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Kurzgefasst und eingeordnet von Anne-Kathrin Weber– Anne-Kathrin Weber ist promovierte Politikwissenschaftlerin, freie Journalistin und Rezensentin.
Mareile Pfannebecker und James A. Smith beleuchten die Gegenwart und die Zukunft von Arbeit im sogenannten Spätkapitalismus. Die Grenzen zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit verschwinden laut den Autor_innen immer stärker, doch mit der Zunahme dessen, was zu Arbeit wird, werden gleichzeitig viele Arbeitsbiografien immer prekärer. Digitale Plattformen, deren Mechanismen uns dazu bringen, uns permanent selbst zu optimieren, sind dafür mitverantwortlich.
Und doch liegt genau in der Digitalisierung, so die These des Autor_innenduos, der Schlüssel für eine verheißungsvolle postkapitalistische Zukunft: Indem Tätigkeiten künftig vollautomatisiert werden, können wir demnach an Autonomie und Kreativität gewinnen – allerdings nur dann, wenn wir uns von moralischen Vorstellungen und Vorschriften befreiten, wie unsere neu gewonnene freie Zeit zu nutzen wäre.
Wie viele andere linke Autor_innen kritisieren Mareile Pfannebecker und James A. Smith die Neoliberalisierung des Arbeitsmarktes, die in Deutschland vor allem durch die Regierung von Gerhard Schröder vorangetrieben wurde. Seitdem verschwimmt der Unterschied zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit immer weiter, und doch können immer weniger Menschen mit ihrer Arbeit überhaupt den minimalen Lebensstandard halten – ein Missstand, der gerade für die Soziale Demokratie schwer wiegt.
Eine Absage erteilen die Autor_innen allerdings dem Blick zurück in eine vordigitale Zeit, der nicht nur in konservativen, sondern auch in linken Kreisen verbreitet ist; die Autor_innen lehnen auch Moralisierungen darüber ab, wie Menschen in einer postkapitalistischen Welt leben sollten. Gerade im Hinblick auf soziale und Klimagerechtigkeit wird diese Forderung politischen Akteur_innen Denkanstöße bieten, aber sicherlich auch Abgrenzungspotenzial. Das Plädoyer der Autor_innen für eine radikale Freiheit in der Gestaltung des postkapitalistischen Lebens verweist auf ein komplexes Spannungsverhältnis zwischen Gerechtigkeit, Solidarität und Autonomie. Eine Politik der Sozialen Demokratie darin zu verorten, wird eine -wenn nicht die zentrale- politische Aufgabe für die Zukunft sein.
Verlag: Edition NautilusErschienen: März 2022Seiten: 224ISBN:978-3-96054-290-2
Mareile Pfannebecker ist Literaturwissenschaftlerin und arbeitet als Übersetzerin in Manchester.
James A. Smith lehrt Literatur und Theorie an der Royal Holloway University in London.
Wir werden durch ein Regime der „Lebensarbeit“ beherrscht. Das heißt: Alles, was wir tun, kann und wird zur Arbeit werden – ein Prozess, der maßgeblich durch digitale Plattformen beschleunigt wurde. Selbst das Nicht-Arbeiten wird sukzessive zur Arbeit umgedeutet, vor allem dann, wenn Arbeitslosigkeit durch staatliche Vorgaben immer stärker den Charakter und die Mühe von Erwerbstätigkeit annimmt. Sowohl im Zustand des Arbeitens als auch des Nicht-Arbeitens müssen wir uns permanent vermarkten und optimieren. Wer diesen Anforderungen nicht genügt, muss damit rechnen, dass bürgerliche Rechte systematisch entzogen werden.
Die Vollautomatisierung könnte das Ende des Spätkapitalismus eher früher als später einleiten – linke Kräfte sollten genau darauf hinarbeiten. Was aber nach der Arbeit kommt, was wir mit unserer freien Zeit anstellen werden, sind völlig offene Fragen. Gute Antworten darauf sind allerdings nicht in der klassischen Post-Arbeits-Literatur zu finden, deren Autor_innen uns vorschreiben wollen, wie das gute Leben nach dem Ende des Arbeitsdiktats auszusehen habe. Genauso nutzlos sind auch Verheißungen von Tech-Milliardären aus dem Silicon Valley, die schlussendlich doch nur ihre Produkte vermarkten wollen. Wahrhafter und radikaler linker Widerstand ist nur in einer Rückeroberung von Technologien zu finden – und im Vertrauen darauf, dass wir auch ohne moralische Vorschriften zu einem guten und gemeinschaftlichen Leben jenseits von Arbeit finden werden.
Im Rahmen der „Lebensarbeit“, mit der wir im Spätkapitalismus aktuell regiert werden, durchdringt Arbeit unser Leben immer stärker. Insbesondere die Bourgeoisie ist von dieser „neuartigen Kolonisierung verschiedener Lebensbereiche durch Arbeit“ auf essenzielle Weise bedroht:
„Diese Klasse schaut heute auf eine unmittelbare Vergangenheit, in der ihre kulturelle Identität zerflossen ist, auf eine Gegenwart, in der ihre traditionellen sozialen und beruflichen Privilegien abgetragen werden, und auf eine Zukunft, von der sie gar nicht mehr gebraucht werden wird.“
Das „Regime der Lebensarbeit“ führt dazu, dass Spezialisierungen und Fachwissen immer weniger gefragt sind. Das eigene Profil soll, so die Anforderungen der gegenwärtigen Arbeitsmarktpolitiken, dem Arbeitsmarkt möglichst umfassend und flexibel zur Verfügung stehen. Andernfalls droht der soziale und finanzielle Abstieg – wie ihn bereits diejenigen erlebt haben, die seit Langem schon unter der Neoliberalisierung des Arbeitsmarktes leiden, nämlich vor allem ungelernte und migrantische Arbeiter_innen.
Die gegenwärtige Neoliberalisierung des Arbeitsmarktes hat daher strukturell ähnliche Folgen für alle, die unter dem „Regime der Lebensarbeit“ dienen. So ist im Rahmen der „Agenda 2010“ oder von der Labour-Partei unter Tony Blair in Großbritannien unter anderem versucht worden „Sozialpolitik zu instrumentalisieren, um ein neues (Arbeiter*in-)Subjekt zu schaffen, das sich in Verhältnissen zurechtfand, von denen die Partei einerseits behauptete, dass sie nicht zu ändern wären, während sie andererseits daran arbeitete und plante, sie aufrechtzuerhalten“.
So werden Arbeitslosigkeit und Arbeit immer stärker fusioniert – wer arbeitslos ist, wird mit „Pseudo-Arbeit“ beschäftigt; die Arbeitssuche wird selbst zur Arbeit. Es ist daher zu schließen, dass „als materielle Folgeerscheinung die einfache binäre Opposition zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit – mit ihren jeweiligen moralisierten Assoziationen von Erfolg und Misserfolg, Gesundheit und Krankheit, Autonomie und Abhängigkeit, Wohlstand und Kampf – nicht mehr aufrecht erhalten werden kann“.
Außerdem legitimieren diese neuen Politiken Zugehörigkeits- und Ausschlussmechanismen qua Arbeit – nur wer arbeitet, wird als Teil der Gesellschaft definiert.
Meist wird die prekäre Beschäftigungslage, unter der immer mehr Menschen leiden, mit den Begriffen der „Unter- oder Überbeschäftigung“ erklärt. Demnach seien Menschen gezwungen, entweder zu wenig oder zu viel arbeiten zu müssen, um überleben zu können. Diese Konzeption ist allerdings wenig zielführend: Diese eklatanten Missstände durch „Lebensarbeit“ können nämlich nicht einfach dadurch behoben werden, dass das „Maß an Arbeit, Entlohnung und Qualifikationen“ bloß besser austariert wird. Besser und radikaler ist es, sie stattdessen mit den Begriffen „Missbeschäftigung“ oder „Entschäftigung“ einzurahmen:
„Missbeschäftigt zu sein bedeutet, eine Arbeit zu verrichten, die nicht zum Leben reicht. Die unsozial, prekär, körperlich und geistig ungesund ist, die zu einem großen Anteil aus unbezahlten Elementen besteht, die invasiv, übermäßig kontrolliert und unwürdig ist und oftmals Erwerbstätigenarmut mit sich bringt.“
Dieser Begriff kann auch das mittlerweile fusionierte Gefüge zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit sichtbar machen:
„In den prekärsten Fällen kann es passieren, dass Beschäftigte und Arbeitslose genau dieselbe Tätigkeit nebeneinander in denselben Unternehmen verrichten, von denselben Essensausgaben ernährt werden und nachts in dieselben Obdachlosenheime zurückkehren.“
„Entschäftigung“ hingegen bedeutet, dass Teile der Bevölkerung qua Beschäftigungsstatus nicht nur aus wirtschaftlichen Statistiken herausfallen, sondern ihnen dadurch gegebenenfalls auch staatsbürgerliche Rechte vorenthalten werden.
Beide Phänomene, „Missbeschäftigung“ und „Entschäftigung“, können daher als Praktiken der Vertreibung verstanden werden:
„In einer umfassenderen Krise der liberalen Ordnung ist die vielfältige Gewalt, die aus der Neudefinition von Arbeitslosigkeit seit den 1990er Jahren resultiert, ein Symptom des allgemeinen Vorgehens eines brutalen, aber letzten Endes planlosen Regimes, das am Ende neoliberaler Entwicklungsmöglichkeiten bereit ist, Menschen zu opfern, um das Bild endlosen Wachstums noch ein wenig länger zu wahren. Durch „Missbeschäftigung“ und „Entschäftigung“ wird die Fetischisierung von Arbeit als Gemeinschaft so zu ihrem bitteren Ende durchexerziert.“
Der Arbeitsimperativ wird immer weiter auf den ganzen Menschen ausgeweitet. Das Subjekt ist angehalten, sich permanent zu pflegen, zu optimieren und sich anzupreisen – wie die jungen Mädchen in Jane-Austen-Romanen. Diese oft „sadistische Fetischisierung des Mädchens in unseren Fiktionen und Produkten“ kann daher als „Junge-Mädchenwerdung“ der spätkapitalistischen Kultur bezeichnet werden. Sie ist als „Beschreibung einer hegemonialen Form der biopolitischen Unterwerfung“ zu verstehen. Nicht nur Prominente müssen diese Form von „Popularitätsarbeit“ leisten, sondern auch alle anderen in immer umfassenderer Art und Weise:
„Die harte Arbeit des Jungen-Mädchens von heute besteht also in der digital vermittelten Performance ihres Lebens, das seinerseits unmittelbar der Wertschöpfung des digitalen Kapitals zugänglich gemacht wird, während gleichzeitig die Strukturen und Angebote der Lohnarbeit schwinden.“
Im Rahmen dieser „Sympathie-Ökonomie“ wird einst Politisches immer weiter privatisiert. Gesundheitsvorsorge und kulturelle Projekte werden beispielsweise zunehmend über Spendenplattformen individuell finanziert. Das ist hochproblematisch, denn so verschwindet der „Raum für die Artikulation von politischen Rechten und Forderungen“ zunehmend. Auch digitaler Widerstand – wie bei der Kampagne #metoo gegen sexuelle Belästigung – ist politisch oft untauglich, denn er „verläuft sich in Klicks und Likes“. Und selbst hier sind ausbeuterische Praktiken erkennbar:
„Die Sexualität neben jedem anderen verkäuflichen Teil der eigenen Erfahrungen einzusetzen, einschließlich der Revolte gegen sexuelle Ausbeutung, bedeutet Arbeit – und zwar eine Arbeit ohne den Lohn systemischen Wandels.“
Dieser Prozess der „Lebensarbeit“ ist so weit vorangeschritten, dass es kaum mehr möglich ist, sich vorzustellen, was denn dieses „Etwas, das keine Arbeit ist“, sein könnte.
Dafür bietet sich der unter anderem von Michel Foucault und Jean-Luc Nancy geprägte Begriff des „Désouvrement“, also der „Ent-werkung“ an. Für eine linke Arbeitstheorie erweist er sich als vorteilhaft, da er den Gegensatz zur „Lebensarbeit“ auf den Punkt bringt: „Der Begriff verleiht Nicht-Arbeiten einen aktiven, positiven, sogar materiellen Charakter, und es ist – in unserem Verständnis – gerade dieser Aspekt des Nicht-Arbeitens, der immer mehr von der bestehenden Ordnung der Lebensarbeit verdrängt wird.“
Die „Ent-Werkung“ markiert die Frage dessen, was genau dann entsteht, wenn etwas keine Arbeit ist, etwas, das „vorgegebenen Bedeutungen und Zwecken widersteht“ – ein aktiver Zustand, in dem etwas völlig Neues und Unvorhergesehenes entsteht.
Aber was kommt nun, wenn der Kapitalismus irgendwann der Vergangenheit angehört, wenn unsere Gesellschaften dank Vollautomatisierung neu geordnet werden müssen? Antworten hierzu sind zunächst in der klassischen Post-Arbeits-Literatur zu finden. Darin wird ein sinnerfülltes Leben nach der Arbeit angepriesen: Indem wir uns demnach von unseren bezahlten Arbeitsplätzen befreien, sollen wir zum guten Leben finden – eine Vorstellung, die allerdings auf „struktureller Frömmelei“ beruht, denn sie macht uns eine Reihe von Vorschriften, wie dieses Leben eigentlich zu führen sei:
„Der springende Punkt ist, dass hier das Gute gemäß einer Reihe ungeprüfter moralischer und kultureller Imperative angepeilt wird.“
Das Problem dieses „präskriptiven Moralismus‘“ ist, dass das menschliche Begehren weder steuer- noch vorhersagbar ist. Auch die postkapitalistischen Verheißungen der Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley kranken an einem solchen falschen Verständnis des menschlichen Begehrens: Deren Apps und Produkte sind schließlich darauf angelegt, „Normen, Wünsche, Geschäftspraktiken und Vorurteile“ zu universalisieren. Der Fehler liegt genau in diesem Anspruch, denn Algorithmen können nur unser aktuelles Begehren befriedigen.
Allerdings: Digitaltechnologien sind keine „böse und pseudo-mythische Zerstörungsgewalt“. Für den radikalen linken Widerstand werden sie gute Dienste leisten können:
„Wenn wir [...] anerkennen, dass das unbändige Potenzial menschlichen Begehrens immer auf irgendeine Weise durch Technologien […] vermittelt und kanalisiert wird, dann könnten wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten, unsere sozialen Technologien neu zu artikulieren, anstatt dem Versuch anzuhängen, sie ganz loszuwerden.“
Kooperative oder öffentliche Non-Profit-Plattformen als Form widerständiger „Besitzergreifung“ sind dafür ein erster Schritt. Wichtig dafür ist aber, sich von jeglichen moralischen Vorstellungen zu lösen, wie das Leben nach dem Kapitalismus für jede_n Einzelne_n aussehen könnte. Nur dann ist „echte“ beziehungsweise „radikal sozialistische“ Demokratie“ möglich:
„Dementsprechend müssen wir uns auf das Vorläufige einlassen und so viel Raum wie möglich für Unterschiede und Eigenheiten, für Differenzen und Abweichungen in den prothetischen Wünschen einräumen, die wir brauchen, um in Richtung einer lebenswerten Zukunft in Gang zu kommen.“
In der Politik wird dies wohl zu einem „kreativen, demokratischen Agonismus“ führen, wie ihn die Politische Theoretikerin Chantal Mouffe formuliert hat. Dafür ist es notwendig, dass auch das Klassenbewusstsein wieder stärker in den Vordergrund rückt, das Diskriminierung, Sexismus und Rassismus wirksam politisch bekämpft und das sich nicht in der „Ästhetik der Gleichberechtigung“ beziehungsweise in symbolisch gehaltener Political Correctness erschöpft.
Ein Leben nach der Arbeit zu denken, moralische Vorstellungen ganz auszublenden und darauf zu vertrauen, dass alle zwischen Autonomie und Gemeinschaft ihren Platz finden werden – das ist tatsächlich eine ziemlich radikale, zuweilen eher linksliberal denn sozialistisch anmutender Vision von Mareile Pfannebecker und James A. Smith.
Wie genau sich aber der Übergang von der gegenwärtigen Arbeitsmaxime hin zu einer vollautomatisierten Gesellschaft vollziehen wird, das lassen die Autor_innen leider offen. Und noch eine wichtige Frage wird innerhalb dieser Programmatik nicht berührt: wie sich die Vollautomatisierung schließlich zur menschlichen Fürsorge(-Arbeit) verhalten wird. Es bleibt zu vermuten, dass diese technikaffine Vision über die völlige Autonomie des postkapitalistischen Subjekts – wohl zu Recht – genau hier an ihre Grenzen kommen wird.
Dass wir aber über solche Fragen besser früher als später diskutieren sollten – das ist eine der zentralen Erkenntnisse dieses spannenden Manifests. Allein schon für die wahlweise visionäre oder wahnwitzige Idee, dass das Ende des Kapitalismus aufgrund seiner allumfassenden Inbesitznahme allen menschlichen Lebens in greifbarer Nähe sei, lohnt sich die Lektüre.