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Bild: Seminare für Frauen | Gender-Seminare NRW von FES
Seit vielen Jahren organisiert die FES diese Fortbildungsveranstaltungen für die Mitglieder der Städtepartnerschaftsvereine und weiteren Interessierten, um sie für die Partnerschaftsarbeit zu qualifizieren und über die aktuelle Situation in Palästina und den Partnerkommunen zu informieren. Es gab mehrere Anläufe, auch die Frauen in Palästina in den Blick zu nehmen, aber erst zum Internationalen Frauentag 2020 wurde der Vorsatz in die Tat umgesetzt.
Highlights des Seminars waren die Vorträge von Anna-Maria Rufer und Ruba Ghanem von der Initiative zur Förderung der Beziehungen zwischen Nürnberg und Nablus e.V., die von ihren aktuellen und geplanten Projekten zur Förderung der Frauen in Nablus (INNA) berichteten, und von Ursula Mindermann, Mitglied des Präsidiums der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft, die ein Projekt zur Vermarktung von Kaktusfeigensaft zur Unterstützung einer Frauenkooperative in Beit Ummar, einem kleinen Ort in der Nähe von Bethlehem, vorstellte.
Zum Beginn machte ein Quiz mit frauenfeindlichen und frauenfreundlichen Aussagen deutlich, dass Frauenfeindlichkeit oder Frauenfreundlichkeit nicht einer Religion zuzuordnen sind und der Islam nicht so frauenfeindlich ist, wie es von manchen Personen dargestellt wird.
Die nähere Betrachtung der im Westjordanland, im Gazastreifen und in Ost-Jerusalem geltenden Personenstandsrechte und Strafrechte am Samstagmorgen zeigte, dass es immer noch zahlreiche Bestimmungen gibt, die die Frauen gegenüber den Männern rechtlich benachteiligen.
Häusliche Gewalt wird als Kavaliersdelikt betrachtet, wenn die Frau weniger als 10 Tage im Krankenhaus zubringt. Die Zeugenaussage einer Frau hat nicht das gleiche Gewicht wie die Zeugenaussage eines Mannes. Frauen können nur mit Zustimmung des Vaters mit ihrem Kind ins Ausland reisen. Als Vormund kann der Vater Geld vom Bankkonto des Kindes abheben, das die Mutter eingerichtet hat, sogar, wenn sie das Sorgerecht für das Kind hat. Aber die Mutter kann nicht dasselbe tun, wenn das Kind beim Vater lebt. Frauen können grundsätzlich nur mit Zustimmung des männlichen Vormunds heiraten, außer sie waren schon einmal verheiratet.
Dagegen stehen wenige positive Änderungen in den letzten Jahren. 2011 erließ Mahmoud Abbas ein Präsidialdekret, dass Artikel 340 des jordanischen Strafrechts abschaffte. Dieser Artikel erlaubte die Reduzierung des Strafmaßes bei der Tötung oder einem Angriff gegen die Ehefrau oder einer Ver-wandten, wenn er sie beim Ehebruch oder außerehelichen Sex entdeckte. Am 14. März 2018 unter-zeichnete der palästinensische Präsident das Gesetz Nr. 5 von 2018, das Artikel 308 des jordanischen Strafrechts von 1960 aufhob. Dieser Artikel sah für den Vergewaltiger Straffreiheit vor, wenn er das Opfer heiratete. (Diese Initiative löste jedoch nicht das Problem, dass die Familien der durch eine Vergewaltigung schwanger geworden Frauen und Mädchen trotz alledem Druck auf diese ausüben, den Vergewaltiger zu heiraten, da Kinder bei den palästinensischen Behörden nur bei Vorlage einer Heiratsurkunde offiziell registriert werden können und Abtreibung strafbar ist, außer es liegt eine Gefahr für die Gesundheit der Frau vor.) Bereits am 5. März 2018 verkündete der damalige palästinensische Premierminister Rami Hamdallah die Entscheidung des Kabinetts, dass Frauen, die das Sorgerecht über ihre Kinder haben, nun das Recht haben, für diese ein Bankkonto anzulegen, sie bei Schulen anzumelden und für sie Pässe zu beantragen. 2019 erließ die Palästinensische Behörde außerdem ein Gesetz, das das Mindestalter für Eheschließungen für Frauen und Männer auf 18 Jahre hochsetzte. Vorher lag es im Westjordanland für Frauen bei 15 Jahren und für Männer bei 16 Jahre, im Gazastreifen bei 17 Jahren für Frauen und bei 18 Jahren für Männer.
Neben frauenfeindlichen Gesetzen bestimmt in weiten Bereichen die patriarchalische Gesellschaft, in der die sozialen Beziehungen, die maßgebenden Normen, Werte und Verhaltensmuster von Männern bzw. Vätern geprägt, kontrolliert und repräsentiert werden, das Leben der Mädchen und Frauen in Palästina. Der Mann tritt nach außen als Ernährer und Oberhaupt der Familie auf, die Frau ist für das Haus zuständig. Die Familie bzw. Großfamilie steht im Mittelpunkt des sozialen Gefüges, in der es eine Rangordnung nach Alter und Geschlecht gibt und die männlichen Familienmitglieder eine Vorrangstellung haben. Frauen haben eine besondere Verantwortung, die Ehre der Familie zu bewahren durch Gehorsamkeit, Zurückhaltung, gutes, sittsames Benehmen in der Familie und in der Öffentlichkeit. Ansonsten macht sie der Familie Schande, was in letzter Konsequenz zu ihrer Ermordung führen kann zur Wiederherstellung der Familienehre. 2019 fielen nach Angaben der Zivilgesellschaft mindestens 24 Frauen und Mädchen in Palästina einem „Ehrenmord“ zum Opfer. Eines der letzten Opfer war Israa Ghayeb, eine 21jährige Visagistin aus Beit Sahour, die am 22. August 2019 starb, nachdem sie von Familienmitgliedern geschlagen worden war. Gewalt gegen Frauen ist in Palästina gesellschaftlich legitimiert. Nach einer Studie, die vom Palästinensischen Zentralbüro für Statistik im November 2019 veröffentlicht wurde, gaben 56,6 % der verheiraten Frauen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren an, in den dem Interview vorhergehenden 12 Monaten psychologischer Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein, 41,1 % waren wirtschaftlicher Gewalt ausgesetzt, 32,5 % sozialer Gewalt, 17,8 % körperlicher Gewalt und 8,8 % sexueller Gewalt. Die Analphabetinnen-Quote ist mit 4,1 % mehr als dreimal so hoch wie die der Männer, die bei 1,2% steht. Die Erwerbsquote der Frauen liegt bei 18 %, im Gegensatz zu der der Männer, die bei 70% liegt. Ein Fünftel aller Eheschließungen finden vor dem 18. Geburtstag der Braut statt.
Die seit mehr als 52 Jahren andauernde israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete erschwert die Situation insbesondere für die Frauen noch einmal zusätzlich. Die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für die Palästinenser_innen führen zum Beispiel u.a. zu einem eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeit. Schwangere Frauen ziehen schon Wochen vor dem Geburtstermin in die Nähe eines Krankenhauses aus Angst, dieses ansonsten nicht rechtzeitig vor der Geburt erreichen zu können. Belästigungen durch Siedler_innen und Gewalt durch Siedler_innen führen dazu, dass Mädchen nicht mehr zur Schule geschickt werden. Politische und militärische Gewalt entlädt sich in häuslicher Gewalt. Beengte Wohnverhältnisse auf-grund nicht erteilter Baugenehmigungen, wie z.B. in Ost-Jerusalem, leisten sexuellen Übergriffen Vorschub. Die schwierige politische und wirtschaftliche Situation fördert die frühe Verheiratung von Mädchen, da mit der Heirat die Verantwortung für die Versorgung und Ehre dem Ehemann und dessen Familie übertragen werden kann. Und mit Verweis auf die allgemeine Notlage, in der sich die gesamte Gesellschaft befindet, werden Frauen, die sich für ihre Rechte einsetzen, in der Öffentlichkeit als selbstsüchtig und rücksichtslos verunglimpft.
Auf der anderen Seite gibt es eine lange Tradition des öffentlichen und sozialen Engagements von Frauen. Bereits ab 1910 wurden Wohlfahrtsorganisationen von palästinensischen Frauen gegründet, geleitet und finanziert. Im Oktober 1929 wurde während des ersten Frauenkongresses in Palästina mit mehr als 300 Teilnehmenden die Vereinigung der Arabischen Frauen in Jerusalem gegründet. Dieses Datum gilt als Beginn der palästinensischen Frauenbewegung.
Trotz der patriarchalischen Strukturen hat die palästinensische Gesellschaft viele starke Frauen hervorgebracht. Mit den Biographien von sieben Frauen beschäftigten sich die Teilnehmenden am Samstagnachmittag: der Gründerin der Schule „Dar at-Tifl-al-Arabi“ in Ost-Jerusalem und Sozialarbeiterin Hind Al-Husseini, der Lehrerin und Politikerin Zahira Kamal, der Anglistin und Politikerin Hanan Ashrawi, der Architektin Nadia Habash, der Filmregisseurin Annemarie Jacir, der jungen Unterneh-merin Yasmin Mjalli und der Aktivistin Ahed Tamimi.
Es gibt auch zahlreiche kreative Projekte, die in Palästina von Frauen initiiert und durchgeführt werden. Eines davon ist ein Projekt in Jubbet adh-Dhib in der Nähe von Bethlehem zur Stromerzeugung durch Photovoltaik-Anlagen. Der Strom ermöglicht den Frauen den Betrieb eines Lebensmittelladens, eines kleinen Baumarkts, eines Verleih für Musikanlagen bei Hochzeiten, einer Bibliothek und einer Schneiderei. Und die Kinder bekommen Routine im Umgang mit Computern. Vivien Sansour setzt sich in einem weiteren Projekt dafür ein, dass die palästinensischen Bauern wieder alte Gemüsesorten anpflanzen, die gesünder und klimawandelresistenter sind. Maysoun Odeh Gangat gründete 2009 das Frauenradio NISAA FM in Ramallah, das Tabus diskutiert, die traditionellen Rollen, die Frau-en in Palästina zugewiesen sind, in Frage stellt, Frauen als kompetente und durchsetzungsstarke Akteure in der Gesellschaft zeigt und versucht, Machtbeziehungen umzugestalten.
Am Sonntagmorgen diskutierten die Seminarteilnehmenden, wie Frauen in Palästina - auch durch Partnerschaftsvereine - unterstützt werden können. Als Impuls für die anschließende Erörterung des Themas stellten Anna-Maria Rufer und Ruba Ghanem von der Initiative zur Förderung der Beziehungen zwischen Nürnberg und Nablus e.V. (INNA), ihre aktuellen und zukünftigen Projekte zur Förderung der Frauen in Nablus vor. Sie berichteten davon, dass sie die Nachhaltigkeitsziele 5 (Geschlechtergleichheit), 10 (Weniger Ungleichheiten) und 17 (Partnerschaften zur Erreichung der Ziele) der am 25. September 2015 auf dem UN-Gipfel in New York verabschiedeten Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung als handlungsleitende Prinzipien sehen und ihr höchstes Ziel die Stärkung der Völkerverständigung sei. Durch den Grundsatz des „Lasst niemanden zurück“ („Leave no one behind“) der Agenda 2030, der die Schwächsten und Verwundbarsten in den Mittelpunkt stellt, sei die Gleichstellung der Geschlechter aber ein übergreifendes Ziel für alle 17 Nachhaltigkeitsziele. Geschlechterpari-tät in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Politik und in allen Formen der wirtschaftlichen Beteiligung zu fördern, habe eine hohe Bedeutung. Dazu müssten die Frauen „empowert“ werden.
Im April 2018 besuchte eine Delegation von INNA die Frauen in Nablus. Im März 2019 lud INNA fünf Frauen aus Nablus zu einem Gegenbesuch nach Nürnberg ein. Während des Aufenthalts trafen sich die Palästinenserinnen u.a. mit der Frauenbeauftragten, dem Ansprechpartner für Männer der Stadt Nürnberg, dem Nürnberger Oberbürgermeister sowie Stadträt_innen aller Fraktionen. Sie besuchten die Frauenberatungsstelle Nürnberg für von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen, Beratungsstellen des Frauenhauses sowie das Gesundheitszentrum für Frauen und Mädchen in Nürnberg. Sie nahmen darüber hinaus an einer Demonstration anlässlich des Internationalen Frauentags in Nürnberg teil. Außerdem fand eine öffentliche Diskussionsveranstaltung statt zusammen mit Frauen aus der türkischen Partnerkommune Antalya, bei dem es um einen Austausch zu den Herausforderungen im Alltag der Frauen in Nürnberg, Nablus und Antalya ging. Überall führten sie gute Gespräche und knüpften wichtige Kontakte.
Für die Zukunft planen die Mitglieder von INNA eine Fortbildung für Frauen mit niedrigem Einkommen und in besonderen Lebenslagen, die drei Ziele verfolgt: 1.) die Schaffung von Grundvoraussetzungen für eine Berufstätigkeit in den Bereichen Fotografie, Handyservice sowie Friseurhandwerk und Kosmetik, 2.) die Verbesserung der wirtschaftlichen Basis des Familieneinkommens und 3. den Aufbau einer beruflichen Existenz durch Umsetzung in einem eigenen Projekt. Die Initiative zu diesem Projekt kam von den Nabluser Frauen. Des Weiteren planen sie ein Projekt, das palästinensische Mädchen im Alter zwischen 10 und 15 Jahren ermuntern soll, in technische Berufe zu gehen. Hierzu sind 3tägige Workshops in Schulen und Kulturzentren vorgesehen, in denen die Mädchen spielend Programmieren lernen, Medienkompetenz aufbauen und Fragen aus der (Um)Welt der Technik nachgehen, z.B.: wie 3D funktioniert und ob Plastik (k)ein Problem ist. Diese Kurse sollen unter Mitwirkung der Fakultät für Informatik an der An-Najah-Universität Nablus stattfinden. Darüber hinaus beabsichtigen sie ein Projekt zur traditionellen palästinensischen Stickerei. Stickerinnen sollen in Nablus fortgebildet werden. Eine Ausstellung ist in Nablus angedacht zum Thema Textilarbeit und eine Ausstellung in Nürnberg mit traditioneller palästinensischer Tatreez-Stickerei.
Aktuell geplant wird ein Fachaustausch von Stadträtinnen aus Nürnberg mit Stadträtinnen aus Nablus noch im Jahr 2020. Mit den Themenbereichen Umsetzen von Geschlechtergerechtigkeit, Umwelt- /Stadtplanung unter feministischen Aspekten und Gewaltprävention soll die Bedeutung von Gender in (eigentlich allen) Politikbereichen aufgezeigt werden. Best practice-Beispiele sollen zum Austausch über Herangehensweisen in beiden Städten anregen, sollen helfen eigene Projekte zu entwickeln. Der Austausch kann politische Impulse geben, eröffnet neue Sichtweisen und Problemlösungen. Beteiligt an diesem Austausch wird neben INNA-Mitgliedern auch Personal des Frauenbüros und des Amtes für Internationale Beziehungen.
Anschließend stellte Ursula Mindermann, Mitglied des Präsidiums der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft, ihr Projekt zur Vermarktung von Kaktusfeigensaft zur Unterstützung einer Frauenkooperative in Beit Ummar den Teilnehmenden vor, das sie und Fouad el Haj zusammen mit dem palästinensischen Kooperationspartner Mousa Maria durchführt. Die Idee war, ein nachhaltiges Projekt zu entwickeln zur Stärkung der palästinensischen Landwirtschaft, zum Erhalt der Kulturpflanze Kaktusfeige (Arabisch Sabr, was auch Geduld bedeutet), zum Ausbau des Handels mit Palästina und zur Sensibilisierung für Palästina. Das Positive gerade bei dieser Frucht ist, dass die Pflanze keinen zusätzlichen Wasserbedarf hat.
Sehr anschaulich stellte die Referentin die zahlreichen Herausforderungen am Anfang des Projekts dar (das Finden von Partnern in Palästina, den Aufbau einer Transportlogistik, die Entscheidung Glas oder Plastik für den Transport des Safts nach Deutschland, die Abfüllung in Deutschland, die Entscheidung für zwei Sorten, die konstante Qualität, Zertifizierung, die Suche nach Handelspartnern, Marketing und Vertrieb sowie die Erzielung eines Gewinns. Für die Zukunft planen sie den Aufbau eines fairen Handels mit weiteren palästinensischen Produkten in Deutschland und die Verarbeitung weiterer Bestandteile der Kaktusfeige. Die Limonade ist online über www.nabalifairkost.com zu erhalten.
Am Ende des Seminars wurde neben den zahlreichen neuen Informationen zur Situation der Frauen in Palästina von den Teilnehmenden besonders die stärkere Vernetzung untereinander als sehr positives Ergebnis des Seminars hervorgehoben. Die Vertreterinnen und Vertreter aus den Städtepartnerschaftsvereinen in Köln, Bergisch Gladbach und Brühl nahmen sich außerdem vor, dem Nürnberger Beispiel nachzueifern und das Thema Gender bei zukünftigen Partnerschaftsprojekten stärker in den Blick zu nehmen. Alle Teilnehmenden fühlten sich inspiriert, weiter an dem Thema zu arbeiten und das Wissen in ihr Umfeld weiterzutragen. Über ein weiteres Seminar zur Fortsetzung der in dem Seminar begonnenen Auseinandersetzung mit dem Thema Frauen in Palästina wird nachgedacht. So lautet das Fazit der Teilnehmenden: Es war eine sehr inspirierende, informative, Horizont erweitern-de Veranstaltung!
Bericht: Petra SchöningDie in diesem Bericht zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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