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Die Universitätsbibliothek Frankfurt übergibt 44 Bücher aus sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Einrichtungen an unsere Bibliothek.
Am 30. September 2024 fand in den Räumen der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg der Goethe-Universität Frankfurt a. M. eine umfangreiche Rückgabe von NS-Raubgut statt. 44 Bände aus dem Besitz von sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Einrichtungen, die von den Kolleg_innen des Frankfurter Provenienzforschungsprojekts im Bestand der Universitätsbibliothek identifiziert worden sind, wurden an die Friedrich-Ebert-Stiftung übergeben. Die Bibliothek im Archiv der sozialen Demokratie der Stiftung nimmt die Bücher in Vertretung der SPD und des Deutschen Gewerkschaftsbundes in ihren Bestand auf, wo für deren Erhalt und langfristige Verfügbarkeit Sorge getragen wird. Die Übergabe fand in einem feierlichen Rahmen in Anwesenheit der Leiterin der UB Frankfurt, Daniela Poth, und der Leiterin des Archivs der sozialen Demokratie, Dr. Anja Kruke, statt, die gemeinsam den Übergabevertrag unterzeichneten. Gleichfalls anwesend waren Bernhard Wirth, Daniel Dudde und Darleen Pappelau, deren Forschungsarbeit die Restitution möglich gemacht hat.
„Ich sehe uns in der moralischen Verpflichtung, die Rechtmäßigkeit der damaligen Eingänge in den Bibliotheksbestand zu prüfen und im Fall der bestätigten Raubgutfälle die Rückgabe an Erb_innen in die Wege zu leiten“, erklärte Daniela Poth. „Deshalb freut es mich, dass wir heute an die Friedrich-Ebert-Stiftung 44 Bände restituieren konnten. Sehr wahrscheinlich werden weitere Restitutionen folgen. Die Provenienzforschung wird uns auch künftig beschäftigen.“
„Die Arbeit mit Verlustgeschichten des NS-Bücherraubs macht die Verfolgungsgeschichte von Arbeiter_innen, Gewerkschafter_innen und Sozialdemokrat_innen und deren Einrichtungen durch die NS-Diktatur sichtbar. Als Archiv der sozialen Demokratie sind wir dieser Geschichte verpflichtet, als wissenschaftliche Bibliothek können wir die dauerhafte Verfügbarkeit der Bücher gewährleisten“, sagte Dr. Anja Kruke.
Im deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik entwickelte sich eine sozialdemokratische und gewerkschaftliche Bibliothekslandschaft, die auch auf lokaler Ebene über zahlreiche kleine und größere Bibliotheken verfügte. Diese funktionierten als öffentliche Bildungseinrichtungen und/oder als institutionelle Arbeitsbibliotheken. Ab 1933 wurden sie im Zuge der nationalsozialistischen Machtübernahme ausnahmslos enteignet. Die vorhandenen Buchbestände landeten in der Regel im NSDAP-Parteiarchiv sowie in der Bibliothek der Deutschen Arbeitsfront. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangten sie, häufig über Bücherdepots der alliierten Streitkräfte, in die Bestände von Universitätsbibliotheken und ähnlichen Einrichtungen. Die meisten der nun übergebenen Bücher etwa fanden, so Daniel Dudde, über das Offenbach Archival Depot ihren Weg in die UB Frankfurt. Die Stempel und Besitznachweise der Einrichtungen, aus denen sie ursprünglich geraubt wurden, vermitteln einen Eindruck von der Vielfalt der arbeiterbewegten Bibliothekslandschaft vor der NS-Diktatur.
Wir finden zum Beispiel Bücher aus dem Gewerkschaftsverein München, einer der typischen regionalen Einrichtungen der Gewerkschaftsbewegung, in denen ein Zusammenschluss lokaler Gewerkschaften unter dem Dach des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB) ein Haus betrieb. In diesen Häusern waren häufig öffentliche Bibliotheken vorhanden, in denen man sich treffen und weiterbilden konnte. Eine dieser Bibliotheken war, wie aus einem Stempel in einem der Bücher ersichtlich, die „Oeffentliche volkstümliche Bücherei des Gewerkschaftsvereins München Pestalozzistraße 40“. Wir finden auch Bücher aus der Bundesschule des ADGB, in der Gewerkschaftsfunktionär_innen ausgebildet wurden. Des Weiteren konnten Bücher aus dem ADGB-Bezirkssekretariat Berlin-Brandenburg identifiziert werden, die vermutlich im Rahmen der dortigen alltäglichen Gewerkschaftsarbeit Verwendung fanden.
Im Hinblick auf sozialdemokratische Organisationen finden wir Bücher aus der Bibliothek des „Sozialdemokratischen Wahlvereins für Tegel und Umgebung“, der für seine Mitglieder eine Bibliothek mit Benutzungsordnung betrieb, sowie ein Buch aus dem „Archiv der Buchhandlung des Vorwärts“, die in Berlin im Haus des SPD-Zentralorgans betrieben wurde.
Ein großer Teil der restituierten Bücher stammt aus der Bibliothek der Berliner Arbeiterbildungsschule. Diese wurde im Jahr 1891 nach Aufhebung des Sozialistengesetzes als eine Art sozialdemokratische Volkshochschule gegründet und bestand bis 1914 parallel zur SPD-Parteischule, welche höheren Funktionär_innen vorbehalten war. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Arbeiterbildungsschule zunächst von der linkssozialdemokratischen USPD weitergeführt und entwickelte sich nach deren Aufgehen in der SPD ab 1922 zu einer Schule für Parteifunktionär_innen auf einer breiteren Basis. Ein ausführlicher Artikel im „Vorwärts“ vom 4. Januar 1929 bietet einen guten Eindruck vom Schulbetrieb. Demnach beteiligten sich 381 Hörer_innen an den Kursen, darunter 148 Frauen. Gelehrt wurde von renommierten Wissenschaftler_innen wie Ernst Fraenkel (Staats- und Verwaltungslehre) oder Anna Siemsen (Heidelberger Programm).
In unserem Bestand befindet sich ein Bibliothekskatalog der Arbeiterbildungsschule von 1922, in dem wir bereits Bücher identifizieren konnten, die uns von der UB Frankfurt übergeben wurden.
Die Restitution von Büchern wie denen aus der Berliner Arbeiterbildungsschule lädt dazu ein, uns die Geschichte dieser Institution und der an ihr beteiligten Menschen erneut zu vergegenwärtigen. Auch daher ist es uns eine große Freude, die zahlreichen Bücher stellvertretend für SPD und DGB annehmen zu dürfen. Durch unsere Rolle als annehmende Bibliothek und nicht zuletzt auch durch unser eigenes Provenienzforschungsprojekt, in dem wir unsere Bibliotheksbestände nach NS-Raubgut durchsuchen, wird uns die Bedeutung von Provenienzforschung immer wieder vor Augen geführt.
Herzlich bedanken möchten wir uns bei Frau Poth und den Frankfurter Kolleg_innen, die diese Restitution überhaupt erst möglich gemacht haben.
Olaf Guercke
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