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Blau-grün-gelb verwischter Hintergrund. Darauf der weiße Schriftzug "Was tun gegen die Inflation? Das Beispiel Polen".

Was tun gegen die Inflation?

Das Beispiel Polen

von Piotr Arak  |  30.11.2022

Polen leidet unter einer der höchsten Inflationsraten Europas. Das liegt teilweise an exogenen Einflüssen, die durch die Pandemie verschärft wurden, und auch der externe Schock höherer Energiepreise spielt eine Rolle. Aber bevor wir uns mit diesen beiden negativen Faktoren beschäftigen, müssen wir betonen, dass das Preisniveau in Mittel- und Osteuropa proportional niedriger ist als in Frankreich, Deutschland, Großbritannien oder auch den USA.

 

Da sich die westlichen und östlichen Teile der EU wirtschaftlich annähern, gleichen sich auch die Preise zwischen ihnen immer mehr an. Dies allein bedeutet noch keine höhere Inflation, da sich das Preisniveau auch dadurch annähern kann, dass der Wert einer Landeswährung gegenüber dem Euro steigt. Aber in den meisten Fällen bedeutet es, dass der Verbraucherpreisindex (CPI) in den aufstrebenden östlichen Volkswirtschaften höher ist.

 

Inflation und Geldpolitik während der Pandemie

Vor der Pandemie war die Inflationsrate in Polen gesund. Man könnte argumentieren, die Fiskalpolitik sei zu locker und die Zinsen seien zu niedrig gewesen, was 2020 zum Jahr potenzieller geldpolitischer Straffung werden ließ. Damals sollte das langsamere Wachstum der polnischen Wirtschaft die Inflation senken.[i] Dann aber schlug die Pandemie zu, und die polnische Zentralbank (NBP) tat, was alle von ihr erwarteten, das heißt, sie senkte die Zinsen[ii] auf fast null Prozent und beteiligte sich erstmals an einer Art quantitativer Lockerung.

 

Die erste Rückkaufaktion fand am 16. März 2020 statt, und zwischen 2020 und 2021 wurden diese Maßnahmen fortgesetzt. Bis 2021 hatte die NBP auf dem Sekundärmarkt staatliche und staatlich garantierte Anleihen im Wert von 135,8 Milliarden PLN (Zloty) gekauft, was 5,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2020 entspricht. Während der ersten Welle der Covid-19-Pandemie war damit der Umfang der quantitativen Lockerung in Polen – verglichen mit den anderen EU-Ländern außerhalb der Eurozone – sehr groß.

 

Viele Kommentator_innen sorgen sich, die Anleiherückkaufprogramme der Zentralbanken könnten zu einem erheblichen Inflationsanstieg führen. Dies ist tatsächlich der Fall, und das ist auch letztlich der Zweck solcher Programme. Allerdings schien die Angst vor unkontrollierten Preissteigerungen damals unbegründet zu sein. Die polnische Wirtschaft erlebte einen enormen Schock, der zu einem starken Rückgang des BIP führte. Die größte Bedrohung der Wirtschaft und der Gesellschaft lag in der Gefahr einer Deflation – und darin, dass die Produktion unterhalb ihres Potenzials blieb. Aber während der Pandemie begann die Inflation in Polen zu steigen: 2020 lag der CPI noch im Sollbereich von 2,3 Prozent, aber im Jahr darauf erhöhte er sich auf 5,1 Prozent, und 2022 wird er wahrscheinlich 13 bis 14 Prozent erreichen.

 

Kurz vor dem Krieg

Ende 2021 erreichte die Inflation weltweit ihr höchstes Niveau seit 20 bis 40 Jahren. Das hatte größtenteils zwei Gründe: die plötzliche Befreiung der Wirtschaft im Verlauf der Pandemie und höhere Energiepreise. Nachdem immer mehr Covid-Einschränkungen aufgehoben wurden, erholte sich die Wirtschaft schnell. Die Menschen begannen wieder zu reisen und in Restaurants zu essen. Sie kauften mehr ein und gaben einen Teil des Geldes aus, das sie während der Lockdowns nicht nutzen konnten. Und als sich die Wirtschaft wieder erholte, konnten die Unternehmen ihre Preise erhöhen, ohne dadurch Kund_innen zu verlieren.

 

Allerdings fiel es den Unternehmen schwer, mit der schnell wachsenden Nachfrage Schritt zu halten, da sie ihre Lieferketten, die von der Pandemie hart getroffen worden waren, erst wieder neu aufbauen mussten. Waren zu transportieren war wegen verschiedener Probleme – wie der Knappheit von Schiffscontainern – schwieriger und teurer geworden. Da diese Probleme einige Zeit andauerten, wurden die Kosten in Form höherer Preise an die Kund_innen weitergegeben.

 

Außerdem hat die Pandemie unsere Lebens- und Arbeitsweise und damit auch unsere Bedürfnisse verändert. Von bestimmten Waren – wie elektronischen Geräten – haben wir mehr gekauft, als die Einzelhändler erwartet hatten. Plötzlich waren wichtige Teile oder Materialien wie Halbleiter schwierig zu bekommen. Als die Firmen mit der Warennachfrage nicht mehr Schritt halten konnten, stiegen die Preise.

 

Ein weiterer bedeutender Preisschock kam vom Energiemarkt: Öl, Gas und Strom wurden weltweit teurer. In Europa rationierte Russland die Gaslieferungen an seine Partner, was zu steigenden Preisen führte. Außerdem war der Winter 2020 kalt gewesen, was die Öl- und Gasvorräte verringert hatte. Gemeinsam mit der höheren Nachfrage führte dies zu schnell steigenden Energiepreisen. Da die Energiekosten einen erheblichen Teil der Gesamtkosten der privaten Haushalte und Unternehmen ausmachen, haben die Öl-, Gas- und Strompreise einen großen Effekt auf die allgemeine Inflation.

 

Generell wurde erwartet, dass die Inflation im Laufe des Jahres 2022 nachlassen würde. Man dachte, das Angebot würde sich bald an die Nachfrage anpassen. Laut der Markterwartungen hätten die Energiepreise sinken müssen. Dies war die Zeit, als sowohl die US-amerikanische Zentralbank Federal Reserve (Fed) wie auch die Europäische Zentralbank (EZB) davon ausgingen, dass die Inflation nur vorübergehend sei. Als die Preise Mitte 2021 aber stiegen, begannen die zentraleuropäischen Notenbanken, die Zinsen zu erhöhen. Die NBP wartete mit ihrem ersten Schritt bis September 2021.

 

Erstmals erhöhte der geldpolitische Rat die Zinsen im Oktober 2021, darunter auch die Leitzinsen von 0,1 auf 0,5 Prozent. Im November kam der nächste Schritt auf 1,25, dann im Dezember auf 1,75, im Januar 2022 auf 2,25, im Februar auf 2,75 und im März auf 3,50 Prozent. Und so ging es die nächsten Monate weiter, mit einer Erhöhung im Juni um 0,75 Basispunkte auf 6,00 Prozent. Im August 2022 kamen dann noch einmal 0,50 Basispunkte hinzu und im September weitere 0,25 Basispunkte. Das könnte durchaus noch so weitergehen – auch vonseiten der EZB und der Fed.

 

Die polnische Energieabhängigkeit

Polen verfolgt seit Langem die Strategie, seine Energieversorgung zu diversifizieren und sich im Gas- und Ölbereich von Russland unabhängiger zu machen. 2021 hat das Land 15 Prozent seiner Kohle, 43 Prozent seines Erdgases, 73 Prozent seines Rohöls und erhebliche Mengen Diesel aus Russland importiert.[iii]

 

Laut Aussage der Regierung hat Polen heute mehrere Möglichkeiten, die fehlenden russischen Gaslieferungen zu ersetzen: über das europäische Pipeline-System, über das Flüssiggasterminal in Swinoujscie, durch die eigene kleine Erdgasförderung im Land, und schließlich ab Herbst 2022 mithilfe der Baltic Pipe Pipeline, über die Polen stabil mit Erdgas aus Norwegen versorgt werden soll. Die Belieferung über die Jamal-Leitung, die unterbrochen wurde, wäre Ende 2022 sowieso beendet worden.

 

Am schwersten ersetzbar werden wahrscheinlich die Kohlelieferungen sein: Der Import oder Transit von Steinkohle aus Russland und dem Dombas wurde im Zuge der Sanktionen beendet. Diese Lücke soll durch Importe und steigende Inlandsförderung geschlossen werden. Allerdings können im Land selbst höchstens etwa 1 oder 1,5 Millionen Tonnen mehr abgebaut werden – verglichen mit den 8,3 Millionen Tonnen, die Polen letztes Jahr aus Russland importiert hat. Noch wichtiger ist, dass die russische Kohle aufgrund ihres anderen Brennwerts zur Raumheizung verwendet wurde. Die Regierung hat sogar ein Abkommen mit der Ukraine unterzeichnet, um Kohle aus dem kriegsgeschüttelten Land zu importieren.

 

Im Ölsektor sollen die russischen Importe in erster Linie durch Käufe aus Saudi-Arabien ersetzt werden. Bereits seit einiger Zeit verfolgt die polnische Regierung eine Strategie, die russischen Öllieferungen zu ersetzen. Der staatliche Ölkonzern Orlen hat mit Russland lediglich kurzfristige Lieferverträge, die im Januar 2023 bzw. Dezember 2024 auslaufen. Aber die Importe aus anderen Ländern können die Gesellschaft und die Unternehmen in Polen nicht vor den weltweit schnell steigenden Energiekosten abschirmen.

 

Der Wirtschaftskrieg

Bereits lange bevor der Westen Sanktionen gegen Russland verhängt hatte, wurde er von Putins Staat wirtschaftlich bekämpft. Im Herbst 2021 drehte das Land die Gashähne zu, was den Kostendruck in Europa verstärkte. Putin ist für mehr als ein Drittel der aktuellen polnischen Inflation verantwortlich. Wo taucht Putins Gaserpressung im CPI auf? Fast überall: direkt in den Preisen für Energiequellen, indirekt in den Strompreisen und auch in der Kerninflation in Gestalt höherer Preise für Waren, deren Herstellungskosten von den Gas- oder Strompreisen abhängen. So sind in den Preisen für Düngemittel 60 bis 80 Prozent Gaskosten enthalten, und Dünger wiederum macht 25 bis 40 Prozent der Kosten für Getreide und Futtermittel aus. So lässt sich der Anstieg der Lebensmittelpreise in den vergangenen Monaten zu 50 bis 80 Prozent auf die Gaspreise zurückführen – teilweise auch über den Erwartungskanal.

 

Anfang 2022 war der pandemiebedingte Inflationsdruck stark (9,4 Prozent CPI-Steigerung im Januar); allerdings erwarteten alle Ökonom_innen einen substanziellen Rückgang. Im März aber ging der CPI auf 11 Prozent hoch und stieg schrittweise weiter bis zum August auf 16 Prozent. Was war in der Zwischenzeit geschehen? Natürlich der russische Angriff auf die Ukraine, der die Flüssigbrennstoffe, das Gas und die Nahrungsmittel verteuerte. Einige Ökonom_innen bezeichneten diesen schnellen Anstieg, der bis zum Herbst 2021 noch niedriger eingeschätzt worden war, als „Putinflation“.

 

Die polnische Regierung – und sogar die Zentralbank – hatten auf die hinter dem jüngsten Preisanstieg stehenden Faktoren kaum Einflussmöglichkeiten. Sie konnten weder den Krieg beenden noch die Energiepreise auf den globalen Märkten senken. Außerdem konnten sie die Lieferketten nicht erneuern. Auch Zinserhöhungen beeinflussen die Energiepreise kaum. Was können wir also noch tun? Nun, wir müssen einfach abwarten, da alle Ursachen für die momentanen hohen Preise vorübergehend sind (was nicht bedeutet, dass sie schnell vorüber sind). Aber viele EU-Regierungen – und auch die polnische Regierung – sahen dies anders.

 

Insbesondere die Gewerkschaften haben massive Forderungen gestellt: eine Erhöhung des Mindestlohns zum zweiten Mal im Jahr 2022 (und eine weitere Steigerung 2023), eine zweite Rentenerhöhung, eine Anpassung des Staatshaushalts für 2022 einschließlich einer Garantie zusätzlicher Mittel für Lohnerhöhungen, die Abschaffung der WIBOR-Rate[iv], usw.

 

Geld als Mittel zur Inflationsbekämpfung

Die EU-Mitgliedstaaten haben verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Folgen der höheren Energiepreise für die Bürger_innen abzumildern. Bis Ende April 2022 lagen die Kosten dafür bei etwa 0,6 Prozent des EU-BIP. Die Regierung in Warschau hat bis heute (September 2022) unter anderem drei Maßnahmenpakete mit Gesamtkosten von etwa 2,1 Prozent des BIP geschnürt.[v] Der sogenannte Anti-Inflations-Schutzschild der Regierung umfasst:

 

  • die Senkung der Mehrwertsteuer auf Strom von 23 auf 5 Prozent und auf Heizkosten von 23 auf 8 Prozent, weniger Mehrwertsteuer und sonstige Abgaben auf Treibstoff;
  • Zuwendungen an die ärmsten Haushalte abhängig von Haushaltsgröße und Pro-Kopf-Einkommen, die bereits vor der Energiekrise gewährt, aber seit Anfang 2022 ausgeweitet wurden und an mehr Empfänger_innen gehen. Kosten für den Staatshaushalt: 30 Milliarden PLN (etwa 1,1 Prozent des BIP. 6,4 Milliarden Euro). Einschätzung: In Mittel- und Osteuropa und in der EU insgesamt vergleichsweise starke Maßnahmen. Laut Schätzungen des Polnischen Wirtschaftsinstituts konnte der CPI dadurch um drei Prozentpunkte gesenkt werden;
  • Kohlezuschuss: einmalige Unterstützung für Kohle verbrennende Haushalte in Höhe von 3.000 PLN (640 Euro), aber geringere Unterstützung für andere Energieträger. Kosten für den Staatshaushalt: 11,5 Milliarden PLN (etwa 0,4 Prozent des BIP, 2,45 Milliarden Euro). Einschätzung: Aufgrund schlecht definierter Kriterien für die Unterstützungswürdigkeit besteht bei diesem Programm ein hohes Missbrauchsrisiko. Es ist allgemein ausgerichtet, also kommt es auch den reichsten Haushalten zugute. Verglichen mit Nachbarländern ist der Unterstützungsbetrag hoch – in der Tschechischen Republik beispielsweise ist er rund fünfmal niedriger;
  • Unterstützung für Fernwärme: Geldzuwendungen für Anbieter von Fernwärme (Heizenergie und Wassererwärmung), mit denen die Preiserhöhung für Endverbraucher_innen auf 40 Prozent begrenzt werden soll. Kosten für den Staatshaushalt: 13,7 Milliarden PLN (etwa 0,5 Prozent des BIP, 2,9 Milliarden Euro). Einschätzung: Die Maßnahme verringert den Budgetanteil, den die Haushalte für Energiekosten aufwenden. Da das Fernwärmenetz in Polen anders funktioniert als im Rest der EU, ist ein Vergleich schwierig.

 

Zu den Lösungen der polnischen Regierung, mit denen die Folgen höherer Energiepreise für Bürger_innen sowie für kleine und mittlere Unternehmen gelindert werden sollen, gehört auch eine Dämpfung der Preiserhöhungen für Strom und Gas. Laut Schätzungen des Polnischen Wirtschaftsinstituts werden die Stromrechnungen um 25 Prozent steigen und die Gasrechnungen um einen ähnlichen oder niedrigeren Betrag (das Minimum liegt bei etwa 10 Prozent). Die geplanten Kosten für den öffentlichen Haushalt werden nicht über 62 Milliarden PLN liegen (etwa 2,4 Prozent des BIP, 13,2 Milliarden Euro) – davon 23 Milliarden PLN (4,9 Milliarden Euro) für die Deckelung der Gaspreise für Bürger_innen, 13 Milliarden PLN (2,8 Milliarden Euro) für die Deckelung der Strompreise und zusätzlich 36 Milliarden PLN (7,7 Milliarden Euro) für kleine und mittelgroße Unternehmen.

 

Hinsichtlich der Strompreise überlegt die polnische Regierung zudem, Vorzugstarife einzuführen, die an den Verbrauch gekoppelt sind – was zum Energiesparen ermutigen soll und damit die Kosten für den öffentlichen Haushalt verringern würde. Dabei könnte für ein Volumen von bis zu 90 Prozent des Vorjahresverbrauchs ein niedrigerer Tarif gelten. Wird diese Grenze überschritten, gilt der Standardtarif. Begrenzungen der Tarifpreise dämpfen die Inflation, Geldzuschüsse dagegen nicht. Allerdings bieten Preisgrenzen keinen Anreiz zum Energiesparen. Greifen Länder, die um Rohstoffe konkurrieren, in den Markt ein, indem sie die Kosten verringern, führt dies zu Energiemangel. Vorzugstarife, die auf dem Verbrauch basieren, ermutigen hingegen zu Einsparungen und belasten den Staatshaushalt weniger. Dabei müsste allerdings die Struktur des Energieverbrauchs und seine Veränderung gegenüber dem Basisjahr berücksichtigt werden, auf das sich der Tarif bezieht. Wichtig ist dies insbesondere für jene, die ihre Wohnungen mit Wärmepumpen oder direkt mit Strom heizen.

 

Wegen der Zinserhöhungen sind auch die Kreditkosten für Schuldner_innen zu einem wichtigen politischen Thema geworden. Die meisten Hypotheken in Polen wurden zu einem variablen Zinssatz abgeschlossen, der an die Leitzinsen der Zentralbank gekoppelt ist. Die polnische Regierung hat ein Gesetz verabschiedet, das es Schuldner_innen ermöglicht, 2022 die Rückzahlungen für Hypotheken vier Monate lang kostenlos auszusetzen – und im nächsten Jahr für weitere vier Monate. Dieses Programm könnte von etwa zwei Millionen Kreditnehmenden genutzt werden, und es gilt für fast alle. Es kann jedoch nur von jenen in Anspruch genommen werden, die mit Hypotheken für eigene Wohnzwecke in PLN (Zloty) belastet sind und nicht in Fremdwährungen. Laut einer Angabe aus der polnischen Zentralbank könnte dieser sogenannte Krediturlaub – wenn ihn alle Berechtigten in Anspruch nehmen – den Bankensektor in diesem und im nächsten Jahr 20 Milliarden PLN (4,18 Milliarden Euro) kosten. Außerdem hat die Regierung Pläne angekündigt, entsprechend der Empfehlungen der Sozialpartner den WIBOR zu verändern.

 

Außerdem kommt die Regierung den Wünschen der Gewerkschaften entgegen und plant, 2023 den Mindestlohn zweimal anzuheben: im Januar auf brutto 3.490 PLN (740 Euro) pro Monat und im Juli auf 3.600 PLN (760 Euro) pro Monat. Momentan liegt er bei 3.010 PLN (640 Euro) pro Monat. Die Renten wurden nicht zweimal erhöht, aber in diesem Jahr hat die Regierung zusätzliche Rentenleistungen gezahlt, die als „13. und 14. Rente“ bekannt wurden. Darüber hinaus trat 2022 eine Steuerreform in Kraft, um den Steuerfreibetrag zu erhöhen und die unterste Einkommensteuerstufe von 17 auf 12 Prozent zu senken.

 

Analyst_innen warnen, diese Sozialmaßnahmen der Regierung ständen im Widerspruch zur geldpolitischen Straffung der Zentralbank, die zur Inflationsbekämpfung wiederholt die Zinsen erhöht hat. Aber auch die Zentralbank selbst wurde kritisiert: Das Oberste Rechnungsprüfungsamt (NIK) urteilte 2021, die Art, wie der Geldpolitische Rat mit den Märkten über seine Geldpolitik kommuniziert hat, habe die Wahrnehmung der Inflationsprozesse negativ beeinflusst.

 

Die wirtschaftlichen Aussichten

Wohin wird uns diese Vielfalt von Maßnahmen führen? Die Europäische Kommission hat ihre Prognose für das polnische Wirtschaftswachstum für 2022 auf 5,2 Prozent erhöht und jene für 2023 auf 1,5 Prozent gesenkt. Außerdem hat sie ihre Schätzungen für die polnische HVPI-Inflation (Harmonisierter Verbraucherpreisindex, eine andere Inflationsmessgröße als der nationale CPI) für 2022 und 2023 auf 12,2 bzw. 9,0 Prozent erhöht. Für nächstes Jahr wird erwartet, dass die Preise in Polen stärker steigen als in allen anderen EU-Ländern.

 

Die Europäische Kommission betont, Polens Wirtschaftswachstum werde sich in der zweiten Hälfte von 2022 verlangsamen – aufgrund des russischen Krieges in der Ukraine, der geldpolitischen Straffung, einer sich verschlechternden Stimmung und eines schwächeren externen Umfeldes. Der Privatkonsum wird weiterhin durch die Nachfrage der Flüchtenden aus der Ukraine und die anhaltende fiskalische Expansion (der Anti-Inflations-Schutzschild) unterstützt. Trotzdem werden höhere Unsicherheit und geldpolitische Straffung das Konsumwachstum unter Druck setzen, was zum Sparen verleiten und die verfügbaren Haushaltseinkommen einschränken könnte – insbesondere angesichts der vielen variabel verzinsten polnischen Hypotheken.

 

Trotzdem sollten das schwächere Wirtschaftswachstum, eine schrittweise Verringerung des Drucks auf die globalen Lieferketten und sinkende Energiepreise bis zum Ende des Prognosehorizonts die Inflation dämpfen. Zu einer ähnlichen Interpretation, aber anderen Zahlen kommt die Prognose des Polnischen Wirtschaftsinstituts, die auf sich verschlechternde Wachstumsaussichten hindeutet und bis Ende 2022 von durchschnittlich 4,5 Prozent Wirtschaftswachstum ausgeht. Es gibt viele Risiken, aber das aktuelle Szenario lässt in Polen keine Rezession erwarten: Die Volkswirtschaft hat die Chance, 2023 um 2 bis 2,5 Prozent zu wachsen – mit sehr geringen Zuwachsraten zu Jahresbeginn. Der CPI dürfte im Herbst und Winter 2022 langsam wieder sinken. Die Regierung wird weiterhin ihre Möglichkeiten nutzen, um die Energiepreise auf einem niedrigeren Niveau zu halten, was für 2023 zu einer durchschnittlichen Inflationsrate von 9 bis 10 Prozent führen würde. Ende 2024 könnte sogar das Ziel des Geldpolitischen Rats wieder erreicht werden, aber das ist eher unwahrscheinlich.

 

[i] Die Inflationsrate sollte zwischen 1,5 und 3,5 Prozent liegen – das tatsächliche Ziel der polnischen Zentralbank (NBP) liegt bei 2,5 Prozent, mit einer möglichen Abweichung von je einem Prozentpunkt nach oben oder unten. Liegt die Inflation höher, erhöht der Geldpolitische Rat die Zinsen.

[ii] Die Polnische Nationalbank (NBP) hatte ihre Leitzinsrate 2020 um 140 Basispunkte bis auf 10 Basispunkte gesenkt – in Schritten von 50 Punkten am 17.3.2020, 50 Punkten am 8.4.2020 und 40 Punkten am 28.5.2020. Seit März hatte sie die Banken mit Liquidität versorgt, den Mindestreservesatz von 3,5 auf 0,5 Prozent verringert und die Zinsen für die erforderlichen Reserven auf das Leitzinsniveau gesenkt.

[iii] Der polnische Stromsektor hängt massiv von der Kohle ab. 67,5 Prozent des gesamten Stroms werden durch Kohleverbrennung erzeugt (Daten vom Juli 2022). Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen und Erdgas lag bei 22,6 bzw. 3,5 Prozent.

[iv] Der WIBOR ist die Messgröße für die Warschauer Interbankenrate, die für den Zeitraum, der in der „Vereinbarung für den Variablen Basiszinssatz“ festgelegt ist, von der „GPW Benchmark S.A.“ oder einer anderen, zukünftigen Institution verwaltet wird.

[v] Es muss angemerkt werden, dass zur Finanzierung der Maßnahmen keine neuen Steuern eingeführt wurden, was trotz hoher nominaler BIP-Wachstumsrate das Haushaltsdefizit in die Höhe treiben wird.

 

Der Autor

Piotr Arak ist ein polnischer Ökonom und Direktor des Polnischen Wirtschaftsinstituts.

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