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Wiederaufbau – aber geschlechtergerecht!

Für eine Wirtschaftsordnung, die Frauen und Mädchen in den Fokus rückt. Ein FES W7-Blogbeitrag von Marianna Leite, Juristin, Forscherin und Aktivistin aus Brasilien.

Alle sprechen davon, dass wir nach der COVID-Pandemie vieles anders und besser machen müssen. Bislang ist aber wenig Konkretes darüber zu hören, wie ein transformativer, geschlechtergerechter Wiederaufbau in der Praxis aussehen kann. Dieser Beitrag skizziert Wege zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in der globalen Wirtschaft und der Arbeitswelt nach der Pandemie.

 

Während ich diesen Artikel schreibe, herrscht Krieg in der Ukraine. Es ist nachvollziehbar, dass dieser Krieg die Prioritäten in der G7, der EU und auch anderswo quasi über Nacht verschoben hat: Linderung der Not der Menschen, die aus Kriegsgebieten flüchten, Deeskalation und die Suche nach diplomatischen und friedlichen Lösungen sind jetzt vordringliche Aufgaben. Dadurch wurden jedoch viele Debatten über den Wiederaufbau nach der Pandemie auf Eis gelegt oder in andere Bahnen gelenkt. Das ist ein großer Fehler – und es greift zu kurz, wenn wir Kriege und Konflikte sowie deren Ursachen wirklich verstehen wollen.

Wie bereits bei anderen Krisen schaut die Politik oft mehr auf Menschenrechtsverletzungen, die im Rahmen von Kriegen und Konflikten begangen werden, als auf die strukturelle Gewalt, die den Konflikten zugrunde liegt. Solche Kurzschlüsse führen unter anderem zu Militarisierung und Investitionen in fossile Brennstoffe – beides Reaktionen, die nicht im Einklang mit einer Agenda der Nachhaltigkeit und der Förderung von Menschenrechten stehen. Das ist jedoch nicht alles: Indem die Politik Entscheidungen trifft, die nur die Symptome eines kaputten Systems zu lindern versucht, versäumt sie es, grundlegende Diskussionen über Steuergerechtigkeit oder eine Reform des globalen Finanzsystems zu führen. Ebenfalls aus dem Blick geraten die unzureichende Finanzierung von Menschenrechtsarbeit sowie die intersektionalen und vergeschlechtlichten Auswirkungen unserer Wirtschaftsordnung.

Die vergeschlechtlichten Auswirkungen einer kaputten Wirtschaftsordnung verstehen

Es darf keinen Weg zurück in die 'alte Normalität' geben. COVID-19 hat klar gezeigt, dass unser Wirtschaftssystem einen kleinen Teil der Weltbevölkerung begünstigt – hauptsächlich weiße Männer aus dem Globalen Norden. Die Geschlechterungleichheiten, die weltweit bestehen, wirken sich je nach Kontext unterschiedlich aus. Wo Frauen und Mädchen Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt sind, ist dies ein Symptom größerer Machtungleichgewichte in Gesellschaften. Dazu gehören patriarchale Normen ebenso wie neoliberale Praktiken, die Frauen nach wie vor zum ‘Anderen Geschlecht’ machen. Oft gehen diese Normen und Einstellungen mit Machtgefällen nach Rassifizierung, Kaste oder nationaler Herkunft einher, wodurch die Kluft zwischen denen, die als 'reich' gelten, und denen, die als 'arm' gelten, noch einmal vergrößert wird.

Das wachstumsbasierte Modell benachteiligt Frauen und andere marginalisierte Gruppen. Sie sind stärker von Armut und Machtgefällen betroffen, häufiger Gewalt ausgesetzt. Jedes Wirtschaftssystem muss daher auch die wirtschaftliche Autonomie von Frauen und Mädchen fördern. Frauen und Mädchen müssen Bildungschancen haben und ihre Rechte kennen; durch gemeinsame Arbeit an der Basis muss konsequent gegen Rückschläge und patriarchale Narrative gekämpft werden, die die Unterordnung und Ausbeutung von Frauen und Mädchen befördern. Zur Bekämpfung von struktureller und körperlicher Gewalt müssen die Mächtigen ihre Aufmerksamkeit auf strukturelle Ungleichheiten lenken, gesellschaftliche Machtgefälle adressieren und am Aufbau friedlicher Gesellschaften mitwirken.

Für dekolonialisierte und geschlechtergerechte Wirtschaftssysteme

Unser Wirtschaftssysteme brauchen dekolonialisierte und geschlechtergerechte Ansätze, die Frauen und Mädchen in all ihrer Vielfalt in den Mittelpunkt rücken. Unser gegenwärtiges Wirtschaftsmodell beruht auf der Annahme, dass uneingeschränkter Wettbewerb etwas Gutes sei. Ein solcher Wettbewerb spielt jedoch Gruppen gegeneinander aus – in einem Nullsummenspiel, das keins sein müsste. Dekolonialisierte und geschlechtergerechte Wirtschaftsmodelle gründen sich hingegen auf menschenrechtliche Grundsätze und Verpflichtungen. Um dies zu erreichen, müsste ein Umfeld geschaffen werden, damit sich Wirtschaftssysteme entwickeln können, die auf Würde, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Rechenschaft und Recht bauen. Es würde außerdem bedeuten, dass die materiellen, gesellschaftlichen und ökologischen Voraussetzungen geschaffen werden, die es braucht, damit alle Menschen der Erde in Würde auf einem blühenden Planeten leben können.

Feministische Makroökonomie ist der Weg in die Zukunft

Auf dem Papier gibt es bereits riesige Fortschritte. Auch in der Praxis ist vieles geschehen. Dennoch bleibt die gelebte Realität vieler Menschen weit hinter den gesteckten Zielen in Bezug auf Menschenrechte und Geschlechtergerechtigkeit zurück. Eine feministische Makroökonomie kann konstruktive, machbare Lösungen anbieten, die zu einem besseren Wiederaufbau nach der Pandemie beitragen können (z. B. durch mehr Steuereinnahmen als Folge progressiver Besteuerung). Wie mehrere feministische Organisationen und Bewegungen bereits betonten, muss eine (geschlechter)gerechter Wiederaufbau nach der Pandemie die Themen Sorge(arbeit), Nachhaltigkeit und Wohlergehen in den Fokus rücken. Das bedeutet, dass die G7, die EU und andere Schlüsselakteur_innen demokratische, partizipative Entscheidungsprozesse fördern und schützen müssen. Intersektionale feministische Analysen sind in der Politik zu berücksichtigen, und alternative feministische Vorschläge für besseres Wirtschaften (z. B. in Form von Garantien, dass Handels- und Investitionsabkommen nur mit vor- und nachgeschalteten Gender-Impact-Analysen verhandelt und abgeschlossen werden dürfen) müssen zum Tragen kommen.

 

Über die Autorin

Dr. Marianna Leite (Brazil) ist Global Advocacy and Development Policy Manager bei der ACT Alliance und Beraterin der W7. Sie ist Juristin, Forscherin und Aktivistin mit über 15 Jahren beruflicher Erfahrung in der juristischen Praxis, im akademischen Bereich sowie in der Entwicklungsarbeit.


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