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Ziele erreicht? Eine Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft aus niedersächsischer Sicht

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft neigt sich dem Ende zu. Zeit um eine erste Bilanz zu ziehen und die Frage zu klären, ob die gesteckten Ziele erreicht werden konnten.

Am 31. Dezember wird die EU-Ratspräsidentschaft an Portugal übergeben. Schon vor der Corona-Krise war das Aushandeln des zukünftigen EU-Finanzrahmens, die ewige Debatte um den Brexit, die Frage, wie sich die EU künftig außenpolitisch, insbesondere gegenüber starken Mächten wie China, Russland und den USA, positionieren möchte und die Klimapolitik wesentliche Punkte. Überlagert wurden diese allerdings von den Diskussionen zur dauerhaften Überwindung der Covid-19-Pandemie und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Probleme.

„politisch brisantes Tauziehen“ zwischen Mitgliedstaaten

Vor diesem Hintergrund lud das Landesbüro Niedersachsen der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Veranstaltung „Ziele erreicht? Eine Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft aus niedersächsischer Sicht“ ein. Birgit Honé, Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung des Landes Niedersachsen bestätigte, dass nach der massiven Ausweitung des Covid-19-Virus‘ die Bekämpfung dessen zum zentralen Thema dieser Ratspräsidentschaft geworden und bis heute geblieben ist. Sie kritisierte an dieser Stelle, dass am Anfang der Pandemie zu wenig gemeinsam gehandelt wurde innerhalb der EU, lobte jedoch auch, dass die EU-Ratspräsidentschaft dann wesentliche Fragen bearbeitete, wie etwa: Wie können wir als EU ein gemeinsames Krisenmanagement umsetzen? Insgesamt sah die Ministerin durch die Erfahrungen mit Covid-19 eine deutliche Verbesserung des Krisenmanagements und betonte, dass nach der ersten Welle Strukturen geschaffen wurden, deren Funktionieren man nun in der zweiten Welle beobachten könne.

Auch die Verhandlung des Finanzrahmens der EU für 2021-2027, welcher vor allem auch das Thema des Wiederaufbaus zum Ziel hat, insbesondere unter dem Stichwort „Next Generation EU“ kam zur Sprache. Hier sah Ministerin Honé klare Erfolge der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, der es gelungen sei, eine politische Einigung zum mittelfristigen Finanzrahmen auf den Weg zu bringen. Die Mittelvergabe soll nun zum ersten Mal an Sanktionen geknüpft werden, wenn Staaten die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit missachten, wie es Polen und Ungarn in der jüngsten Vergangenheit getan haben, weshalb auch eben diese Länder momentan mit Veto drohen. Prof. Wonka vom Institut für Europastudien von der Universität Bremen nannte dies ein „politisch brisantes Tauziehen“ zwischen Ländern, wie z.B. den Niederlanden, die ihrerseits keinem Haushalt zustimmen würden, der keine Möglichkeiten der Sanktionierung beinhaltet.

„Wir dürfen jetzt nicht unsere Rechtsstaatlichkeit opfern“

Honé gab zu bedenken, dass Polen und Ungarn auch stark auf die Gelder angewiesen seien, insbesondere Polen, als traditionell größter Netto-Empfänger. Sie wand ein: „Die Mittel müssen kommen, aber wir dürfen jetzt nicht unsere Rechtsstaatlichkeit opfern.“ Prof. Wonka argumentierte, dass die EU alleine diese Situation nicht richten könne, sondern ein Momentum des innenpolitischen Drucks in beiden Ländern entstehen müsse, wie es z. B. in Polen bereits der Fall sei, wo sich eine politische Opposition gegen den Kurs der polnischen Regierung bilden würde. Dennoch seien 50 Prozent der polnischen Bevölkerung PiS-Wähler_innen, die ungeteilt hinter der Regierung stünden. Er spekulierte, dass der Rechtsstaatsmechanismus abgeschwächt werden wird, um den Haushalt zu ermöglichen. Ansonsten wäre es denkbar, für die Corona-Hilfen externe Verträge zu schließen, um zumindest diese Thematik vom Verhandlungstisch zu nehmen. Falls es allerdings in letzter Instanz zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten käme, mit einem Lager, das strenge Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit achtet und einem anderen, das es nicht tut, hätte dies negative Konsequenzen für das europäische Verhältnis, so die Ministerin, welche sich optimistisch gab: „Wir sollten erst einmal die Nerven behalten und gucken, ob Polen und Ungarn uns nicht doch entgegenkommen.“

Es gibt kein politisches Mittel des „Rausschmisses“ aus der EU

Die Moderatorin des Abends, Birgit Mangels-Voegt stellte, sodann die Frage, wieso Polen und Ungarn die EU nicht verlassen müssen, wenn sie sich nicht an EU-Regeln und –Standards halten? Ob man nicht ein Exempel statuieren könne? Hier erklärte Prof. Wonka, dass es kein politisches Mittel des „Rausschmisses“ aus der EU gäbe. Die Mittel, die es gibt, wären genutzt worden. So wurde Polen bereits dreimal vor dem EUGH im Zuge von EU-Vertragsverletzungsverfahren verklagt. Die Renten-Reform der polnischen Richter_innen musste die polnische Regierung z. B. auch zurücknehmen, wodurch viele Richter_innen durch regierungsloyalere hätten ersetzt werden können.

Trotzdem lobte Prof. Wonka den riesigen Erfolg der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, einen siebenjährigen EU-Haushalt, inklusive eines Maßnahmenpakets zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie, zu vereinbaren. Zugleich betonte er aber auch, dass es schwer absehbar sei, wie erfolgreich die Mittel zur Bekämpfung der Pandemie sein würden. Dennoch sei es ein symbolisches Ergebnis für ein starkes Europa, dass diese Hilfen in dieser Form zustande gekommen seien.

Beim Thema des Klimaschutzes betonte Ministerin Honé die starke Treiberin-Rolle der EU auf der internationalen Ebene. Prof. Wonka erklärte, dass umweltpolitische Maßnahmen in Gesetzesform gut umsetzbar seien, die EU aber weiterhin stark auf die Kooperation ihrer Mitgliedsstaaten angewiesen sei. Insbesondere in wirtschaftlich schwächeren Ländern sei Klimaschutz leider innerhalb der Bevölkerung von keiner hohen Relevanz. Ein generelles Problem sei auch die mangelnde finanzielle Unterfütterung.

„Wir haben keine Alternative zur EU in einer globalisierten Welt“

Den Brexit betrachtete Prof. Wonka vor allem aus innenpolitischer Sicht, da er nur unter Berücksichtigung der heiklen Situation in Großbritannien selbst zu verstehen sei. Der politische Druck im Land speise sich aus Konflikten um eine harte Grenze zu Irland sowie große Unzufriedenheit in Schottland, dessen Bewohner_innen vermehrt für einen Verbleib in der EU abgestimmt hatten und nun wieder ein Unabhängigkeitsreferendum thematisieren.

Alles in allem zog Ministerin Honé die Bilanz, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft schon jetzt in weiten Teilen gelungen sei. Mangels-Voegt schlussfolgerte „Wir haben keine Alternative zur EU in einer globalisierten Welt und wir wollen auch keine.“ Fragen der Geschwindigkeiten, z. B. von europäischer Integration, werden dennoch immer von Relevanz sein. Es bleibt abzuwarten, zu welchen Ergebnissen es rund um den Brexit zum Ende des Jahres noch kommen wird und wie Deutschlands Nachfolger Portugal das Amt der EU-Ratspräsidentschaft in einer dann vielleicht schon weniger krisenreichen Zeit gestalten wird.

Über die Diskussionsteilnehmer_innen

Birgit Honé ist seit 2017 Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten im Kabinett Weil II.

Professor Arndt Wonka ist Politikwissenschaftler und Professor am Institut für Europastudien der Universität Bremen.


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