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CfP: Autorenworkshop für Archiv für Sozialgeschichte 58 (2018), Einreichfrist 31. Mai 2017
[english version below]
In vielen Ländern Westeuropas lässt sich gegenwärtig eine nachlassende Akzeptanz parlamentarisch-demokratischer Systeme beobachten. Zugleich sehen sich diese einer Herausforderung durch rechtspopulistische Parteien und Positionen gegenüber. Diese Situation lädt zur historischen Reflexion über die Bedingungen politischer Partizipation ein. Dies geschieht vor dem Hintergrund eines verstärkten Interesses an den Chancen und Formen demokratischer Praxis seit dem 19. Jahrhundert, aber auch in der Zwischenkriegszeit. Dieses Interesse geht zugleich einher mit einer neuen methodischen Perspektive auf die Geschichte der Demokratie: Im Vordergrund stehen heute nicht mehr – wie von den 1970er- bis in die 1990er-Jahre – Fragen nach den makrohistorischen »Cleavages«, welche die Herausbildung demokratischer Volksparteien und die Durchsetzung demokratischer Spielregeln im politischen Prozess behindert oder verzögert haben. Vielmehr richtet sich das Interesse heute auf diejenigen Formen, Prozesse und Kontexte, in denen kollektive Akteure um die Durchsetzung und Anerkennung demokratischer Spielregeln ringen und diese selbst praktizieren.
Diese Verschiebung des methodischen Ansatzes speist sich zum einen aus der Anwendung der Diskurstheorie und dem symbolischen Interaktionismus in der Kulturgeschichte der Politik. Diese Ansätze lassen im Nahblick auf das partizipative Handeln dessen die Grenzen des Möglichen erweiternde Kraft erkennen. Sie speist sich mehr noch aus der Einsicht, dass gerade für die lange Übergangsphase von der ständisch geschichteten Repräsentation der Vormoderne zu den modernen inklusiven Verfassungsordnungen der Gegenwart eine Analyse der formalen, schriftlich niedergelegten Regeln demokratischer Politik zu kurz greift. Gerade während sich die institutionellen Spielregeln demokratischen Handelns erst noch entfalten und verfestigen, können sich Individuen und Gruppen durch eine Fülle von formellen und informellen Praktiken (das Verfassen von Eingaben und Petitionen, das Schreiben von Briefen, das Reden in Versammlungen, das Zusammenrotten und Demonstrieren auf den Straßen) demokratisch betätigen. Nicht zufällig gibt es dabei eine lange Phase des Übergangs von der Untertänigkeit zur Staatsbürgerschaft, etwa im Wandel vom Einreichen von Suppliken zur selbstbewussten Niederschrift von Petitionen an Parlamente und von Forderungen an Politiker. In dieser Perspektive lassen sich nicht zuletzt Ansätze demokratischer Praktiken in auf dem Papier undemokratischen Verfassungssystemen erkennen, wie Margaret L. Anderson dies für das Deutsche Kaiserreich 1871–1918 gezeigt hat.
Der geplante Themenband des Archivs für Sozialgeschichte greift das verstärkte Interesse am »practising democracy« auf. Potenzielle Beiträgerinnen und Beiträger sind eingeladen, Themenvorschläge zu drei weit und nicht exklusiv verstandenen Themenfeldern einzureichen. In zeitlicher Hinsicht kann dabei der gesamte Zeitraum vom frühen 19. Jahrhundert bis in die unmittelbare Zeitgeschichte abgedeckt werden. In räumlicher Hinsicht sind Themenvorschläge zu den Ländern Westeuropas willkommen.
ARENEN Demokratisches Handeln spielt sich in einer Fülle von Arenen ab, von denen nicht alle institutionell umrahmt und verfestigt sind. Klassische institutionelle Orte demokratischen Handelns sind das Parlament und die Partei. Studien zur Praxis parlamentarischer Rede und Entscheidungsbildung haben das Potenzial einer empirischen Analyse von Sprechhandlungen und Gruppenbildungen in Parlamenten gezeigt. Neben institutionellen Arenen ist an offene Arenen wie den Wahlkampf oder die offene Debatte oder an schriftliche Interaktionsformen wie Petitionen und Beschwerden zu denken. Daneben sind auch die Arenen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und ihrer Organisation wie Vereine und nicht organisatorisch gefestigte Bewegungen, aber auch Verbände sowie die Arbeitswelt respektive der Betrieb als Orte der historischen Analyse demokratischen Handelns denkbar.
PROZESSE Hier steht nicht der Ort oder das Feld demokratischen Handelns im Vordergrund, sondern seine Sequenzialität. In den Arenen demokratischen Handelns lassen sich über Prozesse und Verfahren Veränderungen und Kontinuitäten untersuchen und vergleichen. Die Möglichkeiten politikwissenschaftlicher, soziologischer und auch sprachwissenschaftlicher Ansätze eröffnen den Raum für vielfältige Perspektiven auf historische Prozesse, die sich in der organisatorischen oder verfahrensmäßigen Verfestigung wie Verflüssigung demokratischer Praktiken in den verschiedenen Arenen zeigen. Beispiele wären Gesetzgebungsverfahren, aber auch die Herausbildung und Entwicklung ›klassisch‹ demokratischer Organisationen wie Parteien, sozialer Bewegungen oder Gewerkschaften.
UMBRÜCHE Ob 1789, 1830, 1848/49, 1918/19 oder 1989: Revolutionen lassen sich als Situationen verdichteter demokratischer Praxis verstehen. In ihnen werden neue Akteure in den demokratischen Prozess einbezogen und das Repertoire demokratischer Praktiken erweitert und differenziert. Zugleich führt die Entscheidungsoffenheit der Situation zu einer intensiven Reflexion über die Möglichkeiten und Hindernisse demokratischer Praxis, und es verschärfen sich die Konflikte zwischen radikalen und moderaten Strömungen im Hinblick auf die Erweiterung von Partizipationschancen. Die Papiere dieser Sektion fragen danach, wie sich die Räume, Arenen und Prozesse demokratischen Handelns in Zeiten des revolutionären Umbruchs verändern und zuspitzen.
Im Rahmenthema des AfS 58 (2018) möchten wir die möglichen Ansätze einer solch offen verstandenen Demokratiegeschichte ausloten. Wir bitten daher, die jeweils eigenen Forschungsansätze auf die Angebote und Fragen des vorliegenden Call zu überprüfen und sich an »practising democracy« zu beteiligen. Beiträge zum Rahmenthema sollten sich auf die empirische Beobachtung der Chancen und Kontexte demokratischen Handelns konzentrieren, darüber aber die normativen Voraussetzungen und Implikationen jeder demokratischen politischen Ordnung nicht vergessen.
Abstracts und Texte können in Deutsch und Englisch eingereicht werden. Die Vorschläge sollten 3.000 Zeichen nicht überschreiten, Einsendeschluss ist der 31. Mai 2017. Zur Vorbereitung des Bandes wird am 9./10. November 2017 ein Autoren-Workshop bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin stattfinden.
Das Archiv für Sozialgeschichte wird herausgegeben von Beatrix Bouvier, Anja Kruke, Philipp Kufferath (geschäftsführend), Friedrich Lenger, Ute Planert, Dietmar Süß, Meik Woyke und Benjamin Ziemann.
Kontakt Philipp Kufferath
Friedrich-Ebert-Stiftung Archiv für Sozialgeschichte Godesberger Allee 149 53175 Bonn
afs@fes.de
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call for papers Archiv für Sozialgeschichte 58 (2018)
Practising Democracy. Arenas, Processes and Ruptures of Political Participation in Western Europe during the 19th and 20th Centuries
In many Western European countries we can currently observe a decreasing acceptance of systems of parliamentary democracy. At the same time, these systems are challenged by right-wing populist parties and by a general mistrust vis-à-vis the political elites. This situation invited historical reflection on the contexts and conditions of political participation. There has also been an increasing interest of historians in analysing the possibilities and the forms of democratic practise since the 19th century, but also in the interwar period. This interest is accompanied by new methodological perspectives on the history of democracy: from the 1970s to the 1990s, questions about the macro-historical »cleavages« which impeded or delayed the emergence of democratic catch-all parties and the implementation of democratic rules in the political process dominated. Yet this research agenda has receded into background. Nowadays historians are interested in the specific forms, processes and contexts in which collective actors struggle for the implementation and recognition of democratic rules, and practise these themselves.
On the one hand, this shift in methodological approach is based on the application of tolls such as discourse theory or the sociology of symbolic interaction in the perspective of a cultural history of politics. These approaches focus on a close reading of the political game and on the ways in which participation expands the discursive boundaries of legitimate speech and action. The shift in approach is, on the other hand, driven by the insight that a mere analysis of the written, formalised rules of democratic politics is not sufficient for the long transitional period from the hierarchical representation of the estates in the pre-modern era to modern, inclusive constitutional arrangements. In a period in which the institutional rules of democratic politics are just about to emerge and crystallise, groups and individuals could rely on a multitude of both formal and informal participatory practices (writing petitions and supplications, speaking in gatherings, getting together and demonstrating on the streets). Not by chance there was a long period of transition from being a subject (to a ruler) to a self-assertive state of citizenship, which is observable in the shift from submitting supplications to sending demands to politicians and parliaments. Ultimately, this perspective allows to analyse important elements of democratic practise in constitutional arrangements which are on paper undemocratic, as Margaret L. Anderson has demonstrated with regard to Imperial Germany 1871–1918.
The theme issue of the Archiv für Sozialgeschichte takes up the interest in the practising of democracy and offers a platform for relevant research. Potential contributors are invited to submit suggestions for topics in three broadly defined and not mutually exclusive thematic fields. This call for papers is open for contributions which can cover the whole period from 1800 to the most recent contemporary history, and all Western European countries.
ARENAS Participatory political actions occur in a variety of different arenas, not all of which are tightly framed and regulated in institutional terms. Classical sites of democratic action are parties and parliaments. Recent research on the practices of parliamentary speech and on decision-making in parliamentary bodies has demonstrated the potential of an empirical analysis of speech acts and of the formation of group identities in parliaments. Beyond institutional framework, open arenas such as election campaigns, public debates and forms of written interaction such as petitions and complaints can be considered. But there are also wider platforms for engaging aspects of the political order, such as associations, collective movements and pressure groups. The shop-floor level of industrial enterprises should also be considered as a site of participatory claims and actions.
PROCESSES In this perspective, the focus is not on the site or arena of participation, but on its sequential and procedural nature. In different arenas of democratic control, both formal and informal procedures are open to an analysis of their continuity and of change over time. Historical change of procedural aspects of democracy can be analysed from the vantage point of linguistics, political science and from sociological perspectives. Of specific interest here are processes of a hardening of the rules of engagement, or the opposite, situation in which institutional boundaries and procedures are liquefied and rendered more open. Possible examples for this type of analysis can include legislative processes, but also the emergence and development of classical democratic organisations such as parties, social movements and trade unions.
RUPTURES Whether in 1789, 1830, 1848/49, 1918/19 or 1989: revolutions can be understood as periods of condensed democratic practise. New types of collective actors become involved in the democratic process, and the repertoire of democratic practices is expanded and differentiated. At the same time, revolutions trigger intensive reflections about the possibilities and impediments of democratic action, as they are open to contingent forms of decision-making. However, revolutions also lead to increasing tensions and conflicts between radical and more moderate proponents of wider forms of participation. The papers in this section ask how sites, arenas and processes of democratic participation are growing more acute and are more contested in times of revolutionary transition.
This theme issue of the AfS 58 (2018) is designated to explore different agendas and topics in a widely defined, pluralistic and open history of democracy. We thus encourage historians to consider their own research in the light of the questions and themes of this call for papers and to engage in »practising democracy«. Contributions to the theme should focus on the empirical observation of the chances and contexts of democratic political action, but should not be oblivious to the normative premises and implications of every democratic political order.
Abstracts and articles can be submitted in English and German. Abstracts should not be longer than 3,000 characters. The deadline for the submission of abstracts is 31 May 2017. A workshop with short papers by invited authors will take place at the FES in Berlin on 9/10 November 2017.
The editors of the Archiv für Sozialgeschichte are Beatrix Bouvier, Anja Kruke, Philipp Kufferath (managing editor), Friedrich Lenger, Ute Planert, Dietmar Süß, Meik Woyke and Benjamin Ziemann.
Kontakt
Friedrich-Ebert-Stiftung Archiv für Sozialgeschichte Philipp Kufferath Godesberger Allee 149 53175 Bonn
Friedrich-Ebert-Stiftung Archiv der sozialen Demokratie Referat Public History, Netzwerk Demokratie/Geschichte 2018/19
KontaktPeter Beule
Godesberger Allee 149 53175 Bonn
+49 228 883 8076peter.beule(at)fes.de
www.geschichte-der-sozialdemokratie.de