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Vom 23. Mai 2019 bis zum 26. Mai 2019 waren die europäischen Bürger_innen nach fünf Jahren wieder aufgerufen, das Europäische Parlament zu wählen. Die Strategie von Parteien ist nicht immer auf Anhieb durchschaubar und wird von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst. Dabei ermöglicht die genaue Auseinandersetzung mit der strategischen Lage der Parteien, die politische Situation in dem jeweiligen Land besser zu verstehen und Entwicklungen nachzuvollziehen.
Bei unseren Untersuchungen standen folgende Fragen im Mittelpunkt: Wie positionieren sich politische Bewegungen? Wie reagieren sie auf gesellschaftliche Stimmungen und mit welchen Themen verorten sie sich wie in der gesellschaftspolitischen Debatte?
In dieser Serie zu Strategiedebatten politischer Parteien in ausgewählten europäischen Ländern bemühen sich die Verfasser darum, politische Analysen nicht in Textform, sondern grafisch aufbereitet und zugespitzt darzustellen. Wir hoffen, mit diesem Produkt einen Beitrag zu einer konstruktiven Diskussion zu leisten.
Die Niederlande wählten ihre 26 Europaparlamentsabgeordneten nach Verhältniswahlrecht, wobei das ganze Land einen einzigen Wahlkreis bildet. Die Ergebnisse der Europawahlen 2019 waren eine Überraschung, da die Sozialdemokraten, die Partij van de Arbeid (PvdA), alle Erwartungen und Meinungsumfragen übertraf und mit 19 % der Stimmen stärkste Kraft wurde. Die Partei konnte sich damit im Vergleich zu den Europawahlen 2014 um 10 Prozentpunkte verbessern. Die Umfrageinstitute prognostizierten zuvor, dass der europaweit verbreitete Euroskeptizismus
die Zustimmung für rechts-populistischen Parteien weiter erhöhen würde. Auch im Jahr 2014 sahen Meinungsforschungsinstitute diese rechten Parteien vorn, doch letztlich gewannen die Christdemokraten, Christen-Democratisch Appèl (CDA) und die klar pro-europäische D66 die meisten Stimmen. Der Sieg der mitte-links positionierten PvdA, die einen pro-europäischen Wahlkampf geführt hatte, zeigt erneut, dass die Verbreitung von anti-europäischen Einstellungen möglicherweise überschätzt wird.
Nur zwei Monate vor der Europawahl wurde das niederländische Parteiensystem durch den rasanten Aufstieg der neuen nationalistischen Partei “Forum für Demokratie” (Forum voor Democratie, FvD) erschüttert, die von Thierry Baudet angeführt wird. Die Partei wurde im März 2019 bei den Provinzwahlen stärkste Kraft. Die in einer Koalition regierende Volkspartei für Frieden und Demokratie (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie, VVD) von Ministerpräsident Mark Rutte verlor in der Folge ihre Mehrheit in der Ersten Kammer.
Der Wahlsieg der rechts-nationalistischen FvD war überraschend, da die Partei bereits 2017 bei den Parlamentswahlen angetreten war und nur zwei der 150 Sitze gewann. Der Aufstieg der FvD ging auf Kosten der etablierten rechtspopulistischen Partei von Geert Wilders, der Partei für die Freiheit (Partij voor de Vrijheid, PVV). Bei den Europawahlen wurde der Austausch der Wählerschaft zwischen den beiden nationalistischen Parteien deutlich. Hier verlor die PVV all ihre Sitze. Während im Jahr 2014 noch 13,3 %, also einer von sechs Wählerinnen und Wählern, für die PVV stimmte, erhielt die Partei 2019 nur noch 3,5 % und die FvD 10,9 % der Stimmen. Die Zustimmung für diese stark gegen Zuwanderung positionierten Parteien verbleibt somit auf einem konstanten Niveau von etwa 15 %. Auch bei den Parlamentswahlen 2017 erreichten beide Parteien zusammen 14,7 %, was zeigt, dass die angenommenen Effekte der niedrigeren Wahlbeteiligung bei Europawahlen nicht so stark ausfallen wie oft angenommen. Die sozialstrukturelle Zusammensetzung der Wählerschaft von PVV und FvD unterscheidet sich jedoch. Während die PVV eher Wahlberechtigte mit niedriger Bildung, Geringverdienerinnen- und verdiener und die prekäre Mittelschicht anspricht, unterstützen viele Höhergebildete, die meist in der freien Wirtschaft tätig sind, die FvD.
Die größte Überraschung der Europawahlen 2019 war jedoch für Expertinnen und Experten sowie die politische Elite das starke Abschneiden der Sozialdemokraten. PvdA verlor 19 Sitze bei den Wahlen 2017 und fiel von 24.7 % in 2012 auf nur noch 5, 7 % im Jahr 2017.
Das Parteiensystem der Niederlande ist von großer Volatilität, also Unbeständigkeit, gekennzeichnet, insbesondere im linken Spektrum. Hier verfügen viele Parteien über ähnliche Positionen, wobei diese sich in ihrer politischen Orientierung deutlich unterscheiden. Links-progressive Wählerinnen und Wähler schwanken oft zwischen zwei oder mehr Parteien, vor allem zwischen der PvdA, der Grünlinks-Partei (GroenLinks, GL) oder den sozialliberalen Demokraten 66 (D66), und entscheiden sich erst sehr kurzfristig. Von dieser Wechselwählerschaft im linken Lager profitierte die PvdA, die zwischen den Provinzwahlen im März und den Europawahlen im Mai fast eine halbe Millionen zusätzliche Stimmen gewinnen konnte, während D66 ca. 400.000 und GL 200.000 Stimmen zwischen den Wahlen verloren.
Die Beliebtheit des Spitzenkandidaten Frans Timmermans war ein weiterer Faktor, weshalb die PvdA solch ein gutes Ergebnis einfahren konnte. Frans Timmermans wurde als Spitzenkandidat von der Sozialdemokratischen Partei Europas (PES) für das Amt des Kommissionspräsidenten nominiert. Die Möglichkeit, einen Niederländer an der Spitze der Kommission zu wählen, war womöglich eine wichtige Motivation für die Wählerschaft der linken Mitte. Insbesondere im Süden, Timmermans Heimat, spielte seine Person für die Unterstützung der PvdA eine Rolle, wo sich der PvdA-Anteil versechsfachte.
Auch der Wahlkampf selbst war ein Faktor, der von den Medien als Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Ministerpräsident Mark Rutte (VVD) und Thierry Baudet (FvD) initiiert wurde. Zwischen den beiden Kandidaten gab es sogar ein eigenes TV-Duell, dass sich vor allem um die dominanten Themen des rechten Lagers drehte: Zuwanderung, innere Sicherheit und öffentliche Ordnung, Grenzkontrollen und auch ein Niederländischer Austritt aus der EU (“Nexit”), obwohl die FvD diesbezüglich intern gespalten ist. Die FvD wurde trotzdem nur viertstärkste Partei, hinter der VVD, der PvdA und der CDA.
Der Fokus auf rechte Themen und zwei Kandidaten, die für viele niederländische Wählerinnen und Wähler nicht wählbar waren, irritierte viele. Auch dies war ein Grund für das gute Ergebnis der gemäßigten Parteien PvdA und CDA.
Linken Wählerinnen und Wählern und der politischen Mitte ist vor allem soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz wichtig. Sie sorgen sich um die Folgen des Klimawandels und wünschen sich wirtschaftliche Stabilität, lehnen also diese starke Fokussierung auf rechte Themen ab.
Baudet zweifelt sogar öffentlich an einem durch Menschen verursachten Klimawandel. Dies wird jedoch in einem so progressiven Land wie den Niederlanden nicht besonders positiv aufgenommen wird und kostet ihn eher Stimmen. Da große Teile der Niederlande unterhalb des Meeresspiegels liegen, sorgen sich viele um die Folgen des Klimawandels. Maßnahmen gegen den Klimawandel erfordern oft internationale Zusammenarbeit, weshalb ein “Nexit” unpopulär wäre. Die große Mehrheit der niederländischen Wählerinnen und Wähler, insbesondere im linken Lager, positionieren sich gegen einen EU-Austritt nach britischem Brexit-Vorbild. Das Chaos, dass nach dem Brexit Referendum in der britischen Konservativen Partei und Labour herrschte, schreckte viele Wählerinnen und Wähler in den Niederlanden ab und ließ die Unterstützung für die Europäische Integration wachsen. Auch FvD griff diese Stimmung auf und unterstützt nun ein Referendum über einen “Nexit”.
Viele Wählerinnen und Wähler in den Niederlanden zweifeln, ob sich die EU in die richtige Richtung bewegt. Trotzdem möchte nur eine kleine Minderheit aus der EU austreten. Aus diesem Grund erreichten viele gemäßigte Kräfte im linken und rechten Lager bessere Ergebnisse als erwartet.
Selbst die VVD gewann einen Sitz und könnte nun argumentieren, dass sich das inszenierte Kopf-an-Kopf-Rennen gegen die nationalistische FvD ausgezahlt hat. Die CDA verlor drei Prozentpunkte gegenüber 2014 und damit einen Sitz.
Die Regierungsparteien VVD und CDA, die mit D66 und der christlich-euroskeptischen ChristenUnie koalieren, führte einen relativ EU-kritischen, in Teilen gar euroskeptischen, Wahlkampf. Dieser Wahlkampf widersprach der Tatsache, dass sie internationale Initiativen wie den Globalen Migrationspakt unterstützen.
Der gemäßigt-euroskeptische Juniorpartner in der Koalition, ChristenUnie, trat gemeinsam auf einer Liste mit der deutlich konservativen, protestantisch-orthodox und anti-EU eingestellten Reformierten Politische Partei (Staatkundig Gereformeerde Partij, SGP) an. Die beiden Parteien waren im letzten Europäischen Parlament Teil der Gruppe der Europäisch Konservativen und Reformern (ECR). Die beiden konfessionellen Parteien verließen jedoch die gemäßigt euroskeptische Gruppierung und sind nun unabhängig von einer Gruppe des Europäischen Parlaments, da FvD der ECR beitrat. Die Parteien konnten ihre beiden Sitze verteidigen, da ihre Wählerschaft relativ stabil bzw. loyal ist und sie daher nicht mit den Problemen der anderen Parteien konfrontiert sind.
Die weit verbreitete Befürwortung der EU durch die niederländische Bevölkerung wurde auch zum Problem für die linksradikale Sozialistische Partei (SP). Die Partei ist der EU gegenüber sehr kritisch eingestellt und kritisiert vor allem die Fokussierung auf den Marktliberalismus und den EU-weiten Arbeitsmarkt, wodurch die einfache Arbeiterschaft und Sozialleistungen gefährdet seien. Die Partei griff im Wahlkampf Frans Timmermans persönlich an und porträtierte ihn als “EU-Freund”, der die niederländischen Interessen in Brüssel verkaufe und mit den Rechten zusammenarbeite. Allerdings forderte Timmermans in seinem Wahlkampf die Besteuerung großer Unternehmen und die Ausweitung von Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechten, wodurch die Angriffe auf Timmermans verhallten. Viele linke Wählerinnen und Wähler setzten deshalb auf Timmermans und nicht auf die SP.
Die Partei GrünLinks (GroenLinks, GL) gewann bei den letzten Wahlen immer mehr Zuspruch, da Umwelt- und Klimaschutz für die Wählerinnen und Wähler das vorherrschende Thema waren. Die Partei wurde bei den letzten Parlamentswahlen 2017 stärkste linke Kraft und gewann auch in den Kommunal- und Provinzwahlen viele Stimmen. Auch bei den Europawahlen hielt dieser Trend an, die Partei konnte ihr Ergebnis von 2014 noch verbessern und einen weiteren Sitz hinzugewinnen. Bei diesen Wahlen wurden die Grünen jedoch nicht mehr stärkste linke Partei.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass EU-skeptische Töne nicht das vorherrschende Thema der Europawahlen 2019 waren. Der Fokus der Medien auf die nationalistische, einwanderungskritische Rhetorik hat möglicherweise Wählerinnen und Wähler mobilisiert, die pro-europäisch eingestellt sind. Obwohl dies nicht mit einem Ende der EU-Kritik gleichgesetzt werden sollte (denn diese existiert weiterhin), kann zumindest festgehalten werden, dass sich Ängste nicht direkt in bedingungslose Unterstützung oder Ablehnung des Europäischen Projekts übersetzen lassen. Illiberale und radikale anti-EU Kräfte werden vor allem von der Zuwanderung und dem Einfluss der offenen innereuropäischen Grenzen auf die Wirtschaft angetrieben, nicht jedoch von einer vollständigen Ablehnung der EU, die mit globalen Mächten wie China und den USA auf Augenhöhe agieren kann und die Möglichkeit hat, internationale Konflikte zu lösen.
Die Sozialdemokraten waren die überraschenden Gewinner der Europawahlen 2019 und sind große Befürworter der EU-Integration, auch wenn ihre Wählerschaft diesbezüglich verhaltener positioniert ist.
Die PvdA fordert eine Erweiterung der EU- Kompetenzen und sieht dies als einzige Möglichkeit, um Bürgerinnen- und Bürgerrechte und den Wohlfahrtsstaat gegen globale Herausforderungen wie den Klimawandel, Lohndumping infolge der Globalisierung, die Digitalisierung der Arbeit und Wirtschaft zu schützen. Die Sozialdemokraten betrachten die Einheit der EU als Schlüsselelement, um diese Herausforderungen der globalisierten Welt erfolgreich zu bewältigen und sind der Meinung, dass sich die Nationalstaaten dieser Aufgabe nicht mehr allein stellen können.
Die Partei kritisiert den Einfluss, den multinationale Unternehmen auf die EU-Entscheidungsprozesse ausüben, und fordert, dass die EU-Gesetzgebung wieder stärker die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung in den Blick nimmt. Deshalb hat die Partei das Ziel ausgerufen, die Gewinne digitaler Großunternehmen, wie Facebook oder Google, zu besteuern und bekommt dabei von einer Mehrheit der europäischen Bevölkerung Rückendeckung. Die PvdA spricht sich auch für die Einführung eines europaweiten Mindestlohns aus, um die Einkommensverhältnisse in der EU anzugleichen und einen fairen Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen, da viele Saisonarbeiterinnen und -arbeiter aus den östlichen Mitgliedstaaten für einen Lohn unterhalb de Mindestlohns beschäftigt werden. Hinsichtlich moralischer und ethischer Fragen positioniert sich die Partei progressiv und möchte die Rechte von LGBTQ+ verfassungsmäßig auf dem gesamten Kontinent verankern.
Wie die Heatmaps zeigen, ist die niederländische Arbeiterpartei (PvdA) wirtschaftlich klar links positioniert, nimmt auf der Gesellschafts-EU-Achse jedoch moderat progressive Positionen ein. Ein Teil des unverhofften Erfolgs der Partei bei den Europawahlen 2019 kann durch den Spitzenkandidaten Frans Timmermans erklärt werden: Analysen zeigen, dass die positive Bewertung von Timmermans zu den wichtigsten Faktoren für die Wahl der PvdA zählen. Allerdings sollte auch der Effekt der strategischen Positionierung nicht unterschätzt werden. Sowohl die Wählerschaft der Partei als auch ihre Sympathisantinnen und Sympathisanten sind wirtschaftlich links verortet und nehmen moderat progressive gesellschaftliche bzw. EU-Positionen ein. Bei den Parlamentswahlen 2017 hat die PvdA vor allem auf eine Strategie der kulturellen Polarisierung gesetzt, was ihr letztendlich geschadet hat. Dieses Mal haben die niederländischen Sozialdemokraten radikalere Positionen in wirtschaftlichen und moderatere Positionen in gesellschaftlichen bzw. EU-Fragen eingenommen. Dies scheint eher den Positionen der eigenen Wählerschaft zu entsprechen, denn die Grafik zeigt, insbesondere auf der vertikalen Achse, eine hohe Übereinstimmung der Partei mit Wählerschaft und Sympathisantinnen und Sympathisanten. Die Verschiebung der eigenen Position nach links - eine Strategie der moderaten wirtschaftlichen Polarisierung - hat wohl dazu geführt, dass die Partei auch enttäuschte Wählerinnen und Wähler der SP und sonstiger Gruppen, die unzufrieden mit der Sparpolitik, dem Wirtschaftsliberalismus und den Einsparungen bei den Sozialausgaben waren, gewinnen konnte. Die SP selbst hat im Wahlkampf wiederholt die PvdA attackiert.
Während die große Mehrheit der PvdA-Wählerinnen und Wähler klar im links-progressiven Quadranten verortet sind, sind die Positionen der Sympathisantinnen und Sympathisanten weiter über das Spektrum verteilt, auch unter den wirtschaftlich rechten und sozial-konservativen Positionen. Dies deutet darauf hin, dass die niederländischen Sozialdemokraten nach wie vor eine Volkspartei sind, die ihre Wählerschaft aus vielen Gruppen der politischen Mitte erreichen kann. Der Balanceakt der Sozialdemokraten besteht immer darin, moderate Positionen in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen zu vertreten, um wirtschaftlich gemäßigte und sozial konservative Gruppen nicht zu verprellen, ohne dabei die Unterstützung der links-progressiven Kernwählerschaft zu verlieren.
Die Partei für die Freiheit (PVV) ist die euroskeptischste Partei im niederländischen Parteiensystem. Die Partei wurde von Geert Wilders gegründet, nachdem dieser die liberal-konservative VVD verließ. Sie steht insgesamt für einen marktfreundlichen Kurs und fordert die Einschränkung von Einwanderung, insbesondere aus muslimisch geprägten Ländern. Viele Wählerinnen und Wähler der Partei verfügen über eine geringe Bildung und gehören der Unter- oder Mittelschicht an, weshalb die Partei dazu überging, sich für Investitionen in den Sozialstaat auszusprechen.
Die Partei fordert einen sofortigen “Nexit”. Sie argumentiert, dass dies nötig sei, um strengere Einwanderungsgesetze zu verabschieden und eine bessere Verhandlungsposition bei Handelsabkommen als die EU zu erlangen. Der Islamismus stellt in den Augen der Partei eine Bedrohung für die westlichen Demokratien dar. Daher sei der Islam auch nicht mit den grundlegenden Demokratieprinzipien vereinbar. Die Partei fordert “Niederlande zuerst” und nennt als Begründung, dass die nationale Souveränität von den EU-Verträgen zu sehr eingeschränkt würde und dies nicht akzeptabel sei.
Im Bereich Sicherheit und Ordnung ist zu erkennen, dass die Partei nativistisch geprägt ist, also “Einheimische” beschützen möchte. Sie fordert beispielsweise, dass kriminelle Menschen mit Migrationshintergrund abgeschoben werden sollen, auch wenn sie einen niederländischen Pass besitzen. Bis zum Aufkommen der konkurrierenden FvD hatte die PVV eine stabile Wählerschaft. FvD sprach jedoch viele ehemalige PVV-Wählerinnen und Wähler an, indem die Partei ähnliche Themen bediente, diese aber besser vermitteln konnte. Die PVV verlor deshalb viele Sitze im niederländischen Senat und alle Sitze im Europäischen Parlament.
Als sozial-konservativste Partei in den Niederlanden gelingt es der PVV, auch den sozial-konservativsten, EU- und zuwanderungskritischsten Teil der niederländischen Wählerschaft zu erreichen. Die Heatmaps zeigen, dass die Partei sehr nahe an ihrer Kernwählerschaft positioniert ist. Die Position verdeutlicht jedoch nicht unbedingt die wahre Haltung der PVV in wirtschaftlichen Fragen, da die Partei hier strategisch ambivalente Positionen vertritt, um so auf die radikalen Positionen in anderen Bereichen, vor allem in Bezug auf Zuwanderung und die Europäische Union, aufmerksam zu machen. Für viele Wählerinnen und Wähler sowie Sympathisantinnen und Sympathisanten überlagert das Thema Zuwanderung alle anderen Themen - eine Strategie der PVV, die seit 2005 bei fast allen Wahlen aufgegangen ist. Dennoch half diese Nähe der Partei zur Wählerschaft auf der wirtschaftlichen und kulturellen Dimension nicht bei der Wahl 2019. Dies lag vor allem an dem “Newcomer-Effekt”der FvD, der all die mediale Aufmerksamkeit, von dem die PVV und ihr Vorsitzender Geert Wilders sonst so sehr profitierten, weg von der PVV und hin zur FvD lenkte. Dies ist besonders vor dem Hintergrund dramatisch, dass die Partei eine “One-Man-Show” ist - Geert Wilders ist das einzige Mitglied, entsprechend existiert keine Basis innerhalb der Partei. Die Partei ist vollständig von der Aufmerksamkeit um ihren Vorsitzenden abhängig. Der Aufstieg von Baudets FvD und der Umstand, dass dieser sogar ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Premierminister Rutte inszenieren konnte, hat die Sichtbarkeit von Wilders praktisch vollständig beseitigt. In der Folge hat die PVV auch all ihre Sitze im europäischen Parlament verloren.
Die VDD ist eine wirtschaftsliberale, marktfreundlich orientierte Partei, die gemäßigt konservativen Ansichten bezüglich ethischer Themen, Einwanderung und der europäischen Integration vertritt. In den letzten Jahren hat die Partei zunehmend eine “weiche” EU-Kritik ausgeübt und fordert eine strengere Einwanderungspolitik, obwohl die VDD insgesamt pro-europäisch eingestellt ist und, gemeinsam mit D66, Teil der liberalen ALDE-Fraktion im Europäischen Parlament ist.
Liberale Parteien neigen zunehmend dazu, diese Positionen kurz vor Wahlen zu vertreten, um diejenigen Wählerinnen und Wähler kurzfristig zu gewinnen, die ansonsten rechtspopulistische und euroskeptische Parteien wählen würden. Gleichzeitig beteiligte sich die Partei an internationalen Abkommen wie dem Globalen Migrationspakt und dem Pariser Klimaabkommen. Auch hinsichtlich der EU vertritt VDD einen ambivalenten Kurs - auf der einen Seite unterstützt die Partei die europäische Integration generell, möchte, auf der anderen Seite, jedoch eine vertiefte Integration und zukünftige EU-Erweiterungen verhindern, da die Sicherheitslage sowie verbreitete Korruption bei vielen Beitrittskandidaten problematisch sei. Aus diesem Grund möchte die VDD den EU-Ländern an der Außengrenze, Rumänien und Bulgarien, auch eine Mitgliedschaft im Schengenraum versagen. Die VDD befürwortet aber gleichzeitig auch eine stärkere europäische Gesetzgebung in Bezug auf die innere Sicherheit, wozu beispielsweise die Stärkung von Frontex gehört, um die EU-Außengrenzen zu schützen. Die Partei setzt sich außerdem für eine Verkleinerung der Europäischen Kommission ein.
Die marktliberal-konservative VVD hat 2019 einen Sitz mehr errungen als bei den Europawahlen 2014 - ein bemerkenswerter Erfolg für eine Regierungspartei. Dies ist auch auf ein inszeniertes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Baudet und Rutte um die konservative Wählerschaft zurückzuführen. Im niederländischen Fernsehen wurde sogar ein eigenes TV-Duell zwischen den beiden veranstaltet - in einem Land, in dem mehr als ein Dutzend Parteien um Sitze konkurrieren. Als Vertreterin der Interessen von sowohl großen (multinationalen) als auch kleinen niederländischen Unternehmen bzw. Selbständigen ist die VVD naturgemäß nicht gegen die EU. Allerdings sieht die Partei die Europäische Union vor allem als ein großes Projekt des Freihandels. Die Heatmaps zeigen, dass die VVD sich strategisch auf der Kultur-EU-Dimension zur Europawahl positioniert. Sie ist im Bereich der moderat EU-kritischen Positionen verortet, steht hier also in Konkurrenz um Wählerschaft mit den anderen bürgerlichen Parteien (PVV und FvD), ist aber selbst nicht zu weit von ihrer eigenen Kernwählerschaft entfernt, so dass sich diese nicht entfremdet fühlt. Es ist anzumerken, dass die Mehrheit der VVD-Sympathisantinnen und Sympathisanten stärker pro-europäisch eingestellt sind als die Partei selbst. Diese ambivalente Haltung der Partei zur EU - moderat EU-kritisch, aber für den Freihandel und einen offenen Arbeitsmarkt - wird von den den gemäßigten Wählerinnen und Wählern positiv aufgenommen, hat aber auch potentielle Wählerinnen und Wähler nicht verschreckt. Es war ein kluger Schachzug, dass die VVD die Anti-EU-Parteien rhetorisch attackiert hat - so konnte die Partei sich bei den gemäßigten Wahlberechtigten ein positives Image verschaffen. Ein Blick auf die Heatmap der Sympathisantinnen und Sympathisanten der VVD zeigt, dass ein substantielles Maß an Euroskeptizismus vorliegt, so dass die VVD sowohl ihre Stammwählerschaft erreichen konnte, aber gleichzeitig auch im Bereich der EU-kritischen Wählerschaft Erfolge erzielen konnte, was in dem Zugewinn des einen Sitzes im Vergleich zu 2014 mündete.
Die Partei wurde bei den Parlamentswahlen 2017 stärkste Kraft, obwohl sie noch nie an einer Regierung in den Niederlanden beteiligt war. Wie viele andere grüne europäische Parteien, ist auch die GL sehr pro-europäisch eingestellt und spricht sich für verstärkte internationale Kooperationen aus, insbesondere in den Bereichen Umweltschutz und Kampf gegen den Klimawandel. Die Energieversorgung in der EU soll, nach dem Willen der Partei, in der nahen Zukunft vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Die Partei ist gegen eine öffentliche Subventionierung für die fossile Brennstoffindustrie und möchte alle Kohlekraftwerke bis 2030 schließen.
Um den CO2-Ausstoß zu reduzieren, fordern die Grünen einen Ausbau des Schienennetzes in ganz Europa und Investitionen in Schnellverbindungen zwischen den europäischen Hauptstädten. Die Grünen schlagen außerdem eine EU-weite Mindeststeuerquote für Unternehmensgewinne vor, was der EU ein Steuererhebungsrecht zusichern würde. In Bezug auf das Thema Einwanderung verlangen die Grünen eine einheitliche Asyl- und Einwanderungspolitik auf Basis eines humanitären Einwanderungskurses. Ihre Wirtschaftspolitik besteht aus Forderungen nach einer Begrenzung der Privatisierung im öffentlichen Sektor, insbesondere in den Kommunen.
Die Grünen sind diejenige niederländische Partei, die am stärksten links-progressiv zur Europawahl verortet war. Die Partei kombiniert einen EU-freundlichen Kurs mit Forderungen nach Umverteilung und einer radikalen Umweltpolitik gegen den Klimawandel und für mehr Umweltschutz. Die Wählerschaft und Sympathisierenden sind sich in ihrer Positionierung sehr ähnlich, wobei die Wählerinnen und Wähler ideologisch breiter aufgestellt sind. Sie sind links-außen oder moderat in der Mitte verortet. Auch GL ist in ihrer Positionierung deutlich progressiver als ihre Wählerschaft - eine Strategie, die libertäre Distanzierung genannt wird. Die Partei ist gleichzeitig aber auch sehr links eingestellt.
Diese Strategie der libertären Distanzierung könnte der Grund sein, weshalb die Partei so erfolgreich bei den Europawahlen 2019 abschnitt. Die Partei gewann im Vergleich zu 2014 einen weiteren Sitz und wurde bei den Parlamentswahlen 2017 die stärkste linke Kraft. Von der Strategie der libertären Distanzierung, profitieren die grünen Parteien, die kontinuierlich eine vertiefte Europäische Integration fordern und liberale sozialpolitische Ansichten vertreten. Andere Parteien, insbesondere Sozialdemokraten, werden dafür hingegen abgestraft. Die Grünen profitieren in Zeiten, in denen Klimapolitik und Umweltschutz immer wichtiger werden, von der thematischen Überschneidung zwischen der Mitte-Links-Wählerschaft und denjenigen, die sich für Umweltschutz einsetzen.
Historisch gesehen ist die CDA die Partei der Landwirtschaft gewesen und verfügt über eine starke Unterstützung aus der breiten Mittelschicht. Wenig überraschend setzt sich die Partei daher für weitere EU-Agrarsubventionen und Investitionen in den ländlichen Raum ein, um den Bevölkerungsrückgang in diesen Gebieten aufzuhalten, da seit Jahrzehnten immer mehr Menschen in urbane Regionen ziehen. Die CDA unterstützt euroskeptische- und einwanderungskritische Haltungen und möchte eine vertiefte EU-Integration verhindern, aber gleichzeitig die EU-Außengrenzen verstärkt schützen.
Es sollten, nach Ansicht der Partei, keine weiteren Kompetenzen nach Brüssel abgetreten werden, da es aufgrund der Europäischen Integration zu einem Verlust traditioneller Werte und Normen gekommen sei. Diese Themen sollten von den nationalen Regierungen selbständig geregelt werden. Daher sollte die EU auch nicht über mehr Kompetenzen im innenpolitischen Bereich als die Nationalstaaten verfügen, wovon beispielsweise das Gesundheitswesen, Sozialhilfe, Wohnraum und Bildung betroffen ist.
Die CDA möchte allerdings auch den Umweltschutz und die Energiewende weiter vorantreiben. Obwohl die Partei eigentlich sehr marktfreundlich eingestellt ist, warnen vereinzelte Stimmen innerhalb der Partei auch vor den wirtschaftlichen und sozialen Gefahren eines offenen, globalisierten Marktes und offener Grenzen. Auf der nationalen Ebene vertritt die Partei dennoch einen wirtschaftsfreundlichen Kurs, Sparmaßnahmen, eine strikte Haushaltsdisziplin und wirtschaftliche Deregulierung.
Die niederländischen Christdemokraten vertreten moderate wirtschaftsliberale und konservative Positionen. Die größten Konkurrentinnen der Partei im bürgerlichen Lager sind die VVD, aber auch PVV und FvD - zwei Parteien, die sich klar gegen Zuwanderung positioniert haben. Aus diesem Grund nimmt die CDA auch moderat EU-kritische Positionen ein, zählt aber in jedem Fall nicht zu den EU-ablehnenden Parteien. Insgesamt schneidet die CDA bei Europawahlen gut ab, vor allem, weil sie von einer gemäßigten und loyalen Wählerschaft gestützt wird, insbesondere in ländlichen, landwirtschaftlich dominierten Regionen. Wie zu erkennen ist, hat sich die CDA sehr dicht an ihrer Wählerschaft positioniert, wenngleich sie wirtschaftlich etwas rechter und gesellschaftlich etwas konservativer positioniert ist. Somit behält die Partei eine enge Anbindung an die eigene Wählerbasis, kann aber gleichzeitig eine ernstzunehmende Alternative für die Wählerschaft der anderen bürgerlichen Parteien bleiben. Bemerkenswert ist es, dass viele Sympathisantinnen und Sympathisanten, die potentielle Wählerinnen und Wähler sind, im links-progressiven Quadranten verortet sind. Obwohl viele eine große Polarisierung beobachten, bleibt die Kernwählerschaft der Christdemokraten auf beiden Dimensionen gemäßigt: Sie sind fast gleichmäßig um die politische Mitte herum verteilt, wobei eine kleine Mehrheit leicht links der Mitte und bei den moderat progressiven Positionen verortet ist. Das ideologische Profil der CDA-Wählerschaft zeigt also, dass die Partei nach wie vor als Volkspartei bezeichnet werden kann, die eine breite Wählerschaft der Mitte erreichen erreichen kann. Die Sympathisantinnen und Sympathisanten der Partei sind hingegen ideologisch weniger klar einzuordnen. Die Tatsache, dass diese sogar eher links-progressiv verortet sind, zeigt, dass es für die Partei zur Herausforderung werden könnte, gleichzeitig sowohl ihre bürgerliche Mitte-Rechts-Kernwählerschaft zu mobilisieren, aber auch für neue, eher links-progressivere Wählerschichten, eine Alternative darzustellen.
D66 ist eine sozial-liberale Partei, die sehr pro-europäisch eingestellt ist. Ihr Wahlkampf zu den EU-Wahlen 2019 stand unter dem Slogan “Für Europa”. Die Partei setzt sich für mehr Kompetenzen und finanzielle Mittel für die EU ein, damit alle Mitgliedstaaten davon profitieren können. Als einzige Partei in den Niederlanden setzt sich D66 für eine gemeinsame europäische Armee ein.
Politische Entscheidungen sollten, nach Ansicht der D66, auf wissenschaftlicher Forschung basieren, weswegen sie eine Verfechterin technokratischer Lösungen ist. Sie setzt sich als progressive Partei außerdem seit jeher für Minderheitenrechte und die Entkriminalisierung von Drogen ein. Auf der kulturellen Ebene ist die Partei hinsichtlich persönlicher Freiheit sehr liberal eingestellt, aber vertritt, wie ihre Wählerschaft, wirtschaftlich eher gemäßigte Positionen. Ihren Wahlkampf führte die Partei mit dem Schutz der Privatsphäre, Pressefreiheit und Gleichstellung und prangerte die Regierungen in Europa an, die diese Rechte einschränken. D66 befürwortete ursprünglich Instrumente der direkten Demokratie in den Niederlanden, wie beispielsweise die Direktwahl der Bürgermeister (die derzeit noch von der Krone ernannt werden) und verbindliche Referenden. Nachdem in den letzten Jahren jedoch viele anti-europäische Plebiszite abgehalten wurden und erfolgreich waren, distanzierte sich D66 von ihren ursprünglichen Forderungen nach mehr direkter Demokratie.
Die Wählerschaft und Sympathisierenden der D66 befinden sich in der politischen Landschaft auf der progressiven und pro-europäischen Seite. Überraschenderweise ist die Kernwählerschaft der D66 hinsichtlich kultureller Themen und der EU deutlich gemäßigter als die Partei selbst. Die Partei, ihre Wählerschaft und Sympathisierenden befinden sich innerhalb der wirtschaftlichen Dimension nahe beieinander, zumindest auf europäischer Ebene. Die Heatmap zeigt jedoch auch Unterschiede zwischen den Wählerinnen und Wählern und Sympathisierenden von D66 auf, die nicht immer mit dem progressiven und sehr EU-freundlichen Kurs der Partei einverstanden sind. Die Mehrheit dieser Gruppen ist deutlich weniger pro-europäisch als die Partei selbst eingestellt und befindet sich näher an den Positionierungen der konkurrierenden PvdA und GL. Dieser Teil der niederländischen Wählerinnen und Wähler ist demnach hinsichtlich der Gesellschafts- und EU-Politik gemäßigter eingestellt. Die Nähe der Kernwählerschaft von D66 zu der PvdA und GL hat diesen konkurrierenden Parteien möglicherweise einige entscheidende Stimmen gesichert.
Die Sympathisierenden von D66 sind ideologisch in der politischen Landschaft viel weiter zerstreut als ihre Wählerinnen und Wähler. Dies legt nahe, dass ein beachtlicher Teil der Sympathisantinnen und Sympathisanten der Partei sogar mitte-rechts positioniert ist.
Ihre progressive und EU-freundliche Strategie und die damit verbundene libertäre Distanzierung, d.h. die Tatsache, dass die Partei libertärer eingestellt ist als ihre Wählerschaft, könnte die Partei im Vergleich zu 2014 einige Stimmen gekostet haben. Allerdings unterscheiden sich die Positionen der Partei zwischen den Wahlen 2014 und 2019 kaum. Die Hauptursache für den Stimmenverlust könnte die radikal pro-europäische Haltung und kulturelle Progressivität gewesen sein, die in diesem euroskeptischen politischen Klima nicht gut angenommen wird.
Ein weiterer Beweggrund für die vielen Wechselwählerinnen- und Wähler könnte die Regierungsbeteiligung der Partei sein, die mit drei rechten Parteien regiert. Möglicherweise sah die Wählerschaft darin einen Grund, die Partei bei der EU-Wahl abzustrafen.
Forum für Demokratie (FvD) ist eine relativ junge euroskeptische Partei, die bei den Provinzwahlen und Europawahlen 2019 einen großen Stimmenzuwachs verzeichnen konnte. Die Partei wurde im Februar 2015 als Think Tank unter der Leitung des jungen konservativen und öffentlich bekannten Intellektuellen Thierry Baudet gegründet. Ende 2016 ließ sich FvD als politische Partei registrieren. Der Think Tank strebte den Status einer Partei an, da einige führende Mitglieder der FvD ein Referendum über das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine durchsetzten. Trotz der Ablehnung des Abkommens durch das Referendum, weigerte sich die niederländische Regierung, ein Veto gegen das Abkommen auszusprechen. Im Wahlprogramm der Partei stehen die Durchsetzung demokratischer Reformen, der Austritt aus der EU und die Beschränkung der Einwanderung an vorderste Stelle. Aufgrund ihrer großangelegten Kampagne in den (Sozialen) Medien, spricht diese national-konservative Partei nicht nur die traditionellen rechtspopulistischen Wählerinnen und Wähler an, sondern insbesondere auch jüngere, höhergebildete Gesellschaftsgruppen. Die Partei profitiert sehr stark von der Wählerschaft der PVV, aber spricht auch mitte-rechts positionierte Prostestwählerinnen- und Wähler an. Somit konnte die Partei innerhalb von zwei Jahren ihren Stimmenanteil von 200.000 (Parlamentswahlen 2017) auf über eine Millionen bei den Provinzwahlen im März 2019 ausweiten. Bei den Europawahlen stimmten nicht so viele Wählerinnen und Wähler für FvD, sie wurde aber mit knapp 600.000 Stimmen viertstärkste Kraft. Ein wichtiges Element ihres Wahlprogramms und nach Ansicht der Partei das größte Problem des Landes, ist der Kampf gegen ein “Parteienkartell”, wonach die Mitglieder der etablierten Parteien sich gegenseitig Regierungsposten zuteilen.
Eine Lösung für dieses Problem wäre, nach Ansicht der FvD, die Einführung direkter Demokratie nach dem schweizer Vorbild. Ein Grundelement ihrer Rhetorik ist die EU-Feindlichkeit. Die EU-Integration sei demnach viel zu weit gegangen und die Europäische Regierung mittlerweile undemokratisch. Die FvD bezeichnet die Führung der EU als ein Kartell, weshalb auch keine Reformen mehr Wirkung zeigen könnten. Aus diesen Gründen erscheint der Partei ein “Nexit” unvermeidlich. Obwohl die FvD zunächst einen Nexit ohne Beteiligung der Bürgerinnen-und Bürger anstrebte, fordert sie nun ein Referendum zu der Frage nach einem EU-Austritt. Außerdem verlangt die Partei die Einführung von Grenzkontrollen zu den niederländischen Nachbarländern und den Austritt aus der Eurozone. Aber auch in dieser Partei gibt es interne Konflikte und Machtkämpfe über den Nexit und andere Themen. Der Kandidat für die Provinzwahlen, Henk Otten, kritisierte den Vorsitzenden, Thierry Baudet, für den Kurs der Partei, die zu weit nach rechts rutsche. Otten möchte in Bezug auf die EU-Mitgliedschaft einen pragmatischen Kurs fahren und nicht um jeden Preis austreten.
Baudets FvD profitierte am meisten von den Europawahlen 2019. Kurz vor den EU-Wahlen hat die rechtsgerichtete nationalistische Partei einen strategischen Wandel hinsichtlich der niederländischen EU-Mitgliedschaft vollzogen: Die Forderung nach einem sofortigen Austritt (“Nexit”) wurde fallengelassen. Stattdessen befürwortet die Partei nun ein Referendum zu dieser Frage. Diese Mäßigung, die nach dem Brexit-Chaos eine deutlicher risikoärmere Position darstellt, kam bei der pro-europäisch eingestellten Wählerschaft gut an. Ein genauerer Blick auf die strategische Positionierung der Partei zeigt, dass diese wirtschaftlich rechts von ihrer Wählerschaft positioniert ist, sie aber dafür die Position auf der vertikalen Gesellschafts- und EU-Achse sehr genau trifft. Da die wichtigsten Themen dieser Wählerschaft, wie Zuwanderung oder europäische Integration, auf dieser vertikalen Achse verortet sind und wirtschaftliche Themen überdecken, war diese strategische Positionierung der FvD von Erfolg gekrönt. Die Heatmap zeigt auch, dass die FvD selbst wirtschaftlich links eingestellte Wählerinnen und Wähler erreicht - was der Tatsache geschuldet ist, dass diese Gruppen in wirtschaftlichen Themen dazu tendieren, der Partei zu “vergeben”, solange diese weiterhin gegen Zuwanderung und gegen die EU positioniert ist. Die Heatmaps der FvD-Wählerschaft zeigen, dass die Partei sowohl “harte” als auch “weiche” EU-Kritikerinnen und Kritiker erreicht hat, wobei unter der erstgenannten Gruppe möglicherweise auch ehemalige PVV-Wählerinnen und Wähler sind. Dies wird auch in einer “ideologischen Trennlinie” der Wählerschaft deutlich, die sich in einen rechts/EU-kritischen und einen moderateren, weniger EU-kritischen Block aufteilt. Die Sympathisantinnen und Sympathisanten sind ideologisch eindeutiger zu verorten und, im Gegensatz zur Wählerschaft, wesentlich gemäßigter eingestellt. Das lässt den Schluss zu, dass die FvD auch gemäßigtere Wählerschichten rechts der Mitte erreichen könnte, die weniger EU-kritisch eingestellt sind.
Auf dem Schaubild oben sind die Positionen der relevanten Parteien in Deutschland auf einer zweidimensionalen Karte verzeichnet. Grundlage bilden die 30 wichtigsten Aussagen über besonders relevante Politikthemen in der derzeitigen politischen Debatte. Diese Inhalte gehen aus einer gründlichen Auswertung der Parteiprogramme und des politischen (Medien-) Diskurses durch ein Team aus Wissenschaftlern und Experten hervor. Jede dieser Aussagen bezieht sich auf einen politischen Inhalt, der sich als „Links“ oder „Rechts“ beziehungsweise als „Sozial Progressiv“ oder „Sozial Konservativ“ einordnen lässt. Die Antworten auf diese Aussagen liegen auf einer fünfstufigen Skala: „Stimme überhaupt nicht zu“, „Stimme nicht zu“, „Neutral“, „Stimme zu“, „Stimme vollständig zu“. Die Position der Parteien zu diesen Aussagen ist jeweils entsprechend ihren offiziellen Verlautbarungen in Veröffentlichungen, Wahlkampfdokumenten und Medienauftritten kodiert.
Die Schaubilder entstanden auf Basis sämtlicher Positionen der Parteien in den beiden Dimensionen (der Links-Rechts- und der Sozial Progressiv-Konservativ- Dimension). Die tatsächliche Position der Partei liegt im Zentrum der jeweiligen Ellipse. Die Ellipsen repräsentieren die Standardabweichungen der Antworten der Parteien auf alle Aussagen, die für den Aufbau der Achsen verwendet wurden. Daher ist die Ellipse von Kandidaten mit sowohl linken wie auch rechten politischen Inhalten auf der Links-Rechts-Achse breiter. Parteien mit sowohl Sozial Progressive als auch Sozial Konservative Politikinhalte verzeichnen eine längere Ellipse auf der Sozial Progressiv-Konservativ Achse.
Potentielle Wählerinnen und Wähler sowie Sympathisant_innen werden mithilfe einer zehnstufigen „Propensity-To-Vote“-Variable (Wahlwahrscheinlichkeit) erfasst, auf der die Befragten angeben, wie wahrscheinlich es ist, dass sie jemals die jeweiligen Parteien wählen werden. Als potentielle Wählerinnen und Wähler werden solche Nutzerinnen und Nutzer bezeichnet, die diese Wahrscheinlichkeit für die jeweilige Partei mit den Werten 8, 9 und 10 auf der zehnstufigen Skala angegeben haben. Die durchschnittliche politische Position dieser potentiellen Wählerinnen und Wähler liegt in der Mitte der Ellipse.
Die Parteien wurden auf Grundlage von VAA (Voting Advice Applications)- Daten positioniert. Der Deutsche VAA-Wahlkompas kann unter folgendem Link aufgerufen werden: https://europa.wahl-kompass.de/.
Verantwortlich für Grafiken und Texte:
André Krouwel - Founder- Kieskompas BV & Associate Professor at the VU University Amsterdam
Yordan Kutiyski- Analyst - Kieskompas BV
Vanelly Ellis - Analyst - Kieskompas BV
Ognjan Denkovski - Analyst - Kieskompas BV
Projektkoordianation:
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Christopher Gatz - Friedrich-Ebert-Stiftung (Berlin)
The English version of the Strategy Debates Netherlands is available here.
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