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von Melanie Eilert & Saskia Moes | 02. September 2024 | Lesezeit: 10 Minuten
Kim ist eine begeisterte Gamerin und freut sich auf das neueste Spiel, das von ihren Freund*innen hochgelobt wird. Sie lädt es herunter, startet es voller Vorfreude und die erste Zeit macht es ihr richtig Spaß. Doch dann kommt eine ganz bestimmte Aufgabe im Spiel, die sie vor eine Hürde stellt. Für diese ist es entscheidend, dass verschiedenfarbige Drähte passend miteinander verbunden werden. Kim hat eine Farbfehlsichtigkeit und kann daher die Farben der Drähte nicht erkennen. Nun heißt es Mitten im Spiel: Game Over! Trotz ihrer Leidenschaft für Gaming fühlt sie sich durch diese Barrieren ausgeschlossen und unverstanden.
Und Kim ist damit nicht alleine! In Deutschland haben 8,9 Millionen Gamer*innen eine Behinderung und stehen vor ähnlichen Schwierigkeiten wie Kim. Und weitaus mehr Spielende, 15 Millionen, finden laut einer repräsentativen YouGov-Umfrage im Auftrag des game, dass Barrierefreiheitseinstellungen in digitalen Spielen wichtig sind. Sie wünschen sich, dass Spieleentwickler*innen mehr Rücksicht auf Spieler*innen wie Kim nehmen und Optionen für Farbanpassungen oder alternative Farbpaletten anbieten würden. Denn für Kim ist es frustrierend, dass sie nicht die gleiche Erfahrung wie andere Spieler*innen machen kann, nur weil sie Farben anders wahrnimmt.
Digitale Spiele benötigen Barrieren, um ein Spiel zu sein. Sie haben somit Barrieren für alle Menschen. Dadurch können sich aber unüberwindbare Barrieren für behinderte Menschen entwickeln und unbeabsichtigte Barrieren entstehen, wie das obige Beispiel zeigt. Die Zugänglichkeit digitaler Spiele für Menschen mit Behinderung rückt zunehmend in den Fokus der Gaming-Community. Deshalb bieten immer mehr Spiele ein barrierefreies Gamedesign oder individuelle Einstellungsmöglichkeiten an, um das Spielerlebnis anzupassen. Trotz der wachsenden Aufmerksamkeit und der zunehmenden Integration solcher Optionen bleiben jedoch in digitalen Spielen noch immer Barrieren für Menschen mit Behinderungen bestehen, die sie vom Spielen ausschließen können.
Ein entscheidender Schritt in diese Richtung besteht darin, Menschen mit Behinderungen von Anfang an in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Dies ermöglicht es den Entwickler*innen, ein tieferes Verständnis für die Herausforderungen und Bedürfnisse der Spieler*innen zu entwickeln und von Anfang an Barrieren zu vermeiden.
Eine weitere visuelle, aber auch kognitive Unterstützung sind Navigationshilfen, damit sich Spielende in der fiktiven Welt besser orientieren können und der Weg zu Aufgaben erleichtert wird. Für viele Menschen ist es sehr hilfreich, wenn die Tastenbelegung im Spiel selbst einstellbar ist. Zwar kann diese auch auf den gängigen Konsolen verändert werden, was aber zur Folge hat, dass die Steuerung bei jedem Spielwechsel erneut verändert werden muss. Neben der Individualisierung der Tastenbelegung sind auch Automatisierungen von Abläufen eine sinnvolle Einstellungsmöglichkeit. Ein sehr bekanntes Beispiel ist die Schlau-Steuerung und das automatische Gas geben in Mario Kart 8 Deluxe, aber auch automatisiertes Heilen oder Springen können die Steuerung vereinfachen.
Dennoch ist die Bereitstellung von Einstellungsmöglichkeiten zur Individualisierung des Spielergebnisses ein weiterer wichtiger Aspekt. Dies ermöglicht es Spieler*innen, die Spielerfahrung an ihre eigenen Bedürfnisse und Vorlieben anzupassen. Die Bandbreite an Unterstützungsoptionen ist groß und es werden immer wieder neue und innovative Ideen entwickelt, wie das Vorlesen von Menüs, auditive Hinweise auf Ingame-Elemente oder sogar eine Audio-Deskription für filmische Abschnitte.
Um eine wirklich zugängliche Spielerfahrung zu schaffen, ist es von entscheidender Bedeutung, ein möglichst barrierefreies Gamedesign zu implementieren. Hierunter fallen beispielsweise anpassbare Untertitel mit Sprecher*innen-Kennzeichnung oder sehr große Sprechblasen-Texte, die nicht automatisch scrollen, wie in Animal Crossing. Auch Fahrzeuge mit Auto-Pilot, wie in Watch Dogs Legion, sind ein Beispiel dafür, dass Barrierefreiheit schon im Gamedesign implementiert sein kann. Im Beispiel der fiktiven Spielerin Kim könnten die bunten Kabel zusätzlich mit Symbolen gekennzeichnet werden. Ebenso gibt es Spiele, bei denen Texte innerhalb der Spielwelt, wie zum Beispiel handschriftliche Notizen, die für sehbehinderte Menschen oder Menschen mit Dyslexie, also einer Form der Lese-Rechtschreib-Schwäche, schwer zu entziffern sein können, per Knopfdruck in lesbare Druckschrift übersetzt werden. Es gäbe hier noch einige weitere Beispiele, wichtig ist dabei aber eigentlich nur, dass das Gamedesign schon bei der Planung gewisse Barrieren bedenkt und von Anfang an gar nicht erst entstehen lässt. So müssen diese dann nicht durch zusätzliche Optionen wieder entfernt werden.
Im Unterschied zum barrierearmen Gamedesign müssen Einstellungsoptionen zur Verringerung von Barrieren von den Spieler*innen im Menü aktiviert werden. Das ist immer dann sinnvoll, wenn es um Barrieren geht, die direkt aus der Spielmechanik entstehen. Sollen die Spieler*innen beispielsweise mit begrenzter Zeit in einer komplizierten Sprungabfolge über Plattformen springen, ist es nicht sinnvoll, für alle Spieler*innen das Zeitfenster zu vergrößern. Spieler*innen, die mehr Zeit benötigen, können diese dann optional aktivieren. Ein Hochkontrast-Modus ist zum Beispiel eine hilfreiche Einstellung für Menschen mit einer Seheinschränkung. Bei einem solchen Modus werden der Hintergrund und andere rein dekorative Elemente in Graustufen dargestellt, während die Spielcharaktere, Freund*innen und Feind*innen sowie Gegenstände, mit denen interagiert werden kann, in kräftigen, kontrastreichen Farben abgebildet werden. Dadurch sind auch bei stärkerer Sehschwäche die wichtigen Elemente leicht erkennbar und können von der Umgebung visuell unterschieden werden.
Doch nicht nur Spiele selbst können dazu beitragen, die Steuerung zu individualisieren, auch assistive Technologien können Menschen mit einer motorischen Behinderung unterstützen. Steuerungseingabe-Geräte, wie der Xbox Adaptive Controller oder der Sony Access Controller ermöglichen die Nutzung von größeren Tasten oder externen Buttons, die für jede Taste angeschlossen werden können. So können diese Buttons nicht nur mit der Hand, sondern auch mit den Füßen oder der Schulter bedient werden.
Eine alternative Steuerungsmöglichkeit bietet auch der QuadStick. Eine Saug-Blas-Steuerung, welche durch Mundbewegung sowie durch die Nutzung der Atmung bedient wird. Dieser wird als Standard-Controller erkannt und funktioniert bei der Xbox, der Nintendo Switch sowie dem PC - eine Ausnahme bildet die PlayStation, die nur ihre eigenen Controller akzeptiert. Eine alternative Eingabe bietet ebenfalls die Bewegungssteuerung.
Wie der Name schon sagt, erfolgt dabei die Steuerung über die Bewegung der Controller. Dies kann für manche Menschen hilfreich sein, für andere aber auch eine unüberwindbare Barriere werden, wenn sie nicht ausstellbar ist. Dies liegt zum einen daran, dass viele Menschen mit Behinderung den Controller nicht oder nur eingeschränkt bewegen können. Zum anderen ist dadurch eine Steuerung mit assistiven Technologien nicht möglich.
Assistive Technologien gibt es nicht nur im Bereich der Steuerung. Der Feelbelt zum Beispiel, ein Gürtel, der auditive Signale in Vibration übersetzt, kann den Sound von digitalen Spielen für Menschen mit einer Höreinschränkung erlebbar machen. Auch für Menschen mit einer Seheinschränkung, die in Spielen auf Audio-Hinweise angewiesen sind, kann dieser Gürtel hilfreich sein, indem er wichtige Hinweise zusätzlich betont.
Digitale Spiele haben sich als integraler Bestandteil der Jugendkultur etabliert und sind heute kaum noch aus dem Alltag von Kindern und Jugendlichen wegzudenken. Die aktuellste Technologie wird oft als Statussymbol betrachtet und dient als wichtiger Kommunikationskanal innerhalb der Peer-Gruppe. Darüber hinaus sind Trendspiele nicht nur auf dem Schulgelände, sondern auch darüber hinaus ein häufig diskutiertes Thema. Um die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen optimal zu berücksichtigen, ist es ratsam, digitale Spiele verstärkt in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen einzubeziehen. Diese stellen nicht nur ein bedeutendes medienpädagogisches Werkzeug dar, sondern bieten auch eine effektive Möglichkeit zur Förderung verschiedener Kompetenzen und zur Stärkung von Beziehungen. Selbstverständlich müssen dabei die damit verbundenen Herausforderungen und potenziellen Risiken berücksichtigt werden, welche jedoch durch eine angemessene medienpädagogische Begleitung der Aktivitäten minimiert werden können. Der verbindende Charakter digitaler Spiele kann jedoch nur dann seine Chancen vollständig entfalten, wenn alle Kinder und Jugendlichen, gleichsam mit oder ohne Behinderung, daran teilhaben können. Erst seit wenigen Jahren wird die Inklusion als entscheidendes Ziel in der außerschulischen Jugendarbeit anerkannt und ist mittlerweile auch im Sozialgesetzbuch verankert. „Inklusion [steht] im Zusammenhang mit voller und gleichberechtigter Teilhabe, mit Chancengleichheit, mit der Ermöglichung der Erreichung selbstgesteckter Ziele, ihr wohnt also ein Bildungsanspruch inne und ein Ermöglichungsanspruch” (Bosse/ Schluchter/ Zorn, 2019, S.26).
Bildungseinrichtungen, sowohl schulische als auch außerschulische, und ihr pädagogisches Handeln sollten darauf ausgerichtet sein, medienpädagogische Angebote für alle zugänglich zu machen. Beim Einsatz digitaler Spiele in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist es daher wichtig, auf die Zugänglichkeit des Mediums zu achten. Dabei nimmt neben der Individualisierungsmöglichkeit digitaler Spiele und dem Einsatz assistiver Technologie auch das gemeinsame Spielen eine wichtige Rolle ein. Bei der sogenannten Co-Pilot-Funktion werden die Eingaben von zwei Controller zusammengeführt und vom Endgerät so interpretiert, als wäre es nur ein Controller. Diese Funktion wurde durch die Xbox vor einigen Jahren etabliert und durch den Access Controller nun auch auf der PlayStation möglich. Für die inklusive Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist dies ein besonders wertvolles Werkzeug, da sich die Spielenden durch das gemeinsame Steuern gegenseitig unterstützen, ohne dass den Spielenden von Extern in den Controller gegriffen wird. So können die jeweiligen Stärken gebündelt werden.
Digitale Spiele können Begegnungen schaffen und sind dadurch ein wertvolles Tool in der inklusiven Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Wichtig ist jedoch, dass die Zugänglichkeit beachtet wird und Spieler*innen mit Behinderung eine Teilhabe ermöglicht wird.
Beim Einsatz digitaler Spiele im pädagogischen Kontext sollten immer die individuellen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen im Blick behalten werden. Viele Fachkräfte lehnen die Arbeit mit dem Medium ab, aus Angst, dass ihr Wissen über digitale Spiele nicht genügt. Doch das Wissen der Kinder und Jugendlichen kann genutzt werden. Sie sind die Expert*innen ihrer eigenen Lebenswelt! Die Spiele können gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen angeschaut und auf Möglichkeiten zum gemeinsamen Spielen getestet werden. Ratgeber-Plattformen, wie Gaming ohne Grenzen (www.gaming-ohne-grenzen.de) oder der Spieleratgeber-NRW (http://www.spieleratgeber-nrw.de), bieten zudem Orientierung und Möglichkeiten für Rückfragen.
Indem Entwickler*innen Menschen mit Behinderungen aktiv in den Entwicklungsprozess einbeziehen und ein barrierefreies Gamedesign fördern, können sie dazu beitragen, eine inklusive Gaming-Kultur zu schaffen, in der alle Spieler*innen willkommen sind und die Möglichkeit haben, Spiele uneingeschränkt genießen zu können. Vor allem eine Individualisierung durch Einstellungsmöglichkeiten innerhalb eines Spiels kann dazu beitragen, dass sich Spieler*innen das Spielerlebnis an ihre Bedürfnisse und Vorlieben anpassen können. Assistive Technologien können zudem die Steuerung für Menschen mit einer motorischen Behinderung zugänglicher machen oder gar erst ermöglichen.
Diese Zugänglichkeit hat dann natürlich auch einen positiven Einfluss auf die pädagogische Arbeit mit inklusiven Kinder- und Jugendgruppen. Werden digitale Spiele sinnvoll eingesetzt, so können sie nicht nur eine Teilhabe für Menschen mit Behinderung an diesem kulturellen Phänomen ermöglichen, sondern auch Inklusion fördern. Denn: Gaming verbindet!
Melanie Eilert alias melly_maeh schreibt auf ihrem Blog über ihre Erfahrungen als Gamerin mit Behinderung und setzt sich als Aktivistin für die Barrierefreiheit digitaler Spiele ein. Als ehrenamtliche Botschafterin begleitet sie bereits seit 2020 die Initiative Gaming ohne Grenzen.
Saskia Moes ist medienpädagogische Fachkraft bei der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW. Dort befasst sie sich als Teil von Gaming ohne Grenzen mit der pädagogischen Arbeit mit digitalen Spielen in inklusiven Jugendgruppen.
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