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Marcel Lewandowsky (2024): Was Populisten wollen

Wie sie die Gesellschaft herausfordern – und wie man ihnen begegnen sollte, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch

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Kurzgefasst und eingeordnet von Hanna Fath.
Hanna Fath hat Politikwissenschaften, Soziologie und Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn studiert. Sie ist Stipendiatin des Instituts zur Förderung publizistischen Nachwuchses in München und arbeitet derzeit als freie Journalistin.


buch|essenz

Kernaussagen

Die heutigen Populisten entstammen etablierten Demokratien und inszenieren sich nicht als deren Zerstörer, sondern als deren Retter. Sie geben vor, den „wahren“ Volkswillen zu repräsentieren und damit die „echte“ Demokratie wiederherzustellen. Dabei schwächen sie die liberalen Anteile der Demokratie so weit, dass die Kontrolle der Mächtigen praktisch nicht mehr gegeben ist.

Wut und Angst, weil die eigene Situation als prekär und die Gesamtlage als krisenhaft wahrgenommen wird, aktivieren populistische Einstellungen. Sie führen dazu, dass Menschen sich bewusst für Parteien und Anführer entscheiden, die ihre Abneigung gegenüber politischen Eliten bedienen.

Populisten stellen die Demokratie gleich zweifach auf die Probe. Populisten wollen Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit über Bord werfen und bedrohen so den Fortbestand der liberalen Demokratie. Hinzu kommt die Ideologie. Vor allem die radikale Rechte will eine geschlossene Gesellschaft, den Rückbau internationaler Zusammenarbeit und die Abwicklung der EU.

Einordnung aus Sicht der Sozialen Demokratie

Lewandowsky formuliert konkrete Handlungsempfehlungen für alle, die die Demokratie verteidigen wollen. Die Bejahung der liberalen Demokratie eint politische Kräfte von Mitte-links bis Mitte-rechts. Lewandowskys erste Empfehlung lautet, diese essenzielle Gemeinsamkeit zur Grundlage von Gegenstrategien zu machen. Zweitens rät er, nicht Trends hinterherzulaufen, sondern die eigenen Themen auf die Tagesordnung zu bringen. Beispielsweise gehe es in Migrationsdebatten in Wirklichkeit oft um Themen wie Wohnungsmangel, Arbeitsplatzsuche oder Sozialleistungen. Daran könnten Parteien anknüpfen. Mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik könnten sie ein Themenfeld bespielen, das nicht zum Spezialgebiet der Rechtspopulisten gehört. Beides sind bedenkenswerte Ratschläge für die politische Kommunikation der Sozialen Demokratie im Kampf gegen den Populismus.


buch|autor

Marcel Lewandowsky, geboren 1982, ist Politikwissenschaftler und Autor. Er arbeitete u. a. an der Universität der Bundeswehr Hamburg, der Universität Greifswald und der University of Florida und forscht zu den Themen Populismus, Demokratie und Parteien.


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buch|inhalt

Populisten machen sich einen scheinbaren Widerspruch der Demokratie zunutze: Einerseits enthält sie das Versprechen der Volkssouveränität, andererseits Verfassungsorgane, welche die Volkssouveränität einschränken. Bei Lichte besehen stehen diese Einschränkungen indes nicht im Widerspruch zur Volkssouveränität, sondern sie sind notwendig, um diese dauerhaft zu erhalten. Volksherrschaft kann es nur geben, wenn die Bürger_innen untereinander sowie gegenüber dem Staat einklagbare Rechte haben und wenn der Staat sich an geltendes Recht hält und grundlegende Rechte der Bürger_innen nicht einfach abschaffen kann. In Demokratien gilt daher das Prinzip der Gewaltenteilung und -kontrolle. Es gibt freie Wahlen, in denen das Volk seine Vertreter wählt und damit seine Souveränität ausdrückt, und es gibt Institutionen, die die Macht der gewählten Volksvertreter beschränken. Hierzu zählen Gerichte, die die Verfassung schützen, aber auch freie Medien, die die Mächtigen beobachten, Fehlverhalten aufdecken und die Bürger_innen informieren. Diese Sicherheitsmechanismen sind essenzieller Bestandteil jeder liberalen Demokratie.

Die Anziehungskraft der populistischen Parteien besteht nun darin, dass sie Volksherrschaft unmittelbar verstehen. Nur die uneingeschränkte Herrschaft eines vermeintlich einheitlichen Volkswillens erscheint Populisten demokratisch. „Ihr Versprechen: Wenn wir an die Macht kommen – und zwar vollständig –, herrscht das Volk endlich wirklich.“

Wen Populisten für das Volk halten: Identität und Scheinkonsens

Populisten inszenieren sich als Stimme des Volkes. Trotz ideologischer Unterschiede eint alle populistischen Parteien, Bewegungen und Anführer der Gedanke, dass es so etwas wie das „wahre“ Volk gibt. Rufe wie „Wir sind das Volk“ lassen sich für dieses Denken instrumentalisieren. Zum einen geht es dabei um das Einfordern von Souveränität, also um das, was das Volk will, und zum anderen um Identität, also das, was das Volk ist. Beides, der Wille und die Identität des Volkes, sind im Denken der Populisten miteinander verbunden.

Populisten gibt es sowohl links als auch rechts der Mitte. Rechtspopulisten sehen „das Volk“ von all jenen bedroht, die für sie nicht dazugehören, sei es aus kulturellen, religiösen oder ökonomischen Gründen. Besonders wenn sie ihre Rechte einfordern und die bestehende Hegemonie hinterfragen, werden gesellschaftliche Außenseiter aus ihrer Sicht zu politischen Gegnern. Sie werden persönlich angegangen oder karikiert, um ihre Anliegen ins Lächerliche zu ziehen: „Angstmachen und Emotionalisierung, die die Unterscheidung zwischen uns „Guten“ und den „bösen“ Anderen verstärken, sind unverzichtbare Instrumente in ihrem Werkzeugkasten.“ Klimapolitik gilt im rechtspopulistischen Spektrum als Ideologie: ein Glaubenssystem, dem man folgen kann oder eben nicht. Wissenschaftliche Fakten werden zur bloßen Meinung degradiert und die sich auf die Wissenschaft berufende Klimaschutzbewegung als politische Sekte abgestempelt. Dieser Widerstand gegen die Klimamaßnahmen hat das Ziel, eine Idee von individueller Freiheit zu verteidigen, die das Recht betont, so weiterzuleben, als gäbe es die drohende Katastrophe nicht.

Anders als Rechtspopulisten denken Linkspopulisten zwar nicht in einem quasi-natürlichen Volksbegriff. Wie alle Formen des Populismus macht aber auch der Linkspopulismus komplexe Probleme zu einem Kampf zwischen der eigenen und einer feindlichen Gruppe: „Hier unten ‚das Volk‘, da oben die Reichen, die konservativen, liberalen und rechten Parteien und ganz allgemein: die Kapitalisten.“ Das Ziel der Linkspopulisten besteht darin, alle Menschen, die aus ihrer Sicht von den Mächtigen und Reichen unterdrückt werden, zusammenzuführen und zu mobilisieren.

Populisten im Allgemeinen haben gegenüber sozialen Medien weitaus weniger Berührungsängste als die etablierten Parteien. Sie haben deren Potenzial früh erkannt. Digitale Plattformen sind für Populisten deshalb so attraktiv, weil sie genau den Scheinkonsens simulieren, auf dem die Anziehungskraft des Populismus maßgeblich beruht. Sie bieten Einzelnen die Möglichkeit, sich zu artikulieren, sich eine Stimme zu geben, sich Gehör unter Gleichgesinnten zu verschaffen und die Informationen zu konsumieren, die das eigene Weltbild bestätigen. Dass man ja eigentlich in der Mehrheit sei, denkt man in sozialen Medien besonders schnell. Im digitalen Raum bestätigt man einander in der Wahrnehmung der analogen Wirklichkeit und versichert sich wechselseitig, zur schweigenden Mehrheit zu gehören.

Wie Populisten sich inszenieren: Widerstand

Populisten sind bei denen erfolgreich, die geringes Vertrauen in die Politik haben. Dabei bezieht sich dieses Misstrauen nicht nur auf die Regierung, sondern auch auf Parlamentarier, Richter, Journalisten sowie teils auch auf Wissenschaftler. Eines der Ziele von Populisten ist es daher, Misstrauen zu säen oder zu bestärken. So wollen sie eigene Anhänger mobilisieren und sich als Widerstandskämpfer inszenieren.

Der Abgesang auf die Demokratie gehört dabei zum Standardrepertoire des Populismus. Populisten verunglimpfen die herrschende Politik als undemokratisch und ihre Vertreter als totalitär. In der Gegenüberstellung präsentieren sie sich selbst als „wahre“ Demokraten. So funktioniert ihre Erzählung von Unterdrückung und Widerstand. Als Gegenmittel versprechen sie die totale Souveränität des Volkes. Von sich selbst behaupten die Populisten, dass nur sie selbst den Willen des Volkes kennen und vertreten.

Der Populismus hat immer einen dramatischen Tonfall. Es geht um alles oder nichts, Sieg oder Niederlage. Die Lösungen für diese politischen Kämpfe müssen also radikal sein. Der Populismus ist außerdem anfällig für Verschwörungstheorien, denn er beruht auf einem einfachen Freund-Feind-Schema. Nicht alle Menschen mit populistischen Einstellungen glauben auch Verschwörungserzählungen, aber man findet sie im Umfeld des rechten Populismus besonders häufig vor.

Populistische Anführer vermitteln eine generelle Bereitschaft zur Gewalt, besonders dann, wenn sie mit demokratischen Mitteln abgewählt oder abgesetzt werden. Ihre Anhänger stehen politischer Gewalt oft gleichgültig oder gar positiv gegenüber. Wenn solche Personen zusätzlich gesellschaftlichen Wandel als Bedrohung wahrnehmen und sich einen autoritären Führer wünschen, dann neigen sie noch stärker dazu, Gewalt als Mittel der Politik zu befürworten.

Wie Populisten das System verändern: wir Alleinherrscher

Alle Populisten versprechen, die Souveränität des Volkes (wieder-)herzustellen. Zwar bestehen teils deutliche Unterschiede darin, wie sie dieses Ziel erreichen wollen. Alle Populisten eint jedoch eine geringe Achtung für die Institutionen der liberalen Demokratie. So wird überall dort, wo Populisten – linke wie rechte – an der Macht sind, die Gewaltenteilung geschwächt. Allerdings nicht in gleichem Maße: Während Rechtspopulisten Reformen anstrengen, die die Gewaltenteilung auf Dauer aushebeln sollen, wollen linke Populisten sie eher temporär umgehen.

Wenn ein Regime weitgehend ungestört agieren will, muss es die Gewaltenteilung ausschalten und die Hoheit über die öffentliche Meinung gewinnen. Da ist es kein Zufall, dass die Populisten sich der Verfassungsgerichte annehmen. Sie sind die größte Hürde, die es zu nehmen gilt, wenn man die Demokratie nach seinem Willen umgestalten will. Rechtspopulisten sichern ihre Macht dauerhaft durch die Besetzung und Beschneidung der Verfassungsgerichte, die Kontrolle über die Medien und das Untergraben des Vertrauens in die Rechtmäßigkeit der Wahl. Die Folge: Die Bürger_innen werden nicht mehr informiert, sondern mit Propaganda versorgt. Sachverhalte werden so verzerrt, dass die Regierung besonders gut dasteht. Politische Alternativen werden eingeschränkt und kleingeredet.

Auf diese Weise gelingt es Rechtspopulisten, wenn sie regieren, ihr Programm umzusetzen. Wo Rechtspopulisten an der Regierung sind, werden die Rechte bestimmter Gruppen beschnitten und sie werden Schmähkampagnen und Diffamierungen ausgesetzt.

Wer Populisten wählt: wir hier unten

Wenn man nach Bildung, Einkommen oder sozialem Status geht, gibt es keinen idealtypischen populistischen Wähler. Aber es gibt Umstände, unter denen manche Menschen geneigt sind, Populisten ihre Stimme zu geben.

Gesellschaftliche Krisen wie Kriege, die Pandemie oder die Klimakrise können Ängste vor dem Verlust des eigenen ökonomischen Status und der kulturellen Hegemonie der eigenen Gruppe schüren. Dabei geht es darum, wie man selbst die eigene Lebenssituation einschätzt und nicht unbedingt darum, ob sie auch wirklich bedroht ist. Hinzu kommt das Gefühl, sozial ausgeschlossen und isoliert zu sein. Vor allem diejenigen, die sich einsam fühlen, erleben die Lage als beunruhigend und sich selbst als besonders betroffen.

Populisten nutzen diese Situation aus, erklären ihre Anhänger zu Opfern und bestärken sie in dem Gefühl, von den Eliten hintergangen worden zu sein. Dadurch entbinden sie sie nicht nur von der Verantwortung für die eigene Lebenssituation, sondern reduzieren die komplexe soziale und ökonomische Lage auf einen einzigen Schuldigen: die politischen Eliten.

Das Vertrauen darin, dass die Demokratie die großen Herausforderungen lösen kann, ist nach wie vor vorhanden. Die Wähler populistischer Parteien misstrauen jedoch den Politiker und haben das Gefühl, wenig Einfluss auf die Politik zu haben. Populismus ist eine Ideologie der Selbst-Ermächtigung. Er speist sich aus der machtvollen Überzeugung, dass die eigenen Anliegen den Interessen der Mehrheit entsprechen und dass diese von der Politik ignoriert, vielleicht sogar unterdrückt werden. Wer Populisten wählt, der tut dies im Namen dessen, was er selbst für die Demokratie hält.

Während manche Menschen populistische Einstellungen über lange Zeiträume hinweg hegen, sind sie bei anderen mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt. Populistische Parteien pflanzen den Menschen ihr Weltbild nicht ein, sondern es gelingt ihnen, bereits vorhandene populistische Einstellungen zu aktivieren.

Was wir gegen Populisten tun können: die Stunde der Pluralisten

Wer die Demokratie gegen Populisten verteidigen will, für den formuliert Lewandowsky Handlungsempfehlungen: „Kurzfristig sollte das Ziel sein, Taktiken zu vermeiden, die den Rechtspopulisten eher nützen als schaden. Mittelfristig braucht es eine erneuerte politische Kultur unter den Parteien, aber auch im Umgang mit der populistischen Rechten. Und langfristig muss die Politik darauf hinarbeiten, das Vertrauen und die Zuversicht der Bürger zu stärken – auch in Krisenzeiten.“ Erfahrungen von sozialer Ausgrenzung sowie von Abstieg und Statusverlust haben einen großen Einfluss darauf, wie zufrieden Menschen mit der Demokratie sind und wie groß ihr Vertrauen in Politiker und Institutionen ist. Ziel der Politik muss es also sein, in Krisenzeiten ein individuelles und kollektives Gefühl von Sicherheit zu transportieren. Mit Bezug auf die politische Kultur sollten demokratische Parteien herausarbeiten, worin die jeweiligen Unterschiede liegen – ohne die politischen Gegner als Gefahr für die Demokratie zu brandmarken. Nötig sind eine deutliche Abgrenzung in der Sache und Abrüstung in der Sprache.


buch|votum

Lewandowsky gelingt mit „Was Populisten wollen“ ein pointierter Abriss über die Geschichte des europäischen Populismus. Er illustriert seine Analysen mit zahlreichen Zitaten und Reportage-Elementen. Erkenntnisreich sind zudem seine Ausführungen über die Grundbedingungen der Demokratie. Einzig die Antwort auf die Titelfrage des Buchs – Was wollen Populisten, insbesondere dann, wenn sie an der Macht sind – bleibt vage. Das Buch befasst sich mehr mit den Strategien auf dem Weg dorthin als mit den diversen ideologisch begründeten Zielen der Populisten. „Was Populisten wollen“ diskutiert ein mögliches AfD-Verbot und Koalitionsbildungen nach dem Erstarken rechtspopulistischer Parteien. Auch deshalb ist das Buch – gerade vor den anstehenden Wahlen – ein wertvoller Debattenbeitrag.

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Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Erschienen: 08.05.2024
Seiten: 336
ISBN: 978-3-462-00672-8

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