Kernaussagen
Im digitalen Kapitalismus gibt es keine freien, neutralen Märkte. Vielmehr gehören die Märkte selbst den privaten digitalen Plattformen. Weil sie Monopole halten, können sie den Zugang zu den Märkten kontrollieren. Sie können digitale Güter, die eigentlich nicht knapp sind, verknappen und hohe Gewinne erzielen. Gewinner_innen im digitalen Kapitalismus sind aber nicht nur die digitalen Plattformen, sondern zum Teil auch die Konsument_innen. Verlierer_innen sind alle, die die digitalen Güter und Dienstleistungen produzieren.
Einordnung aus Sicht der Sozialen Demokratie
Es gibt noch immer Arbeiter_innen. Diese sind sich ihres Status aber nicht bewusst. Um ein digitales Arbeiterbewusstsein zu schaffen, muss das „durch vierzig Jahre Neoliberalismus vollkommen deformierte Verständnis des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft“ (S. 290) neu definiert werden. Dies wäre auch eine Aufgabe für die Sozialdemokratie. Zudem braucht es eine europäische Gegenstrategie, um den digitalen Kapitalismus wieder in Einklang mit der Demokratie zu bringen und damit sich Europa zwischen den Plattformen aus den USA und China behaupten kann.
Das Neue am digitalen Kapitalismus besteht nicht nur in neuen Technologien wie dem Internet, Plattformen wie Google, Facebook oder Amazon, den Sprachassistenten Siri oder Alexa oder der digitalen Vernetzung von Alltagsgegenständen. Mit dem digitalen Kapitalismus ist vielmehr ein Wechsel des Wirtschaftssystems verbunden.
Märkte funktionierten bisher als freier Treffpunkt von Anbieter_innen und Nachfrager_innen. Der Neoliberalismus stand für diese Ausweitung der Marktlogik auf immer neue Gesellschaftsbereiche. Im digitalen Kapitalismus geht es um mehr, nämlich um den Besitz der Märkte als solche. Digitale Plattformen nutzen Daten nicht einfach nur für eine bessere Interaktion zwischen Anbieter_innen und Nachfrager_innen. Sie üben vielmehr eine neue Form von Macht auf die Marktakteur_innen aus, weil diese sich dem digitalen Marktplatz nicht entziehen können. Entstanden ist ein „System proprietärer Märkte“, also Märkte im Privatbesitz von Plattformen wie Amazon, Uber oder Airbnb.
Oft wird davon gesprochen, dass die Sozialdemokratie zwangsläufig ihre Wähler_innenbasis verliert, weil es keine Arbeiter_innen mehr gibt und die sozialen Konflikte des Kapitalismus eingehegt worden sind. Philipp Staab entwickelt nachvollziehbare Argumente gegen diese Analyse.
Soziale Konflikte, Ausbeutung und Ungleichheit als Folgen des digitalen Kapitalismus werden von Politik und Gesellschaft noch nicht hinreichend in den Blick genommen. Sie sichtbar zu machen, ist eine Aufgabe linker, progressiver Parteien. Hierfür brauchen diese den Mut, jenseits von Umfragen auf die sozialen Probleme aufmerksam zu machen, die – wie Staab es formuliert – blockiert sind und sich noch nicht in der öffentlichen Wahrnehmung widerspiegeln.
Allerdings sind für die Überwindung des digitalen Kapitalismus hin zu einer echten „digitalen Gesellschaft der Anrechte“ (S. 300) radikalere Maßnahmen notwendig, als es der neoliberale Diskurs über Marktregulierung zulässt. Um auch im liberalen Sinn wieder freie und faire Märkte im Digitalen zu sichern, sind nach Staabs Meinung neue politische Allianzen denkbar. Die fundamentale Marktmacht digitaler Konzerne schreit „nach einer progressiven Verbindung liberalen und linkskeynesianischen Denkens, da die Liberalen den Markt vor seiner privaten Inbesitznahme nur retten könnten, indem sie sich auf die strategische Wirtschaftspolitik der Linken einließen“ (S. 293), die im Zweifel auch klare Wirtschaftsinterventionen seitens des Staates einschließt. Konkret würde das bedeuten, dass sich etwa SPD und FDP gegen Amazon und Google verbünden – ein denkbares, aber ziemlich ambitioniertes Projekt, auch aus Sicht von Philipp Staab.
Vermutlich sind die europäischen Nationalstaaten allein ohnehin zu schwach, die Internetgiganten in die Schranken zu weisen. Deshalb müssen sich nach Staabs Ansicht progressive politische Kräfte dafür einsetzen, dass Europa seine eigene normative Position zwischen den Varianten des digitalen Kapitalismus aus den USA (privatisierte Märkte) und China (totale staatliche Überwachung) findet. Projekte wie GAIA-X, das als europäische Datencloud die Unabhängigkeit von marktmächtigen Anbietern wie Amazon Web Services sichern soll, sind hier nur der Anfang.
Was konkrete Maßnahmen angeht, bleibt Staab vage. Das liegt auch an dem Schwerpunkt des Buches auf der Analyse digitaler Plattformen und ihrer Probleme. Sein Buch ist für linke, progressive politische Akteur_innen als Türöffner zu verstehen, den digitalen Kapitalismus als ursozialdemokratisches Thema zu erkennen und seine Regulierung und Überwindung grundsätzlicher zu diskutieren.
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