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Die EU und Afrika – Die Neuorientierung in Angriff nehmen

Im Interview spricht Prof. Robert Kappel über die Rolle der Deutschen Ratspräsidentschaft bei der Gestaltung der EU-Afrika Beziehungen.

2020 sollte ein besonderes Jahr für die Beziehungen zwischen Europa und seinem Nachbarkontinent Afrika werden. Im März präsentierte die EU-Kommission einen Aufschlag für eine neue Afrikastrategie, im Oktober sollte der große AU-EU-Gipfel stattfinden. Außerdem stehen die Verhandlungen über eine Nachfolge des sogenannten Cotonou-Abkommens zwischen der EU und den AKP (Afrika, Karibik, Pazifik) an. Dementsprechend sollte die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Afrikanischen Kontinent auch eines der Schwerpunkt-Themen der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft werden. Durch die Corona-Pandemie, kam es jedoch zu einigen Verschiebungen.

Herr Prof. Kappel, Deutschland hat am 01. Juli 2020 für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Welche Rolle spielen die Beziehungen zu unserem afrikanischen Nachbarkontinent während der deutschen Ratspräsidentschaft?

Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren zahlreiche Initiativen auf den Weg gebracht, um die Kooperation zwischen afrikanischen Ländern und Institutionen und Deutschland zu vertiefen. Zahlreiche neue Programme wurden initiiert, dazu gehören u.a. der Compact with Africa (von der G20 beschlossen), der Marshallplan mit Afrika, der Entwicklungsinvestitionsfonds, AfricaGrow und AfricaConnect. Auch haben einzelne Ministerien sich mit neuen Konzepten aufgestellt. Diese Ideen sind in den Kanon der deutschen Afrika-Aktivitäten für den Ministerrat der EU eingeflossen. Die Große Koalition hat zusammen vor allem mit der französischen Regierung neue Afrikainitiativen in die Wege geleitet. Beide Länder stimmen sich in Fragen der Fortsetzung bzw. Neuaufstellung des Cotonou-Abkommens sowie der Beratung einer „umfassenden Strategie mit Afrika“ ab. Deutschland hatte daher ein gewichtiges Wort bei der Neufassung der Weiterentwicklung der europäischen-Afrikastrategie.

Aufgrund der Corona-Pandemie kam der Prozess allerdings ins Stocken, so dass die deutsche Präsidentschaft lediglich Bausteine für eine Agenda entwickeln konnte, zumal der für Oktober 2020 vorgesehene Gipfel zwischen der Afrikanischen Union (AU), den afrikanischen Regierungen, der EU und den europäischen Ländern ins Jahr 2021 verschoben werden musste. Es kommt nun darauf an, die verbleibenden Wochen für eine abgestimmte europäische Konzeption für die afrikanisch-europäischen Verhandlungen zu nutzen.

Welche Folgen der globalen Corona-Pandemie lassen sich auf dem afrikanischen Kontinent feststellen?

Die meisten afrikanischen Länder haben die Coronakrise recht gut gemeistert – mit wenigen Ausnahmen wie bspw. Südafrika. Doch Afrikas asymmetrische Einbindung in die Weltwirtschaft führt zu gravierenden wirtschaftlichen- und sozialen Krisen. So sind Lieferketten mit ausländischen Unternehmen unterbrochen worden, die Nachfrage nach Rohstoffen sank rapide, die Deviseneinnahmen verringerten sich und die Steuereinnahmen und Rücküberweisungen brachen ein. Viele ausländische Unternehmen investierten weniger, zogen sich zurück, so dass Millionen von Jobs verloren gingen. Hinzu kam der Einbruch des Tourismus. Als Folge aller Einbrüche steigt die Armut stark an. Der Kontinent wird zurückgeworfen. Alle Fortschritte der letzten 20 Jahre wurden innerhalb kürzester Zeit zunichte gemacht. Die sozialen Kosten sind immens und sind weitaus größer als die der Finanzkrise des Jahres 2009.

Wie würden Sie das aktuelle Verhältnis der EU mit Afrika beschreiben?

Europa ist in jeder Hinsicht der wichtigste externe Partner. Dies ergibt sich nicht nur aus den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte – die post-koloniale Kooperation – mit dem Lomé-Abkommen, dem Cotonou-Abkommen und der Joint Africa-EU Strategy seit dem Jahr 2007, um nur die wichtigsten Verträge zu nennen, sondern vor allem aus der herausragenden wirtschaftlichen Rolle und der politischen Kooperation. Die politische Zusammenarbeit ist durch zahlreiche gemeinsame Aktivitäten geprägt, bspw. Friedensmissionen, Wahlbeobachtungen, Migrationspakte, militärische Kooperation und durch die Vielzahl von gemeinsamen Bemühungen zur Stabilisierung des Kontinents. Europa ist zudem der bei weitem wichtigste Wirtschaftspartner afrikanischer Länder. Handelsverträge, Investitionsabkommen, bilaterale und europäische Entwicklungskooperation – ein breites Feld von intensiver Kooperation. Allerdings war die Kooperation bis in die 2000er Jahre noch von Paternalismus und Entwicklungshilfe dominiert. Und Afrika und Europa „pflegten“ eine asymmetrische Zusammenarbeit. Der Handel ist extrem ungleich: Afrika liefert Rohstoffe und Agrarprodukte – Europa Investitionsgüter, High-Tech-Produkte und hochwertige Konsumgüter.

Diese Asymmetrie wird auch an den Investitionen deutlich. Europäische Unternehmen investieren in Rohstoffsektoren, Energie, bauen Industrien auf – vor allem in Südafrika und nordafrikanischen Ländern. Durch Handel und Investitionen übt Europa eine dominante Rolle auf dem Kontinent aus, der in jeder Hinsicht China, die USA und andere Staaten in den Schatten stellt. Europa hat damit einerseits eine herausragende Rolle als externer Akteur, hat aber durch wenig Weitblick verpasst, Afrikas Industrialisierungsprozesse voranzubringen. Dies hat auch mit Fehlern der Vergangenheit zu tun, die den Kontinent durch Rohstoffpreisstabilisierungsmaßnahmen in eine abhängige – post-koloniale – Position hinein gedrängt hat. Damit hat Europa auch zur Marginalisierung Afrikas beigetragen.

Wie könnte eine Neuorientierung der EU-Afrika-Beziehungen aussehen? Welche Ziele sollte die EU bzw. die deutsche Ratspräsidentschaft verfolgen?

Für die Entwicklungen in den afrikanischen Ländern sind vor allem die Menschen, die Regierungen, die Institutionen, die gesellschaftlichen Gruppen verantwortlich. Diese Verantwortung haben viele Länder in den letzten Jahren zunehmend übernommen. Von außen kann der Prozess der Wiederbelebung unterstützt werden. Wenn man auf europäischer Seite aus den eigenen Fehlern lernt, wird man ein anderes, gleichberechtigtes Verhältnis aufbauen. Eine Kooperation der strategischen Zusammenarbeit, die sich den Hauptfragen widmet. Dies sind die Beschäftigungsprobleme, die der Armutsbekämpfung, die der Bekämpfung der Umweltkrisen, die der Unterstützung von eigenständigen Entwicklung auf dem Kontinent. Das bedeutet massive Unterstützung bei allen Industrialisierungsbemühungen und fairer Handel. Hier hat Europa großen Nachholbedarf und es steht leider zu befürchten, dass die EU und die Mitgliedsstaaten aus rein egoistischen Motiven – vor allem Stützung der eigenen Wirtschaft – nicht erkennen, wie sehr sich die Lage auf dem Kontinent verschoben hat. Nicht nur China ist ein aufstrebender Akteur, der viel Einfluss gewonnen hat, aber ebenfalls rein nationalistisch orientiert ist.

Die afrikanischen Länder befinden sich in einem großen Transformationsprozess – mit neuen Agenden zur Industrialisierung, zur Entwicklung des intra-afrikanischen Handels (African Continental Free Trade Area), der Bildung, der Entstehung von urbanen Zentren mit Mittelschichten und Mittelstandsunternehmen und der Modernisierung der Landwirtschaft. Trotz aller Probleme, die überall auf dem Kontinent existieren, geht Afrika voran – wenn auch unterschiedlich. Entscheidend ist, dass ein neues Bewusstsein von Stärke entstanden ist und alle Aktivitäten sich darauf ausrichten, nicht länger am langen Arm Europas oder Chinas zu hängen. Europa, die europäischen Lobbygruppen, die Zivilgesellschaften, die Gewerkschaften, die Regierungen, die Parlamente und die EU-Kommission müssen die Entwicklungen auf dem Kontinent antizipieren. Sie müssen endlich wahrnehmen, dass Patentum und Paternalismus nicht mehr angebracht sind. Die Entwicklungspolitik muss wegkommen von ihren Schrotflintenansätzen. Die EU und die europäischen Staaten versäumen durch ihr Festhalten an überkommenen Vorstellungen schließlich, die eigenen europäischen Interessen besser in Wert setzen. Dazu wäre es erforderlich, sich den wesentlichen Herausforderungen zu widmen, die Chancen auf dem Kontinent zu erkennen und zugleich einen Beitrag zur Reduktion der Asymmetrien zu leisten: also faire Handelsbeziehungen, Investitionen mit Beschäftigungseffekten, eine neue Agrarpolitik, die die afrikanischen Farmer durch die hohen Subventionen beständig aushebeln. Und schließlich eine Klimapolitik, die vor allem in Europa aktiv die Klimaziele des Pariser Gipfels umsetzt. Alle diese Dinge würden auch dazu beitragen, die Migrationsbereitschaft auf dem Kontinent zu reduzieren. Wenn Europa daran arbeitet, dann kann es einen positiven Beitrag leisten und wird dafür auch Anerkennung zurückgewinnen, die Europa in den letzten 20 Jahren verloren hat.

Die deutsche Ratspräsidentschaft muss sich diesen genannten Zielen widmen, weniger versprechen, mehr umsetzen und so wegkommen von den immer wieder neuen Plänen, die vorgelegt werden.

Die Fragen stellte Lennart Oestergaard, FES

 

Link zur Studie

In seiner aktuellen Studie "EUROPA - AFRIKA: Die Neuroientierung in Angriff nehmen" analysiert Prof. Robert Kappel die wirtschaftlichen Beziehungen der Europäischen Union und Afrika und macht Vorschläge für eine Neuorientierung, auch vor dem Hintergrund der globalen Corona-Pandemie.
Hier geht es zur Studie.

Über den Interviewpartner

Prof. Dr. em. Robert Kappel, Institut für Afrikastudien der Universität Leipzig und Postgraduate Program „small enterprise promotion and training, war von 2004 bis 2011 Professor an der Universität Hamburg und Präsident des German Institute of Global and Area Studies (GIGA). Er forscht und publiziert zu Fragen von Entwicklung von Klein- und Mittelunternehmen, zu sozioökonomischer Entwicklung in der Globalisierung und Politik und Wirtschaft in Afrika.

Bild: von Picture Alliance/ DPA


Ansprechpartnerin

Marie Meier

+49 30 26935-7418
Marie.Meier(at)fes.de

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