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Wie läuft die Provenienzforschung in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung während der Corona-Pandemie? Seit neun Monaten läuft in der Bibliothek im Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) in der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ein durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste gefördertes zweijähriges Projekt im Bereich Provenienzforschung. Es ist also mehr als ein Drittel der geplanten Projektlaufzeit um – Zeit, Zwischenbilanz zu ziehen.
Im Juli 2020 hat das Projekt zur systematischen Bestandsüberprüfung begonnen. Der im Fokus des Projektes stehende sogenannte ‚Gründungsbestand‘ wird im Untergeschoss des Stiftungsgebäudes in Bonn verwahrt. Hier stehen seltene, z.T. einmalige Werke zu den Themenschwerpunkten Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Sozialdemokratie und Sozialismus. Das Bibliotheksmagazin: Regale über Regale, Bücher über Bücher, künstliches Deckenlicht, keine Fenster, ein leichtes Surren der Lüftung und noch ein paar mehr Bücher. Die Bibliothek beherbergt insgesamt knapp eine Million Medieneinheiten; sie ist eine der größten Spezialbibliotheken in Deutschland und die erste Bibliothek einer politischen Stiftung, die ihre Bestände auf NS-Raubgut überprüft. Ausschlaggebend für den Verdacht, dass sich hier – im ‚Gründungsbestand‘ – verfolgungsbedingt entzogenes Raubgut aus der NS-Zeit befinden könnte, ist die Tatsache, dass die Bücher in diesem Bestand zum einen aus der nach dem II. Weltkrieg wiederaufgebauten SPD-Parteibibliothek und zum anderen aus antiquarischen Zukäufen stammen. Anlässlich des Neubaus von Archiv und Bibliothek 1969 übergab der SPD-Parteivorstand seine Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. Da die ursprüngliche, historische Parteibibliothek durch Verfolgung und Kriegseinwirkung weitestgehend verloren gegangen war, bemühte man sich, eine vergleichbare Sammlung durch antiquarische Käufe der Veröffentlichungen der deutschen Arbeiterbewegung wieder herzustellen. Viele der Bücher, welche bis 1977 erworben werden konnten, sind demnach „Second Hand“. Das spiegelt sich auch in den ersten Überprüfungen des im Projekt untersuchten Bestandes wider.
Insgesamt sollen knapp 18.000 Bücher auf ihre Provenienzen und Besitzgeschichte hin überprüft werden. Bisher konnte die Hälfte, also etwa 9.000 Bücher, untersucht werden. Schätzungsweise 90% dieser 9.000 Exemplare enthalten Besitzhinweise. Ex Libris, Marginalien, Stempel, Notizen, eingeklebte Bibliotheksordnungen und vieles weitere weisen auf eine vorbesitzende Institution oder Person hin. Allerdings handelt es sich bei den bisher festgestellten Provenienzen „nur“ um etwas mehr als 1.000 unterschiedliche und – zumindest teilweise – identifizierbare Besitzhinweise. Der größte Teil hat sozialdemokratische und gewerkschaftliche Ursprünge. So konnten bereits Hinweise auf die Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, den Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften Deutschlands sowie zahlreiche SPD-Landesverbände und -Unterorganisationen festgestellt werden. Außerdem wurden zahlreiche Hinweise auf der SPD und der FES nahestehende Personen gefunden, wie zum Beispiel Eintragungen und Widmungen an das spätere FES-Vorstandsmitglied Willi Eichler oder an die ehemaligen Leiter des SPD-Parteiarchivs Paul Kampffmeyer, Rudolf Rothe und Wilhelm Dittmann. Auch NS-Provenienzen – beispielsweise von der Ortsgruppe Ennepe-Ruhr, vom NSDAP-Hauptarchiv und vom SS-nahen Institut für Staatsforschung – wurden bisher dokumentiert. Umso mehr stechen Provenienzhinweise hervor, die weder der einen noch der anderen Gruppe unmittelbar zugeordnet werden können. Auf der Projektseite und über Twitter (@feshistory) werden offene Fälle und Fundstücke aus dem Projekt veröffentlicht.
Neben dem Forschungsprojekt war die Bibliothek der FES Mitte März dieses Jahres Gastgeberin für das 13. Treffen des Arbeitskreis (AK) Provenienzforschung und Restitution in Bibliotheken. Seit 2014 treffen sich im bibliothekarischen Bereich tätige Provenienzforscher_innen in diesem Arbeitskreis. Zweimal jährlich trifft sich der AK, um sich auszutauschen und gemeinsame Vorgänge im Bereich Bibliotheken in der Provenienzforschung zu erarbeiten.
Bereits für April 2020 hatte die Bibliothek den AK Bibliotheken zu sich nach Bonn eingeladen. Das geplante Treffen musste coronabedingt um ein Jahr verschoben werden, doch die andauernde Pandemielage hat ein Treffen Vorort auch im Frühjahr 2021 leider nicht zugelassen. Die Bibliothek der FES hat daher und kurzerhand zu einem digitalen AK-Treffen eingeladen: Mit beinahe 60 Provenienzforscher_innen aus Deutschland und Österreich sowie einem Teilnehmer aus Norwegen ist der AK Bibliotheken am 11. und 12. März 2021 in einem gemeinsamen Zoom-Raum zusammen gekommen. Auf dem Programm standen vor allem Projektvorstellungen/-updates und die Vernetzung der Forschenden im AK.
Der erste Tag des gemeinsamen Treffens stand unter dem Eindruck einer großen Vorstellungsrunde. Die Provenienzforscher_innen hatten hier die Möglichkeit, sich selbst, ihre Arbeit und Projekte vorzustellen, neue Entwicklungen und Erkenntnisse mit allen Teilnehmenden zu teilen und erfolgte Restitutionen des – ohne AK-Treffen – vergangenen Jahres zu verkünden. Im Vordergrund standen hierbei vor allem neue Kolleg_innen und Projekte, welche seit Beginn der Corona-Pandemie ihre Arbeit aufgenommen haben. Den Auftakt am zweiten Tag machte ein Vortrag von Hubert Woltering aus dem AdsD zur Geschichte und zum Hintergrund des DGB-Archives im AdsD. Darüber hinaus erfolgten Updates aus der Kommission Provenienzforschung und Provenienzerschließung im Deutschen Bibliotheksverband (dbv) und der AG Bibliotheken im AK Provenienzforschung e.V. sowie aus dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Wichtige Inhalte der Diskussionen waren unter anderem die weitere digitale Vernetzung und Sammlung zentraler Daten (bspw. Erkenntnisse und Ergebnisse bereits erfolgreicher Restitutionen und Erb_innenermittlung), die Sichtbarkeit der Provenienzforschung im Bereich Bibliotheken und Drittmittelanträge/Fördermittel für bibliothekarische Forschungsprojekte.
Es wurde noch einmal deutlich, wie wichtig und herausfordernd die Vernetzung und der Austausch in der Forschungsgemeinschaft unter den gegebenen Bedingungen zwischen Lockdown und Home Office sind. Die vergangenen 1 ½ Jahre ohne AK-Treffen – zuvor traf sich der AK zuletzt im November 2019 in Hamburg – waren eine lange Zeit. Umso mehr hat sich die Bibliothek der FES gefreut, die Plattform für den gemeinsamen Austausch bieten zu können.
Neben den Fragen, ob es sich im Sommer im Biergarten sitzen lässt und ob oder wann es wieder so sein wird wie vor der Pandemie, stellt sich im Hinblick auf die laufenden und zukünftig geplanten Forschungsprojekte natürlich die Frage, wie es mit allen während Corona gestarteten Projekten weiter geht. Wird noch in diesem Jahr in Archiven und Bibliotheken geforscht? Können Ergebnisse auch ohne weitere Recherchen in Archiven geliefert werden und aussagekräftig sein? Eins ist erstmal sicher: Die meisten Projekte im Bereich Provenienzforschung sind befristet, und in der Regel fehlen die Mittel und Kapazitäten, um feste Stellen in den Einrichtungen einzurichten. Bleibt zu hoffen, dass sich trotz der Einschränkungen Möglichkeiten ergeben werden, Projekte erfolgreich durchzuführen und aussagekräftige Ergebnisse zu liefern.
Die Universitätsbibliothek Frankfurt übergibt 44 Bücher aus sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Einrichtungen an unsere Bibliothek.
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