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Online Diskussion am 2. Februar 2022 mit Natalie Kühn, Thomas Kutschaty MdL, Christa Liedtke, André Stinka MdL
Der Klimawandel findet statt, seine Auswirkungen sind spürbar – auch in NRW. Nicht nur große Industrieunternehmen müssen sich auf diese neuen Herausforderungen einstellen, auch der Mittelstand ist gefordert.
In der öffentlichen Debatte über die notwendige Transformation der Wirtschaft liegt der Fokus oft auf der energieintensiven Großindustrie, die Rolle von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) steht häufig nicht im Mittelpunkt. Dabei ist der Mittelstand auf dem Weg in eine nachhaltige ökonomische Zukunft unverzichtbar, als Innovationstreiber und Lösungsanbieter aber auch im Hinblick auf die notwendige Reduktion der CO2-Emissionen. Auch KMU müssen sich der neuen Realität stellen: Sowohl die politischen Rahmenbedingungen als auch der internationale Wettbewerb und die Anforderungen der Verbraucher_innen verändern sich. Damit der Mittelstand in NRW wettbewerbsfähig bleiben kann, muss er die Transformation aktiv mitgestalten.
Welche politischen Voraussetzungen müssen dafür geschaffen, welche Art von Unterstützung an die Hand gegeben werden? Wie können Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit auch für KMU in Einklang gebracht werden? Welche Verantwortung trägt der Mittelstand in NRW im Hinblick auf den Klimawandel und wird er dieser gerecht? Und wie stellen wir sicher, dass die Umstellung auf ein nachhaltiges Wirtschaften nicht zu Lasten der Beschäftigten geht? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt der Online-Diskussion, zu der das Landesbüro NRW der Friedrich-Ebert-Stiftung am 02. Februar 2022 unter der fachlichen Moderation von André Stinka MdL, stv. Fraktionsvorsitzender im Landtag von NRW und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung sowie im Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz.
Gleich zu Beginn verdeutlichte Prof. Dr. Christa Liedtke, Abteilungsleiterin Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren am Wuppertal Institut, in ihrem wissenschaftlichen Input, dass KMU als ein wesentlicher Grundpfeiler der Wirtschaft und Gesellschaft zu begreifen seien, machen sie doch 99,3% aller Unternehmen, 52% aller Beschäftigten und 33,4% des gesamten Umsatzes in NRW aus. Frau Liedtke bezeichnete diese Unternehmen als Schlüsselakteure auf dem Weg zur Entkopplung von Wohlstandsentwicklung und stets steigendem Ressourcenverbrauch. „Für eine erfolgreiche Transformation benötigen wir Haltung, Kompetenz, Material und ein Verständnis davon, wie wir wirtschaften wollen“, erläuterte sie. Besonders im Bereich der Materialänderung und -verbesserung und einer biobasierten Kreislaufwirtschaft sieht sie Möglichkeiten zur Verbesserung. NRW liege deutschlandweit nur im Mittelfeld im Kampf gegen den Klimawandel und Zielindikatoren der Bundesregierung für nachhaltige Produktion würden noch immer verfehlt. Dennoch werde bereits jetzt jeder zehnte Euro der Gesamtinvestitionen in Klimaschutzmaßnahmen durch den Mittelstand beigesteuert. Prof. Liedtke nannte zudem eine erhöhte Nachfrage nach klimarelevanter Bildung als Chance für den Mittelstand. Den Fokus legte sie auf zirkuläres Ressourcenmanagement und nannte als Beispiel den Kooperationsverbund „bergisch.metall“, der sich damit beschäftigt, wie regionale Kreisläufe geschlossen werden und Materialien wieder- oder weiterverwendet werden können. Es sei sehr wichtig, die vorhandene Innovationskompetenz im Land und gerade im Mittelstand zu nutzen und gleichzeitig den Ressourcenkonsum zu senken. Zuletzt wies Frau Liedtke darauf hin, dass das Ziel „global kooperative Regionalwirtschaften“ sein müsse. Denn regionalisierte Ressourcenströme seien nur dann wirksam und erfolgreich, wenn sie in Netzwerke und globale Kooperationen eingebettet seien. Dazu müssten zu allererst die Regionen der Welt in den Austausch gebracht und die Kreisläufe dematerialisiert werden. Die Frage, wie dazu das Lieferkettengesetz genutzt werden könne, sei auch eine, die von KMU gestaltet werden könne.
Eine politische Einschätzung gab im Anschluss Thomas Kutschaty, MdL, Fraktionsvorsitzender und Vorsitzender der NRWSPD. Auch er sieht den Mittelstand gefragt und betonte besonders die Chancen, die kleine und mittlere Unternehmen im Vergleich zu großen Industriekonzernen haben, um ihren Beitrag zu leisten. Beispielsweise seien KMU häufig inhaber_innengeführte Unternehmen, die Wege und Entscheidungsprozesse also recht kurz. Die Risiken für KMU sieht Kutschaty im Bereich der Personalpolitik: Nicht jedes Unternehmen könne sich eine_n Nachhaltigkeitsbeauftragte_n, eine_n Klimamanager_in oder Ähnliches leisten. An dieser Stelle müsse die Politik Beratung und Unterstützung anbieten. So könnten zum Beispiel so genannte Transformationsagenturen regional und vor Ort Unternehmen durch Beratung und Weiterbildungsangebote auf ihrem Weg begleiten. Thomas Kutschaty freute sich bezüglich dessen sehr über die steigende Nachfrage nach klimarelevanter Bildung. Neben (technischer) Beratung fehle es natürlich auch an finanziellen Mitteln, Abhilfe könne ein Transformationsfonds für NRW schaffen. Zudem sei die Kreislaufwirtschaft einer der entscheidenden Prozesse, die jetzt angestoßen werden müssten. Im Herbst hatte die SPD dazu einen Antrag eingebracht und setze sich für gute Arbeit und eine regionale Kreislaufwirtschaft ein. „Wir brauchen eine Rohstoffstrategie in NRW, einen Masterplan für zirkuläre Wirtschaft. Wir brauchen Kompetenzen und Beratung und wir müssen Weiterbildungsangebote ausbauen. Wir müssen als Staat deutlich machen, zum Beispiel über Auftragsvergaben, dass wir Kreislaufwirtschaft gut und wichtig finden“, erläuterte er. Besonders wichtig an diesem Punkt war Thomas Kutschaty, dass die Diskussion um Transformation und die Rolle des Mittelstandes nicht nur in Fachkreisen, sondern auch mit den KMU geführt wird.
Einen Einblick aus der Praxis bot daher im Anschluss Natalie Kühn, Geschäftsführerin SK Elektronik Leverkusen und Mitglied im IHK Ausschuss für Internationales. Sie betonte, dass viele KMU sich bereits dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben hätten, meist aber nicht durch komplette Qualitätsmanagementsysteme, sondern eher in Form von innovativen, nachhaltigen Produkten oder in einzelnen Teilbereichen der Prozesse. Eine Herausforderung sei es, die Infrastruktur der KMU grundsätzlich zu verbessern. Das Lieferkettengesetz beispielsweise stelle einige kleinere Unternehmen bereits vor beinahe existenzielle Herausforderungen. Globale Beschaffungsengpässe, undurchsichtige Machtgefüge und Monopolstellungen von Global Playern brächten KMU schnell an ihre operativen Grenzen. Aus ihrer Sicht gebe es eine gute Struktur bezüglich der Fördermöglichkeiten, Beratungs- und Weiterbildungsangebote. Problematisch sei die Tatsache, dass im Bereich der KMU häufig die Eigentümer_innen und ihre Haltung ausschlaggebend seien und es eine weniger systematische Herangehensweise gäbe, als sie hier diskutiert würde. Zudem betonte Frau Kühn die Bedeutung der „Primärresource Mensch“. Neben Weiterbildung und der Stärkung von Resilienz wünscht sie sich mehr Verständnis für die hohen Anforderungen in vielen Bereichen (Fachkräftesicherung, Personalbeschaffung etc.) und die Tatsache, dass KMU sich ihre Zukunftssicherheit hart erarbeiten müssten. Auch sie betonte den großen Einfluss, den KMU aufgrund ihrer Breitenwirkung in der Basis haben und die Notwendigkeit einer größeren Vernetzung untereinander. Sie wünschte sich zudem mehr Transparenz auf allen Ebenen und ermutigte unter anderem den Mittelstand, sich „hinter die Türen gucken“ zu lassen und eine beratende Expertise von außen zuzulassen. „Jede Krise bietet auch Chancen, in bestimmten Bereichen neue Impulse zu setzen“, schloss sie ihren Beitrag.
Im Anschluss an die Beiträge aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft folgte eine Diskussion mit den Referent_innen und den interessierten Teilnehmenden der Veranstaltung. Dabei stand zum einen das bereits erwähnte Lieferkettengesetz im Fokus. Deutlich wurde diesbezüglich, dass es ein Risikokapital für KMU brauche, die außerhalb ihres Tagesgeschäftes Kompetenzen weiterentwickeln und sich vernetzten müssten. Zudem brauche es eine möglichst niedrigschwellige Bürokratie, gerade mit Blick auf die enge Personaldecke und fehlende Qualifikationen, wie Frau Kühn betonte. Die Diskussionsteilnehmenden empfanden ein breitgefächertes Lieferkettennetzwerk mit Einbindung der KMU für notwendig und wichtig, indem die Diskussion nicht weiter nur von großen Unternehmen bestimmt würde. Auch mit Wasserstoff, einem vieldiskutierten Energieträger und Zukunftsprojekt, beschäftigte sich die Diskussion. Aufgabe der Politik sei es, die Infrastruktur so zu verbessern, dass Unternehmen die Möglichkeit hätten, auf Wasserstoff als Übergangsstrategie zu setzten. Dazu bräuchte es mehr erneuerbare Energien, bessere Speichermöglichkeiten und Anlagen, erläuterte Thomas Kutschaty. Prof. Liedtke stellte an dieser Stelle die Darstellung von Wasserstoff als Allheilmittel in Frage. „Wie kreislauffähig sind anfallende Materialien? Wie hoch sind die Effekte und wie kann Wasserstoff überhaupt sinnvoll als Energieträger und -speicher genutzt werden?“ Sie betonte die Gefahr, dass die Kosten, die solche Projekte und Entwicklungen in anderen Bereichen der Ökosysteme haben, häufig unterschätzt würden. Als Beispiel nannte sie Rotorblätter von Windkraftanlagen, die nicht kreislauffähig seien sowie „katastrophale“ Rückführquoten von E-Bike-Batterien.
Die Online-Diskussion mit Prof. Liedtke, Frau Kühn, Herrn Kutschaty und den Teilnehmenden, die sich von zu Hause dazugeschaltet hatten machte deutlich, dass es auf dem Weg in eine erfolgreiche Transformation in NRW eine neutrale, wissenschaftliche Aufklärung, politische Unterstützung und Risikoabsicherung sowie eine verstärkte Kommunikation unter den beteiligten Akteur_innen braucht. Zum Abschluss betonte Prof. Liedtke noch einmal: „Die beste Energie ist die vermiedene Energie. Das ist ein großer Hebel, da müssen wir ran“ und fasste damit treffend den Grundtenor der Veranstaltung zusammen. Ja, KMU sind eine wichtige Stellschraube auf dem Weg der Transformation hin zu einem klimafreundlicheren Wirtschaften und ja, die Verantwortung liegt auch bei Ihnen. Nicht zu vergessen ist aber die Tatsache, dass es grundsätzliche Veränderungen auf allen Ebenen braucht, um ihre Potentiale im Kampf gegen den Klimawandel voll auszuschöpfen.
Autorin: Theresa Wagner
Verantw.: Dr. Annika Arnold
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