So liegt zwar derzeit das Gesamtvolumen von Arbeitsstunden an Wochentagen bei Frauen und Männern jeweils bei etwa 11 Stunden. Die bezahlte und unbezahlte Arbeit müsste jedoch gleichmäßiger verteilt werden, damit die massiven Einkommenseinbußen von Frauen, die momentan einen Großteil der Sorgearbeit übernehmen, ausgeglichen werden können.
Ein zweiter zentraler Punkt sind die kulturellen Zuschreibungen, die es Frauen erschweren, in Führungspositionen zu gelangen. So belegen Studien, dass Frauen allein durch ihre Mutterschaft bereits Nachteile bei der Arbeitssuche erwarten müssen. Studien zeigen, dass potenzielle Arbeitgeber sie mit geringerer Produktivität, häufigen Ausfällen und weniger Arbeitseinsatz gleichsetzen.
In zwei zentralen Punkten verschärft die Corona-Krise die bereits skizzierte Ungleichheit zwischen Frauen und Männern. Zunächst einmal erleben Familien durch die Pandemie eine Retraditionalisierung. Zwar verändert sich die Arbeitswelt weiter in Richtung Flexibilität und Homeoffice, was zunächst als bessere Vereinbarkeit ausgelegt werden könnte. Stattdessen kann sich diese Umstellung jedoch auch als hinderlich für die Gleichstellung erweisen.
Das Homeoffice erzeugt keinen politischen Druck, eine bessere und verlässliche Infrastruktur für die Betreuung von Kindern aufzubauen. Stattdessen greifen Mütter wieder häufiger selbst ein und stellen ihre eigenen Belange zurück. Studien belegen zudem, dass sich hierdurch im Homeoffice der Gender Care Gap vergrößert. Die zuvor schon ungleiche Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern verschärft sich durch die Corona-Krise weiter.
Ein zweiter Punkt ist, dass sich die Arbeitsbedingungen systemrelevanter Berufe durch die Corona-Krise häufig weiter verschlechterten. In diesen oft unterdurchschnittlich bezahlten Berufen arbeiten bei Weitem mehr Frauen als Männer. Wegen der Pandemie waren viele Menschen, insbesondere in der Pflege und im Gesundheitssystem, noch größeren Belastungen ausgesetzt. Auch eine verstärkte gesundheitliche Gefährdung kam hinzu. Auch auf diese Weise trifft die Pandemie Frauen besonders hart und vergrößert somit die Ungleichheit.
Der Gender Pay Gap, also die bereinigte Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, liegt heute bei 6 %. Noch immer wird sie als häufigstes Instrument herangezogen, um finanzielle Ungleichheit zwischen Frauen und Männern zu beschreiben. Um die tatsächliche Benachteiligung von Frauen abzubilden, müsste aber auch der Gender Care Gap herangezogen werden – also die geschlechtsspezifische Lücke zwischen dem Aufwand für unbezahlte Sorgearbeit und dem Gender Pension Gap, der die Unterschiede zwischen den Altersrenten beziffert.
Eine Vier-Tage-Woche, in der Männer und Frauen sich bezahlte und unbezahlte Arbeit gleichberechtigt aufteilen, könnte solche Lücken schließen. Diese ist jedoch nur sinnvoll, wenn zugleich die Lohnstrukturen für vergleichbare Berufe angepasst werden. Auch sollte die Verhandlungsposition von Frauen gestärkt werden, indem das Entgelttransparenzgesetz von 2017 auf kleinere Betriebe ausgeweitet wird.
Zusätzlich sollte das Ehegattensplitting umgebaut werden in ein Familiensplitting. Vorbild könnte hierfür das Vorgehen in Österreich seit 2009 sein. Die absolute Steuererleichterung ist hier umso höher, je mehr Kinder und je mehr Einkommensbezieher eine Familie hat. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, die kurzfristig für mehr Einkommen sorgen, aber nicht rentenversichert sind, sollten abgeschafft werden.
Zudem könnten Instrumente wie mehr Frauenquoten für Führungspositionen in Politik und Wirtschaft ein starkes Signal für Gleichstellung in viele Bereiche ausstrahlen. Die Instrumente stehen für gleichen Lohn für vergleichbare Arbeit, für Anpassung der unbezahlten Care-Arbeit, für mehr Sichtbarkeit von Frauen und für Vorbilder.
Jutta Allmendinger liefert mit ihrer kurzweiligen und kenntnisreichen Streitschrift konkrete Konzepte, die etwa die Umverteilung von Care-Arbeit zwischen Frauen und Männern beschleunigen können. Viele der Vorschläge wie Frauenquoten, Umbau oder Abschaffung des Ehegattensplittings und eine Stärkung des Entgelttransparenzgesetzes werden bereits innerhalb der Sozialen Demokratie diskutiert oder umgesetzt; dennoch bietet das Buch neue Ideen und statistische Untermauerung der bestehenden Konzepte.
Insbesondere für politische Entscheidungsträger_innen oder für die politische Bildung finden sich Anregungen. Gerade in Zeiten, in denen ein Rollback in Sachen Geschlechtergerechtigkeit droht, ist das Buch ein wertvoller Debattenbeitrag.