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Kurzgefasst und eingeordnet von Michael Dauderstädt– Michael Dauderstädt ist freiberuflicher Berater und Publizist und war bis 2013 Leiter der Abteilung Wirtschaft- und Sozialpolitik der FES.
Die Beratungsbranche ist in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen. Staaten und Unternehmen haben sich zunehmend auf ihre Dienste verlassen, statt eigenständige Kompetenzen und Innovationen zu entwickeln. Dabei ist der Nutzen dieser Leistungen viel geringer als die enormen Kosten es erwarten lassen würden. Dies beschert den Consultingfirmen riesige Renten. Die Problemlösungsfähigkeit der Kunden, vor allem der Staaten, hingegen nimmt kontinuierlich ab. Damit wächst ihre Abhängigkeit von weiteren Beratungsinputs.
Ein handlungsfähiger Staat ist eine zentrale Voraussetzung für soziale Demokratie. Machen sich Regierungen zu sehr von privaten Beratungsleistungen abhängig, drohen gesellschaftliche Entwicklungen, die weniger dem Gemeinwohl als mächtigen Wirtschaftsinteressen dienen. Es ist das Verdienst des Buches, diese gefährliche Tendenz herausgearbeitet und mit vielen Beispielen belegt zu haben. Die Vorschläge im letzten Kapitel sind geeignet, eine Politik innovativer Wertschöpfung zu ermöglichen.
Mariana Mazzucato studierte Geschichte, internationale Beziehungen und Volkswirtschaftslehre. Sie ist Professorin am University College London und leitet das von ihr gegründete Institut für Innovation und Gemeinwohl. Sie ist Autorin mehrerer viel beachteter Bücher über private und öffentliche Quellen der Wertschöpfung.
Rosie H. Collington ist Ökonomin und promoviert bei Mazzucato. Sie hat Aufsätze zur Wirtschaftspolitik veröffentlicht, insbesondere zu den Themen Digitalisierung und Gesundheitspolitik.
In insgesamt zehn Kapiteln beleuchtet das Buch die unterschiedlichen Felder, in denen die Consultingindustrie tätig ist. Dargestellt werden die verschiedenen Phasen in der Evolution der Beratungsbranche, die gängigen Praktiken sowie die mit diesen Entwicklungen verbundenen Kosten und Risiken.
Die Beratungsbranche umfasst zahlreiche Unternehmen, die sich auf unterschiedliche Felder wie Strategie, Wirtschaftsprüfung, Informationstechnologie oder Outsourcing spezialisiert haben. Die größten Consultingfirmen wie McKinsey, Boston Consulting Group, Deloitte, PricewaterhouseCoopers, Ernst & Young und Accenture zählen zu den größten Unternehmen weltweit. Sie beschäftigen Hunderttausende von Mitarbeiter_innen und unterhalten Büros in dutzenden von Ländern. Der Löwenanteil der Umsätze wird in den reichen Ländern Nordamerikas und Europas erzielt.
Das Wachstum der Beratungsbranche begann im frühen 20. Jahrhundert, oft aufgrund politischer Vorgaben. So verbot die US-Regierung nach der Weltwirtschaftskrise den Banken Unternehmen zu beraten und verlangte unabhängige Buchprüfungen. Dies eröffnete neuen Firmen Spielräume. Vor allem der wachsende Einfluss des Neoliberalismus beflügelte die Branche. Mit Fragen zur Einführung und Umsetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien im Staatssektor wandten sich viele Regierungen und Verwaltungen an Consultingfirmen. Ärmeren Staaten wurden diese Dienstleistungen von internationalen Gläubigern aufgezwungen. Durch den Übergang zu Kapitalismus und Marktwirtschaft in China und den postkommunistischen Ländern Mittel- und Osteuropas entstanden weitere Geschäftsfelder.
Der wachsende Einfluss der Consultingindustrie war von Krisen und Skandalen begleitet. In einer Reihe von Ländern wurden Beratungsunternehmen zu Schadensersatz verurteilt oder sanktioniert, weil sie Korruption und Betrug entweder unterstützt oder verheimlicht hatten. Zu den bekanntesten Fällen dieser Art zählen die Korruptionsvorwürfe gegen McKinsey in Südafrika sowie der ENRON-Skandal in den USA, der zur Auflösung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen führte.
In den 1990er Jahren propagierten Parteien der linken Mitte den sogenannten „Dritten Weg“ und kamen damit in mehreren Ländern an die Macht (z. B. Clinton in den USA, Blair in Großbritannien und Schröder in Deutschland). Damit verbunden war eine Welle von Privatisierungen und Auslagerungen von Staatstätigkeiten in den Privatsektor. Viele dieser Reformen wurden von Beratungsfirmen begleitet, die dafür lukrative Aufträge von den Regierungen erhielten.
Ein wichtiges neues Geschäftsfeld der Beratungsunternehmen war die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Während die Staaten früher eigenständige IT-Kapazitäten vorhielten, wurde der Aufbau komplexer Systeme von Hardware und Software später in vielen Fällen ausgelagert. Im Zuge dessen bekamen Consultingfirmen viele Aufträge, um die Planung, Ausschreibung und Umsetzung zu erledigen.
Sparpolitiken – insbesondere nach der großen Finanzmarktkrise – führten dazu, dass staatliche Kapazitäten weiter abgebaut wurden. Die Staatsausgaben sanken jedoch kaum, da große Zahlungen an private Dienstleister flossen. Deren Leistungen und Fähigkeiten entpuppten sich aber oft als mangelhaft. Probleme bei der Umsetzung öffentlicher Großprojekte wie beispielsweise bei der Reform der amerikanischen Krankenversicherung – Stichwort „Obamacare“ – wurden als Staatsversagen bezeichnet, obwohl private Auftragnehmer dafür verantwortlich waren. Deren Überwachung durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften blieb lückenhaft. Skandale angesichts der fragwürdigen Praktiken von Dienstleistungsunternehmen wie Serco im Gesundheitssektor oder Carillion in der Baubranche, dessen Insolvenz für zahlreiche Personen den Verlust des Arbeitsplatzes bedeutete, führten zu Sanktionen gegen die zuständigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wie KPMG.
Der Erfolg von Beratungsunternehmen hängt wesentlich davon ab, den Eindruck von Kompetenz zu erwecken. Consultingfirmen präsentieren sich als Schöpfer von echtem Mehrwert, indem ihre Angebote Kostensenkungen und Effizienzgewinne versprechen. Dies erscheint umso attraktiver, je mehr Verwaltungen unter Sparzwängen und Unternehmen unter dem Diktat von Aktienkursen stehen. Tatsächlich übersteigt der von den Beratungsunternehmen verlangte Preis für ihre Leistungen jedoch deren Wert für die Kunden.
Um maximal kompetent zu erscheinen, beschäftigen Beratungsfirmen die besten Absolvent_innen der renommiertesten Universitäten, auch wenn diese kaum Branchenkenntnisse mitbringen. Allgemeine Hilfstechniken zu beherrschen und Vorschläge in überzeugender Weise präsentieren zu können, ist wichtiger, als über Detailkenntnisse zu verfügen. Diese sind eher auf der Seite der Kunden zu finden. Große Beratungsunternehmen geben sich zusätzlich einen wissenschaftlichen Anstrich, indem sie eigene private Universitäten und akademisch wirkende Zeitschriften unterhalten oder Bücher veröffentlichen. Netzwerke, die unter ehemaligen Beschäftigten der Beratungsfirmen oder durch den gemeinsamen Besuch bekannter Hochschulen entstehen, helfen wiederum bei der Akquise weiterer Aufträge.
Der Brexit und die Corona-Pandemie stellten die Regierungen in Großbritannien und weltweit vor große zusätzliche Aufgaben. Zu deren Bewältigung wurden oft Beratungsunternehmen eingesetzt, deren Umsätze massiv zunahmen. Inwieweit die Leistungen dieser Firmen tatsächlich dazu beitrugen, die neuen Probleme zu lösen, bleibt jedoch oft unklar. Verträge sind meist vertraulich und die juristischen Strukturen der Firmen so gestaltet, dass ihre Haftung eingeschränkt ist. Zudem verfügen große Consultingfirmen oft über Ressourcen wie Anwälte und Werbeagenturen, um die Verantwortung für Misserfolge nicht übernehmen zu müssen. Während die Auftraggeber bestenfalls ein paar Boni einbüßen, werden die Folgen von den Steuerzahler_innen und Beschäftigten getragen.
Die Auslagerung von Aufgaben wie Planung, Auftragsvergabe, Kontrolle und Management an Privatunternehmen führt oft zu massiven Kostensteigerungen und zum langfristigen Verlust von Kompetenzen auf Seiten des Staats oder der Unternehmen, die die entsprechenden Aufträge vergeben. Im Falle des neuen Stockholmer Universitätsklinikums beispielsweise stiegen die Kosten auf das Fünffache des ursprünglichen Budgets. Riesige laufende Zahlungen an Beratungs- und Finanzunternehmen belasteten den Haushalt der Klinik so stark, dass sie Personalkürzungen erwägen musste.
Weil sie entsprechende Fähigkeiten in Gestalt von Personal oder Daten abgebaut haben, sind Verwaltungen in vielen Ländern nicht mehr in der Lage, auf neue Herausforderungen wie die Corona-Pandemie angemessen zu reagieren. Länder wie Vietnam oder Ruanda hingegen, die auf die Lernfähigkeit ihrer eigenen Strukturen vertraut haben, waren in der Bekämpfung der Pandemie erfolgreicher.
Auch Unternehmen, die den Konzepten der Beratungsindustrie vertrauen, haben zugunsten kurzfristiger Kursgewinne und Profite ihre langfristigen Existenzgrundlagen ruiniert. So haben beispielsweise in der Pharmabranche Firmen ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten nahezu eingestellt, um die damit verbundenen Kosten zu sparen. Stattdessen kauften sie innovative Unternehmen mit interessanten Produkten auf und erhöhten die Preise der entsprechenden Medikamente massiv – in einem Fall um das Fünfzigfache. Die Börse reagierte begeistert, aber als die Politik einschritt, verlor das Unternehmen 90 Prozent seines Aktienwertes.
Das Verhältnis zwischen Beratungsunternehmen und Politik ist von Interessenkonflikten geprägt. So hat McKinsey eine Tochterfirma, die Vermögen für aktuelle und frühere Beschäftigte des Unternehmens verwaltet. Sie profitiert bei ihren Anlagestrategien von Informationen, die die Muttergesellschaft im Zuge ihrer Beratungstätigkeit erhält, wenn sie nicht sogar durch ihre Beratung selbst die Rentabilität der Investitionen verbessert. Beispielsweise wurden Puerto Rico seitens McKinsey Sparprogramme empfohlen, die den Kurs der Staatsanleihen steigern sollten, in die die Tochtergesellschaft investiert hatte.
Beratungsfirmen sammeln Informationen aus der Politik, die sie wiederum bei der Beratung von Privatfirmen nutzen. Das geschieht durch die Beratung öffentlicher Verwaltungen, aber auch durch die Beschäftigung von Politiker_innen über Beraterverträge. Consultingfirmen wirken an der Erarbeitung von Steuergesetzen mit und beraten anschließend Konzerne bezüglich der Frage, wie sie Steuern reduzieren oder vermeiden können. Das trifft auch auf ärmere Länder wie Angola zu. Dort haben Beratungsfirmen den herrschenden Eliten dabei geholfen, Kapital aus dem Land und auf private Konten zu schaffen.
Consultingfirmen beraten Unternehmen auch bezüglich der Frage, wie sie Kosten senken können, indem sie Stellen abbauen, Löhne senken und Arbeit verdichten. Sie helfen, Gewerkschaften zu schwächen und die Rechte von Beschäftigten einzuschränken. Sie versuchen, derartige Maßnahmen zu legitimieren, indem sie diese als notwendig für die Wettbewerbsfähigkeit und das Überleben des Unternehmens darstellen.
Seitdem die Gefahren des Klimawandels immer stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt sind, nehmen auch das Interesse und der Umfang der Tätigkeiten von Beratungsunternehmen in diesem Bereich zu. Da Staaten und Unternehmen unter wachsendem Druck stehen, Emissionen klimaschädlicher Gase zu reduzieren, bieten Consultingfirmen entsprechende Dienstleistungen an. Sie präsentieren sich dabei in vielfältiger Form als Vorreiter und Experten im Klimaschutz.
Wie die dauernde Verfehlung von Klimaschutzzielen zeigt, haben die propagierten Gegenmaßnahmen allerdings wenig dazu beigetragen, die Risiken zu senken. Ebenfalls mit Hilfe der Beratungsindustrie wurden von Staaten und Unternehmen Strategien konzipiert, die vor allem die wirtschaftlichen Interessen schützen und staatliche Regulierungen minimieren sollen. Dazu zählen etwa der Emissionsrechtehandel oder das Vertrauen auf Selbstregulierung der Privatwirtschaft. Sie dienen weniger dem Klimaschutz als vielmehr der Vorspiegelung eines ernsthaften Interesses daran.
Wenig überraschend zählen die größten Emittenten von CO2 wie die Erdöl- und Bergbauindustrie zu den wichtigsten Kunden der Beratungsbranche. Entsprechend verfolgen Consultingfirmen den Klimaschutz bestenfalls halbherzig und unter größtmöglicher Rücksicht auf die Interessen dieser Unternehmen. Beispielsweise hat McKinsey mit Blick auf die Holzindustrie vorgeschlagen, dass indigene Gruppen ihre traditionelle Landwirtschaft aufgeben, damit die großen Konzerne weiter industrielle Forstwirtschaft betreiben können.
Das inzwischen weit verbreitete ESG-Label soll Unternehmen kennzeichnen, die sich für Nachhaltigkeit, sozialen Ausgleich und saubere Unternehmensführung einsetzen. Auf den Kapitalmärkten werden Anlagestrategien angeboten, die in entsprechend qualifizierte Unternehmen investieren. Tatsächlich sind die Kriterien aber schwer zu messen und eine Vielzahl von Messverfahren führen zu einer wenig transparenten Lage. Consultingfirmen nutzen dies, um Unternehmen bei der Ausgestaltung einer geschönten Selbstdarstellung bei gleichzeitiger Fortsetzung profitabler Aktivitäten zu beraten.
In Demokratien sollten die Regierungen in der Lage sein, die Entwicklung der Gesellschaft im Interesse der Bürger_innen zu gestalten. Die ausufernde Rolle von Beratungsunternehmen gefährdet die dazu notwendigen Fähigkeiten und Ressourcen. Damit Staaten und Unternehmen wieder ihre gesellschaftlichen Aufgaben angemessen wahrnehmen können, sind vier Empfehlungen umzusetzen:
Langfristig geht es also darum, gesellschaftliche Wertschöpfung neu zu organisieren. Dabei muss der Staat seine eigenen Fähigkeiten und Ressourcen entwickeln, um auch die der Privatwirtschaft im Interesse des Gemeinwohls nutzen und steuern zu können.
Das Buch ist ein engagiertes Plädoyer für einen selbständigen, kompetenten Staat, der über die Fähigkeiten, Informationen und Ressourcen verfügt, um gesellschaftliche Herausforderungen wie die Klimakrise, die Digitalisierung und den demografischen Wandel zu bewältigen. Die wachsende Nutzung der Angebote von Consultingfirmen untergräbt diese Fähigkeiten und dient oft nicht dem Gemeinwohl, sondern privaten Interessen. Es ist ein Verdienst der Autorinnen, auf diese gefährliche Entwicklung und die damit verbundenen Risiken hinzuweisen. Sie beschönigen dabei nicht die Rolle der Regierungen, die oft genug Beratungsleistungen nutzen, um spezifische Interessen oder fragwürdige Politiken zu legitimieren.
Verlag: CampusErschienen: 12.04.2023Seiten: 328ISBN: 9783593516868