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Der EGB feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen. In diesen fünf Jahrzehnten hat er wesentlich zur Gestaltung des europäischen Sozialmodells beigetragen und die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Europäischen Union verbessert. Seine Gründung im Februar 1973 war eine Antwort auf die politische Integration Europas.
Im Vorfeld der EGB-Gründung gab es zwischen den Gewerkschaften in Europa zum Teil fundamental unterschiedliche Vorstellungen. Eine Frage war, ob der EGB regional an die Grenzen der damaligen „Sechser Gemeinschaft“ gebunden werden sollte, also innerhalb der Grenzen der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Besonders kontrovers waren zwei Fragen: Zum einen war umstritten, ob der neue Bund ausschließlich eine sozialdemokratische Veranstaltung sein sollte – wie zuvor das Europäische Gewerkschaftssekretariat des Internationalen Bunds Freier Gewerkschaften (IBFG) (1958), später der Europäische Bund Freier Gewerkschaften (1969) –oder sich gegenüber den christlichen Gewerkschaften, die im Weltverband der Arbeitnehmer (WVA) organisiert waren und den kommunistischen Gewerkschaften, die sich im Weltgewerkschaftsbund (WGB) organisierten, öffnen sollte. Zum anderen war kontrovers, ob der EGB eine europäische Regionalorganisation des IBFG oder ein unabhängiger Verband sein soll.
Rückblickend war es eine vorausschauende Entscheidung, den EGB als vom IBFG unabhängige Europäische Einheitsgewerkschaft zu gründen. Bereits ein Jahr später - 1974 - traten sieben christliche Gewerkschaften dem EGB bei und der (euro)kommunistische Gewerkschaftsdachverband CGIL aus Italien (der nicht mehr Mitglied im WGB war). Es sollte bis Anfang der 1990er-Jahre dauern, bis zunächst die Comisiones Obreras aus Spanien (1991) und die portugiesische Intersindical (1994) und letztendlich die französische CGT (1999) aufgenommen wurden. Es war ein langer Weg zur europäischen Gewerkschaftseinheit, mit einem organisationspolitisch beachtlichen Erfolg. Von 17 nationalen Dachverbänden aus 14 Ländern (plus sechs europäischen Industrieverbänden) im Gründungsjahr 1973 wuchs der EGB bis heute auf 93 nationale Gewerkschaftsbünde aus 41 Ländern, plus den heute zehn europäischen Gewerkschaftsverbänden.
Von Beginn an war der EGB als „Einheitsgewerkschaft“ gegründet worden und hat die historische Spaltung der internationalen Gewerkschaften in konfessionelle und politische Richtungsgewerkschaften hinter sich gelassen. Dieser organisationspolitische Erfolg sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der EGB eine sehr heterogene Organisation ist und die Mitgliedsgewerkschaften über sehr unterschiedliche Kulturen und Identitäten verfügen. Zugleich divergieren die ökonomischen Strukturen, die Systeme der Arbeitsbeziehungen und der sozialen Sicherheit erheblich. Dies hat enorme Auswirkungen auf die internen Willensbildungsprozesse und die Handlungsfähigkeit gegenüber den europäischen Institutionen. Hinzu kommt, dass mit der Osterweiterung der EU die regionalen Disparitäten signifikant zugenommen haben: Die Gewerkschaften Mittel- und Osteuropas haben zum Teil tiefgreifende Reformen durchlaufen und ihre Mitgliederstärke aber auch ihre Interessenlagen sind sehr unterschiedlich. Ein nicht zu unterschätzender Verdienst des EGB-Sekretariats über die fünf Jahrzehnte war es immer wieder, trotz zahlreicher Spannungen, den „Laden“ zusammenzuhalten und seine Handlungsfähigkeit kontinuierlich auszubauen.
In den ersten Jahren war das EGB-Sekretariat nur mit geringen Ressourcen ausgestattet und nicht mehr als ein Koordinierungsbüro, sodass der EGB nur begrenzt in der Lage war, das politische Geschäft der EU-Kommission ernsthaft zu beeinflussen. Oft wurde er von den eigenen Mitgliedsorganisationen als „Papiertiger“ geringgeschätzt. Und in der Tat hat es einige Jahre gedauert, bis sich der EGB zu einem relevanten Akteur auf europäischer Bühne entwickelt hat. Dabei sollte jedoch nicht verkannt werden, dass es dem EGB bereits in den ersten Jahren seiner Gründung gelungen war, wichtige europäische Gesetzgebungen einzufordern. In mehreren Richtlinien wurden die Informations- und Konsultationsrechte der Arbeitnehmer*innen gestärkt, z. B. bei Massenentlassungen (1975) oder der Wahrung von Ansprüchen der Beschäftigten beim Übergang von Unternehmen und Betrieben (1977). Eine jahrelange Auseinandersetzung über die Informations- und Konsultationsrechte der Arbeitnehmer*innen, mündete 1994 in eine Richtlinie zur Einrichtung von Europäischen Betriebsräten (EBR).
Weitgehend geringe Beachtung erhielten zahlreiche Richtlinien zur Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, die auch in Deutschland zu einer deutlichen Anhebung von Standards führte. Auch im Bereich der Gleichstellungspolitik wurden bereits in den 1980er-Jahren zahlreiche progressive Richtlinien verabschiedet, die die Situation von Frauen in den Mitgliedsländern verbesserten. Bis in die 1990er-Jahre hinein konnten entscheidende Fortschritte im Bereich des europäischen Arbeits- und Sozialrechts erzielt werden, die zu einer beachtlich hohen Regulierungsdichte beitrugen. Mit dieser Entwicklung einher ging ein Prozess, mit dem der EGB sich immer mehr zum sozialen Akteur auf europäischer Bühne entwickelte.
Zu den größten Innovationen der EU zählt die Institutionalisierung des sozialen Dialogs. Sie macht die europäischen Sozialpartner de facto zum europäischen Gesetzgeber. Die erste Sozialpartner-Vereinbarung wurde im Dezember 1995 zum Eltern-Urlaub unterzeichnet. Ihr folgten erfolgreiche Verhandlungen über die Teilzeitarbeit 1997 und über befristete Arbeitsverhältnisse 1999. Alle drei Vereinbarungen wurden vom Rat vor mehr als 20 Jahren als Richtlinie verabschiedet und erhielten damit Gesetzescharakter. Darüber hinaus haben die europäischen Sozialpartner mehrere autonome Rahmenvereinbarungen unterzeichnet, die nicht auf Gesetzgebungsinitiativen der Kommission basieren, etwa zu Telearbeit (2002), Stress am Arbeitsplatz (2004), Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz (2007), inklusiven Arbeitsmärkten (2007), aktivem Altern (2017) sowie Digitalisierung (2020)
Mit dem sozialen Dialog konnte ein Baustein zur Europäisierung der Arbeitsbeziehungen gelegt werden. Trotz einiger konkreter Ergebnisse ist die Bilanz des sozialen Dialogs jedoch bescheiden. Dafür gibt es Gründe. Die Arbeitgeber haben kein Interesse rechtsverbindliche Abkommen auf europäischer Eben zu verhandeln. Ihre Verhandlungsbereitschaft besteht lediglich, wenn die EU-Kommission glaubhaft Regulierungsvorschläge ankündigt. Um die Verpflichtungsfähigkeit der europäischen Arbeitgeberverbände zu erhöhen, müssen aber auch die Gewerkschaften ihre Handlungsfähigkeit im europäischen Mehrebenensystem stärken und ihrerseits den Druck auf die nationalen Arbeitgeberverbände erhöhen, die letztendlich darüber entscheiden, wozu der europäische Arbeitgeberverband BusinessEurope am europäischen Verhandlungstisch bereit ist.
Zu den größten Erfolgen des EGB gehört die Durchsetzung der EBR-Richtlinie (1994) und die Erneuerung (recast) der Richtlinie (2009), mit der die Arbeitsweise der Europäischen Betriebsräte graduell verbessert wurden. Heute gibt es rund 1.000 Unternehmen, die über einen EBR verfügen, in denen ca. 18.000 Mitglieder der EBRs die Interessen der Beschäftigten grenzüberschreitend vertreten. Sie konnten in den knapp 30 Jahren seit den ersten Gründungen durchaus positive Beiträge zu den langfristigen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen der Unternehmen leisten. Dis gilt insbesondere im Fall der grenzüberschreitenden Umstrukturierungen von Unternehmen, in dem vielfach Arbeitsplätze gesichert werden konnten. Dabei ist es für die Betriebsräte immer wieder eine Herausforderung die Konkurrenz bei Standortsicherungen und Beschäftigungssicherung zu minimieren, um sich nicht von den Arbeitgebern gegeneinander ausspielen zu lassen.
Auch im Hinblick auf die Gestaltung von Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitregelungen konnten grenzübergreifende Standards durchgesetzt werden (siehe hierzu zahlreiche Untersuchungen des Europäischen Gewerkschaftsinstituts). Um ihr Potential und ihre Wirksamkeit zu erhöhen, fordert der EGB zusammen mit den Europäischen Gewerkschaftsverbänden seit langem weitere Verbesserungen, beispielsweise eine frühzeitige Informierung des EBR bevor strategische Unternehmensentscheidungen getroffen werden, und wirksame Sanktionen bei Missachtung der EBR-Rechte.
Die Bilanz des EGB der letzten 50 Jahre ist durchaus beachtlich und kann im Rahmen dieses Beitrags nicht annähernd gewürdigt werden. Dafür gibt es ausreichend Gelegenheit auf dem 15. EGB-Kongress im Mai 2023 in Berlin. Die multiplen Krisen der letzten Jahrzehnte haben allerdings gezeigt, dass die Bewältigung der Krisenfolgen mit starken Arbeitnehmerrechten, einer hohen Tarifbindung, einem robusten System der sozialen Sicherheit und einer vorausschauenden Struktur- und Industriepolitik besser gelingt und zugleich der soziale Zusammenhalt und die demokratische Verfasstheit Europas gestärkt wird.
Der sozial-ökologische Wandel der nächsten Jahre bleibt enorm anstrengend, zumal die Disparitäten in und zwischen den Mitgliedstaaten der EU seit Jahren wieder auseinanderdriften. Um die Konvergenz der Arbeits- und Lebensverhältnisse wieder anzunähern war es ein Erfolg, auch des EGB, dass die vom EU-Rat in Göteborg (2017) verabschiedete Europäische Säule Sozialer Rechte (ESSR) kein leeres Versprechen geblieben ist. Dafür war die Verabschiedung der Mindestlohnrichtlinie der EU ein wichtiger Schritt. Es hat aber auch gezeigt, wie schwer es für die Mitgliedsgewerkschaften des EGB war, sich auf ein gemeinsames solidarisches Vorgehen zu verständigen. Dabei ist es von erheblicher Bedeutung, dass entsprechend der Richtlinie nicht nur der Mindestlohn 60 Prozent des Medianeinkommens in den Mitgliedsstaaten betragen soll, sondern zugleich in den nächsten Jahren die Tarifbindung überall in Europa auf 80 Prozent angehoben werden soll. Das wäre echter sozialer Fortschritt, mit dem der sozial-ökologische Strukturwandel in Richtung eines klimaneutralen Europas bis zum Jahr 2050 gelingen kann. Bis dahin bleibt es anstrengend, denn die Aufgaben sind enorm und die Konflikte erheblich. Egal, ob es um die Regulierung der Plattformarbeit geht, um eine ökonomische Governance mit einem reformierten Stabilitätspaktes ohne Austerität und einem europäischen Steueraufkommen oder um die Finanzierung öffentlicher Infrastrukturen.
Für das Gelingen einer gerechten Transformation, die Stärkung des sozialen Zusammenhalts und der demokratischen Verfasstheit Europas brauchen wir einen solidarischen und handlungsstarken Europäischen Gewerkschaftsbund. Herzlichen Glückwunsch EGB und erfolgreiche weitere 50 Jahre!
Reiner Hoffmann, stellvertretender Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung
Weiterführende Quellen und Literatur:
Ciampani, Andrea/ Tilly, Pierre (Hg.), National trade unions and the ETUC: A history of unity and diversity, Brüssel 2017.
Degryse, Christophe/ Tilly Pierre, 1973-2013 40 Jahre Geschichte des Europäischen Gewerkschaftsbundes, Brüssel 2013.
Europäisches Gewerkschaftsinstitut, Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB). Geschichte, Struktur, Politik, revidierte Fassung, Brüssel 1991.
Europäische Gewerkschaftsorganisationen. Bestände im Archiv der Sozialen Demokratie und in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, hg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung von: Uwe Optenhögel/ Michael Schneider/ Rüdiger Zimmermann, Bonn, 2003.
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