Blau-grün-gelb verwischter Hintergrund. Darauf der weiße Schriftzug "Was tun gegen die Inflation? Das Beispiel Frankreich".

Was tun gegen die Inflation?

Das Beispiel Frankreich

von Aude Martin  |  30.11.2022

Seit Anfang des Sommers 2022 liegt die Inflation in Frankreich bei etwa 6 Prozent. So sind die Preise laut der jüngsten verfügbaren Prognosen des Nationalen Statistikinstituts Insee zwischen August 2021 und August 2022 um 5,9 Prozent gestiegen (nach 6,1 Prozent im Juli). „Dieser leichte Inflationsrückgang liegt an den etwas niedrigeren Energiepreisen, insbesondere für Erdölprodukte“, sagt das Institut dazu. Aber die stetigen Preiserhöhungen, die Mitte 2021 begonnen und sich während des Krieges in der Ukraine noch weiter verstärkt haben, werden dadurch noch nicht rückgängig gemacht.

 

­­­Inflation aufgrund eines multidimensionalen Angebotsschocks

Seit der Finanzkrise von 2008/2009 hat die französische Inflation die 2-Prozent-Grenze nur selten überschritten. Erst im September 2021 war dies wirklich der Fall – in einem Umfeld der postpandemischen Erholung, in dem die Spannungen auf den weltweiten Energiemärkten bereits erkennbar waren. So stiegen die Preise dann nach und nach um 3, 4, 5 und jetzt 6 Prozent. Und eine Wende ist so bald nicht absehbar: „In unserem Szenario stabilisiert sich die Inflation zwischen September und Oktober auf etwas unterhalb von 6 Prozent und steigt dann im Dezember auf etwa 6,5 Prozent“, heißt es bei Insee. Und laut dem Observatoire français des conjonctures économiques (OFCE) muss Frankreich bis 2024 warten, um wieder eine Inflationsrate von 2 Prozent zu erreichen.

 

Wie auch im restlichen Europa wird die Inflation größtenteils durch exogene Schocks angetrieben, die das Angebot, das heißt das französische Produktionssystem, stärker beeinflussen als die Nachfrage, also den Konsum. Der erste multidimensionale Schock wurde durch die Gesundheitskrise ausgelöst. Und obwohl die Lockdowns in Europa hinter uns liegen, verfolgt China immer noch eine Null-Covid-Politik, die den Welthandel belastet. Geopolitische Züge nahm der Schock Anfang 2022 an, als der Krieg in der Ukraine in Europa zu erheblich steigenden Energiepreisen führte. Und schließlich leidet Frankreich unter den Folgen eines klimatischen Schocks aufgrund der Dürre des Sommers 2022, die, wie Insee schreibt, „die Produktion bestimmter landwirtschaftlicher Güter betroffen und die Schiffbarkeit des Rheins beeinträchtigt hat, der wichtigsten kommerziellen Wasserstraße in Europa“. Mehr als die Hälfte der französischen Industrieunternehmen berichtet nun über Angebotsschwierigkeiten – verglichen mit nur 15 Prozent im Herbst 2020.

 

Trotzdem schätzt das OFCE, dass das französische Wirtschaftswachstum 2022 (mit 2,6 Prozent) und 2023 (mit 0,6 Prozent) positiv bleiben wird. Laut Berechnungen des Instituts wäre das BIP-Wachstum ohne die Schocks auf den Energiemärkten in 2022 um 0,6 Prozentpunkte und in 2023 um 1,2 Prozentprozent höher ausgefallen. Diese Prognosen sind allerdings durch mehrere Unsicherheiten geprägt – wie dem tatsächlichen Ausmaß der Energieknappheit im kommenden Winter oder der Entwicklung der Sparquote der privaten Haushalte. Obwohl sie im ersten Halbjahr 2022 gesunken ist, bleibt die Quote weiterhin oberhalb ihres Niveaus von vor Covid. Die französische Zentralbank ist daher mit ihren Schätzungen vorsichtig: Laut ihrer jüngsten Prognose könnte das BIP 2023 um 0,5 Prozent zurückgehen oder aber um bis zu 8 Prozent steigen.

 

Halbierung der französischen Inflation durch die Deckelung der Energiepreise

Momentan wird die Inflation vor allem durch die Energiepreise angetrieben. Der Energiepreisdeckel der Regierung vom Herbst 2021 hat den Preisanstieg allerdings erheblich verringert. Mit dieser Maßnahme wurden die regulierten Gaspreise für private Haushalte auf ihrem Niveau vom Oktober 2021 eingefroren – und die jährliche Erhöhung des regulierten Strompreises, die jeweils im Februar stattfindet, auf 4 Prozent begrenzt. Andernfalls wäre der von Électricité de France (EDF) vorgeschlagene Strompreis im Februar 2021 um 35 Prozent erhöht worden, und der – monatlich variierende – Gaspreis des Energieversorgungsunternehmens Engie wäre in weniger als einem Jahr um 105 Prozent gestiegen. Infolge dessen wurde die französische Inflation, wie Insee kürzlich berechnet hat, durch diesen doppelten Preisdeckel zwischen dem zweiten Quartal 2021 und dem zweiten Quartal 2022 um 3,1 Prozentpunkte verringert. Dies erklärt teilweise, warum Frankreich eine der niedrigsten Inflationsraten in Europa und der Eurozone hat, wo die Inflation im August durchschnittlich bei etwa 9 Prozent lag.

 

Verglichen mit anderen europäischen Ländern ist Frankreich auch weniger abhängig von russischem Gas. Der Gasanteil aus Russland lag dort zu Beginn des Jahres 2022 bei nur 19 Prozent des gesamten Gasverbrauchs – verglichen beispielsweise mit Deutschland, wo es 48 Prozent waren. Außerdem ist Frankreich gut mit LNG-Terminals ausgestattet. Allerdings wird dieses Bild durch einige Schwächen getrübt: Geheizt wird im Land größtenteils elektrisch, und die französischen Kernkraftwerke sind zu alt, um gegen die Energiekrise wirklich hilfreich zu sein. Anfang September 2022 waren 32 von den 56 Kernkraftwerken im Land außer Betrieb. Daher erwartet ihr Betreiber EDF für 2022 aus diesen Kraftwerken eine Stromerzeugung von nur 280 TWh, gegenüber durchschnittlich 410 TWh pro Jahr zwischen 2000 und 2015.

 

Zwar profitieren auch energieintensive Unternehmen von den Entlastungsmaßnahmen, ebenso wie seit September auch Kleinunternehmen (mit Umsätzen unter 2 Millionen Euro). Der Preisdeckel ist größtenteils aber für Privathaushalte gedacht. Daher kann durch die Maßnahme nicht völlig verhindert werden, dass sich die höheren unternehmerischen Produktionskosten auf die Verbraucherpreise übertragen. In Frankreich sind die landwirtschaftlichen Produktionskosten derart stark gestiegen (zwischen Juli 2020 und Juli 2022 um 35 Prozent), dass Lebensmittel nun zu einem Haupttreiber der Inflation geworden sind. Auch in den Industriebereichen außerhalb der Energiewirtschaft sind die Herstellungspreise um 20 Prozent gestiegen. In diesem Zeitraum lag „für Dienstleistungen, die von den weltweiten Preissteigerungen weniger direkt betroffen waren, der Preiszuwachs bei 7 Prozent“, wie dasNationale Statistikinstitut berechnete.

 

Die Preissteigerungen betreffen nicht alle auf die gleiche Weise. Die durchschnittliche Inflationsrate verschleiert große Diskrepanzen zwischen den einzelnen Haushalten, die sich aus dem Anteil der Energie- und Lebensmittelkosten an ihren Gesamtausgaben ergeben. Im April lag die durchschnittliche französische Inflation bei 4,9 Prozent, aber für Landwirt_innen lag sie bei 6 Prozent, für Haushalte im ländlichen Raum bei 5,9 Prozent, und für Manager_innen bei nur 4,5 Prozent. Diese Kategorien können sich natürlich überschneiden und zu besonderen Einzelsituationen führen. Aber auf jeden Fall leiden die unteren Schichten Frankreichs (die 20 ärmsten Prozent der Bevölkerung) stärker unter einer höheren Inflationsrate als die reichsten 20 Prozent. Daher erhöht die Inflation auch die Ungleichheit. In dieser Hinsicht ist Frankreich in Europa kein Sonderfall. Aber dank des guten französischen Sozialsystems ist die Lücke zwischen den beiden Enden der Einkommensverteilung verglichen mit anderen Ländern immer noch relativ gering.

 

Um die Inflationsspirale zu bekämpfen, hat die Europäische Zentralbank (EZB) im Juli 2022 ihre Leitzinsen um 0,5 Prozentpunkte erhöht – und im September sowie im Oktober erneut um jeweils 0,75 Prozentpunkte. Nachdem die Zinsen seit 2016 im Bereich von null lagen, liegen sie jetzt bei 2,0 Prozent. Dieser geldpolitische Umschwung, der vor ein paar Monaten noch undenkbar gewesen wäre, wirkt sich massiv auf die Kosten der öffentlichen Verschuldung aus.

 

Auch wenn Frankreich nicht das am stärksten von der EZB-Zinserhöhung betroffene Land ist, muss die Trésor Agency (AFT) – die im Auftrag der französischen Regierung Kredite aufnimmt – für Anleihen mit fünfjähriger Laufzeit nun etwa 1 Prozent Zinsen bezahlen, während dieser Zinssatz vor einem Jahr noch negativ war. Für 2025 rechnet das OFCE mit einem Zinssatz für zehnjährige französische Staatsanleihen von 3 Prozent, verglichen mit lediglich 1,9 Prozent im Jahr 2022. Infolge dessen würden die Zinskosten, wenn die Verschuldung des Landes in Höhe von etwa 112 Prozent des BIP stabil bleibt, während Emmanuel Macrons zweiter fünfjähriger Amtszeit von 1,5 auf 2,3 Prozent des BIP im Jahr 2027 steigen. Neue Schulden werden für die französische Regierung also erheblich teurer. Bis diese Erhöhung allerdings alle bestehenden Kredite erfasst, wird einige Zeit vergehen, da die durchschnittliche Fälligkeitsdauer der französischen Staatsanleihen bei acht Jahren liegt.

 

Die Löhne steigen weniger stark als die Inflation

Eine weitere Folge der Inflation besteht darin, dass die Löhne und Gehälter vergleichsweise immer mehr sinken. 2022 wurde der Indexpunktewert im öffentlichen Sektor, der zur Berechnung der Beamtenvergütung verwendet wird, erstmals seit 2010 freigegeben (plus 3,5 Prozent ab 1. Juli 2022). Dies hatten die Gewerkschaften verlangt, die nun darauf bestehen, noch weiter zu gehen. Tatsächlich gleicht die Neuberechnung den Wertverlust des vergangenen Jahrzehnts nicht aus. Verglichen mit seinem Niveau von 2010 ist der Indexpunktewert inflationsbereinigt um 18 Prozent gefallen. Und nach der jüngsten Erhöhung liegt der Verlust immer noch bei erheblichen 15 Prozent.

 

Im privaten Sektor Frankreichs wurde das Indexierungssystem, mit dem die Nominallöhne früher an die Preisentwicklung gekoppelt waren, im Jahr 1983 abgeschafft – zu einer Zeit, als die sozialistische Regierung unter Pierre Mauroy versucht hatte, die Inflation zu bewältigen, die durch den Ölpreisschock ausgelöst worden war. Heute ist nur noch der Mindestlohn mit der Inflation verknüpft, der 2022 dreimal neu festgelegt wurde (im Januar, Mai und August). Für eine Vollzeitbeschäftigung liegt der Mindestbruttolohn nun bei 1.678 Euro pro Monat oder 11,07 Euro pro Stunde – verglichen mit 1.589 Euro pro Monat oder 10,85 Euro pro Stunde im Oktober 2021.

 

Die Gewerkschaften müssen nun also aktiv werden, um im privaten Sektor Lohnerhöhungen durchzusetzen. „Die Lohnerhöhungen liegen 2022 in vielen Sektoren bei 2,5 bis 3,5 Prozent, während sie 2021 häufig unter 1 Prozent lagen“, beschrieb die französische Zentralbank im Mai die Lage. Also gibt es eine Verbesserung, die aber nicht reicht, um die Inflation auszugleichen.

 

Insgesamt betrachtet ist folglich keine Lohn-Preis-Spirale erkennbar. Eine solche Spirale gibt es aber im Dienstleistungssektor, wo die indexierte Anpassung des Mindestlohns an die Inflation und die ausgehandelten Lohnerhöhungen in Berufszweigen inflationär wirken. Da dieser Sektor aber nicht der größte Inflationstreiber ist, besteht der gefährlichste Übertragungsmechanismus aktuell darin, dass sich die Energiepreise auf die Produktionskosten der Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe auswirken.

 

Weil unklar ist, wie lang die momentane inflationäre Episode andauern wird, reagieren die Arbeitgeber_innen – angesichts ihrer Zusatzkosten durch Angebotsprobleme und steigende Energiepreise – auf Lohnforderungen lieber mit Bonuszahlungen und der Entwicklung von Gewinnbeteiligungsmodellen anstatt mit echten Lohnerhöhungen.

 

Wirken die Zuwendungen inflationsfördernd?

Nachdem die Gewinnspanne französischer Unternehmen – aufgrund der „Koste es was es wolle“-Regierungspolitik gegen die Pandemie – im Jahr 2021 gestiegen ist, ist sie Anfang 2022 sektorübergreifend wieder zurückgegangen. Daher ist in der Wirtschaft insgesamt keine Preis-Gewinn-Spirale erkennbar. Dass dies auf makroökonomischer Ebene so ist, bedeutet allerdings nicht, dass es in bestimmten Sektoren wie der Transport- oder Energiewirtschaft keine übermäßigen Gewinne gibt. Total Energies beispielsweise konnte im ersten Halbjahr 2022 18,8 Milliarden Dollar Gewinn ausweisen, was gegenüber der entsprechenden Vorjahresperiode fast das Dreifache ist.

 

Emmanuel Macron hat sich für einen „europäischen Beitragsmechanismus“ ausgesprochen, der die Besteuerung übermäßiger Gewinne im Energiesektor ermöglichen würde – auch wenn er das Wort „Steuer“ sorgfältig vermieden hat. Aber entgegen der Forderungen der linken Opposition hat sich seine Regierung immer geweigert, die Übergewinne der Energiekonzerne auf nationaler Ebene zu besteuern. Dabei könnte dies dazu beitragen, kurzfristig die Inflation einzudämmen, und darüber hinaus für zusätzliche Einnahmen sorgen, um gegen ihre nachteiligen Folgen vorzugehen. Laut dem Bruegel-Institut hat Frankreich zwischen September 2021 und September 2022 71 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Inflationsfolgen ausgegeben, was 2,2 Prozent des BIP entspricht.

 

Hinter Deutschland, das einsam an der Spitze liegt, steht Frankreich bei diesen Ausgaben an zweiter Stelle. Berlin hat den Umfang seines Anti-Inflations-Paket auf 300 Milliarden Euro erhöht, nachdem es im September 2022 ein weiteres massives Entlastungspaket (in Höhe von 200 Milliarden Euro) angekündigt hat. Dies stellt (mit über 8 Prozent des BIP) die größte Anstrengung in ganz Europa dar.

 

Bei der Finanzierung ihrer Maßnahmen steht die französische Regierung vor einer komplexen Haushaltsrechnung. Da die Exekutive nicht nur die Inflation bekämpfen, sondern gleichzeitig auch ihre Angebotspolitik der niedrigeren Unternehmenssteuern fortführen will, hat sie nur noch einen Hebel zur Verfügung: die Kontrolle der öffentlichen Ausgaben. Ein Teil der Maßnahmen zur Linderung der Inflationsfolgen wird dadurch finanziert, dass die Kosten für die Gesundheitskrise wegfallen. Aber für den Rest will die Regierung die Ausgabensteigerungen auf durchschnittlich 0,6 Prozent im Jahr begrenzen, und dazu müssen die operativen Kosten der lokalen Behörden ab 2024 um jährlich 0,5 Prozent gesenkt werden – und die Staatsausgaben um jährlich 0,4 Prozent. Wo genau gespart werden soll, ist allerdings immer noch unklar, und die bereits angekündigten Maßnahmen (Kampf gegen Betrug sowie die Abschaffung von Schlupflöchern bei den Steuern und Sozialleistungen) werden vom Hohen Rat für Öffentlichen Finanzen als optimistisch betrachtet. Während sich die Regierung unter der Leitung von Élisabeth Borne auf Ausgabenkürzungen konzentriert, fordert die linke Opposition höhere staatliche Einnahmen, was auch die Besteuerung von Übergewinnen miteinschließt.

 

Benzinpreisrabatt: Ökologischer Nonsens nach dem Gießkannenprinzip

Zu den wichtigsten Maßnahmen, die die Exekutive seit Beginn des Inflationsdrucks eingeführt hat, gehört die oben erwähnte Deckelung der Energiepreise. Wichtig ist aber auch der Benzinpreisrabatt: Nachdem dieser bei seiner Einführung im März 2021 auf 18 Cent pro Liter festgelegt und für vier Monate geplant war, wurde er kürzlich bis Ende 2022 verlängert und auf 30 Cent pro Liter erhöht. Für vier Monate kostet er schätzungsweise 4,4 Milliarden Euro und für das Gesamtjahr (einschließlich vorheriger Rabatte) etwa 7,5 Milliarden Euro.

 

Dieser Rabatt ist für viele private Haushalte offensichtlich eine echte Erleichterung, da ihre Tankrechnungen niedriger ausfallen. Aber trotzdem wird er kritisiert. Das größte Problem ist, dass er unabhängig vom Einkommensniveau alle entlastet. Würde die Maßnahme gezielter eingesetzt, wäre sie günstiger oder könnte mit gleichem Mittelaufwand die geringer verdienenden Haushalte stärker entlasten. Auch den kürzlich ausgeweiteten Energiepreisdeckel kann man entsprechend kritisieren. Die nächste Steigerung des regulierten Strompreises, die im Februar 2023 fällig ist, ist auf 15 Prozent begrenzt worden.

 

Ursprünglich wollte die Regierung den ersten Benzinpreisrabatt von 18 Cent in eine Art Benzinzuschuss in Höhe von ein paar hundert Euro verwandeln – für Arbeitnehmer_innen mit einem Einkommen unterhalb einer bestimmten Grenze. Aber dies wurde von der Opposition, insbesondere den rechtsgerichteten republikanischen Abgeordneten, blockiert, also wurde dann dieser Kompromiss umgesetzt.

 

Genauso wichtig ist der Kritikpunkt, dass der Benzinpreisrabatt in ökologischer Hinsicht wenig sinnvoll ist. Indem er Kraftstoff billiger macht, ermutigt er private Haushalte und Unternehmen nicht dazu, ihr Verhalten zu ändern und stärkere Anstrengungen zu unternehmen, um auf fossile Brennstoffe zu verzichten.

 

Notmaßnahmen zur Verhinderung von Kaufkraftverlusten

Damit sich die Kaufkraft der privaten Haushalte nicht weiter verringert, hat die Exekutive im Sommer einige Maßnahmen („zum Schutz der Kaufkraft“) gesetzlich festgelegt. Einige Transferleistungen an die bedürftigsten Menschen wurden ausgeweitet: die „prime d’activité“, die gering verdienenden Arbeitnehmer_innen ein zusätzliches Einkommen verschafft; das „revenu de solidarité active“ (RSA), das Arbeitslosen ein Mindesteinkommen garantiert; und die Renten, die am 16. August 2022 rückwirkend zum 1. Juli 2022 um 4 Prozent erhöht wurden.

 

All dies ist besser als nichts, aber angesichts dessen, wie stark das Lohnwachstum hinter dem Inflationsniveau zurückbleibt, reicht es nicht aus. Auch das personalisierte Wohngeld wurde im Juli dieses Jahres um 3,5 Prozent erhöht – nachdem es zu Beginn der ersten fünfjährigen Amtszeit von Macron gesenkt worden war –, aber die Mieten können auch weiterhin entsprechend steigen. Im Rahmen des verabschiedeten Pakets wurden zwar die Mieten für mangelhaft isolierte Wohnungen eingefroren, aber alle anderen können bei der Mietneuberechnung, die zwischen dem dritten Quartal 2022 und dem zweiten Quartal 2023 stattfindet, um bis zu 3,5 Prozent erhöht werden.

 

Bonuszahlungen statt Löhne

Dieses Anti-Inflations-Paket, das direkt nach Macrons Wiederwahl verabschiedet wurde, bestätigt auch das allgemeine Denkmuster: Gegen die Belastungen aus der Inflation helfen wirtschaftliche Aktivitäten und gute Bezahlung der Arbeitskräfte. Aber seltsamerweise nicht durch Lohnerhöhungen. Um den Kaufkraftverlust der Beschäftigten aufzuhalten, setzt die Exekutive in erster Linie auf Bonuszahlungen. Die „prime Macron“, die während der Mobilisierung der Gelbwesten eingeführt wurde und kürzlich in „prime pour le partage de la valeur“ umbenannt worden ist, wurde dauerhaft verlängert, und ihre Obergrenze wurde verdreifacht. Statt 1.000 Euro können Arbeitgeber_innen nun bis zu 3.000 Euro pro Person und Jahr auszahlen, ohne dafür Sozialabgaben leisten zu müssen. Diese Maßnahme, die zunächst nur für Beschäftigte galt, die weniger als das Dreifache des Mindestlohns verdienen, ist nun für alle Gehaltsgruppen verfügbar.

 

Der Vorteil solcher Boni für die Arbeitgeber_innen ist offensichtlich: Es sind einmalige Leistungen, die problemlos wieder gesenkt oder gar abgeschafft werden können. Arbeitnehmer_innen, die Probleme haben, über den Monat zu kommen, freuen sich natürlich über einen solchen Bonus. Aber wenn diese Zahlungen Lohnerhöhungen ersetzen, laufen die Beschäftigten Gefahr, langfristig ins Hintertreffen zu geraten.

 

Außerdem schwächt dieser Trend die Finanzierung der Sozialversicherung, da diese Beitragsausfälle teuer sind. Deshalb kritisiert ihn die linke Opposition als „Politik des leeren Staatssäckels“: Sie beschuldigen die Regierung, zunächst die Einnahmen der Sozialversicherungen zu verringern, dann vor höheren Defiziten zu warnen, die dadurch verursacht worden sind, um schließlich zu argumentieren, dass die öffentlichen Ausgaben gesenkt werden müssten, um den Staatshaushalt zu stabilisieren. Bei der Vorstellung des öffentlichen Haushalts für 2023 warnte Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire, neue Ausgabenprojekte würden, wenn die Finanzierung nicht gesichert sei, in der Parlamentsdebatte gar nicht erst diskutiert.

 

Hätten wir anders handeln können? Die linke Opposition, darunter die Parteien La France Insoumise (LFI), Europe Écologie-Les Verts (EELV), die Sozialistische Partei (PS) und die Kommunistische Partei (PCF), fordern im Kampf gegen die hohen Lebenshaltungskosten alternative Maßnahmen. Dazu gehören insbesondere eine Deckelung der Preise für Güter des Grundbedarfs, ein Mietenstopp und „massive Investitionen in die ökologische Diversifizierung (…), insbesondere in günstigere und erneuerbare Energien“. Mit der momentanen Inflation zahlen wir in der Tat den Preis für unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern. Deshalb fordern die Linken auch Investitionen „in öffentlichen Transport, um ihn für alle verfügbar zu machen, und in die Gebäudeisolierung, um Kosten und Emissionen zu senken“.

 

Sind wir dazu verdammt, mit der Inflation zu leben, bis sich diese Langfristmaßnahmen bezahlt machen? Nicht unbedingt, da die Staaten die Preiserhöhungen auch mit anderen Mitteln abmildern und insbesondere zunehmende Ungleichheiten verhindern können, indem sie den bedürftigsten Menschen helfen. Um die Inflation wirklich in den Griff zu bekommen, reichen diese Notmaßnahmen allerdings nicht aus. Der Kampf gegen steigende Preise drängt uns dazu, unsere Produktions- und Angebotssysteme grundlegend zu überdenken. Und dies kann einige Zeit dauern.

 

Die Autorin

Aude Martin ist Journalistin bei Alternatives Economiques mit Schwerpunkt auf Makroökonomie und internationale Wirtschaft. Sie ist Verfasserin einer Sonderbeilage über Inflation in der Septemberausgabe ihres Magazins.

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