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Was tun gegen die Inflation?

Das Beispiel Finnland

von Anni Marttinen  |  23.12.2022

 

Im Herbst 2021 klang die Coronapandemie ab, und die Wirtschaft der Eurozone begann sich wieder zu erholen. Dann zwang Russlands brutaler Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 der internationalen Politik neue Prioritäten auf. Der Krieg und die nachfolgende Energiekrise trüben nun die wirtschaftlichen Aussichten, die wiederum das Alltagsleben aller Menschen beeinträchtigen. Russland verwendet Gas als Waffe im Energiekrieg, und die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssen sich jetzt einigen, um die daraus resultierende Energiekrise zu lösen.

 

Die wachstumsschwächenden Folgen dieser Krise werden uns noch eine Weile beschäftigen. Und auch der Welthandel wird die Wirtschaft der Eurozone nicht unbedingt unterstützen: In den Vereinigten Staaten und China hat sich das Wachstum verlangsamt, was die Exportaussichten der Euroländer schwächt. So steigt in Europa die Gefahr einer Rezession.

 

Im Sommer 2022 hat sich im Zuge der Energiekrise auch der Inflationsdruck in Europa erhöht: Insbesondere Erdgas und Strom haben sich verteuert, und Energie ist insgesamt knapp geworden. Im August lag die Inflation im Euroraum bei 9,1 Prozent und in Finnland bei 7,9 Prozent. Im September stieg sie dann auf 8,4 Prozent. Schon vor dem Krieg in der Ukraine sind die Preise infolge des pandemiebedingten Nachfrageschocks gestiegen. Da sich die Weltwirtschaft danach wieder öffnete, wurde dieser Effekt als nur vorübergehend betrachtet, aber im Zuge des Ausbruchs des Krieges tragen nun auch angebotsseitige Effekte zu den Preissteigerungen bei.

 

Insbesondere wurde die Inflation durch die immer höheren Energie- und Lebensmittelpreise angetrieben, aber im Laufe des Jahres 2022 sind gleichzeitig auch die Preise vieler anderer Produkte und Dienstleistungen gestiegen. Laut vorläufiger Daten für Finnland lagen die Löhne der Arbeitnehmer_innen zwischen Juli und September 2022 um 1,8 Prozent höher als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Sollte sich die Inflation im nächsten Jahr (2023) und darüber hinaus fortsetzen, besteht die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale. Für dieses Jahr (2022) sind die meisten Tarifverträge allerdings bereits vereinbart.

 

Obwohl die Geldpolitik nur begrenzten Einfluss auf die Energiepreise hat, muss sie auf die Beschleunigung der allgemeinen Preissteigerungen reagieren. So hat die EZB die Leitzinsen im Juli um 0,5 Prozentpunkte und im September sowie im Oktober jeweils um weitere 0,75 Prozentpunkte erhöht. In Finnland verschärft sich in diesem und nächstem Jahr auch die Lage der privaten Haushalte. Ihre Ausgaben werden durch hohe Inflation und steigende Hypothekenzinsen eindeutig schneller steigen als ihre Einkommen. Bereits in diesem Jahr steigen die Verbraucherpreise um etwa 5 Prozent stärker als das Einkommensniveau. Die schwächere Kaufkraft und die nachlassende Inlandsnachfrage wird allerdings durch die Ersparnisse abgefedert, die die Haushalte während der Coronaphase gebildet haben – und auch durch die immer noch gute Beschäftigungslage und die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen. So wirkt sich die zunehmende Inflation in der Eurozone bis jetzt nur mäßig auf die Entwicklung der Löhne aus.

 

Die Inflation fördert die Ungleichheit der Haushalte

 

Das tägliche Leben der Verbraucher_innen beeinflusst die Inflation nicht nur durch höhere Benzinpreise, sondern beispielsweise auch durch die Lebensmittelpreise, die im August 2022 12,5 Prozent höher lagen als noch ein Jahr zuvor. Als die Benzinpreise im August zu steigen aufhörten, beruhigte sich auch die Inflationsentwicklung, aber insgesamt sind die Preise immer noch ungewöhnlich stark gestiegen. Durch die Verteuerung von Lebensmitteln und Energie, die kurzfristig nur schwer ersetzbar sind, wurden die Verbraucher_innen ärmer. Auch die Wohnkosten sind im August auf Jahressicht um 9 Prozent gestiegen – und um 1 Prozent gegenüber dem Vormonat.

 

Über die Lohnerhöhungen wurde in vielen Sektoren bereits Ende 2021 entschieden, als die Inflation noch kein Thema war. Insgesamt werden die Löhne um ein paar Prozent steigen, während die Inflation bei über 5 Prozent liegt. Sogar die Sozialpartner haben vor der Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale gewarnt und bei den Lohnverhandlungen zu Geduld aufgerufen. Geschieht dies nicht, besteht tatsächlich die Gefahr eines Teufelskreises. Gerät die Inflation dadurch außer Kontrolle, wird dies die Kaufkraft der Arbeitnehmer_innen insgesamt nicht erhöhen, sondern weiter verringern.

 

Allerdings besteht darüber, was mit den Löhnen geschehen soll, keineswegs Einigkeit. Manche sagen, im aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Umfeld müssten sie steigen. Die Unterschiede liegen darin, welche wirtschaftliche Entwicklung die Ökonom_innen erwarten: Einige rechnen mit einem Aufschwung im nächsten Jahr, was dafür spricht, geduldig zu sein. Andere sehen für den Fall, dass die Kaufkraft nicht durch Lohnerhöhungen verbessert wird, die Gefahr einer wirtschaftlichen Rezession. Außerdem werden die Verhandlungen dadurch behindert, dass sich die Arbeitgeber_innen auf großflächige Tarifverträge einigen wollen. Einige glauben, die Folgen des Lohnwettlaufs könnten durch solche gemeinsamen Tarifverträge gedämpft werden.

 

Viele ehemals Arbeits- und Beschäftigungslose haben gerade erst in diesem Jahr, in dem die Nachfrage nach Arbeit und die Anzahl der offenen Stellen auf einem Höchststand waren, eine Stelle gefunden. Ihre Einkommen sind wahrscheinlich gemeinsam mit der Gesamtbeschäftigung gestiegen – und in vielen Fällen stärker als die Inflationsrate.

 

Rentner_innen und Empfänger_innen von Sozialleistungen können im Prinzip noch besser vor der Inflation geschützt werden als Beschäftigte. Dies liegt daran, dass die Sozialleistungen in Finnland an den Verbraucherpreisindex gebunden sind: Steigt die Inflation schneller als die Lohnerhöhungen, profitieren Rentner_innen und Sozialleistungsempfänger_innen durch den Indexschutz mehr als die Beschäftigten.  

 

Allerdings ist die Inflation nun schon seit einigen Monaten hoch und hat zu sinkenden Realeinkommen der Haushalte geführt. Verglichen mit dem zweiten Quartal des Vorjahres sind die Realeinkommen der Vollzeitbeschäftigten um 4,6 Prozent zurückgegangen.

 

Durch die Preissteigerungen ist auch die Armutsrate in Finnland um insgesamt 2,5 Prozentpunkte gestiegen. Dies entspricht etwa 62.000 zusätzlichen Haushalten, die jetzt in Armut leben. Besonders stark ist dieser Wert bei den Familien mit nur einem Elternteil gestiegen (um 5,8 Prozentpunkte). Nach den Preiserhöhungen liegen nun 22 Prozent dieser Haushalte unterhalb der Armutsgrenze. Konservativ geschätzt hat die Inflation insgesamt 16.000 Familien mit Kindern in die Armut gestürzt. So besteht die Gefahr, dass über 13.000 Kinder von Armut betroffen sein werden.

 

Die finnische Regierung hat Mittel und Wege gefunden, die Menschen angesichts der hohen Inflation zu unterstützen – aber makroökonomisch gesehen wurde vielleicht nicht der klügste Ansatz gewählt  

 

Im Juli 2022, als niemand wusste, wie lang die Inflation noch steigen würde, hat sich die finnische Regierung für eine vorübergehende Erhöhung der Sozialleistungen entschieden und im Haushaltsentwurf vom August 2022 neue Maßnahmen beschlossen. Das Klügste, was in dieser Lage getan werden kann, ist, hilfsbedürftigen Menschen zu helfen. Die Regierung aber wollte für alle ein bisschen was tun und hat die Steuern gesenkt, was vor allem der Mittelklasse zugute kam, die nicht wirklich mit der Inflation zu kämpfen hat.

 

Mit ihren Haushaltsmaßnahmen hat die Regierung das Alltagsleben vieler Finn_innen erleichtert: Die Mehrwertsteuer auf Strom wurde gesenkt, Familien mit Kindern erhalten zusätzliches Kindergeld, und das Leben der Menschen mit niedrigem Einkommen soll auf vielerlei Weise verbessert werden. Allerdings wird das Haushaltsdefizit im nächsten Jahr bei 8,1 Milliarden Euro liegen, was neue Schulden bedeutet. Bis Ende des Jahres wird die Staatsverschuldung so auf 146 Milliarden Euro steigen.

 

Unter anderem enthält der Haushaltsentwurf auch neue Maßnahmen zur Investitionsförderung für Haushalte und Unternehmen, die sich auf Vergünstigungen im Energiebereich beziehen. Außerdem plant die Regierung zwei verschiedene Stromsubventionen für Bürger_innen: Die eine soll den steuerlichen Abzug der Stromkosten ermöglichen, und die andere besteht in einer direkten Subvention.

 

Die direkte Subventionierung von Strom ist eine sinnvolle Entscheidung, aber es wäre besser, wenn Fixbeträge gezahlt würden. So hätten die Haushalte auch weiterhin einen Anreiz, Strom zu sparen, da der Subventionsbetrag nicht gemeinsam mit der Stromrechnung steigen würde. Die Details der Subventionen wurden noch nicht bekannt gegeben. Beide Maßnahmen zusammen werden den Staat schätzungsweise 600 Millionen Euro kosten. Da die Entwicklung des Strompreises vielen Unsicherheiten ausgesetzt ist, ist es positiv, dass im Energiepaket auch viele unterschiedliche Maßnahmen enthalten sind.  

 

Der maximale steuerliche Abzugsbetrag beim Strom beträgt 2.400 Euro, und die direkte Subvention liegt bei 2.640 Euro. Der anrechenbare Betrag für die Stromsubvention, die Menschen mit geringem Einkommen zukommen soll, liegt bei 400 Euro im Monat. Unter diesen Umständen ist die Senkung der Mehrwertsteuer als Einkommenstransfer gescheitert, da sie auch Gutverdienenden und jenen zugute kommt, die nicht unter den hohen Strompreisen leiden. Die Stromkosten und die damit verbundene Grundgebühr sind abzugsberechtigt, aber die Durchleitungsgebühren sind es nicht. Der Steuerabzug erfolgt auf persönlicher Basis.

 

Die Regierung schätzt, dass von dieser Maßnahme etwa 252.000 Haushalte profitieren können. Sie würde etwa 265 Millionen Euro an Steuereinnahmen kosten. Dass die EU-Länder Wege finden wollen, um die Energiekosten der Haushalte zu senken, ist verständlich, aber eine massive Erhöhung staatlicher Ausgaben ist beim Kampf gegen die Inflation nicht hilfreich. Stattdessen sollten die Effekte der Preiserhöhungen durch gezielte und vorübergehende Maßnahmen gelindert werden, die sich an jene richten, die am meisten darunter leiden.

 

Die Senkung der Mehrwertsteuer wird den Staat schätzungsweise 209 Millionen Euro kosten. Gut ist, dass die Haushaltsentscheidungen die Abkehr von fossilen Energieträgern nicht behindern. Allerdings wird die Regierung im jetzt vereinbarten Haushalt ihre expansive Fiskalpolitik fortsetzen. Dies ist in einem Umfeld hoher Inflation nicht vernünftig.

 

Zu Weihnachten erhalten die Familien zusätzliches Kindergeld: Ende Dezember zahlt die Sozialbehörde Kela jeder Familie mit Kindern zusätzliche Beträge, das heißt, das Kindergeld für Dezember wird sich sozusagen verdoppeln. Im nächsten Jahr wird es dann wieder normal gezahlt und nicht erhöht, aber Familien mit Kindern werden auf vielerlei andere Art und Weise unterstützt: Ab Anfang August 2023 werden die Kinderbetreuungsgebühren dauerhaft verringert, und die Zulage für privat betreute Kinder wird um monatlich 100 Euro erhöht. Dieser Betrag wird an Familien gezahlt, deren Kinder von bezahlten Fachkräften betreut werden oder in private Kindergärten gehen.

 

Auch das Kindergeld der Arbeitslosenversicherung wird – abhängig von der Kinderzahl – um 24 bis 45 Euro im Monat erhöht. Zusätzlich zum Arbeitslosengeld der Kela gibt es einen Kinderzuschuss, wenn die arbeitslose Person abhängige Kinder unter 18 Jahren hat. Bei höherer Kinderzahl steigt auch der Betrag entsprechend.

 

Eltern von Student_innen bekommen monatlich 10 Euro mehr, wenn sie das Geld an ihre studierenden Kinder weitergeben. Und nächstes Jahr werden alleinerziehende Eltern monatlich 5 Euro mehr erhalten, wenn sie ihr Kind finanziell stärker unterstützen. Kinder von Familien, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, erhalten eine 10-prozentige Erhöhung der Kindergrundsicherung, d.h. einen Teil des für das nächste Jahr reservierten Kindergeldes.  

 

Außerdem hat die Regierung an die Stromkonzerne appelliert, die mit der Mehrwertsteuersenkung verbundenen Ersparnisse an die Stromkund_innen weiterzugeben und, falls nötig, längere Zahlungsfristen zu gewähren.

 

Momentan sind für die Unternehmen und die Landwirtschaft keine zusätzlichen Strompreissubventionen vorgesehen. Allerdings bleibt die Lage unter Beobachtung, und Energieminister Lintilä schätzt insbesondere die Situation für landwirtschaftliche Primärerzeuger als schwierig ein. Er sagt, angesichts dessen, dass die Ermäßigung der Energiesteuern schon beschlossen ist und diese Steuern bereits an der EU-Mindestgrenze liegen, gäbe es nur noch wenige zusätzliche Handlungsmöglichkeiten. Gut ergänzt werden kann diese Maßnahmenpalette durch die Besteuerung von Übergewinnen auf EU-Ebene, aber auch über Preisobergrenzen sollte schnell in der EU entschieden werden.

 

Im September hat die Regierung im Haushalt die Möglichkeit geschaffen, die Sicherheitsleistungen der Stromkonzerne mit 10 Millionen Euro zu unterstützen – was aber nicht genutzt wurde, da es den Konzernen besser geht als noch im Frühherbst erwartet. Diese Möglichkeit ist im Haushalt immer noch vorgesehen, wodurch das öffentliche Defizit höher erscheint, als es tatsächlich ist.

 

Im Vorfeld der Parlamentswahlen vom April 2023 geht es nun um die öffentlichen Finanzen

 

Um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie und des Ukrainekriegs abzufedern, hat sich Finnland – wie auch andere EU-Länder – hoch verschuldet. Mit einer Schuldenquote von 65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und einem relativ geringen Defizit liegt Finnland unter den EU-Ländern dabei im mittleren bis niedrigen Bereich. Außerdem ist es Finnland im Unterschied zu vielen anderen europäischen Staaten gelungen, den Haushalt weniger stark auszuweiten. Aber trotzdem geht es beim politischen Diskurs und Narrativ nun um die Schulden, und darum, wie sie verringert werden können.

 

Außerdem wird stetig darüber diskutiert, wie der öffentliche Finanzrahmen so umgebaut werden kann, dass wir mit ihm den Klimawandel, die soziale Ungerechtigkeit und gleichzeitig die Alterung der Gesellschaft bekämpfen können. Traditionell beantwortet Finnland solche Fragen immer mit Ausgabenkürzungen, und daher hat die Debatte auch damit begonnen. Die Sozialdemokraten und die linke Koalitionspartei schlagen hingegen eine breitere Besteuerungsgrundlage und die Einführung neuer Steuern vor. Noch sind die Wahlprogramme nicht offiziell, aber es gibt Vorschläge, die Unternehmenssteuern nicht börsennotierter Firmen zu erhöhen. Auch die Übergewinnsteuer befindet sich nun im parlamentarischen Prozess, und die Kapitalertragsteuer ist zwar noch nicht umgesetzt, wird aber öffentlich diskutiert. Außerdem gibt es viel Unterstützung dafür, die Vermögensteuer, die 2006 abgeschafft wurde, wieder einzuführen.

Die Autorin

Anni Marttinen, leitende Ökonomin beim finnischen Verband für Soziales und Gesundheit(SOSTE). 

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