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Wenn es für Europa weiterhin nur um eine Kontrolle und Verminderung jeglicher Migration aus Afrika geht, werden die regionalen Beziehungen leiden.
Bild: von FES
Migration zwischen Afrika und Europa ist in den letzten Jahren in beiden Regionen zu einem politischen Kernthema geworden. Dabei ist die Migrationsgeschichte der beiden Kontinente schon wesentlich älter und Europa hat sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert von einem Auswanderungs- zu einem Einwanderungskontinent entwickelt. Und auch heute findet weder ein Exodus aus Afrika, noch eine „Invasion“ nach Europa statt. Nach wie vor bleiben die meisten Menschen innerhalb der Region, wenn sie ihr Land verlassen.
Die hohe Aufmerksamkeit im öffentlichen Diskurs und in der Medienberichterstattung sind vor allem dem Grund geschuldet, dass die legalen Einreisemöglichkeiten nach Europa so begrenzt sind, dass Menschen einen gefährlichen Weg in Kauf nehmen, um nach Europa zu gelangen – so die EU-Kommission. Und diese Routen werden zunehmend tödlicher, auch aufgrund der EU- Politik. Der Fokus der aktuellen europäischen Migrationspolitik liegt auf Abschottung und Abschreckung. Das ist zu kurzfristig gedacht, denn langfristig brauchen wir eine partnerschaftliche Migrationspolitik mit klarer Vision.
Gemeinsam mit dem Käte Hamburger Kolleg hat die Friedrich-Ebert-Stiftung vier Szenarien zu Migrationsbewegungen zwischen Westafrika und Europa bis 2030 entwickelt. Für die Erarbeitung der Szenarien trafen sich rund 30 westafrikanische und europäische Expert_innen in drei Workshops zwischen Juni und November 2017 in Berlin, Dakar und Brüssel. Die Szenarien zeigen mögliche Ansätze einer vorausschauenden, für beide Seiten nutzbringenden Migrationspolitik auf. Sie entwickeln dabei unterschiedliche Konstellationen von Migrationsbewegungen, sozio-ökonomischer Entwicklung und den Beziehungen zwischen Westafrika und Europa weiter:
Dieses Szenario sieht bis zum Jahr 2030 einen dramatischen Anstieg der Migration nach Europa. Grund dafür ist die deutliche Verschlechterung der sozioökonomischen und politischen Rahmenbedingungen in Westafrika infolge einer fortschreitenden Destabilisierung der regionalen Ankerländer Nigeria, Ghana und Côte d’Ivoire. Die halbherzigen und teilweise widersprüchlichen politischen Ansätze der EU tragen zu politischen Krisen und hoher Jugendarbeitslosigkeit bei. Die Sicherheitsinteressen Europas dominieren die „ungleichen Beziehungen“. Die europäische Abriegelungspolitik führt zu immer gefährlicheren irregulären Migrationsrouten. Der Markt für kriminelle Schlepper boomt und die Zahl der Todesopfer steigt.
In diesem Szenario hat ein zunehmend ausländerfeindliches und zersplittertes Europa einseitig sehr strikte Migrationspolitiken gegenüber Westafrika eingeführt, sich von jeglicher Art der kooperativen und wertebasierten Zusammenarbeit verabschiedet und seine entwicklungspolitische Unterstützung erheblich verringert. Die westafrikanischen Länder haben infolgedessen ihre Beziehungen zu Nicht-EU-Ländern ausgebaut. Neben fortgesetzter Migration nach Europa werden andere Regionen, insbesondere Asien und der Mittlere Osten, als Auswanderungsziel attraktiv. Jene, die dennoch versuchen auf illegalen Wegen nach Europa zu gelangen, werden an den See- und Landesgrenzen brutal zurückgedrängt.
Im Szenario »Pragmatische Beziehungen« wird die Migration hingegen aktiv gestaltet. Im Jahr 2013 haben sich die EU und die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) auf Regelungen zur Förderung regulärer Migration und Eindämmung irregulärer Migration geeinigt. Die europäischen Grenzkontrollen werden nach Afrika verlagert und im Einklang mit internationalen Migrations- und Menschenrechtsabkommen durchgeführt. Parallel zu umfangreichen Investitionen in die Ausstattung und Ausbildung der Grenzbeamten hat die EU die reguläre, insbesondere zirkuläre Migration nach Europa erheblich vereinfacht. Dies hat – im Zusammenspiel mit eigenen Maßnahmen der westafrikanischen Staaten für mehr politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität – die wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Regionen im Sinne einer Win-win-Situation verstetigt.
In diesem Szenario hat bis zum Jahr 2030 eine Reihe positiver Impulse u. a. in Burkina Faso, Côte d’Ivoire und Nigeria zu einer umfassenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Erneuerung geführt. Dadurch hat der Migrationsdruck nach Europa entscheidend nachgelassen. Ein neues Regierungsmodell, geprägt von Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und effizienter Gewaltenkontrolle, hat die Beziehungen zwischen beiden Regionen stetig verbessert. Die EU hat ihre Position der Übermacht und Kompromisslosigkeit zugunsten einer »gleichberechtigten Beziehung« aufgegeben, was zu mehr Möglichkeiten regulärer Migration und zu deutlich geringerer irregulärer Migration beiträgt.
Werden alle Szenarien betrachtet, lässt sich ein Zusammenhang ableiten: Je stärker die EU ihre kurzfristigen Interessen in den Mittelpunkt stellt und sich einseitig abriegelt, desto konfliktreicher werden die Beziehungen zu Westafrika. Diese Haltung führt nicht notwendigerweise zu weniger Migration, zumal die Anreize für kriminelle Machenschaften rund um die verzweigten Pfade irregulärer Migration dadurch steigen. Eine Öffnung zu mehr regulären Migrationswegen hingegen kann positiv auf die sozioökonomische Entwicklung wirken und so mittelfristig zu einer Verminderung von irregulärer Migration nach Europa beitragen.
Doch aktuell unterscheiden sich die Prioritäten der Europäischen Union und der afrikanischen Staaten erheblich. Es werden vor allem bilaterale Abkommen mit einzelnen afrikanischen Staaten beschlossen, die eine kurzfristige Minderung der Zahlen der Migrant_innen zum Ziel haben. Dabei wird das stark kritisierte Instrument der Konditionalität genutzt, mit dem Entwicklungsgelder von der Kooperationsbereitschaft im Bereich Migration abhängig gemacht werden. Statt sich den strukturellen Fluchtursachen zu widmen, wie beispielsweise in der Handels- oder Agrarpolitik, dominieren europäische Interessen. Die Interessen der afrikanischen Seite, wie z. B. die entwicklungsfördernden Rücküberweisungen von Migrant_innen, treten dabei in den Hintergrund. Der Mangel an politischer Partnerschaft könnte durch eine langfristige, kooperative Migrationspolitik aufgehoben werden.
Die Publikation als PDF-Download: Prospective Migration Policy – Scenario Building on Relations Between West Africa and Europe
Kontakt in der FES: Elisabeth Braune, Referentin für das Westliche Afrika
Ein Beitrag von Samir Abi, Ständiger Sekretär des West African Observatory on Migrations.
Ein Interview mit Jane Buo, die von den Philippinen nach Deutschland kam, um hier als Krankenpflegerin zu arbeiten.
Henrik Meyer von der FES in Tunis hält den Vorschlag, Auffangzentren für Flüchtlinge in Nordafrika einzurichten, für problematisch.
Der Global Compact for Migration bietet Staaten die Chance, ihre Beziehungen zu Migrant_innen zu verbessern. Nicht alle nutzen dieses Potenzial.
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