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#Angekommen | 6. und 7. März 2017 in der FES Berlin

Mobile Beschäftigte in der Landwirtschaft: Systemrelevant und trotzdem prekär

Interview mit Fritz Heil, Leiter "Internationales" bei der IG BAU



Auch in diesem Jahr beeinträchtigt die Corona-Pandemie die Landwirtschaft. Wir sprechen mit Fritz Heil, Leiter "Internationales” bei der IG BAU über die aktuelle Situation.
 

FES: Sie leiten die Abteilung “Internationales” bei der IG Bauen, Agrar und Umwelt, der Gewerkschaft, die u.a. auch Beschäftigte in der Landwirtschaft organisiert und vertritt. Was hat der Bereich “Internationales” mit der deutschen Landwirtschaft zu tun? 

Der Arbeitsmarkt in der Landwirtschaft ist sehr international geprägt. Jedes Jahr kommen etwa 300.000 Saisonbeschäftigte nach Deutschland, meist aus EU-Staaten wie Polen und Rumänien, aber auch aus den Westbalkanstaaten, der Ukraine und – so die Planungen der Bundesregierung – zukünftig auch aus Georgien. Die IG BAU will, dass die europäische und internationale Arbeitsmigration in der Landwirtschaft nach fairen Bedingungen verläuft. 

Arbeitsmigration aus den östlichen und südöstlichen EU-Mitgliedsländern ist also gang und gäbe in unserer Landwirtschaft. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Beschäftigten? 

Arbeitsmigrant_innen sind anfällig für Ausbeutung. Das kennen wir schon aus Branchen wie zum Beispiel der Bau- oder Fleischwirtschaft. In der Landwirtschaft berichten Saisonbeschäftigte zum Beispiel über hohe Abzüge vom Lohn für Unterkunft und Verpflegung, unbezahlte Überstunden, einen ungenügenden Sozialversicherungsschutz oder mangelhafte Unterkünfte. Wenn etwas schief läuft, haben sie weder die Mittel, um sich rechtlich zu wehren, noch sprechen sie ausreichend Deutsch, um sich selbst zu helfen. Hier engagiert sich die IG BAU in der Initiative Faire Landarbeit mit dem Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen und in Zusammenarbeit mit Faire Mobilität und Arbeit und Leben, um Saisonbeschäftigte arbeitsrechtlich in ihrer Muttersprache zu beraten und somit diese Lücke zu schließen. 

Wie hat die Corona-Pandemie diese Situation verschärft? 

Die Pandemie hat die Probleme, die schon seit Jahren bestehen, noch einmal sehr deutlich gemacht. Da sind der ungenügende Sozialversicherungsschutz und die teilweise schlechten Unterbringungsbedingungen zu nennen. Hinzu kommen neue Hygieneregeln, die nach unserer Erfahrung nicht in allen Betrieben ausreichend umgesetzt wurden. Die Anreise per Flugzeug von Saisonbeschäftigten aus Rumänien im vergangenen Jahr hat leider gezeigt, dass viele Regeln auf dem Papier stehen, aber nicht vollständig umgesetzt werden. Es bleibt ein Unding, dass in Pandemiezeiten Beschäftigte in Gemeinschaftsunterkünften mit bis zu acht Personen schlafen müssen. Schlafen mit FFP2-Maske geht nicht. Da ist es unmöglich, sich vor Ansteckungen zu schützen. Die IG BAU fordert eine Einzelzimmerunterbringung. 

Was sind aus gewerkschaftlicher Sicht die aktuell dringendsten Problemlagen der Arbeits- und Lebensbedingungen von mobilen Beschäftigten? 

Als IG BAU treten wir dafür ein, dass alle Beschäftigte in Deutschland umfassend sozialversichert sind. Es darf nicht sein, dass Saisonbeschäftigte in Deutschland ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz arbeiten oder jahrelang in Deutschland gearbeitet haben und keine Rentenansprüche erwerben. Zudem sollten Reise-, Unterkunfts- und Verpflegungskosten voll von den Arbeitgeber_innen getragen werden. Aufgrund einer Vielzahl von Lohnabzügen von mehreren hundert Euro bleibt Saisonbeschäftigten sonst am Ende kaum noch etwas übrig. Natürlich brauchen wir auch höhere Löhne durch Tarifverträge in einer systemrelevanten Branche wie der Landwirtschaft, die harte, körperlich Arbeit abverlangt.  

Die allermeisten Saisonbeschäftigten arbeiten “geringfügig”. Bis vor einem guten Jahr bedeutete das, dass sie maximal 70 Tage im Jahr so beschäftigt werden konnten. Aufgrund der Corona-Problematik mit erschwerten Reisemöglichkeiten, der Notwendigkeit der Kontaktreduktion etc. wurde dieser Zeitumfang dann befristet auf 115 Tage verlängert. Diese Regelung wurde nun noch einmal mit einer Begrenzung auf 102 Tage verlängert. Wie bewerten Sie diese Ausweitung und welche Argumente halten Sie denen entgegen, die für eine Verlängerung dieser Ausweitung plädieren?  

Diese Ausweitung lehnen wir ab. Die Bundesregierung schlägt dennoch vor, die 70-Tage-Regelung erneut auszuweiten. Anstatt eine Missbrauchslücke zu schließen, wird sie noch vergrößert. Politische Kompromisse auf dem Rücken von mobilen Beschäftigten sind unverantwortlich und unwürdig. Der Sozialversicherungsschutz ist integraler Bestandteil des europäischen Sozialmodells und darf Beschäftigten nicht vorenthalten werden. Die IG BAU hat daher eine Petition zu diesem Thema initiiert. Bereits die jetzige Regelung lädt zu Missbrauch ein. Die Ausnahme von der Sozialversicherungspflicht ist nämlich daran geknüpft, dass die Saisonbeschäftigung nur zum Nebenverdienst und nicht berufsmäßig ausgeübt wird. Saisonbeschäftigte generieren jedoch einen sehr hohen Teil ihres gesamten Jahreseinkommens über die Saisonarbeit, das ist also keine „geringfügige“ Beschäftigung mehr. Bereits jetzt wird hier also zu wenig kontrolliert und diese Regelung wird missbräuchlich angewandt. Das Argument, dass Saisonbeschäftigte aus dem Ausland nur so möglichst lange im Land bleiben können, ist übrigens falsch. Im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit können Saisonbeschäftigte aus der EU solange in Deutschland arbeiten, wie sie wollen – und das dann eben mit vollem Sozialversicherungsschutz.   

Wir befinden uns, wie man allerorts hören und lesen kann, in der dritten Welle der Pandemie. Wie gut sind die landwirtschaftlichen Betriebe darauf vorbereitet, ihren Beschäftigten den bestmöglichen Arbeits- und Gesundheitsschutz zur Verfügung zu stellen? 

Wir können nur von den Erfahrungen von vergangenem Jahr berichten. Die jetzige Saison hat gerade erst begonnen. Natürlich gibt es Betriebe, die sich vorbildlich verhalten. Aber es ist genauso unbestreitbar, dass es erheblichen Verbesserungsbedarf gibt. Zu nennen sind zum Beispiel die Qualität der Unterkünfte, die täglichen Fahrten von und zu den Feldern und die hygienischen Bedingungen der sanitären Einrichtungen auf den Feldern.   

Wie tritt die IG BAU mit den Beschäftigten in Kontakt und klärt sie über ihre Rechte auf? 

Die IG BAU plant zusammen mit der Initiative Faire Landarbeit Aktionen auf den Feldern. Wir suchen die Beschäftigten vor Ort auf und informieren sie unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregelungen über ihre Rechte am Arbeitsplatz. Zudem teilen wir Informationen natürlich auch über unsere Online-Kanäle. Die IG BAU hat darüber hinaus ein neues Mitgliedschaftsmodell für Saisonbeschäftigte und andere mobile Beschäftigte entwickelt, das speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Wer bei der IG BAU Mitglied ist, hat den vollen Rechtsschutz bei arbeitsrechtlichen Problemen. 

Was sagen Sie den mobilen Beschäftigten, die trotz der Gefahr für die eigene Gesundheit und trotz der immer wieder präsenten Ausbeutung meinen, dass sich die Saisonarbeit für sie lohne? 

Wir hören von Betrieben, dass es mittlerweile einen Mangel an Saisonbeschäftigten aus der Europäischen Union gibt. Es scheint sich also rumgesprochen zu haben, dass sich Saisonbeschäftigung in Deutschland nicht mehr unter allen Umständen lohnt. Faire Arbeit mit Sozialversicherungsschutz, guten Löhnen und angemessenen Unterkünften sind keine Almosen, sondern das individuelle Recht aller Beschäftigten. Das sollten alle Saisonbeschäftigten wissen und sich dagegen wehren, wenn sie diese Rechte nicht erhalten. 

Und schließlich: Welche Verantwortung haben wir als Verbraucher_innen, faire Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft zu unterstützen? 

Zu allererst ist es die Verantwortung des Staates, dass er faire Regeln vorgibt und die Einhaltung der Gesetze in Deutschland durchsetzt. Hier scheint es ein systematisches Weggucken zu geben. Die Kontrollen sind zu lax und seit Jahren monieren wir auch die schlechten Regelungen, die zu unzureichendem Sozialversicherungsschutz führen. Aber es ändert sich nichts. Die Verantwortung für gute Arbeit darf in jedem Fall nicht auf die Verbraucher_innen abgeschoben werden. Aber natürlich schadet es nicht, wenn Verbraucher_innen beim Einkauf nachfragen, wie Saisonbeschäftigte entlohnt werden. 

Wir danken für dieses Interview! 

 

Fritz Heil

ist Leiter "Internationales” bei der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).

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