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Politische Akademie

Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf Asien sind weitaus größer als gedacht

Unser Kollege Marc Saxer über die weiteren Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Region Asien-Pazifik und die Zukunft der globalen Ordnung.

Der Krieg in der Ukraine ist zwar meilenweit von Asien entfernt ist, doch dessen Auswirkungen sind überall in der Region und auf der gesamten Welt zu spüren. Jenseits der unmittelbaren Fragen staatlicher Souveränität und territorialer Unversehrtheit wird deutlich, dass dieser Großmachtkonflikt Konsequenzen für die globale Ordnung haben könnte.

Wir haben mit Expert_innen und führenden Mitgliedern der Asia Strategic Foresight Group der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Asien über die weiteren Auswirkungen der aktuellen Lage in der Ukraine auf die zukünftige globale Ordnung gesprochen, und insbesondere darüber, wie sich die Situation in der Region Asien-Pazifik weiterentwickeln und konkretisieren wird. Marc Saxer, Koordinator der Regionalarbeit der FES in Asien, teilt seine Gedanken mit uns.

 

Was sind unmittelbare Folgen des Ukrainekrieges, und wie werden sich diese politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen des Krieges auf Asien auswirken? 

Während manche Regierungen in der Region den Ukraine-Konflikt vor allem als europäischen Krieg betrachten, mit dem der Westen alleine fertig werden soll, sind die unmittelbaren Auswirkungen des Konflikts auf die Region doch größer als es sich die meisten vorstellen. Die Preise für Energie und Lebensmittel sind dramatisch gestiegen und werden aller Wahrscheinlichkeit nach die Ernährungssicherheit von 1,6 Milliarden Menschen weltweit gefährden. Ich gehe davon aus, dass diese Ernährungsunsicherheit zu einer größeren regionalen Instabilität und zu Unruhen aufgrund von Knappheit und Mangelsituationen führen wird.

Es ist ebenfalls davon auszugehen, dass es in Europa zu einer Rezession kommt, was auch negative Auswirkungen auf asiatische Exporteure haben wird. Abgesehen davon profitieren einige Länder aber auch von dem Konflikt. Sowohl China als auch Indien haben Sonderabkommen für billigere Energie aus Russland abgeschlossen. Andererseits gibt es Länder, die große Mengen russischer Waffen importieren, und da der Konflikt immer mehr Menschen und Material kostet, könnte es zu einer Reduzierung russischer Waffenexporte in die Region kommen.

 

Was könnten die mittelfristigen Auswirkungen des Ukraine-Konfliktes sein und wie verändert dies das geopolitische und geoökonomische Profil der Region?

Es gibt zwei bedeutende mittel- bis langfristige Folgen für Asien. Selbst wenn weder Europa, noch Asien bereit sind, sich von China zu entkoppeln, gibt es doch in beiden Regionen ein Streben nach Diversifizierung und eine Tendenz zum Protektionismus. Dies könnte zum Aufstieg regionaler Handelsblöcke führen und kleinere asiatische Nationen dazu zwingen, Partei zu ergreifen – was sie in der Vergangenheit zu vermeiden suchten.

Der andauernde Konflikt könnte außerdem zu einer bedeutenden Umstrukturierung von Lieferketten führen, wovon manche Länder wie Bangladesch, Indien oder Vietnam profitieren würden. Andere Länder wie beispielsweise Myanmar könnten vollständig von den Lieferketten abgeschnitten werden.  

 

Was bedeutet das für die globale Ordnung und für China, Russland und den Westen? 

Im weiteren Sinne bedeutet der Krieg das Ende der Pax Americana. Zum ersten Mal seit Ende des Kalten Krieges greift mit Russland eine Großmacht die europäische Sicherheitsordnung offen an.  Das treibt auf der globalen Ebene die Aushöhlung der liberalen Weltordnung, also der multilateralen Architektur, die nach Ende des Kalten Krieges entwickelt wurde, weiter voran. Dies bedeutet nicht unbedingt das Ende der internationalen Zusammenarbeit in einem regelbasierten Rahmen. Es untergräbt jedoch die Funktionsfähigkeit der Institutionen, die Menschenrechte schützen und Demokratie fördern sollen.

Strategisch hat Moskau keine andere Wahl als sich mit der Rolle von Pekings Juniorpartner zufrieden zu geben. Das bedeutet nicht, dass westliche Illusionen von einem   Auseinanderbrechen der Russischen Föderation oder einem Regimewechsel in Moskau unmittelbar bevorstehen. Ganz im Gegenteil zeigt Russland, dass sein Ressourcenreichtum und seine militärischen Fähigkeiten zur Unruhestiftung das Land weitaus widerstandsfähiger gegen westliche Sanktionen machen als viele erwartet hatten. Weit entfernt von einer weltweiten Isolierung, wird Russland eine Großmacht bleiben. Aber seine Zeit als weltordnungsprägende Macht scheint vorüber zu sein.

Die russische Anerkennung abtrünniger Provinzen eines souveränen Staates hat in Peking mit Blick auf Taiwan einige Ängste geweckt. Chinesische Strategen sind auch besorgt, dass ein neuer Eiserner Vorhang in der Ukraine die Seidenstraße blockieren könnte. Für China ist es ein Plus, dass sie Russland als Juniorpartner gewinnen, ohne auch nur einen einzigen Schuss abzufeuern. Russland wird Energie mit einem beachtlichen Rabatt vom Weltmarktpreis liefern.

Das gleiche gilt für Indien: Delhi kauft russisches Öl zum Rabattpreis auf. Auch wenn das bald schon bevölkerungsreichste Land der Welt im Hinblick auf wirtschaftliche, politische oder militärische Macht nicht mit anderen Großmächten mithalten kann, versucht sich Indien dennoch als fünfte Weltmacht zu positionieren, die zum Zünglein an der Waage zwischen einem westlichen und einem chinesisch-russischen Block werden könnte.

Mit einem Russland im Niedergang ist China die einzige Großmacht, die es mit den USA aufnehmen kann. Deshalb wird China mit Blick auf seinen Status vom Krieg in der Ukraine profitieren. Es gibt jedoch auch Risiken: Versucht Peking, durch Handelsrouten in der Arktis oder Zentralasien einen neuen Eisernen Vorhang zu umgehen, wird es so in direkten Wettbewerb mit Russland treten. Neue Routen durch den indopazifischen Raum könnten China Probleme mit den Mächten bescheren, die die Engpässe zwischen der Taiwanstraße und der Straße von Malakka kontrollieren. Wie die chinesischen Manöver rund um den Besuch der Vorsitzenden des amerikanischen Repräsentantenhauses Nancy Pelosi zeigen, ist damit zu rechnen, dass Peking den Druck auf Taiwan mittelfristig noch weiter verstärkt. Da die USA eher bereit zu sein scheinen, Taiwan durch direktes militärisches Eingreifen zu verteidigen als die Ukraine, ist selbst ein Krieg zwischen den Atommächten USA und China nicht auszuschließen.     

Selbst die entfernteste Möglichkeit eines großen Krieges erfordert neue Mechanismen der Vertrauensbildung, Deeskalation und Konfliktlösung. Es braucht einen neuen Modus Vivendi in der Taiwanstraße und im Südchinesischen Meer. Der Verband Südostasiatischer Nationen ASEAN könnte einmal mehr seine Rolle als zentrales Konfliktlösungsforum unterstreichen, wenn er einen Beitrag zur Zerstreuung der Spannungen um Taiwan leisten und langfristig den Weg zu einer regionalen Ordnung aufzeigen könnte, von der alle Beteiligten profitieren.

 

Dieser Beitrag erschien am 21.07.22 in englischer Sprache auf asia.fes.de.


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