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#Angekommen | 6. und 7. März 2017 in der FES Berlin

Der Kampf um Gerechtigkeit

Es ist wichtig, dass die ganze Welt sieht, was in Syrien passiert ist und immer noch passiert, sagt Joumana Seif, Rechtsberaterin beim ECCHR.


Frau Seif, Sie arbeiten für das ECCHR (European Centre for Constitutional and Human Rights). Was ist genau Ihre Arbeit beim ECCHR und was sind Ihre Hauptziele und Aufgaben?

Ich arbeite seit Mai 2017 beim ECCHR. Die Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen wurde in Syrien eingeschränkt, da das Land die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) nicht anerkannt hat und der Versuch des UN-Sicherheitsrates, Syrien vor Gericht zu stellen, von Russland und China blockiert wurde. Die Arbeit des ECCHR mithilfe des Grundsatzes der universellen Gerichtsbarkeit dennoch die Verantwortlichen für Völkerrechtsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, hat mich davon überzeugt dort zu arbeiten. In den letzten fünf Jahren habe ich nicht nur Einzelpersonen unterstützt, die sich an aktiven Ermittlungen in ganz Europa beteiligen wollen, sondern auch bei der Ausarbeitung von Klagen vor verschiedenen europäischen Gerichten geholfen.  Mein besonderer Fokus liegt dabei auf sexuellen und geschlechtsspezifischen Straftaten. Als die deutschen Behörden 2018 einen Haftbefehl gegen den damaligen Leiter des Nachrichtendienstes der syrischen Luftwaffe, Jamil Hassan, ausstellten, stellten wir fest, dass konfliktbezogene sexuelle Gewalt in den gegen ihn erhobenen Vorwürfen fehlte. Zusammen mit einem Kollegen arbeitete ich an der Untersuchung der Sexualverbrechen, die unter seinem Kommando stattfanden. Wir reichten 2020 eine Sonderklage ein und forderten, dass SGBV (sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt) als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt wird.

Kürzlich hat die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Podiumsdiskussion über den Film "The Lost Souls of Syria" veranstaltet, an der auch Sie teilnahmen. Der Film handelt von Verbrechen gegen das Völkerrecht in Syrien und deren internationale Verfolgung. In diesem Zusammenhang wurde im Film auf den Al-Khatib-Prozess Bezug genommen. Worum geht es genau was hat der Film mit Ihrer Arbeit beim ECCHR zu tun?

Der Film "The Lost Souls of Syria" handelt von der Geschichte des desertierten Militärfotografen "Caesar", durch den im Januar 2014 mehr als 27.000 Fotos von zu Tode gefolterten Gefangenen aus den geheimen Archiven des syrischen Regimes an die internationale Öffentlichkeit freigegeben wurden. Sie sind aufschlussreicher als alles, was gegen die Nazis in Nürnberg vorgelegt wurde. Die Fotos schockierten Menschen auf der ganzen Welt, einschließlich UN-Beamten, Politikern und Anwälten. Sie waren auch die Grundlage für weitere US-Sanktionen gegen das syrische Regime im Rahmen des Caesar Syria Civil Protection Act.

Im Jahr 2020 fand der zukunftsweisende Al-Khatib-Prozess (Al-Khatib bedeutet Geheimdienststandort/Ermittlungs- und Folterzentrum) in Koblenz statt, in dem zum ersten Mal Täter bzw. Akteure des syrischen Regimes verurteilt wurden. Es ist möglich, Völkerrechtsverletzungen durch das Weltrechtsprinzip auf nationaler Ebene anzuklagen und Deutschland hat dieses als erstes Land in diesem Prozess angewandt.

Die UN-Vollversammlung hat im Jahr 2016 eine Resolution zur Dokumentation von Kriegsverbrechen in Syrien beschlossen, nachdem im UN-Sicherheitsrat eine Überweisung an den Internationale Strafgerichtshof (IStGH) von Vetomächten Russland und China verhindert wurde.

Durch die aufwendige und genaue forensische Untersuchung der Caesar-Fotos wurden die Todesursachen und die Methoden der systematischen Folter nachgewiesen. Somit waren die Caeser-Fotos belastende Beweise bzw. eine eindeutige Dokumentation der Verbrechen. Da die Fotos vom deutschen Gericht einmal untersucht und geprüft worden sind, können diese dann für weitere Verfahren genutzt werden. Weitere genauere Infos über den Prozess gibt es in der hierzu verfassten ECCHR-Publikation.

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) übernahm die wichtige Arbeit, die 17 Syrer_innen, die als Zeug_innen und als Nebenkläger_innen im Prozess auftraten, juristisch zu begleiten und zu betreuen.

Könnten Sie Ihre Rolle in diesem Prozess beschreiben?

Ich habe an dem Al-Khatib Prozess als Teil eines Teams von ECCHR gearbeitet, das sich für die strafrechtliche Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen in Syrien einsetzt. Ich habe hauptsächlich bei der Kommunikation mit, und der Unterstützung von Überlebenden dieser Verbrechen geholfen. Wir haben die Überlebenden bereits vor Prozessbeginn unterstützt, indem wir Kontakt mit dejenigen aufgenommen und aufrechterhalten haben, die sich an den laufenden Ermittlungen beteiligen wollten. Und wir haben sie während des Prozesses unterstützt und gestärkt: Wir haben viele Treffen abgehalten, in denen wir den Überlebenden erklärt haben, was es heißt Zeuge zu sein und was sie erwarten können. Es ging darum, dass sie vorbereitet sind und vor allem darum, dass sie, basierend auf all diesen Informationen, selbst entscheiden können, was sie tun möchten. Ein solcher Prozess ist für die Überlebenden emotional sehr schwierig, daher war es für mich besonders wichtig, insbesondere mit den weiblichen Überlebenden in engem Kontakt zu bleiben, für sie da zu sein, auf Wünsche einzugehen, und für alle Fragen zur Verfügung zu stehen, die sie haben könnten. Am ECCHR legen wir großen Wert auf psychologische Unterstützung für Überlebende durch Zusammenarbeit mit Organisationen wie dem Zentrum Überleben. Meine Rolle bestand also auch darin, dies zu koordinieren, bei den Überlebenden zu sein und bereit zu sein, sie jederzeit zu unterstützen.

Ich glaube, dass die Arbeit aller Beteiligten an diesem Prozess mutig und unverzichtbar war, aber für mich war es besonders wichtig, Frauen zu ermutigen, die besonderen Hürden zu überwinden, mit denen sie konfrontiert sind, wie zum Beispiel patriarchale Strukturen. Durch diese Arbeit für Gerechtigkeit konnten wir sie befähigen, auch in unserer Gesellschaft andere Bedingungen für Frauen zu schaffen. Natürlich unterstütze ich alle, alle Syrer, alle Überlebenden, aber ich habe mich besonders darauf konzentriert, die Aufmerksamkeit auf die Verfolgung von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt zu lenken.

Wie wurde der Prozess in der syrischen Diaspora wahrgenommen und welche Auswirkungen hat dieser Prozess für die syrische Diaspora in Deutschland?

Viele Menschen, einschließlich Syrerinnen und Syrer im eigenen Land und in der Diaspora, verfolgten den Prozess aufmerksam. Ich denke, das war sehr wichtig für die Überlebenden und ermutigte sie, den Prozess durchzustehen, um ihre Stimme für all diejenigen zu erheben, die das nicht konnten. Ihr Ziel war es auch, diejenigen zu befreien, die noch im Gefängnis waren und somit immer noch denselben Praktiken ausgesetzt waren, die während des Prozesses aufgedeckt wurden. Die Zeug:innen und Überlebenden fühlten auch eine große Verantwortung, zu beweisen, dass in Syrien systematische Folter in Haftanstalten unter dem Assad-Regime angewendet wird. Ich bin sicher, dass der Prozess dies wirklich beweisen konnte und dass er auch den Wahrnehmung des syrischen Volkes unterstützt: Dass sie auf die Straße gingen, um für ihre grundlegenden Rechte zu kämpfen - Freiheit, Würde, Gerechtigkeit – und Sie mit unzähligen Völkerrechtsverbrechen überzogen und vertrieben wurden.

Es ist wichtig, durch rechtliche Verfahren vor Gericht zu beweisen, was passiert ist, und dass alle Beweise mit Ergebnissen schriftlich präsentiert werden. Natürlich geht es bei diesem Fall um Gerechtigkeit für die Überlebenden, aber er bietet auch eine starke Grundlage für eine Übergangsjustiz in Syrien.

Was bedeutet Ihnen der Film "The Lost Souls of Syria"? Was kann mit einem solchen Film erreicht werden?

Er war eigentlich sehr schmerzhaft. Aber die Tatsache, dass dieser Film so weh tut, bedeutet auch, dass es ein guter Film ist, dass er authentisch ist und sehr gut zeigt, was passiert ist. Es spiegelt wirklich den Kampf um Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht wider, nach dem die Syrer suchen. Er zeigt aber auch die Schwierigkeiten eines solchen Prozesses auf, dass Gerechtigkeit manchmal Zeit benötigt und langsamer sein kann, als die Überlebenden es brauchen. Es ist sehr wichtig, dass die ganze Welt sieht, was in Syrien passiert ist und immer noch passiert. Ich hoffe, dass der Film die Menschen und insbesondere politische Entscheidungsträger dazu bringen kann, mehr für die Überlebenden zu tun. Ich hoffe, dass beim Anschauen des Films mehr als nur der Schmerz zu spüren ist, dass er auch dazu ermutigt zu handeln, die Familien der Opfer zu unterstützen und weiterhin für mehr Menschlichkeit zu kämpfen.

 

Das Interview mit Joumana Seif vom ECCHR, über ihre Arbeit, die Bedeutung des Al-Khatib-Prozesses und des Films, wurde geführt von Vera Schiche.

 

Über die Autorin

Joumana Seif ist eine syrische Anwältin und Feministin. Sie ist eine Rechtsberaterin im International Crimes and Accountability program am European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) mit einem besonderen Schwerpunkt auf Syrien und sexueller und geschlechtsbezogener Gewalt. Sie arbeitete eng an der Seite der Überlebenden im Al-Khatib-Prozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz und wurde 2023 mit dem Anne Klein Women’s Award ausgezeichnet. Seit 2001 setzt sie sich für Menschenrechte ein und unterstützt die demokratischen Bewegungen in Syrien mit Fokus auf politische Gefangene. Sie verließ Syrien im Jahr 2012, ein Jahr nach Beginn des Aufstands gegen das Assad-Regime. Seitdem gründete sie das Syrian Women's Network (2013), die Syrian Feminist Lobby (2014) und das Syrian Women's Political Movement (2017). Sie ist Vorsitzende von The Day After: Supporting Democratic Transition in Syria und Mitglied der Policy Coordination Group, einer von Syrern geleiteten Initiative mit Blick auf Vermisste und Verschwundene Syrer:innen, die von der International Commission on Missing Persons (ICMP) unterstützt wird.

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