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Im Libanon müssen syrische Geflüchtete ohne offiziellen Flüchtlingsstatus leben. NGOs, Regierung und Geber setzen sich für ihre Bildungschancen ein.
Bild: Informelle Zeltsiedlung von Geflüchteten in der Bekaa-Ebene, Libanon von Gerhard Merz (SPD)
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) schätzte im Jahr 2015, dass sich 1,5 Millionen geflüchtete Syrer_innen dauerhaft im Libanon aufhalten. Damit muss das kleine Land neben grundsätzlichen Infrastrukturproblemen und einem hohen Armutsniveau auch mit einem Bevölkerungszuwachs von etwa 25 Prozent umgehen. Entsprechend knapp sind Wohnraum und Arbeitsmöglichkeiten – etwa 70 Prozent der Syrer_innen leben unterhalb der Armutsgrenze, 40 Prozent in informellen Zeltsiedlungen, Bauruinen oder Rohbauten. Offizielle UN-Flüchtlingslager gibt es nicht. Unter den prekären Bedingungen leiden Kinder in besonderer Weise, die kaum Zugang zu Bildung haben und von Zwangsarbeit und sexueller Ausbeutung bedroht sind.
Dabei galten Syrer_innen in den letzten Jahrzehnten als gern gesehene Arbeitskräfte. Sie wurden immer als Gäste betrachtet; so ist es nun auch mit den Geflüchteten. Libanon ist kein Unterzeichnerstaat der Genfer Flüchtlingskonvention und behandelt Geflüchtete als Einwanderer bzw. eben Gäste, die für ihre Aufenthaltsgenehmigung jährlich 200 US$ zahlen müssen. Viele können sich das nicht leisten und werden so in die Illegalität getrieben. Arbeitserlaubnisse erhalten die „Einwanderer_innen“ ausschließlich im Bausektor, bei der Stadtreinigung und in der Landwirtschaft. Ihre Möglichkeiten, legal zu arbeiten, sind also stark begrenzt. Daher arbeiten viele unter der Hand für wenig Geld, was auch die Löhne der Einheimischen nach unten drückt.
Einen „amtlichen“ Flüchtlingsstatus erhalten Syrer_innen auch deshalb nicht, weil die Regierung fürchtet, offizielle Flüchtlingslager könnten ähnlich wie die UN-Camps für die mehr als 500.000 palästinischen Geflüchteten zum Dauerzustand werden und sich zu sozialen und politischen Problemherden entwickeln. Außerdem wecken die demographischen Verschiebungen Ängste davor, dass das politische System zerstört werden könnte, das auf konfessionellem Proporz zwischen Christen und Muslimen beruht – alle staatlichen Institutionen und damit auch Arbeitsplätze, Staatsaufträge oder Sozialleistungen sind an dieses System gebunden. Die politische Antwort war deutlich: Es dürfen keine neuen Flüchtlinge mehr ins Land. Auf Drängen der Regierung werden seit Mai 2015 keine Syrer_innen mehr durch den UNHCR registriert.
In der Bekaa-Ebene, nahe der syrischen Grenze, leben viele Geflüchtete in sogenannten informellen Camps. Niemand weiß genau, wie viele Menschen in das Tal nahe der syrischen Grenze geflohen sind, schätzungsweise sind es rund 500.000. Sie leben in selbstgebauten Zelten, häufig ohne Strom und Wasser auf sehr beengtem Raum. Der UNHCR kann ihnen lediglich sogenannte „Shelter Kits“ - meist ein paar Bretter und Planen - geben und die Zelte zumindest für den Winter aufrüsten. Das Überleben der Menschen hängt davon ab, wie viel Geld das Welternährungsprogramm auf die sogenannte E-Card lädt, mit der sie Lebensmittel in den lokalen Supermärkten kaufen können. Deutschland ist hier einer der größten Geldgeber.
Im Zeltlager herrschen soziale Strukturen und Abhängigkeiten, die der Ausbeutung Tür und Tor öffnen – besonders von Kindern und Frauen. Zum Beispiel müssen die Geflüchteten an die Landbesitzer Pacht- und Nebenkosten zahlen, meist über Mittelsmänner, die zum Teil auch im Zeltlager wohnen. Die verschuldeten Familien müssen ihre Kinder oft zur Zwangsarbeit auf die Felder schicken, Mädchen werden unter dem Deckmantel der „Zeitehe“ zur Prostitution gezwungen.
Viele Familien können es sich nicht leisten, ihre Kinder in eine der staatlichen Schulen zu schicken, die noch dazu schwer erreichbar und nur für beim UNHCR registrierte Kinder zugänglich sind. Ohne libanesische Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie die Kayany Foundation, die bereits sieben Schulen in der Bekaa Ebene betreibt, wären unzählige Kinder von Bildung abgeschnitten. Das Prinzip der NGO-Schulen ist einfach, so Nora Joumblatt, Leiterin der NGO und selbst syrischer Herkunft: Eine saubere und sichere Lernatmosphäre und zwei kleine Mahlzeiten am Tag schaffen für die Kinder einen Zufluchtsort. Für die Lehrer_innen gibt es in Kooperation mit der Amerikanischen Universität Beirut (AUB) Fortbildungen, auch im Umgang mit den traumatisierten Kindern und deren Familien.
Inzwischen wird auch die libanesische Regierung aktiv. Ein Bildungsprogramm, R.A.C.E. („Reaching all children with education“), das maßgeblich von deutschen Geldern unterstützt wird, soll die Kinder im gesamten Land von den Straßen und in die öffentlichen Schulen bringen. Viele Schulen arbeiten in doppelten Schichten, um die syrischen Kinder nachmittags mit elementarer Bildung zu versorgen. Erklärtes Ziel der Regierung ist es, alle Flüchtlingskinder bis zum Sommer 2017 in die Schulen zu bekommen.
Die Welt reagierte spät auf die dramatische Flüchtlingssituation im Libanon. Fünf Jahre nachdem die ersten Syrer_innen in den Libanon flüchteten, trafen sich Staats- und Regierungschefs in London zu einer Geberkonferenz unter dem Motto „Supporting Syria and the Region“.
Die Unterstützung der Nachbarländer Syriens und der Aufnahmegemeinden ist bitter nötig - unabhängig von der hierzulande oft geäußerten Hoffnung, damit würden weniger Menschen nach Europa kommen. Nur müssen diese Hilfen auch ankommen und in Projekte fließen, die auch die Lebensbedingungen der libanesischen Bevölkerung verbessern. Die FES hat jüngst eine Konferenz in Kooperation mit dem libanesischen Sozialministerium und der NGO „Delta“ veranstaltet, bei der die Möglichkeiten für mehr Investitionen in die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur Libanons im Fokus standen. Denn genauso wichtig wie die schnelle humanitäre Hilfe ist es, den Libanon langfristig zu unterstützen, insbesondere beim Ausbau der heimischen Infrastruktur. Das Bildungsprogramm R.A.C.E ist ein erster Schritt in diese Richtung. Politische Lösungen für die gewaltsamen Konflikte in der Region ersetzen solche Maßnahmen allerdings nicht.
Kontakt:Felix Braunsdorf, Referent für Migration und Entwicklung
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